Signatur: BStU, MfS, HA IX, Nr. 51, Bl. 105-107
Seit 1950 waren die Zeugen Jehovas in der DDR verboten und mussten im Untergrund agieren. Statt langer Haftstrafen wurden in den späteren Jahren meist Ordnungsstrafen verhängt – die der Bericht aus dem Jahre 1987 auflistet.
Seit 1945/46 wurden die Zeugen Jehovas im Osten Deutschlands verfolgt, doch erst im August 1950 förmlich verboten. Seitdem war die Religionsgemeinschaft starken Repressionen ausgesetzt und dazu gezwungen, die Treffen ihrer Mitglieder heimlich zu organisieren und Zeitschriften in die DDR einzuschmuggeln.
Insgesamt wurden zwischen 1945 und 1987 mehr als 6.000 Zeugen Jehovas verurteilt. In Schauprozessen wurden zunächst lange Freiheitsstrafen verhängt, die Strafmaße über die Jahre insgesamt aber gemildert. Diejenigen Mitglieder, welche nicht verhaftet wurden, hatten vor allem mit dem Verlust ihrer Arbeitsstellen zu rechnen.
Durch Verhöre von Festgenommenen und das Einschleusen Inoffizieller Mitarbeiter (IM) in die Religionsgemeinschaft erfuhr die Stasi von deren Plänen. So konnte die Geheimpolizei die Zeugen Jehovas "bearbeiten", "zersetzen" und mit Falschinformationen in die Irre führen. Besonders ab Mitte der 60er Jahre wählt die Stasi zunehmend solche geheimpolizeilichen Methoden zur Bekämpfung der Religionsgemeinschaft.
In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wurden die Zeugen Jehovas teilweise geduldet. Dementsprechend wurden meist "nur" Ordnungsstrafen verhängt – die der Bericht aus dem Jahre 1987 auflistet, nach Strafhöhe differenziert. Erstellt hat das Dokument die Hauptabteilung XX/4, zuständig für die Kirchen im Land. Vorangestellt ist eine Beschreibung der Entwicklung der Tätigkeit der Zeugen Jehovas. Dass die "rechtswidrigen Aktivitäten" nicht nachgelassen hätten, Ordnungsstrafverfahren jedoch ein "wirksames Mittel zur Einschränkung und Zurückdrängung" der Religionsgemeinschaft seien, ist ein Widerspruch, der letztlich aus der staatlichen Linie zwischen Duldung und Bekämpfung resultierte.
Einer Analyse und Bewertung der Zahlen folgt in der Anlage des Dokumentes eine Tabelle der durchgeführten Verfahren, nach Bezirken differenziert. Vermerkt ist außerdem, wie viele Betroffene Rechtsmittel eingelegt hatten.
Berlin, 20.12.1988
XX/4/III/has-li
Information
über geahndete Rechtsverletzungen gegenüber Angehörigen der verbotenen Organisation "Zeugen Jehova" im Jahre 1987
1. 1987 wurden insgesamt 317 Ordnungsstrafverfahren gegen Angehörige der in der DDR verbotenen Organisation "Zeugen Jehova" auf Grund deren rechtswidrigen Tätigkeit für diese Organisation durchgeführt.
Das stellt einen nur unwesentlichen Anstieg gegenüber 1986 dar (310).Dieses Ergebnis entspricht auch der operativen Einschätzung, daß die rechtswidrigen Aktivitäten von "Zeugen Jehova" nicht nachgelassen haben.
Die Organisation bemüht sich im Gegenteil, ihre Angehörigen in der DDR zu verstärkten Aktivitäten zu motivieren.
Die durchgeführten Ordnungsstrafverfahren trugen und tragen mit dazu bei, daß diese Zielstellung nicht verwirklicht werden kann. Sie sind vor allem ein wirksames Mittel zur Einschränkung und Zurückdrängung der öffentlichen Werbetätigkeit der "Zeugen Jehova".
Dabei wurden keine Kampagnen gegen diese Tätigkeit durchgeführt. Es erfolgt eine konsequente Ahndung der Werbetätigkeit, wenn diese durch Mitteilungen von Bürgern oder andere Feststellungen im konkreten Fall festgestellt wird.
