Signatur: BArch, MfS, HA VI, Nr. 1594, Bl. 1-2
In einer Februarnacht des Jahres 1985 vermeldete das MfS in Ost-Berlin eine ungewöhnliche Grenzverletzung: Ein Hund aus dem Westen war in die Grenzsicherungsanlagen der DDR geraten. Ein Bericht der HA VI protokolliert die Rückgabe des Hundes an Polizisten aus West-Berlin minutengenau.
In der Nacht vom 21. auf den 22. Februar 1985 bot sich den Grenztruppen nahe der Ost-Berliner Kopenhagener Straße in Berlin-Prenzlauer Berg ein ungewöhnlicher Anblick: Ein Cocker Spaniel hatte sich von West-Berliner Seite aus in die Grenzsicherungsanlagen der DDR verirrt. Der Hund, der laut MfS-Akten "Cocci" hieß, war von einer Aussichtsplattform in Berlin-Reinickendorf in die Grenzanlagen der DDR gefallen. Die Grenztruppen der DDR nahmen "Cocci" in ihre Obhut. Nach einer tiermedizinischen Untersuchung durch den Bezirkstierarzt des Magistrats von Berlin, wurde eine Rückgabe des Hundes an West-Berliner Polizisten beschlossen.
Am Mittag des 22. Februars 1985 fand die Übergabe von "Cocci" an der Grenzübergangsstelle (GÜSt) Bornholmer Straße statt. Der GÜSt-Kommandant und der Stellvertreter Operativ der Passkontrolleinheit (PKE) Bornholmer Straße gaben den Hund gemeinsam mit dem Bezirkstierarzt des Magistrats an Schutzpolizisten der West-Berliner Polizei. Nach schriftlicher Bestätigung des Erhalts des Hundes, verschwanden die West-Berliner Polizisten mit dem Cocker Spaniel in einem VW-Bus. Wie es mit "Cocci" weiter ging, ist den MfS-Akten nicht zu entnehmen.
Noch am selben Tag verfasste der Leiter der Passkontrolleinheit Bornholmer Straße ein minutiöses Protokoll über den Ablauf der Übergabe des Hundes.
Ministerium für Staatssicherheit
Hauptabteilung VI
PKE Bornholmer Straße
Berlin, 22. Februar 1985
Bericht
zur Übergabe des, in den Nachtstunden vom 21. Februar 1985 an der Staatsgrenze der DDR zu Berlin (West), aufgegriffenen Hundes
Am 22. Februar 1985, um 12:30 Uhr, meldete sich an der Grenzübergangsstelle Bornholmer Straße die Besatzung des Funkstreifenwagens VP 00-3005 zwecks Übergabe obengenannten Hundes.
In ihrer Begleitung befand sich der Bezirkstierarzt der Hauptstadt der DDR, Dr. [anonymisiert] und der zur Übergabe bestimmte Hund.
Um 12:35 Uhr traf der Kommandeur des GÜSt-Sicherungsregimentes, Oberst Steinbach an der Grenzübergangsstelle ein. Auf Weisung des Kommandeurs begab sich um 13:05 Uhr der Kommandant der GÜSt, Oberstleutnant Müller, in Begleitung des Stellvertreters Operativ der PKE, Major Görlitz, zur Grenzmarkierung um den an der gegnerischen Kontrollstelle eingesetzten Westberliner Polizeiangehörigen die Übergabe des Hundes an einen verantwortlichen Offizier der Westberliner Schutzpolizei zu avisieren. Da zu diesem Zeitpunkt an der gegnerischen Kontrollstelle kein Angehöriger der bewaffneten Kräfte auf der Straße tätig war, wurde durch den Kommandanten der GÜSt eine nach Berlin (West) ausreisende männliche Person gebeten, einen Angehörigen der Westberliner Schutzpolizei zur Grenzmarkierung zu bitten.
Um 13:08 Uhr erschien ein Hauptwachtmeister der Westberliner Schutzpolizei, welchem durch den Kommandanten mitgeteilt wurde, daß ein verantwortlicher Offizier der Westberliner Schutzpolizei den am 21. Februar 1985 an der Staatsgrenze der DDR aufgegriffenen Hund um 13-15 Uhr an der Grenzübergangsstelle Bornholmer Straße übernehmen möchte. Der Angehörige der Westberliner Schutzpolizei bestätigte diesen Auftrag und begab sich unmittelbar danach in das Dienstgebäude.
Der Kommandant der GÜSt und der in seiner Begleitung befindliche Stellvertreter Operativ der PKE verließen anschließend den Grenzsicherungsabschnitt.
