Augenzeugenbericht zu den Verhaftungen während des Lindenberg-Konzerts in Ost-Berlin
Signatur: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 89, Bl. 1-5
Nikolaus Becker berichtet von seiner Nacht in Haft. Die Volkspolizei nahm ihn fest, weil er im Umfeld des Lindenberg-Konzerts fotografiert hatte.
Am 25. Oktober 1983 kam Nikolaus Becker zum Palast der Republik, während dort Udo Lindenberg im Rahmen einer FDJ-Veranstaltung auftrat. Lindenberg hatte für seinen Traum von einem Auftritt in der DDR nach langen Verhandlungen hingenommen, dass er vor einem ausgewählten Publikum aus FDJ-Mitgliedern und SED-Funktionären spielen sollte. Becker war deshalb bewusst, dass er, wie viele Andere, keine Karten für das Konzert bekommen würde. Weil sich aber trotzdem viele Fans des Musikers rund um den Palast versammelt hatten, um Lindenberg zumindest nahe zu sein, wollte Becker wenigstens die Stimmung festhalten und fotografieren.
Als die Volkspolizei die Fans jedoch teilweise mit Gewalt vertrieb und zahlreiche Menschen festnahm, wurde auch Becker in Gewahrsam genommen. Die Polizei warf ihm vor, Sicherheitskräfte fotografiert zu haben. Im vorliegenden Augenzeugenbericht aus den Stasi-Unterlagen schildert Becker die Nacht in Haft und das brutale Vorgehen der Polizei. Am Ende zeigt er sich tief bestürzt von den aus seiner Sicht "faschistischen" Methoden.
Metadaten
- Diensteinheit:
- Hauptabteilung XX/9
- Datum:
- 25.10.1983
- Zustand:
- Wasserschäden
Meine Erinnerungen an das Friedenskonzert mit Udo Lindenberg u.a. im Palast der Republik
Auf den Trick, eine "Life-Übertragung" im Fernsehen anzukündigen, den Beginn des Konzerts aber nirgends bekanntzugeben, so daß man sich denken konnte, das Konzert beginnt wie die Fernsehübertragung ebenfalls um 20.00 Uhr, war auch ich hereingefallen. Deshalb kam auch ich erst eine Stunde nach Beginn des Konzerts zum Palast. Das ich keine Chance hatte, Karten zu bekommen, war mir von vornherein klar. So wollte ich wenigstens die Stimmung während des Konzerts vor dem Palast fotografieren.
Gegen 20.00 Uhr war ich am Palast angekommen und hatte begonnen zu fotografieren, etwa fünfzehn Minuten später saß ich bereits auf einem in der Nähe parkenden Mannschaftswagen der Polizei. Man hatte mir das gezielte Fotografieren von Sicherheitskräften vorgeworfen und die Herausgabe des Filmes verlangt, die ich verweigerte. Der Vorwurf war absurd, da es fast unmöglich war, im Umkreis von einem halben Kilometer etwas zu fotografieren, ohne zivile oder uniformierte Beamte mit im Bild zu haben.
Auf dem Weg zum Mannschaftswagen versuchte ich noch, den Film aus der Kamera zu nehmen und zu belichten. Die Kamera wurde mir aber sofort gewaltsam aus den Händen gerissen.
Nach etwa einer Stunde Wartezeit fuhr der Mannschaftswagen mich und einen etwa Siebzehnjährigen, der extra wegen Udo Lindenberg nach Berlin gekommen war, in das Polizeirevier Voltairestr. 2.
Normalerweise ist für derlei Aktionen das Revier in der Keibelstr. vorgesehen. Ich vermute deshalb, daß die Keibelstraße schon "ausgebucht" war.
Ich wurde in einen Raum geführt, in dem sich schon viele andere, fast ausnahmslos 16-20-jährige Jugendliche befanden. Wir mußten alles, was wir bei uns trugen (Geld, Papiere, Uhren etc.) in Plastikbeutel tun und uns dann mit erhobenen Armen und breiten Beinen zum Durchsuchen an eine Wand stellen#
Bis dahin verlief alles ruhig, ich glaubte,daß man mir nichts anhaben könne, aber hier wurde ich das erste Mal unruhig, als ich sah, wie die Polizisten mit uns umsprangen.