Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1, Bl. 1-14
In einem Bericht fasste die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe der Staatssicherheit zusammen, wie sich die Republikfluchten im November 1956 entwickelten. Daraus wird deutlich, dass wegen des Ungarischen Volksaufstands immer mehr Studenten in den Westen flohen.
Am 23. Oktober 1956 forderten Studenten der Budapester Universitäten auf einer Großdemonstration bürgerliche Freiheitsrechte, ein parlamentarisches Regierungssystem und nationale Unabhängigkeit. Sie bekundeten damit ihre Sympathie für einen Arbeiteraufstand in Polen drei Monate zuvor. Zudem verlangten die Demonstranten die Rückkehr von Imre Nagy als Ministerpräsident. Er hatte das Land von 1953 bis 1955 regiert und dabei einige Reformen angestoßen.
Dieser Volksaufstand in Ungarn vom Herbst 1956 löste beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Unruhe aus. Die Erinnerungen an den Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 waren noch frisch und die ostdeutsche Geheimpolizei wollte um jeden Preis verhindern, dass die explosive Stimmung auf das eigene Land übersprang. Die SED-Parteizeitung "Neues Deutschland" sprach schon am 25. Oktober von einem "Putsch konterrevolutionärer Elemente". Die DDR-Führung versuchte die Bevölkerung durch sozialpolitisches Entgegenkommen zu beruhigen und das MfS wollte die Bürger durch Abschreckung disziplinieren.
Dass dies nur unzureichend gelang, belegt der Bericht der Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) über die Republikfluchten im November 1956. Darüber benennt die "Information" auch die eingeleiteten Maßnahmen zur Bekämpfung der Fluchtbewegung.
Außer einem Überblick über die Gesamtzahlen differenziert der Bericht die Republikflüchtigen auch nach Berufsgruppen und ihren vermutlichen Beweggründen. Insgesamt flüchteten im November 1956 weniger Menschen aus der DDR als in den vorangegangenen Monaten. Lediglich unter den politisch sensibilisierten Studenten gab es einen Zuwachs, vermutlich wegen dem Ungarischen Volksaufstand.
Wahrscheinlich ist der Rückgang der Republikfluchten auch mit auf das Ansteigen der Arbeitslosenzahlen in Westberlin und Westdeutschland zurückzuführen.
"Der Tag" vom 7. 12. 56 berichtet:
"… daß die Zahl der Arbeitslosen im Bundesgebiet von Ende Oktober bis Ende November um 215022 auf 641373 angestiegen ist." (= rund 50 %).
Im "Tagesspiegel" vom 2. 11. 56 wird der anhaltende Rückgang der Flüchtlingszahlen mit den Ereignissen in Polen und Ungarn begründet. In einer Notiz heißt es:
"… die Flüchtlingszahlen gingen unmittelbar nach Beginn der Ereignisse in Polen und Ungarn erheblich zurück. Diese rückläufige Tendenz hält auch gegenwärtig noch an."
Eine große Anzahl von Republikfluchten sind vermutlich darauf zurückzuführen, daß sich viele Menschen in Westdeutschland ein besseres Leben und bessere Arbeitsbedingungen erhoffen.
Dabei dürften zweifellos verwandschaftliche und andere Verbindungen von Bürgern der DDR nach dem Westen eine Rolle spielen, durch deren Existenz diese Personen von Presseveröffentlichungen, Rundfunksendungen usw. Kenntnis erhalten, welche solche Vorstellungen wecken. Derartige Pressemeldungen und Rundfunksendungen dringen auch bis in die Kreise der Bevölkerung der UDR ein.
Beispielsweise propagierte der "Rias" am 10. 12. 56 in seiner Sendung "Werktag der Zone" folgendes:
"Bei der Bundespost und Bundesbahn hält der Mangel an Arbeitskräften an. Die Bundesbahn sucht z.B. eine große Zahl von Betriebs- und Bahnunterhaltungsarbeitern, besonders auch Lachwuchspersonal. Trotz aller Bemühungen konnten die Stellen nur z.T. besetzt werden, da Arbeiten in der besser bezahlten Industrie bevorzugt werden."
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Die AIG entstanden mit der Einführung des einheitlichen Auswertungs- und Informationssystems 1965 aus den in den Bezirksverwaltungen und zentralen operativen Diensteinheiten des MfS schon bestehenden Informationsgruppen. In ihrem Zuständigkeitsbereich oblag ihnen die Bewertung und Selektion von Informationen, die Gewährleistung des Informationsflusses und die Fertigung der Berichte für die Partei- und Staatsfunktionäre. Die AIG unterstanden der fachlichen Anleitung und Kontrolle der ZAIG. 1978/79 wurden sie zu Auswertungs- und Kontrollgruppen erweitert.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1, Bl. 1-14
In einem Bericht fasste die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe der Staatssicherheit zusammen, wie sich die Republikfluchten im November 1956 entwickelten. Daraus wird deutlich, dass wegen des Ungarischen Volksaufstands immer mehr Studenten in den Westen flohen.