Um 13:22 Uhr trafen an der gegnerischen Kontrollstelle ein Hauptkommissar und zwei weitere Polizeiangehörige (Mannschaftsdienstgrade) mit dem VW-Bus B-[anonymisiert] ein. Das Kfz. wurde auf der Brücke geparkt und die genannten Polizeiangehörigen begaben sich zu Fuß auf dem südlichen Fußweg zur Grenzmarkierung.
Hauptabteilung VI (Passkontrolle, Tourismus, Interhotel)
Die Hauptabteilung VI befasste sich mit dem grenzüberschreitenden Reiseverkehr. Sie wurde 1970 durch Fusion der Arbeitsgruppen "Passkontrolle und Fahndung" und "Sicherung des Reiseverkehrs" sowie der Zoll-Abwehr (Überwachung der Zoll-Mitarbeiter) gebildet. Die Hauptabteilung VI hatte an den Grenzübergängen der DDR die Reisenden zu kontrollieren und abzufertigen. Deshalb waren die DDR-Passkontrolleure hauptamtliche Mitarbeiter der Hauptabteilung VI. Zur Tarnung trugen sie Uniformen der Grenztruppen. Zunächst war 1950 die Grenzpolizei mit der Grenzabfertigung beauftragt worden.
Bei der Hauptabteilung VI wurden die Daten der Einreisenden einer ersten Analyse unterzogen, um politisch-operativ interessante Personen herauszufiltern. Die Grenzkontrolle umfasste für die Hauptabteilung VI auch die Überwachung der westlichen Grenzkontrollstellen, in Westberlin auch die der Flughäfen Tegel und Tempelhof sowie der Polizei und des Grenzzolldienstes. Zum Verantwortungsbereich der Hauptabteilung VI gehörte die lückenlose Überwachung der Transitstrecken von und nach Westberlin. Bei ihr liefen Avisierungen für bevorzugte Grenzabfertigungen zusammen.
1970 übernahm sie von der Hauptabteilung XX/5 die Aufgabe, Fluchtversuche zu unterbinden und Fluchthelfer im Westen zu verfolgen, was 1975/76 zu Teilen an die Zentrale Koordinierungsgruppe überging (Republikflucht). Die Hauptabteilung VI überwachte touristische Einrichtungen in der DDR, darunter die Reisebüros und die Interhotels. Ebenso kontrollierte sie DDR-Bürger bei ihren Reisen ins sozialistische Ausland, um Kontakte zu westlichen Staatsbürgern und Fluchtversuche ggf. zu unterbinden.
Die Operativgruppen des MfS in der ČSSR, Ungarn und Bulgarien waren ihr von 1970 bis 1989 unterstellt. 1989 gab sie deren Leitung an die Hauptabteilung II (HA II) ab. Im Verantwortungsbereich der Hauptabteilung VI wurden 1979–1981 drei Mordanschläge auf den Fluchthelfer Wolfgang Welsch durchgeführt, die dieser nur knapp überlebte.
Charakteristisch für die Hauptabteilung VI war die enge Kooperation mit vielen MfS-Diensteinheiten und anderen Institutionen wie Grenztruppen und Zoll, da im Bereich der Hauptabteilung VI eine Vielzahl von relevanten Erstinformationen und Daten zusammenkam. 1985 führte die Hauptabteilung VI 1.064 IM, darunter 67 West-IM, von denen 62 in Westberlin lebten.
An den Grenzübergangsstellen (Güst) der DDR führten Passkontrolleinheiten (PKE) der Staatssicherheit die Identitätskontrollen und Fahndungsmaßnahmen durch und überwachten auf diese Weise den gesamten grenzüberschreitenden Verkehr. Im Zuge der Kontrollen realisierten sie auch operative Maßnahmen im Auftrag anderer Diensteinheiten des MfS. Die in den Uniformen der Grenztruppen auftretenden Angehörigen der PKE gehörten zur Linie VI des MfS (Passkontrolle, Tourismus, Interhotel).
Die Passkontrolle war seit 1962 in der Kompetenz des MfS, als das Aufgabengebiet vom Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs auf die damals neu gegründete Arbeitsgruppe Passkontrolle und Fahndung überging. Hintergrund war u. a. die sich nach dem Mauerbau entwickelnde Fluchthilfe.
