Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 2557, Bl. 1-6
Eine kleine Gruppe von Ausreisewilligen in Riesa berief sich im Herbst 1976 auf die KSZE-Schlussakte und verfasste eine "Petition zur völligen Erlangung der Menschenrechte". Stasi-Minister Mielke informierte Generalsekretär Honecker persönlich über die Ermittlungen.
Im August 1975 unterzeichnete die DDR die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Auf dem Papier verpflichtete sie sich damit zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Land. Nach der Unterschrift unter das Vertragswerk beauftragte jedoch die SED ihre Geheimpolizei, unerwünschte Nebenwirkungen, wie das Beharren der Menschen auf Ausreise oder zunehmende Westkontakte, zu bekämpfen – den Bürgern der DDR also weiterhin ihre Menschenrechte vorzuenthalten.
Vor allem Menschen, die auf eine "ständige Ausreise" in die Bundesrepublik oder nach West-Berlin drängten und sich dabei auf Helsinki beriefen, stellten die Stasi vor neue Herausforderungen. Ein Beispiel dafür ist die "Petition zur völligen Erlangung der Menschenrechte" einer Gruppe von Ausreiseantragstellern in Riesa. In wenigen Wochen wurde sie von 79 Ausreisewilligen unterzeichnet. Sie forderten darin die Genehmigung ihrer Ausreiseanträge auf Grundlage der Menschenrechtsbestimmungen der KSZE-Schlussakte. Mielke informierte Honecker im vorliegenden Dokument persönlich, dass der Verfasser der Petition, Dr. med. Karl-Heinz Nitschke, die Übergabe der Petition an "einschlägige Feind- und anderen Organisationen" in der Bundesrepublik arrangiert hatte. Gemeint waren damit unter anderem, die Gesellschaft für Menschenrechte (GfM) und die westdeutsche Presse.
Nitschke und andere Unterzeichner der Petition wurden verhaftet. Nachdem ARD-Korrespondent Lothar Loewe Nitschkes Frau interviewte, wurde er im Dezember 1976 unter anderem deswegen aus der DDR ausgewiesen.
Von 16 Familien leisteten 33 Personen die Unterschriftten. Die 16 Familien setzen sich aus insgesamt 56 Personen, darunter 19 Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre, zusammen.
Bei den 33 erwachsenen Personen, welche die "Petition" Unterzeichneten, handelt es sich um 22 Arbeiter, 7 Angestellte, 2 Angehörige der Intelligenz (1 Arzt, 1 Diplom-Ingenieur) sowie einen Invalidenrentner und eine Hausfrau.
19 dieser Personen arbeiten im VEB Rohrkombinat Riesa, 3 Personen im Bereich Volksbildung, 3 Personen im VEB Kraftverkehr/Taxi und 2 Personen im VEB Getreidewirtschaft.
Während der bisherigen Untersuchungen distanzierte sich der größte Teil der Unterzeichner der "Petition", obwohl sie ihre Anträge weiterhin aufrechterhalten, von den feindlichen Aktivitäten des Nitschke - diese "Petition" für eine Hetzkampagne gegen die DDR auszunutzen.
Nach dem 15.8.1976 organisierte Nitschke die Fortführung der Unterschriftensammlung, indem er durch die DDR-Bürger [anonymisierter DDR-Bürger 3] und [anonymisierter DDR-Bürger 4] weitere 22 Unterschriften (20 im Kreis Riesa und 2 im Kreis Meißen) von Antragstellern auf Übersiedlung einholen ließ.
Bei diesen 22 Personen handelt es sich um 10 Ehepaare und 2 Einzelpersonen, die in der Vergangenheit mehrfach als Antragsteller in Erscheinung traten.
Es kann eingeschätzt werden, daß diese Personen erst im Ergebnis der Veröffentlichungen in westlichen Massenmedien über die sogenannte "Petition" sich zu deren Unterzeichnung entschlossen.
Die Überprüfungen ergaben weiter, daß drei dieser Personen persönliche Verbindungen zur Ständigen Vertretung der BRD in der DDR und zur Botschaft der USA in der DDR unterhalten, zwei durch provokatorisches Anbringen der BRD-Fahne anläßlich des 1. Mai 1976 an ihrem Wohnhaus in Erscheinung traten und zwei der Sekte "Zeugen Jehovas" angehören.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Zur Seite 1 wechseln
Zur Seite 2 wechseln
Zur Seite 3 wechseln
Zur Seite 4 wechseln
aktuelle Seite 5
Zur Seite 6 wechseln
Zur Seite 1 wechseln
Zur Seite 2 wechseln
aktuelle Seite 3
Zur Seite 4 wechseln
Zur Seite 5 wechseln
Zur Seite 6 wechseln
Information über westliche Menschenrechtsgruppen und ihre Kontakte zu DDR-Bürgern Dokument, 14 Seiten
Information über die Verhaftung eines ehemaligen Vikars wegen "staatsfeindlicher Hetze" Dokument, 5 Seiten
Plan zur Durchführung der Ausbürgerung Wolf Biermanns mit Argumentationshilfen Dokument, 5 Seiten
Anweisung Mielkes die Folgen der KSZE-Vereinbarungen abzuschätzen Dokument, 6 Seiten