Am 23. Oktober 1956 forderten Studenten der Budapester Universitäten auf einer Großdemonstration bürgerliche Freiheitsrechte, ein parlamentarisches Regierungssystem und nationale Unabhängigkeit. Sie bekundeten damit ihre Sympathie für einen Arbeiteraufstand in Polen drei Monate zuvor. Zudem verlangten die Demonstranten die Rückkehr von Imre Nagy als Ministerpräsident. Er hatte das Land von 1953 bis 1955 regiert und dabei einige Reformen angestoßen.
Dieser Volksaufstand in Ungarn vom Herbst 1956 löste beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Unruhe aus. Die Erinnerungen an den Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 waren noch frisch und die ostdeutsche Geheimpolizei wollte um jeden Preis verhindern, dass die explosive Stimmung auf das eigene Land übersprang. Die SED-Parteizeitung "Neues Deutschland" sprach schon am 25. Oktober von einem "Putsch konterrevolutionärer Elemente". Die DDR-Führung versuchte die Bevölkerung durch sozialpolitisches Entgegenkommen zu beruhigen und das MfS wollte die Bürger durch Abschreckung disziplinieren.
Dass dies nur unzureichend gelang, belegt der Bericht der Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) über die Republikfluchten im November 1956. Darüber benennt die "Information" auch die eingeleiteten Maßnahmen zur Bekämpfung der Fluchtbewegung.
Außer einem Überblick über die Gesamtzahlen differenziert der Bericht die Republikflüchtigen auch nach Berufsgruppen und ihren vermutlichen Beweggründen. Insgesamt flüchteten im November 1956 weniger Menschen aus der DDR als in den vorangegangenen Monaten. Lediglich unter den politisch sensibilisierten Studenten gab es einen Zuwachs, vermutlich wegen dem Ungarischen Volksaufstand.
In der gleichen Sendung wird davon berichtet, "daß viele Fabriken ihre Produktion verstärken und neue Arbeitskräfte einstellen mußten."
Dabei heißt es:
"… aus der übrigen verarbeitenden Industrie mit 4 Mill. Beschäftigten wird von einer ausgesprochenen Hochkunjunktur berichtet. Die gesamte chemische Industrie und Kunststoffindustrie sind gleichbleibend gut beschäftigt."
"Der Tag" vom 19.12.56 berichtet in einer Notiz von einer Arbeitszeitverkürzung in der Eisen- und Stahlindustrie Westdeutschlands.
Darin heißt es:
"...voraussichtlich wird es für die 25000 Arbeiter der durchgehend arbeitenden Betriebe in Kürze zu einer Herabsetzung der Arbeitszeit auf 42 Stunden kommen ..."
Der "Kurier" veröffentlichte am 19.12.56 einen Artikel über den Jahresbericht des Bundeswirtschaftsministeriums. Darin schreibt Bundeswirtschaftsminister Erhard folgendes:
"... Das Jahr 1956 hat das deutsche Volk den bisher höchsten Lebensstandard seiner Geschichte erreichen lassen; in diesem Jahr sind wir zu einer vollen Auslastung aller menschlichen und sachlichen Produktivkräfte gekommen.
Wenn wir treu und redlich auf dem eingeschlagenen Weg bleiben, können wir die Sehnsucht der Menschen nachwirtschaftlicher Sicherheit aus eigener Kraft und Leistung und eine weitere Verbesserung ihres sozialen Seins erfüllen..."
Erhard führt weiter an: "Der Massenverbrauch ist außerordentlich gestiegen. Fast 60 % des gesamten Sozialproduktes sind in den privaten Verbrauch geflossen. Die Steigerung des Lebensstandards kommt besonders darin zum Ausdruck, daß es einer zunehmend breiteren Schicht unseres Volkes möglich wurde, sich den Gütern des gehobenen Bedarfs zuzuwenden und größere Teile ihres Einkommens für Reisen und Erholung auszugeben."
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Die AIG entstanden mit der Einführung des einheitlichen Auswertungs- und Informationssystems 1965 aus den in den Bezirksverwaltungen und zentralen operativen Diensteinheiten des MfS schon bestehenden Informationsgruppen. In ihrem Zuständigkeitsbereich oblag ihnen die Bewertung und Selektion von Informationen, die Gewährleistung des Informationsflusses und die Fertigung der Berichte für die Partei- und Staatsfunktionäre. Die AIG unterstanden der fachlichen Anleitung und Kontrolle der ZAIG. 1978/79 wurden sie zu Auswertungs- und Kontrollgruppen erweitert.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1, Bl. 1-14
In einem Bericht fasste die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe der Staatssicherheit zusammen, wie sich die Republikfluchten im November 1956 entwickelten. Daraus wird deutlich, dass wegen des Ungarischen Volksaufstands immer mehr Studenten in den Westen flohen.
Am 23. Oktober 1956 forderten Studenten der Budapester Universitäten auf einer Großdemonstration bürgerliche Freiheitsrechte, ein parlamentarisches Regierungssystem und nationale Unabhängigkeit. Sie bekundeten damit ihre Sympathie für einen Arbeiteraufstand in Polen drei Monate zuvor. Zudem verlangten die Demonstranten die Rückkehr von Imre Nagy als Ministerpräsident. Er hatte das Land von 1953 bis 1955 regiert und dabei einige Reformen angestoßen.
