Haftbefehl gegen einen Urheber der Flugblätter mit Aufruf zur Leipziger Beat-Demo
Signatur: BStU, MfS, BV Leipzig, AU, Nr. 252/66, Bd. 5, Bl. 49
Als im Herbst 1965 für den Bezirk Leipzig ein Verbot von Beatmusik spielenden "Laienkapellen" erlassen wurde, riefen zwei Jugendliche mit Flugblättern zu einer Protestdemonstration auf. Nach ihrer Enttarnung wurden sie in Untersuchungshaft genommen.
In den 60er Jahren trat der Beat seinen Siegeszug um die Welt an. Mit der Musik von Bands wie den Beatles oder den Rolling Stones entwickelten junge Leute neue Vorlieben und distanzierten sich von der Generation ihrer Eltern. Ein neues Lebensgefühl entstand vor allem im Westen, aber verzögert und modifiziert auch hinter dem Eisernen Vorhang. Unter dem Einfluss der Entstalinisierung in der Sowjetunion unter Nikita Chruschtschow lockerte auch die SED in der DDR ab 1962 vorübergehend ihre Jugend- und Kulturpolitik. In der Folge formierten sich auch hier Beat-Bands, die sich an den neuen westlichen Musikrichtungen orientierten.
Nach dem Sturz Chruschtschows im Oktober 1964 und mit dem "Kahlschlagplenum" der SED vom Dezember 1965 endete jedoch diese kurze Phase der Liberalisierung. Die Staatsführung beäugte die mit der westlichen Musik verbundene Jugendkultur zunehmend argwöhnisch, weil hier junge Menschen abseits der staatlich kontrollierten Massenorganisationen weitgehend selbstbestimmt zusammenfanden. Der westliche Einfluss auf die DDR-Jugend erschien auch der Stasi gefährlich. Sie vermutete hier den planvollen Versuch westlicher "Feindzentralen", junge DDR-Bürger für sich zu gewinnen und damit den Nährboden für politische Opposition zu legen.
Am 11. Oktober 1965 fasste das Zentralkomitee der SED einen Beschluss, nach dem Beatgruppen die in der DDR für öffentliche Auftritte benötigte Spielerlaubnis entzogen werden sollte. Der Bezirk Leipzig ging hier besonders radikal vor und ließ die Lizenz von 44 der insgesamt 49 registrierten Amateurbeatgruppen aberkennen und erteilte ein Verbot für fünf von ihnen. Darunter befanden sich die in der Region besonders populären Bands "The Butlers", "The Guitar Men" und "The Shatters".
Nachdem zwei Jugendliche mit Flugblättern zu einem Protest gegen das Verbot von Beatgruppen aufgerufen hatten, versammelten sich am 31. Oktober 1965 ca. 1.000 bis 2.000 Jugendliche auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig. Die Volkspolizei löste die Demonstration gewaltsam auf und verhaftete hunderte Jugendliche. Ein Großteil der jungen Leute musste anschließend für mehrere Wochen Zwangsarbeit leisten.
Die Urheber der ersten Flugblätter waren zwei Jugendliche aus dem Bezirk Leipzig. Die beiden Beat-Fans ärgerten sich über das Verbot der "Laienmusikgruppen" und entschlossen sich, eine Protestaktion zu starten. Mit einem eigens dafür gekauften Kinderstempelkasten stellten die beiden Oberschüler am Nachmittag des 23. Oktober 1965 gemeinsam 174 Flugblätter her. Sie riefen damit andere "Beat-Freunde" zu einem "Protestmarsch" am 31. Oktober auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz auf. Nachdem die Mutter eines der beiden Schüler die Stempel und Texte entdeckt und den Stempelkasten dem Schuldirektor ihres Sohnes übergeben hatte, flogen die beiden Jugendlichen als Urheber der Flugblätter auf.
In der vorliegenden Verfügung des Staatsanwalts an den Haftrichter zu einem der Beschuldigten heißt es: "Die Inhaftierung ist auf Grund des Charakters der Handlung erforderlich.“ Zudem bestehe wegen des zu erwartenden Strafmaßes der Verdacht auf eine Flucht des Jugendlichen.
Metadaten
- Urheber:
- Kreisgericht Leipzig
- Datum:
- 7.11.1965
- Rechte:
- BStU
Das Kreisgericht
Leipzig
Aktenzeichen: [Auslassung]
(Bei Eingaben stets anführen)
Leipzig, den 07.11.1965
Fernruf [Auslassung]
Haftbefehl
Der [anonymisiert]
geboren am [anonymisiert] in [anonymisiert]
wh.: [anonymisiert], [anonymisiert]
ist in Untersuchungshaft zu nehmen
Er wird beschuldigt, am 23.10.1965 gemeinsam mit anderen Personen Hetzflugblätter, die zu einer sogenannten Protestkundgebung aufriefen, angefertigt und verbreitet zu haben.
Verfehlungen nach §§ 114, 47 StGB i.V.m. §§1 + 4 JGG
Die Untersuchungshaft wird verhängt, weil ein Verbrechen, welches Freiheitsentzug von mehr als 2 Jahren androht, vorliegt und deshalb Fluchtverdacht gesetzlich begründet ist.
Gegen diesen Haftbefehl ist binnen einer Woche das Rechtsmittel der Beschwerde zulässig
Ausgefertigt: Leipzig, den 07.11.1965
[Stempel: Deutsche Demokratische Republik - Kreisgericht Leipzig (Land)]
[Unterschrift unleserlich]