Durch die Anzahl der durchgeführten Ordnungsstrafverfahren in den einzelnen Bezirken werden im wesentlichen auch die tatsächlichen territorialen Schwerpunkte der Tätigkeit dieser Organisation widergespiegelt. (außer Bezirk Karl-Marx-STadt).
2. Die Ahndung der festgestellten Rechtsverletzungen erfolgte auf der Grundlage der Bestimmungen der Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen vom 6. 11. 1975 (Gbl. I Nr. 44 S. 723)
Die im Jahre 1987 ausgesprochenen 317 Ordnungsstrafverfahren gliedern sich wie folgt:
Verweis: 6
Ordnungsstrafe bis M 100,--: 50
Ordnungsstrafe von 101 ,-- bis M 300,--: 148
Ordnungsstrafe von 301 ,-- bis M 500 ,--: 82 davon 54 mit M 500 ,--
Ordnungsstrafe über M 500 ,--: 31 davon 19 mit M 1000 ,--
Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund)
Die Hauptabteilung XX bildete den Kernbereich der politischen Repression und Überwachung der Staatssicherheit. In Struktur und Tätigkeit passte sie sich mehrfach an die sich wandelnden Bedingungen der Herrschaftssicherung an. Die Diensteinheit ging 1964 durch Umbenennung aus der Hauptatbeilung V hervor, die ihrerseits in den Abteilungen V und VI (1950–1953) ihre Vorläufer hatte.
Die Hauptabteilung XX und die ihr nachgeordneten Abteilungen XX in den Bezirksverwaltungen (Linie XX) sowie entsprechende Arbeitsbereiche in den KD überwachten wichtige Teile des Staatsapparates (u. a. Justiz, Gesundheitswesen und bis 1986 das Post- und Fernmeldewesen), die Blockparteien und Massenorganisationen, den Kultur- und Sportbereich, die Medien und die Kirchen sowie SED-Sonderobjekte und Parteibetriebe. Federführend war die Hauptabteilung XX auch bei der Bekämpfung der "politischen Untergrundtätigkeit" (PUT), also der Opposition.
Ab der zweiten Hälfte der 50er Jahre und verstärkt seit dem Beginn der Entspannungspolitik fühlte sich das SED-Regime zunehmend durch die "politisch-ideologische Diversion" (PiD) bedroht. Die Schwächung der "Arbeiter-und-Bauern-Macht" durch "ideologische Aufweichung und Zersetzung" galt als Hauptinstrument des Westens bei der Unterminierung der DDR. Auch bei der Bekämpfung der PiD hatte die Hauptabteilung XX innerhalb des MfS die Federführung.
Das Erstarken der Bürgerrechtsbewegung (Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen) in der DDR führte in den 80er Jahren zu einem weiteren Bedeutungszuwachs der Linie XX. In der DA 2/85 bestätigte Minister Mielke dementsprechend die Federführung der Hauptabteilung XX bei der Bekämpfung der PUT.
Im Verlauf der fast 40-jährigen Entwicklung der Hauptabteilung XX veränderte sich ihre Struktur mehrfach. In der Endphase verfügte sie über neun operative Abteilungen und vier Funktionalorgane der Leitung (Sekretariat, Arbeitsgruppe der Leitung, Koordinierungsgruppe des Leiters, Auswertungs- und Kontrollgruppe).
Die Hauptabteilung V lag ab 1953 zunächst im unmittelbaren Anleitungsbereich von Mielke in seiner Eigenschaft als 1. Stellvertreter des Staatssicherheitschefs. Ab 1955 war der stellvertretende Minister Bruno Beater und 1964–1974 der stellv. Minister Fritz Schröder auf der Ebene der MfS-Leitung für die Hauptabteilung XX zuständig. Beide waren zuvor selbst (Beater 1953–1955, Schröder 1955–1963) Leiter der Hauptabteilung V. Seit 1975 gehörte die Hauptabteilung XX zum Verantwortungsbereich von Mielkes Stellvertreter Rudi Mittig. Von 1964 bis zur Auflösung des MfS leitete Kienberg die Hauptabteilung XX. Ihm standen seit 1965 zwei Stellvertreter zur Seite.
