Hinweise über Aktivitäten feindlicher Kräfte zur Diskreditierung der Ergebnisse der Kommunalwahlen 1989
Signatur: BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 1465, Bl. 279-282
Über Eingaben kritisierten viele DDR-Bürger den Wahlbetrug bei den Kommunalwahlen 1989. Der Minister für Staatssicherheit legte fest, wie damit umzugehen sei.
Am 7. Mai 1989 waren die Bürgerinnen und Bürger der DDR aufgerufen, anlässlich der Kommunalwahlen den Kandidaten der Nationalen Front ihre Stimme zu geben. Wie immer stand nur diese eine Liste zur Auswahl. Mit "Ja" zu stimmen, bedeutete, den Stimmzettel zu falten und in die Wahlurne einzuwerfen. Für ein "Nein" musste jeder einzelne Kandidat in den obligatorisch aufgebauten Wahlkabinen sauber waagerecht durchgestrichen werden. Andere Kenntlichmachungen führten zu einer ungültigen Stimmenabgabe. Im Volksmund wurden die Wahlen daher auch als "Zettelfalten" bezeichnet.
Schon bei den vorangegangenen Volkskammerwahlen waren Vorwürfe der Wahlfälschung über westliche Medien erstmals öffentlich geworden. Anfang 1989 riefen verschiedene Gruppen von Oppositionellen zum Wahlboykott auf, forderten freie Wahlen und die Beobachtung der Stimmenauszählung. Letztere war nach § 37 (1) des DDR-Wahlgesetzes öffentlich und auch nach der Verfassung der DDR nicht verboten.
Trotzdem war angesichts der Erfahrung früherer Repressalien, auch durch die Stasi, die Teilnahme daran ein mutiger Schritt. Doch auch diese Aussichten konnten zahlreiche Bürgerinnen und Bürger nicht davon abhalten, extra spät zur Wahl zu gehen oder gegen 18:00 Uhr erneut die Wahllokale aufzusuchen, um die Auszählung zu beobachten. Landesweit fanden in etwa 1.000 Wahllokalen die Stimmenauszählungen unter ihrer Teilnahme statt.
Die Auswertungen der Wahlbeobachter belegten, dass Fälschungen durchgeführt wurden: Das durch den Vorsitzenden der Wahlkommission, Egon Krenz, bekanntgegebne Ergebnis von einer Wahlbeteiligung von 99 Prozent und einem Anteil von Gegenstimmen bei ca. 1 Prozent deckte sich in keiner Weise mit denen der Beobachter bei den Stimmenauszählungen.
Über Eingaben kritisierten viele DDR-Bürgern den Wahlbetrug. Stasi-Chef Erich Mielke gab in einem "Maßnahmeplan" vom 19. Mai 1989 vor, wie damit umzugehen war. Sachlich gehaltene Eingaben sollten den örtlichen Wahlkommissionen übergeben werden, deren Sekretären Mielke den Wortlaut ihrer Antworten schriftlich vorschrieb. Sollten Bürger gar eine Strafanzeige wegen Wahlbetrug stellen, schrieb der Stasi-Chef für die Beantwortung sogar eine glatte Rechtsbeugung vor: er untersagte Ermittlungen. Anzeigen seien kommentarlos entgegenzunehmen und später abzuweisen: "nach Ablauf der vorgesehenen Fristen für die Anzeigenbearbeitung ist von den jeweils zuständigen Organen zu antworten, dass keine Anhaltspunkte für den Verdacht einer Straftat vorliegen".
Metadaten
- Urheber:
- MfS
- Datum:
- 16.5.1989
- Rechte:
- BStU
Zur wirksamen Zurückweisung der festgestellten provokativen rechtswidrigen Handlungen wird vorgeschlagen:
1. Wegen der in der Hauptstadt der DDR erfolgten Verbreitung des sogenannten "Einspruchs gegen die Gültigkeit der Kommunalwahlen 1989 in Berlin" sowie der "Öffentlichen Stellungnahme zu den Kommunalwahlen 1989" wird seitens des MfS ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt gemäß § 220 Abs. 2 StGB eingeleitet, da die genannten Schriften, insbesondere durch die Behauptung einer "Willkür der Wahl Vorstände bei der Stimmenauszählung" sowie einer "offensichtlichen Wahlmanipulation" geeignet sind, die staatliche und öffentliche Ordnung verächtlich zu machen.
Im Verlauf der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens werden die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen zur Ermittlung der Täter geführt.
2. Provokative Anzeigen von Personen gemäß § 92 StPO wegen angeblicher "Wahlmanipulation" werden durch die Untersuchungsorgane und den Staatsanwalt unter Verweis auf das bereits eingeleitete Ermittlungsverfahren zurückgewiesen.
In diesem Zusammenhang wird den entsprechenden Personen mitgeteilt, daß durch das zuständige Untersuchungsorgan gemäß § 98 StPO ein Ermittlungsverfahren wegen Öffentlicher Herabwürdigung eingeleitet worden ist. Im Rahmen der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens wurde festgestellt, daß es sich beim dem vorgebrachten Sachverhalt um eine sachlicher Grundlage entbehrende Provokation handelt. Für die Zurkenntnisnahme und Prüfung des dargelegten Sachverhalts besteht somit kein Anlaß.
Beschwerden gegen diese Entscheidung werden durch den zuständigen Staatsanwalt gemäß § 91 StPO abschlägig und endgültig entschieden.