Signatur: BStU, MfS, HA IX/11, ZUV, Nr. 8, Bd. 12, Bl. 29
1970 erging Haftbefehl gegen Albert Schuster wegen Kriegsverbrechen, die er als Polizeiangehöriger im Einsatz in besetzten Gebieten verübt hatte. Zuvor hatte die Stasi Schuster jahrelang als "Geheimen Informator" geführt.
Die SED-Machthaber propagierten die DDR als einen antifaschistischen Staat. Sie nahmen für ihr Land in Anspruch, im Gegensatz zur Bundesrepublik, mit sämtlichen Kontinuitäten der NS-Zeit gebrochen zu haben. Allein schon durch die "antifaschistisch-demokratische Umwälzung", die Übernahme aller staatlichen Kontrolle durch die Sozialistische Einheitspartei SED, war in dieser Sicht die Aufarbeitung der NS-Diktatur in der DDR abgeschlossen.
Die Bundesrepublik wurde gleichzeitig angeprangert, in Kontinuität des NS-Regimes zu stehen. Hinter dieser Fassade jedoch fand sorgsam verhüllt ein doppeltes Spiel statt. Die Stasi verzichtete häufig auf die Offenlegung ihrer Ermittlungen gegen NS-Verstrickte oder auch -Täter in der DDR, wenn das dem propagierten Image zuwiderlief oder auch der SED-Diktatur und ihrer Geheimpolizei nützlich sein konnte.
Albert Schuster, 1912 geboren, seit 1931 im Polizeidienst, trat 1933 in die NSDAP ein. Während des 2. Weltkrieges wurde er von 1942 bis 1945 nach Polen versetzt. Unmittelbar nach Kriegsende nahm ihn die sowjetische Militärkommandantur Schwarzenberg zur Überprüfung möglicher Kriegsverbrechen fest. Nach kurzer Zeit auf Grund mangelnder Beweise wieder entlassen, arbeitete er anschließend als Kraftfahrer für die Militärkommandantur.
Bereits im September 1945 warb ihn der sowjetische Geheimdienst unter dem Decknamen "Siegfried" als Informant. In dessen Auftrag besuchte er mehrfach seine in Westdeutschland lebende Schwester und liefert Berichte über sie. Während der Besuche nahm er auftragsgemäß Kontakt zum CIC, dem militärischen Abwehrdienst der USA, auf und ging - wieder im Auftrag des sowjetischen Geheimdienstes - auf dessen Werbungsversuch ein.
Obwohl 1948 von der Entnazifizierungskommission in Aue als belastet eingestuft, bekam Schuster eine verantwortungsvolle Tätigkeit im erzgebirgischen Uranbergbau übertragen.
Hier geriet er in das Blickfeld des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), das - mit dem Ziel seiner Werbung - Informationen über sein Leben während der NS-Zeit sammelte. Die Außendienststelle Johanngeorgenstadt der Objektverwaltung Wismut warb ihn dann 1951 unter dem Decknamen "Wagner" an. Er lieferte vor allem Berichte über Schachtarbeiter, sollte aber auch seine Schwester auf eine Anwerbung durch die Staatssicherheit einstimmen. Auf Wunsch des MfS trat er 1953 in die Ost-CDU ein und besuchte Veranstaltungen der Zeugen Jehovas. Für seine Spitzeltätigkeit erhielt er wiederholt finanzielle Zuwendungen sowie Auszeichnungen.
1969 brach das MfS die inoffiziellen Verbindungen zu Schuster ab. Es begann nahtlos die operative Bearbeitung durch die Stasi. Grund dafür waren die nun bekannt gewordenen Informationen über die von Schuster verübten Kriegsverbrechen in Polen. Ein Jahr später wurde er verhaftet und 1972 angeklagt. Das Bezirksgericht Karl-Marx-Stadt verurteilte ihn am 9. Februar 1973 zum Tode. Das Urteil wurde am 31. Mai 1973 in Leipzig vollstreckt.
Das Kreisgericht
Karl-Marx-Stadt
Stadtbezirk Süd
Karl-Marx-Stadt, den 5.12.1970
Aktenzeichen:
(Bei Eingaben stets anführen)
Haftbefehl
Der Angestellte Albert Schuster, geb. am 13.02.1912 in Plauen, wohnh. in Raschau [anonymisiert] ist in Untersuchungshaft zu nehmen.