1954 waren in der Hauptabteilung V insgesamt 139 Mitarbeiter beschäftigt. Im Herbst 1989 verfügte die Hauptabteilung XX über 461 Mitarbeiter, von denen mehr als 200 als IM-führende Mitarbeiter eingesetzt waren.
In den 15 Bezirksverwaltungen waren auf der Linie XX im Oktober 1989 insgesamt knapp 1.000 Kader und damit auf der gesamten Linie XX fast 1.500 hauptamtliche Mitarbeiter im Einsatz. Gleichzeitig konnte allein die Hauptabteilung XX mit etwas mehr als 1.500 IM auf einen überdurchschnittlich hohen Bestand an inoffiziellen Kräften zurückgreifen. Ihrem Aufgabenprofil entsprechend spiegelt sich nicht zuletzt in der Entwicklung der Hauptabteilung XX auch die Geschichte von Opposition, Widerstand und politischer Dissidenz in der DDR. Im Herbst 1989 wurden von der Diensteinheit 31 Operative Vorgänge (10 Prozent aller Operativen Vorgänge im Berliner Ministeriumsbereich) und 59 Operative Personenkontrollen (8,7 Prozent) bearbeitet.
Inoffizielle Mitarbeiter (IM) waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), um primär Informationen über Bürger, die Gesellschaft, ihre Institutionen und Organisationen der DDR oder im Ausland zu gewinnen. Unter Umständen hatten IM auf Personen oder Ereignisse in der DDR steuernden Einfluss zu nehmen.
In der DDR-Gesellschaft hießen sie "Spitzel", "Denunzianten" oder "Kundschafter". Mit der deutschen Einheit hat sich die Bezeichnung Inoffizieller Mitarbeiter des MfS für die heimlichen Zuträger etabliert. Sie lieferten u. a. Informationen über Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung.
Die SED-Führung wollte stets über die konkrete Situation und Lage in der DDR unterrichtet sein. Die IM hatten den Auftrag, "staatsgefährdende" Bestrebungen zu ermitteln, was beim MfS "politisch ideologische Diversion" bzw. "politische Untergrundtätigkeit" hieß. Der Bogen hierfür war weit gespannt und reichte von einer privaten Meinungsäußerung bis hin zu politischen Aktivitäten. Überdies sollten sie, wenn auch selten, direkt auf gesellschaftliche Entwicklungen oder einzelne Personen einwirken.
Die IM waren das wichtigste Repressionsinstrument in der DDR. IM wurden auf bestimmte Schwerpunkte angesetzt, von denen tatsächliche oder vermeintliche Gefahren ausgehen konnten. Diese Objekte und Territorien, Bereiche oder Personen waren so zahlreich, dass die geheimpolizeiliche Durchdringung tendenziell den Charakter einer flächendeckenden Überwachung annahm.
Die Anzahl der vom MfS geführten inoffiziellen Mitarbeiter umfasste im Jahre 1989 ungefähr 189.000 IM, darunter 173.000 IM der Abwehrdiensteinheiten, ferner 13.400 IM in der DDR und 1.550 IM in der Bundesrepublik, die von der Hauptverwaltung A geführt wurden, sowie diverse andere wie Zelleninformatoren usw. Auf 89 DDR-Bürger kam somit ein IM. In der Zeit von 1950 bis 1989 gab es insgesamt ca. 620.000 IM.
Die Entwicklung des IM-Netzes ist nicht allein von einem kontinuierlichen Anstieg geprägt, sondern verweist auf besondere Wachstumsphasen in Zeiten innergesellschaftlicher Krisen wie dem 17. Juni 1953 oder am Vorabend des Mauerbaus. Im Zuge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik wurde das IM-Netz ebenfalls erweitert. So umfasste es Mitte der 70er Jahre – hochgerechnet – über 200.000 IM. Angesichts wachsender oppositioneller Bewegungen hatte es in den 80er Jahren gleichfalls ein hohes Niveau.
