Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 11784, Bl. 228
Im Herbst 1969 versetzte ein Gerücht die Staatssicherheit in Aufregung: Angeblich sollten die Rolling Stones unmittelbar in Grenznähe auftreten. Die Geheimpolizei überprüfte die Meldung daraufhin unter anderem beim Staatlichen Komitee für Rundfunk.
In den 60er Jahren trat der Beat seinen Siegeszug um die Welt an. Mit der Musik von Bands wie den Beatles oder den Rolling Stones entwickelten junge Leute neue Vorlieben und distanzierten sich von der Generation ihrer Eltern. Eine neue Lebensart entstand vor allem im Westen, aber verzögert, abgeschwächt und verzerrt auch hinter dem Eisernen Vorhang. Nach dem Beginn der zweiten Entstalinisierung 1961 unter Nikita Chruschtschow lockerte 1963 auch die SED für kurze Zeit einige Verbote und Bevormundungen gegenüber Jugendlichen. In der Folge formierten sich auch hier Beat-Bands und Gruppen, die als westlich geltende Musik spielten.
Nach dem Sturz Chruschtschows beendete die SED jedoch diese kurze Phase der Liberalisierung auf dem "Kahlschlagplenum" im Dezember 1965. Funktionäre von SED und FDJ beäugten die Jugendlichen, die sich an westlicher Musik orientierten, zunehmend argwöhnisch, weil sich hier junge Menschen abseits der staatlich kontrollierten Massenorganisationen zusammenfanden. Dieser westliche Einfluss auf die eigene Gesellschaft erschien auch der Stasi gefährlich. Sie vermutete den direkten Versuch westlicher "Feindzentralen", die Jugend für sich zu gewinnen und damit einen Nährboden für Untergrundtätigkeiten in der DDR zu legen.
Im September 1969 gab der auch im Osten bekannte Moderator Kai Blömer in der RIAS-II-Sendung "Treffpunkt" bekannt, die Rolling Stones würden am 7. Oktober 1969 ein Konzert auf dem Springer-Hochhaus geben. Dies war nur ein Scherz, wie Blömer noch in derselben Sendung klarstellte. Unter DDR-Jugendlichen verbreitete sich dennoch ungehindert das Gerücht, dass am 20. Jahrestag der Gründung der DDR in West-Berlin ein Konzert der britischen Rockband stattfinden würde. Junge Leute aus der ganzen DDR verabredeten sich daraufhin für diesen Tag in Ost-Berlin. Die Stasi befürchtete einen gegen das SED-Regime gerichteten Aufruhr der Jugendlichen und wollte eine Menschenansammlung unweit der Staatsgrenze um jeden Preis verhindern, zumal wegen des Feiertages viele Berlinerinnen und Berliner sowie Gäste zum Volksfest ins Stadtzentrum strömten.
Aus diesem Grund verhinderte die Geheimpolizei bereits im Vorfeld im Rahmen der Aktion "Stafette" beabsichtigte Reisen von "negativen Jugendlichen" nach Berlin. Neben der "Rückführung in Heimatorte" wurden Aufenthaltsbeschränkungen und Berlin-Verbote erteilt sowie sogenannte "Aussprachen" mit den jungen Stones-Fans geführt. Die Zugänge zur Leipziger Straße wurden durch Volkspolizei, Staatssicherheit und FDJ-Ordnungsgruppen hermetisch abgeriegelt. Trotzdem hatten sich dort am Nachmittag des angekündigten Konzerts etwa 2.000 Jugendliche versammelt, die ihre Idole sehen wollten. Bis in die Nacht kam es seitens der Staatsmacht zu "Maßnahmen gegen kleinere Gruppen negativer Jugendlicher". Es folgten zahlreiche Verhaftungen wegen "Rowdytums" und "Zusammenrottung".
Die Stasi überprüfte das Gerücht über das Stones-Konzert beim Staatlichen Komitee für Rundfunk auf seinen Wahrheitsgehalt. Weder dem ost- noch westdeutschen Rund- und Fernsehfunk lagen laut Bericht entsprechende Meldungen zu einem Konzert der Rolling Stones am 7. Oktober 1969 in West-Berlin vor.
Hauptabteilung XX
Berlin, den 09.10.1969
Ko
Information
Eine Überprüfung bei der Informationsabteilung des Staatlichen Komitees für Rundfunk sowie des Arbeitsbereiches Mitschnitt der Westfernsehsendungen beim Deutschen Fernsehfunk am 01.10. und 08.10.1969 ergab, daß dort keine Meldungen vorliegen, aus denen hervorgeht, daß die "Rolling Stones" am 07.10.1969 vor dem Springer Hochhaus an der Staatsgrenze zur Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, auftreten sollen. Diese Überprüfung erstreckte sich auch auf Sendungen von "Radio Luxemburg".
Gleichzeitig wurde festgestellt, daß die Sender des Demokratischen Rundfunks der DDR und der Deutsche Fernsehfunk über ein Auftreten der "Rolling Stones" am 07.10.1969 keine Meldungen brachten.
Am 08.10.1969 wurde von der Informationsabteilung des Staatlichen Komitees für Rundfunk bekannt, daß UPI unter dem Titel "Widersprüchliche Meldungen über Ostberliner Zusammenstöße" u.a. folgendes meldete:
"Die Abteilung des Senders RIAS' Monitor' , die Ostberliner Rundfunksendungen abhört, konnte am Mittwoch morgen die Angaben der "BZ" Über eine entsprechende Ostberliner Rundfunkmeldung nicht bestätigen. Ein Sprecher schränkte jedoch ein, daß nicht alle östlichen Sendungen mitgehört werden."
Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund)
Die Hauptabteilung XX bildete den Kernbereich der politischen Repression und Überwachung der Staatssicherheit. In Struktur und Tätigkeit passte sie sich mehrfach an die sich wandelnden Bedingungen der Herrschaftssicherung an. Die Diensteinheit ging 1964 durch Umbenennung aus der Hauptatbeilung V hervor, die ihrerseits in den Abteilungen V und VI (1950–1953) ihre Vorläufer hatte.
Die Hauptabteilung XX und die ihr nachgeordneten Abteilungen XX in den Bezirksverwaltungen (Linie XX) sowie entsprechende Arbeitsbereiche in den KD überwachten wichtige Teile des Staatsapparates (u. a. Justiz, Gesundheitswesen und bis 1986 das Post- und Fernmeldewesen), die Blockparteien und Massenorganisationen, den Kultur- und Sportbereich, die Medien und die Kirchen sowie SED-Sonderobjekte und Parteibetriebe. Federführend war die Hauptabteilung XX auch bei der Bekämpfung der "politischen Untergrundtätigkeit" (PUT), also der Opposition.
Ab der zweiten Hälfte der 50er Jahre und verstärkt seit dem Beginn der Entspannungspolitik fühlte sich das SED-Regime zunehmend durch die "politisch-ideologische Diversion" (PiD) bedroht. Die Schwächung der "Arbeiter-und-Bauern-Macht" durch "ideologische Aufweichung und Zersetzung" galt als Hauptinstrument des Westens bei der Unterminierung der DDR. Auch bei der Bekämpfung der PiD hatte die Hauptabteilung XX innerhalb des MfS die Federführung.
Das Erstarken der Bürgerrechtsbewegung (Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen) in der DDR führte in den 80er Jahren zu einem weiteren Bedeutungszuwachs der Linie XX. In der DA 2/85 bestätigte Minister Mielke dementsprechend die Federführung der Hauptabteilung XX bei der Bekämpfung der PUT.
Im Verlauf der fast 40-jährigen Entwicklung der Hauptabteilung XX veränderte sich ihre Struktur mehrfach. In der Endphase verfügte sie über neun operative Abteilungen und vier Funktionalorgane der Leitung (Sekretariat, Arbeitsgruppe der Leitung, Koordinierungsgruppe des Leiters, Auswertungs- und Kontrollgruppe).
Die Hauptabteilung V lag ab 1953 zunächst im unmittelbaren Anleitungsbereich von Mielke in seiner Eigenschaft als 1. Stellvertreter des Staatssicherheitschefs. Ab 1955 war der stellvertretende Minister Bruno Beater und 1964–1974 der stellv. Minister Fritz Schröder auf der Ebene der MfS-Leitung für die Hauptabteilung XX zuständig. Beide waren zuvor selbst (Beater 1953–1955, Schröder 1955–1963) Leiter der Hauptabteilung V. Seit 1975 gehörte die Hauptabteilung XX zum Verantwortungsbereich von Mielkes Stellvertreter Rudi Mittig. Von 1964 bis zur Auflösung des MfS leitete Kienberg die Hauptabteilung XX. Ihm standen seit 1965 zwei Stellvertreter zur Seite.
1954 waren in der Hauptabteilung V insgesamt 139 Mitarbeiter beschäftigt. Im Herbst 1989 verfügte die Hauptabteilung XX über 461 Mitarbeiter, von denen mehr als 200 als IM-führende Mitarbeiter eingesetzt waren.
In den 15 Bezirksverwaltungen waren auf der Linie XX im Oktober 1989 insgesamt knapp 1.000 Kader und damit auf der gesamten Linie XX fast 1.500 hauptamtliche Mitarbeiter im Einsatz. Gleichzeitig konnte allein die Hauptabteilung XX mit etwas mehr als 1.500 IM auf einen überdurchschnittlich hohen Bestand an inoffiziellen Kräften zurückgreifen. Ihrem Aufgabenprofil entsprechend spiegelt sich nicht zuletzt in der Entwicklung der Hauptabteilung XX auch die Geschichte von Opposition, Widerstand und politischer Dissidenz in der DDR. Im Herbst 1989 wurden von der Diensteinheit 31 Operative Vorgänge (10 Prozent aller Operativen Vorgänge im Berliner Ministeriumsbereich) und 59 Operative Personenkontrollen (8,7 Prozent) bearbeitet.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Regime, auch Regimeverhältnisse, bezeichnet die Gesamtheit der Verhältnisse und Lebensbedingungen eines Landes oder geographischen Raumes (z. B. politische Entwicklungen, administrative Strukturen, kulturelle Besonderheiten, behördliche Sicherheitsvorkehrungen), deren Kenntnis für ein effektives und unauffälliges nachrichtendienstliches Handeln notwendig war. Mit diesen Kenntnissen sollten vor allem das IM-Netz im Westen und der grenzüberschreitende Agentenreiseverkehr geschützt werden.
So sollten IM im Westeinsatz wissen, wie die bundesdeutsche Spionageabwehr arbeitete, wie streng Meldeformalitäten in Hotels gehandhabt wurden, wie man sich als durchschnittlicher Bundesbürger verhielt usw. Die Abteilung VI der HV A hatte die Aufgabe, systematisch Informationen über das Regime im Operationsgebiet zu sammeln und in der SIRA-Teildatenbank 13 nachzuweisen.
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Auswertung eines IM-Berichts über ein Gerücht zu einem Rolling-Stones-Konzert Dokument, 2 Seiten
Information zu einem Konzert auf dem Axel-Springer-Hochhaus Dokument, 1 Seite
Bericht zu einer vermuteten Verteilung von Flugblättern Dokument, 1 Seite
"Tatortbefundsbericht" zu einer auf eine Fahrbahn aufgemalten Nachricht Dokument, 2 Seiten