Signatur: BArch, MfS, HA VI, Nr. 1594, Bl. 1-2
In einer Februarnacht des Jahres 1985 vermeldete das MfS in Ost-Berlin eine ungewöhnliche Grenzverletzung: Ein Hund aus dem Westen war in die Grenzsicherungsanlagen der DDR geraten. Ein Bericht der HA VI protokolliert die Rückgabe des Hundes an Polizisten aus West-Berlin minutengenau.
In der Nacht vom 21. auf den 22. Februar 1985 bot sich den Grenztruppen nahe der Ost-Berliner Kopenhagener Straße in Berlin-Prenzlauer Berg ein ungewöhnlicher Anblick: Ein Cocker Spaniel hatte sich von West-Berliner Seite aus in die Grenzsicherungsanlagen der DDR verirrt. Der Hund, der laut MfS-Akten "Cocci" hieß, war von einer Aussichtsplattform in Berlin-Reinickendorf in die Grenzanlagen der DDR gefallen. Die Grenztruppen der DDR nahmen "Cocci" in ihre Obhut. Nach einer tiermedizinischen Untersuchung durch den Bezirkstierarzt des Magistrats von Berlin, wurde eine Rückgabe des Hundes an West-Berliner Polizisten beschlossen.
Am Mittag des 22. Februars 1985 fand die Übergabe von "Cocci" an der Grenzübergangsstelle (GÜSt) Bornholmer Straße statt. Der GÜSt-Kommandant und der Stellvertreter Operativ der Passkontrolleinheit (PKE) Bornholmer Straße gaben den Hund gemeinsam mit dem Bezirkstierarzt des Magistrats an Schutzpolizisten der West-Berliner Polizei. Nach schriftlicher Bestätigung des Erhalts des Hundes, verschwanden die West-Berliner Polizisten mit dem Cocker Spaniel in einem VW-Bus. Wie es mit "Cocci" weiter ging, ist den MfS-Akten nicht zu entnehmen.
Noch am selben Tag verfasste der Leiter der Passkontrolleinheit Bornholmer Straße ein minutiöses Protokoll über den Ablauf der Übergabe des Hundes.
Der Kommandant der GÜSt, der Stellvertreter Operativ der PKE und der Bezirkstierarzt, Dr. [anonymisiert], welcher den Hund führte, begaben sich erneut zur Grenzmarkierung.
Bei ihrem Eintreffen an der Grenzmarkierung stellte sich der Offizier der Westberliner Schutzpolizei als Hauptkommissar [anonymisiert] vor.
Um 13:27 Uhr teilte der Kommandant der GÜSt diesem mit, daß er beauftragt sei, den in den Nachtstunden des 21. Februars 1985 an der Staatsgrenze der DDR aufgegriffenen Hund zu übergeben. Nach dieser Mitteilung forderte er den Offizier der Bestberliner Schutzpolizei auf, auf dem vorgefertigten Protokoll die Übergabe des Hundes durch Unterschrift zu bestätigen. Gleichzeitig wurde ihm ein veterinär-medizinisches Protokoll, ausgestellt vom:
Magistrat von Berlin
Hauptstadt der DDR
Bezirkstierarzt
1156 Berlin
Max-Brunnow-Str.
übergeben. Aus diesem Protokoll ging hervor, daß der Hund veterinär-medizinisch behandelt wurde und der Besitzerin die Auflage erteilt wird, den Bezirkstierarzt der Hauptstadt der DDR ein Gutachten auf Tollwutverdacht zu übersenden. Dieses Protokoll lag in zwei Ausfertigungen vor. Ein Exemplar übernahm der Offizier der Westberliner Schutzpolizei und das andere erhielt nach vollzogner Übergabe des Hundes um 13:29 Uhr der Bezirkstierarzt, Dr. [anonymisiert], welcher auch den Hund direkt an den Westberliner Offizier übergab.
Nach erfolgter Übernahme bat der Offizier der Westberliner Schutzpolizei sinngemäß, von Fotoaufnahmen bei derartigen Übergaben zukünftig abzusehen. Er sei kein offizieller Vertreter des Westberliner Senats, sondern nur ein einfacher Polizeibeamter und dann sollte es bei einer solchen problemlosen Übergabe bleiben.
Um 13:30 Uhr begaben sich die Angehörigen der Westberliner Schutzpolizei zum vorgenannten Kfz. und verließen in diesem die gegnerische Kontrollstelle um 13:32 Uhr.
Über den gesamten Zeitraum der Handlungen konnten im gegnerischen Vorfeld keine Besonderheiten bzw. weitere handelnde Personen festgestellt werden.
