Signatur: BStU, MfS, AOP, Nr. 57/56, Bl. 14
Elli Barczatis und ihr Geliebter Karl Laurenz gerieten Ende 1950 ins Visier der Staatssicherheit. Der Bericht einer ehemaligen Arbeitskollegin von Barczatis und Laurenz über ein öffentliches Treffen der beiden gab den Ausschlag für intensive Ermittlungen.
Elli Barczatis wurde Anfang der 50er Jahre vermutlich ohne ihr Wissen zur Informantin für die Organisation Gehlen, die Vorläuferin des Bundesnachrichtendienstes (BND). Der westdeutsche Geheimdienst nutzte sie als Quelle in Ost-Berlin, ohne sie offiziell in diese Tätigkeit einzuweihen. Von April 1950 bis Januar 1953 war Barczatis die Chefsekretärin des Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl. Kurz zuvor ging sie eine Liebesbeziehung mit dem Journalisten und Übersetzer Karl Laurenz ein, der nach seinem Bruch mit der SED und den daraus resultierenden beruflichen Schwierigkeiten 1952 begonnen hatte, für die Organisation Gehlen zu spionieren. Unter dem Vorwand, Material für seine journalistische Arbeit zu sammeln, ließ er sich von Barczatis mit internen Informationen aus dem Büro des Ministerpräsidenten versorgen.
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde früh auf die beiden aufmerksam. Nachdem es die Beziehung zwischen Barczatis und Laurenz bereits im November 1950 kritisch in den Blick genommen hatte, gab der Beobachtungsbericht einer ehemaligen Arbeitskollegin aus der Hauptverwaltung (HV) Kohle der Deutschen Wirtschaftskommission den Ausschlag für intensivere Ermittlungen. Barczatis und Laurenz arbeiteten Ende der 40er Jahre gemeinsam in der HV Kohle.
Die Kollegin, die ab Januar 1951 als Geheimer Informator (GI) "Grünspan" für die Stasi arbeitete, berichtete Anfang des Jahres von einem Treffen zwischen Barczatis und Laurenz in einer Ost-Berliner Konditorei am 30. Dezember 1950. Dort habe sie beobachtet, wie Grotewohls Sekretärin scheinbar ein "Aktenbündel" an Laurenz übergab. Dies erschien ihr verdächtig, zumal Laurenz in jüngster Vergangenheit in ein "Vorkommnis" verwickelt gewesen sei und aus der HV Kohle ausscheiden musste. Damit spielte sie vermutlich auf die zunehmenden Diskrepanzen zwischen Laurenz und der SED an, die schließlich zu seinem Parteiausschluss geführt hatten. "Grünspan" leitete den Bericht ursprünglich an ihre Dienststelle weiter, die ihn dann wiederum dem MfS zur Verfügung stellte. Eine handschriftliche Notiz zeichnet den GI als "gute Genossin" aus.
[anonymisiert]
[handschriftliche Ergänzung: gute Genossin]
Berlin, den 09.01.1951
Am Sonnabend, dem 30.12.1950, in der Zeit von etwa 15 Uhr 30 bis 18 Uhr war ich mit [manuell unterstrichen: einem Bekannten] in der HO-Gaststätte Leipziger-Ekce Friedrich-Straße, und zwar in der Konditorei. Hier sah ich Herrn [manuell unterstrichen: Laurenz], früher [manuell unterstrichen: Hauptverwaltung Kohle] der Deutschen Wirtschafts-Kommission, sitzen. Herr Laurenz sass hinter eienm Pfeiler allein an einem kleinen Tisch. Er sah sic nach allen Seiten um, worauf ich erst auf ihn aufmerksam wurde. [handschriftliche Markierung] Daraufhin sah ich mich im Kreise um, um festzustellen, ob evtl. auch Frl. Rettschlag die heute bei dem Ministerium für Industrie, Hauptabteilung Kohle, noch beschäftigt ist, anwesend wäre. [manuell unterstrichen: Fräulein Rettschlag war] während meiner Zugehörigkeit zur [manuell unterstrichen: Hauptverwaltung Kohle die Freundin des Herrn Laurenz]. In der späteren Zeit wurde mir bekannt, daß Frl. Rettschlag aufgrund des Vorkommnisses seitens der Betriebsgruppe den Rat erhalten hat, sich von Herrn Laurenz, der aus der Kohle ausscheiden mußte, zurückzuziehen. [handschriftliche Markierung] Ich stellte nun fest, daß mehrere Tische vor mir, [manuell unterstrichen: Frl. Elli Barczatis, heutige Sekretärin bei Herrn Grotewohl (früher Sekretärin bei Herrn Sobottka HV Kohle) sass.] Ich bemerkte, daß Herr Laurenz nach kurzer Zeit zahlte, sich nach Frl. Barczatis umsah und den Raum verließ. Frl. B. nahm nun aus einer von mir vorher nicht festgestellten [versuchte Unkenntlichmachung: Tsche] Tasche ein Aktenbündel, legte dieses in eine größere Tasche und verließ ohne zu bezahlen den Raum. Nach kurzer Zeit kehrte Frl. B. wieder zurück und legte eine kleinere Tasche in die größere und unterhielt sich mit der am gleichen Tisch sitzenden Dame. Ich nehme an, daß es sich um eine Kollegin handelt, denn der Austausch der Blicke konnte nur sagen, daß diese Dame Bescheid wußte.
[Unterschrift: [anonymisiert]]
[handschriftliche Ergänzung: erhalten vom Gen. Steinbach III
am 10.01.51]
[Unterschrift: Reuscher] ???
Von 1950 bis 1968 geltende Bezeichnung für die gewöhnlichen inoffiziellen Mitarbeiter, in den ersten Jahren auch nur Informatoren genannt. 1968 wurden die GI überwiegend zu IMS. GI dienten vor allem der allgemeinen Informationsbeschaffung. Sie wurden dabei auch zunehmend zur Sicherung von Institutionen, zur Feststellung der Bevölkerungsstimmung, zur Überprüfung verdächtiger Personen, zur Verhinderung von Republikfluchten oder auch bei Ermittlungen und Fahndungen eingesetzt.
Hauptverwaltung (HV) war eine Organisationseinheit in der MfS-Zentrale, die bereits ausdifferenzierte Aufgabenkomplexe in einer hierarchisch gegliederten Einheit zusammenfasst. Überwiegend durch Stellvertreter des Ministers direkt geleitet. Über das Gründungsjahrzehnt des MfS hinweg hatte nur die HV A als echte HV Bestand. Daneben war Hauptverwaltung eine Bezeichnung für Diensteinheiten im MfS ohne strukturell berechtigenden Hintergrund.