Er wird beschuldigt, sich in das System faschistischer Massenvernichtung eingereiht und Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben.
Als Offizier der faschistischen Gendamerie und Führer eines motorisierten Zuges hat er während des 2. Weltkrieges Festnahmen, Mißhandlungen und Erschießungen von Frauen und Kindern sowie Männern in okkupierten Gebieten organisiert, befohlen und selbst durchgeführt.
Verbrechen nach Art. 6 Buchstabe b und c des Statutes für den Internationalen Militärgerichtshof vom 8.8.1945 in Verb. mit Art. 8 u. 91 der Verf. der DDR, §§ 91, 93 StGB , § 1Abs. 6 des Einführungsgesetzes zum StGB und zur StPO der DDR vom 12.1.1968, § 1 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Nichtverjährung von Nazi- und Kriegsverbrechen vom 1.9.1964 in Verb. mit der Konvention der UNO vom 26.11.68 über die Nichtanwendbarkeit von Verjährungsbestimmungen auf Kriegsverbrechen und auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Er ist dieser Straftat dringend verdächtig, weil umfangreiches Beweismaterial vorliegt.
Die Anordnung der Unteruchungshaft ist gesetzlich begründet, weil ein besonders schweres Verbrechen den Gegenstand des Verfahrens bildet und der Beschuldigte deshalb mit einer längeren Freiheitsstrafe rechnen muss sodaß dringender Fluchtverdacht nicht ausgeschlossen werden kann. § 122 Abs. 1 Ziff. 2 StPO
Gegen diesen Haftbefehl ist das Rechtsmittel der Beschwerde zulässig.
Sie ist binnen einer Woche nach Verkündung des Haftbefehls bei dem unterzeichneten Gericht zu Protokoll der Rechtsantragstelle oder schriftlich durch den Betroffenen oder einen Rechtsanwalt einzulegen.
[Paraphe]
- Kaßner -
Richter am Kreisgericht
Anwerbung war in den Jahren 1950 bis 1968 die Bezeichnung des MfS für die Werbung von IM für die konspirative Arbeit. Im Vorfeld der Anwerbung war die Person sorgfältig, aber konspirativ zu überprüfen. In der Regel hatte der Angeworbene die Bereitschaft zur Kooperation schriftlich zu erklären und sich dabei einen Decknamen auszuwählen. Über die Anwerbung selbst war vom Führungsoffizier ein detaillierter Bericht zu fertigen.
Von 1950 bis 1968 geltende Bezeichnung für die gewöhnlichen inoffiziellen Mitarbeiter, in den ersten Jahren auch nur Informatoren genannt. 1968 wurden die GI überwiegend zu IMS. GI dienten vor allem der allgemeinen Informationsbeschaffung. Sie wurden dabei auch zunehmend zur Sicherung von Institutionen, zur Feststellung der Bevölkerungsstimmung, zur Überprüfung verdächtiger Personen, zur Verhinderung von Republikfluchten oder auch bei Ermittlungen und Fahndungen eingesetzt.
Der schriftliche richterliche Haftbefehl bildete die Grundlage für eine reguläre Verhaftung (§ 114 StPO/1949; § 142 StPO/1952; § 124 StPO/1968). Beschuldigte oder Angeklagte mussten unverzüglich, spätestens am Tage nach ihrer Ergreifung dem zuständigen Gericht vorgeführt werden (§§ 114 b, 128 StPO/1949; §§ 144, 153 StPO/1952; § 126 StPO/1968) – vor allem in den frühen 50er Jahren wurde diese Frist vom MfS teilweise überschritten und der Zeitpunkt der Festnahme entsprechend geändert. Auch wurden die Festgenommenen nicht bei Gericht vorgeführt, die vom MfS ausgewählten Haftrichter kamen zur Ausstellung des Haftbefehls in die Untersuchungshaftanstalten.
Rechtliche Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls waren ein dringender Tatverdacht und ein gesetzlich definierter Haftgrund, z. B. Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949; § 141 StPO/1952; § 122 StPO/1968) sowie während des Ermittlungsverfahrens ein Antrag des Staatsanwaltes; im Hauptverfahren konnte das Gericht auch ohne Antrag einen Haftbefehl erlassen. Laut einer Richtlinie des Obersten Gerichts der DDR vom 17.10.1962 lag ein Haftgrund auch vor bei "Verbrechen im Auftrag feindlicher Agenturen, bei konterrevolutionären Verbrechen" und "bei anderen schweren Verbrechen".