Leiter der PKE
i. V. [Unterschrift: Jäger]
Jäger
Major
Hauptabteilung VI (Passkontrolle, Tourismus, Interhotel)
Die Hauptabteilung VI befasste sich mit dem grenzüberschreitenden Reiseverkehr. Sie wurde 1970 durch Fusion der Arbeitsgruppen "Passkontrolle und Fahndung" und "Sicherung des Reiseverkehrs" sowie der Zoll-Abwehr (Überwachung der Zoll-Mitarbeiter) gebildet. Die Hauptabteilung VI hatte an den Grenzübergängen der DDR die Reisenden zu kontrollieren und abzufertigen. Deshalb waren die DDR-Passkontrolleure hauptamtliche Mitarbeiter der Hauptabteilung VI. Zur Tarnung trugen sie Uniformen der Grenztruppen. Zunächst war 1950 die Grenzpolizei mit der Grenzabfertigung beauftragt worden.
Bei der Hauptabteilung VI wurden die Daten der Einreisenden einer ersten Analyse unterzogen, um politisch-operativ interessante Personen herauszufiltern. Die Grenzkontrolle umfasste für die Hauptabteilung VI auch die Überwachung der westlichen Grenzkontrollstellen, in Westberlin auch die der Flughäfen Tegel und Tempelhof sowie der Polizei und des Grenzzolldienstes. Zum Verantwortungsbereich der Hauptabteilung VI gehörte die lückenlose Überwachung der Transitstrecken von und nach Westberlin. Bei ihr liefen Avisierungen für bevorzugte Grenzabfertigungen zusammen.
1970 übernahm sie von der Hauptabteilung XX/5 die Aufgabe, Fluchtversuche zu unterbinden und Fluchthelfer im Westen zu verfolgen, was 1975/76 zu Teilen an die Zentrale Koordinierungsgruppe überging (Republikflucht). Die Hauptabteilung VI überwachte touristische Einrichtungen in der DDR, darunter die Reisebüros und die Interhotels. Ebenso kontrollierte sie DDR-Bürger bei ihren Reisen ins sozialistische Ausland, um Kontakte zu westlichen Staatsbürgern und Fluchtversuche ggf. zu unterbinden.
Die Operativgruppen des MfS in der ČSSR, Ungarn und Bulgarien waren ihr von 1970 bis 1989 unterstellt. 1989 gab sie deren Leitung an die Hauptabteilung II (HA II) ab. Im Verantwortungsbereich der Hauptabteilung VI wurden 1979–1981 drei Mordanschläge auf den Fluchthelfer Wolfgang Welsch durchgeführt, die dieser nur knapp überlebte.
Charakteristisch für die Hauptabteilung VI war die enge Kooperation mit vielen MfS-Diensteinheiten und anderen Institutionen wie Grenztruppen und Zoll, da im Bereich der Hauptabteilung VI eine Vielzahl von relevanten Erstinformationen und Daten zusammenkam. 1985 führte die Hauptabteilung VI 1.064 IM, darunter 67 West-IM, von denen 62 in Westberlin lebten.
An den Grenzübergangsstellen (Güst) der DDR führten Passkontrolleinheiten (PKE) der Staatssicherheit die Identitätskontrollen und Fahndungsmaßnahmen durch und überwachten auf diese Weise den gesamten grenzüberschreitenden Verkehr. Im Zuge der Kontrollen realisierten sie auch operative Maßnahmen im Auftrag anderer Diensteinheiten des MfS. Die in den Uniformen der Grenztruppen auftretenden Angehörigen der PKE gehörten zur Linie VI des MfS (Passkontrolle, Tourismus, Interhotel).
Die Passkontrolle war seit 1962 in der Kompetenz des MfS, als das Aufgabengebiet vom Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs auf die damals neu gegründete Arbeitsgruppe Passkontrolle und Fahndung überging. Hintergrund war u. a. die sich nach dem Mauerbau entwickelnde Fluchthilfe.
Fotos zur Übergabe des in den Nachtstunden vom 21. Februar 1985 an der Staatsgrenze der DDR zu Berlin (West) aufgegriffenen Hundes Dokument, 5 Seiten
Weisung zur Sicherheit und Ordnung auf der Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße Dokument, 26 Seiten
Luftbilder der Grenzübergangsstelle Bornholmer Straße in Berlin 5 Fotografien
Dissertation: Die Abwehr von Terror- und anderen politisch-operativ bedeutsamen Gewaltakten gegen Grenzsicherungskräfte an der Staatsgrenze der DDR Dokument, 462 Seiten