Dieser Volksaufstand in Ungarn vom Herbst 1956 löste beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Unruhe aus. Die Erinnerungen an den Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 waren noch frisch und die ostdeutsche Geheimpolizei wollte um jeden Preis verhindern, dass die explosive Stimmung auf das eigene Land übersprang. Die SED-Parteizeitung "Neues Deutschland" sprach schon am 25. Oktober von einem "Putsch konterrevolutionärer Elemente". Die DDR-Führung versuchte die Bevölkerung durch sozialpolitisches Entgegenkommen zu beruhigen und das MfS wollte die Bürger durch Abschreckung disziplinieren.
Dass dies nur unzureichend gelang, belegt der Bericht der Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) über die Republikfluchten im November 1956. Darüber benennt die "Information" auch die eingeleiteten Maßnahmen zur Bekämpfung der Fluchtbewegung.
Außer einem Überblick über die Gesamtzahlen differenziert der Bericht die Republikflüchtigen auch nach Berufsgruppen und ihren vermutlichen Beweggründen. Insgesamt flüchteten im November 1956 weniger Menschen aus der DDR als in den vorangegangenen Monaten. Lediglich unter den politisch sensibilisierten Studenten gab es einen Zuwachs, vermutlich wegen dem Ungarischen Volksaufstand.
Im Zusammenhang mit dem in Westdeutschland herrschenden Schwesternmangel ist eine Veröffentlichung der Zeitung "Die Welt" vom 5.11.56 zu beachten. Darin heißt es:
"Das Krankenhaus Britz (Westberlin) beabsichtigt, seine Schwesternschule am 1. 4. 57 wieder zu eröffnen. Bewerbungen von Mädchen, die mindestens 18 Jahre alt sind und den Abschluß einer 9-jährigen Schulzeit durch ein gutes Abgangszeugnis aufweisen können, werden schon jetzt von der Oberin des Krankenhauses Britz entgegengenommen."
Eine Methode des Gegners, den 'Flüchtlingsstrom' in Gang zu halten, ist die Propagierung sozialer- und anderer 'Vergünstigungen' für Republikflüchtige, sowie die Verbreitung von Gerüchten zur Irreführung von Bürgern der DDR, die aus den verschiedensten Gründen unzufrieden oder verärgert usw. sind.
In einer Notiz des "Tagesspiegel" vom 7. 12. 56 heißt es:
"Der Lastenausgleichsausschuß des Bundestages hat am 6.12.56 einstimmig beschlossen, die Haushaltshilfe für politische Flüchtlinge aus der Ostzone von 800 auf 1000 DM zu erhöhen. Flüchtlinge mit C-Ausweisen, die Unterhaltsbeihilfe erhalten, sollen ihren früheren Lebensumständen entsprechend ggf. Zuschläge zur Unterhaltsbeihilfe zwischen 10 und 30 DM erhalten."
In der Bundesrepublik soll ab März 1957 für die Postangestellten ein neuer Tarifvertrag geplant sein. Die. Arbeiter hoffen 2 Gruppen höher eingestuft zu werden, was monatlich 50 DM ausmacht.
Beamte sollen ab 5. 12. 1956 ein halbes Monatsgehalt als Überbrückungsgeld bis zum Inkrafttreten des neuen Tarifvertrages erhalten.
Desweiteren wurde bekannt, daß die Fa. Siemens für ihr Werk in München Fernmeldemonteure, Mechaniker und Ingenieure sucht. Für Republikflüchtige besteht in diesem Falle die Möglichkeit, daß sie bei einer Bewerbung von Siemens eine Flugkarte erhalten und ohne ein Lager zu passieren, nach Westdeutschland ausgeflogen werden. Der Stundenlohn für Fernmeldemonteure beträgt in Westberlin 1,89 DMW und soll in Westdeutschland noch höher sein.
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Die AIG entstanden mit der Einführung des einheitlichen Auswertungs- und Informationssystems 1965 aus den in den Bezirksverwaltungen und zentralen operativen Diensteinheiten des MfS schon bestehenden Informationsgruppen. In ihrem Zuständigkeitsbereich oblag ihnen die Bewertung und Selektion von Informationen, die Gewährleistung des Informationsflusses und die Fertigung der Berichte für die Partei- und Staatsfunktionäre. Die AIG unterstanden der fachlichen Anleitung und Kontrolle der ZAIG. 1978/79 wurden sie zu Auswertungs- und Kontrollgruppen erweitert.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Vorschläge über Maßnahmen zur Bekämpfung der Republikflucht von 1956 Dokument, 9 Seiten
Bericht über die operative Bearbeitung von Rückkehrern in die DDR Dokument, 23 Seiten
Bericht der Bezirksverwaltung Frankfurt/Oder zu den "Vorkommnissen an der Oberschule Storkow" Dokument, 3 Seiten
Haftbefehl gegen einen Arbeiter wegen "Kriegshetze" Dokument, 1 Seite