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Verharmlosende Bezeichnung aller Aktivitäten und Maßnahmen der "politisch-operativen Arbeit", also der geheimdienstlich-geheimpolizeilichen Tätigkeit in Bezug auf Personen oder zur Klärung von Sachverhalten, wenn aus Sicht des MfS Hinweise auf "feindlich-negative Handlungen" vorlagen. Die "Bearbeitung" konnte u. a. die Durchführung einer Operativen Personenkontrolle umfassen oder einen Operativen Vorgang betreffen.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Bei der Werbung handelte es sich um die Herbeiführung einer Entscheidung von Personen (IM-Kandidat) zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS (bis 1968 auch gebräuchlicher bezeichnet als Anwerbung).
Im Operationsgebiet gab es selten auch die Werbung unter falscher Flagge, bei der ein Mitarbeiter des MfS als Angehöriger einer anderen Einrichtung getarnt in Erscheinung trat. Die Durchführung der Werbung war sorgfältig vorzubereiten und hatte in einen Werbungsvorschlag zu münden, der von übergeordneten Leitern bestätigt werden musste. Der Vorschlag sollte eine Analyse der Kandidatenpersönlichkeit, das Werbungsziel, die "Werbungsgrundlage" und das methodische Vorgehen, Zeit, Ort und Inhalt des geplanten "Werbegesprächs", Verhaltensvarianten, Art und Weise der Verpflichtung sowie alle Absicherungsmaßnahmen enthalten. Die getroffenen Festlegungen waren in einem Bericht zu dokumentieren.
Häufig gingen dem eigentlichen Werbungsgespräch Kontaktgespräche voraus, bei denen der Kandidat allmählich an die Werbung herangeführt werden sollte. Bei der Werbung sollten auch Interessen des Kandidaten eine Rolle spielen, da das MfS davon ausging, dass dieser für sich "Aufwand, Nutzen und Risiko" gegeneinander abwägen würde.
Das MfS unterschied drei kategorial unterschiedliche "Werbungsgrundlagen":
Letztere spielten häufig bei Werbung unter Druck, zum Beispiel unter Heranziehung kompromitierender Informationen (Kompromat) eine Rolle.
Bei der Werbung war dem Kandidaten möglichst das Gefühl zu geben, seine Entscheidung würde frei und wohlüberlegt fallen. Ihre Ernsthaftigkeit sollte durch die Preisgabe interner beruflicher oder privater Kenntnisse unterstrichen werden. Ziel der Werbung war im Regelfall eine förmliche Verpflichtung. Teil der Werbung war ein erster operativer Auftrag. Die vorab getroffenen Festlegungen waren im Werbungsvorschlag, die durchgeführte Werbung im Werbungsbericht zu dokumentieren.
Der Zentrale Untersuchungsvorgang (ZUV) war eine spezielle Art von Untersuchungsvorgang – geführt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen 1939–1945 – auch: Materialsammlung zu Personen und ihrem Wirken in der NS-Zeit. Ein ZUV enthielt reguläre Strafakten sowie weitere Dokumente des MfS und anderer Institutionen zum personenbezogenen Vorgang/Umfeld. Die Bildung von ZUV erfolgte seit Ende der 60er Jahre auch rückwirkend. Die Ablage erfolgte im Sonderarchiv der HA IX/11, die für zentrale Recherchen mit Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus bezüglich Kriegsverbrechen und Widerstand zuständig war. Der Zugang erfolgt v. a. über die Personen- und Vorgangskarteien der HA IX/11. Der Bestand beträgt insgesamt 96 Vorgänge (ZUV 1-96).
Bescheinigung über eine Geldzuwendung an den "Geheimen Informator" mit dem Decknamen "Wagner" Dokument, 1 Seite
Vorschlag für eine Auszeichnung des GI "Wagner" alias Albert Schuster für "treue Dienste" Dokument, 1 Seite
Verpflichtung von Albert Schuster als "Geheimer Informator" mit dem Decknamen "Wagner" Dokument, 1 Seite
Befehl zur Auszeichnung des GI "Wagner" für "treue Zusammenarbeit" Dokument, 1 Seite