Signatur: BStU, MfS, AOP, Nr. 57/56, Bl. 48
Die Chefsekretärin des Ministerpräsidenten der DDR, Elli Barczatis, geriet Anfang der 50er Jahre ins Visier der Staatssicherheit. Grund dafür war ihr Kontakt zu Karl Laurenz, der nach einem Parteiausschluss aus der SED ab 1952 mit der Organisation Gehlen zusammenarbeitete und Barczatis als Informationsquelle im Büro Otto Grotewohls nutzte. Schon bevor die Stasi konkrete Hinweise auf eine Spionagetätigkeit hatte, stellte sie die Beschäftigung von Barczatis bei Grotewohl wegen ihrer Beziehung zu Laurenz infrage.
Elli Barczatis wurde Anfang der 50er Jahre vermutlich ohne ihr Wissen zur Informantin für die Organisation Gehlen, die Vorläuferin des Bundesnachrichtendienstes (BND). Der westdeutsche Geheimdienst nutzte sie als Quelle in Ost-Berlin, ohne sie offiziell in diese Tätigkeit einzuweihen. Von April 1950 bis Januar 1953 war Barczatis die Chefsekretärin des Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl. Kurz zuvor ging sie eine Liebesbeziehung mit dem Journalisten und Übersetzer Karl Laurenz ein, der nach seinem Bruch mit der SED und den daraus resultierenden beruflichen Schwierigkeiten 1952 begonnen hatte, für die Organisation Gehlen zu spionieren. Unter dem Vorwand, Material für seine journalistische Arbeit zu sammeln, ließ er sich von Barczatis mit internen Informationen aus dem Büro des Ministerpräsidenten versorgen.
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde früh auf die beiden aufmerksam. Nach ersten Ermittlungen aufgrund eines Hinweises einer ehemaligen Kollegin von Barczatis und Laurenz eröffnete es am 26. Juni 1951 wegen Spionageverdachts den Gruppenvorgang "Sylvester". Dieser Schritt erfolgte, wenn sich der Verdacht auf eine "feindliche" Tätigkeit gegen eine oder mehrere Personen beim Bearbeiter im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) erhärtet hatte.
Bereits ein halbes Jahr zuvor, noch bevor sie konkrete Hinweise auf eine Spionagetätigkeit haben konnte, äußerte die Stasi im November 1950 Bedenken bezüglich einer Weiterbeschäftigung von Barczatis im Büro des Ministerpräsidenten. Anlass dafür gab ihr eine Mitteilung des Leiters der Personalabteilung im Ministerium für Industrie, Nöske. Er hatte dem MfS vom Verhältnis zwischen Barczatis und Laurenz berichtet, der vor einiger Zeit aus dem Ministerium entlassen worden war. Außerdem laufe ein Verfahren wegen "politischer Unzuverlässigkeit" gegen ihn. Eine handschriftliche Notiz Erich Mielkes zeigt, dass sich der zu dieser Zeit noch stellvertretende Minister für Staatssicherheit von Beginn an für den Fall interessierte.
[handschriftliche Ergänzung in rot: Abt. V
[Paraphe: G]]
[handschriftliche Ergänzung in grau: III
nichts]
Berlin, den 03.11.1950
Bericht !
Betrifft:
Frau Elli Barczatis, geb.am 07.01.1912 in Berlin
wohnhaft: Berlin-Köpenick, [anonymisiert] Telefon [anonymisiert]
tätig als Chefsekretärin beim Ministerpräsidenten.
o.a. [handschriftliche Markierung] Barczatis verkehrt nach Aussagen des Leiter der Personalabteilung Ministerium für Industrie [manuell unterstrichen in violett: Gen. Nöske] mit einem ehemaligen Angestellten des Minist.f.Industrie einen gewissen Laurenz. Laurenz ist seit etl. Zeit entlassen und [manuell unterstrichen in schwarz: es läuft gegen ihn ein Verfaren wegen pol.unzuverlässigkeit.(Materialien gegen L. sollen aus der CSR stammen). Laurenz unterhält weiterhin noch mehr Beziehungen zu weibl. Angestellten des Ministeriums.] [handschriftliche Markierung]
Es wäre zu überprüfen,ob eine Weiterverwendung der B.auf jetziger Position noch möglich ist. [manuell unterstrichen in grau: Bericht von Nöske ist angefordert.] [handschriftliche Ergänzung in grau: !]
[Unterschrift]
Bunge
[handschriftliche Ergänzung in violett: mit Noske] [handschriftliche Ergänzung in grau: nicht] [handschriftliche Ergänzung in violett: sprechen!] [Die Anweisung wurde manuell in grau unterstrichen.]
Vorgangsart von 1950 bis 1960, erstmals definiert in den Erfassungsrichtlinien vom 20.9.1950; Operativer Vorgang gegen mehrere Personen, denen eine "feindliche Tätigkeit" unterstellt wurde. Die Eröffnung eines Gruppenvorgangs hatte auf der Grundlage von "überprüftem Material", das z. B. durch einen Überprüfungsvorgang gewonnen wurde, zu erfolgen. Er war zentral in der Abteilung XII zu registrieren. Die betroffenen Personen und ihre Verbindungen waren in der zentralen Personenkartei (F 16), involvierte Organisationen in der zentralen Feindobjektkartei (F 17) zu erfassen.
Vermerk zur Wiedereinstellung von Elli Barczatis beim Ministerpräsidenten der DDR Dokument, 2 Seiten
Antrag auf Telefonüberwachung von Karl Laurenz Dokument, 1 Seite
Beschluss über das Anlegen des Gruppenvorgangs "Sylvester" Dokument, 2 Seiten
Vermerk zur sofortigen Beschaffung der Akte von Elli Barczatis Dokument, 1 Seite