Die flächendeckende Überwachung der Gesellschaft fiel regional recht unterschiedlich aus. Im Land Brandenburg, das die Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam vereint, war sie stärker als in Thüringen. Die höchste IM-Dichte wies der ehemalige Bezirk Cottbus auf.
Das MfS operierte formal nach territorialen Gesichtspunkten und Sicherungsbereichen, setzte jedoch operative Schwerpunkte in der geheimpolizeilichen Arbeit. Bezogen auf das Gesamtministerium lagen diese – sowohl auf Kreis-, als auch auf Bezirks- und Hauptabteilungsebene – bei der Volkswirtschaft, der Spionageabwehr und auf der "politischen Untergrundtätigkeit", der "Bearbeitung " von oppositionellen Milieus und den Kirchen.
Die Motive zur Kooperation mit dem MfS waren überwiegend ideeller, seltener materieller Natur, noch seltener war Erpressung der Grund. Die Kooperation währte durchschnittlich sechs bis zehn Jahre oder länger. Augenfällig ist, dass darunter nicht wenige soziale Aufsteiger waren. Der Anteil von weiblichen IM lag in der DDR bei 17 Prozent, in der Bundesrepublik bei 28 Prozent. Über die Hälfte der IM war Mitglied der SED. Von den 2,3 Mio. Mitgliedern der Partei ausgehend, waren 4 bis 5 Prozent zuletzt inoffiziell aktiv, d. h. jedes zwanzigste SED-Mitglied.
Das MfS differenzierte IM nach Kategorien: Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit, IM zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereichs, IM im besonderen Einsatz, Führungs-IM und IM zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens. Die wichtigste Kategorie waren IM mit "Feindverbindungen" bzw. solche, die Personen zu "bearbeiten" hatten, die "im Verdacht der Feindtätigkeit" standen. Im Laufe der 80er Jahre nahm der Anteil von IM in der Kategorie IMB bis Dezember 1988 auf rund 3.900 zu.
Der Anteil von Bundesbürgern oder Ausländern unter den IM des MfS betrug nicht einmal 2 Prozent. 1989 waren mindestens 3.000 Bundesbürger inoffiziell im Dienste des MfS, zusätzlich mehrere Hundert Ausländer. In der Zeit von 1949 bis 1989 waren insgesamt mindestens 12.000 Bundesbürger und Westberliner IM.
Die operativen Ziele des MfS waren über die gesamte Bundesrepublik Deutschland verteilt. Darüber hinaus gab es Schwerpunkte in Europa, im Nahen Osten und Asien, nachgeordnet auch in Afrika und Lateinamerika. Nachrichtendienstliche Schwerpunkte waren vor allem die Wissenschafts- und Technikspionage, erst danach die politische und mit etwas Abstand die Militärspionage. Die Bundesrepublik Deutschland wurde folglich vor allem als Ressource zur Systemstabilisierung genutzt.
Die politische Spionage diente vornehmlich dazu, die politische Gefährdungslage des herrschenden Systems in der DDR bestimmen zu können. Dieses Profil deutet an, dass die Spionage der Bewahrung des Status quo dienen sollte. Von einer Unterwanderung der Bundesrepublik war die Geheimpolizei zahlenmäßig weit entfernt. Vielmehr waren ihre inoffiziellen Mitarbeiter damit beschäftigt, das DDR-System zu stabilisieren.
aktuelle Seite 1
Zur Seite 2 wechseln
Zur Seite 3 wechseln
Signatur: BStU, MfS, HA IX, Nr. 51, Bl. 105-107
Seit 1950 waren die Zeugen Jehovas in der DDR verboten und mussten im Untergrund agieren. Statt langer Haftstrafen wurden in den späteren Jahren meist Ordnungsstrafen verhängt – die der Bericht aus dem Jahre 1987 auflistet.
Seit 1945/46 wurden die Zeugen Jehovas im Osten Deutschlands verfolgt, doch erst im August 1950 förmlich verboten. Seitdem war die Religionsgemeinschaft starken Repressionen ausgesetzt und dazu gezwungen, die Treffen ihrer Mitglieder heimlich zu organisieren und Zeitschriften in die DDR einzuschmuggeln.
Insgesamt wurden zwischen 1945 und 1987 mehr als 6.000 Zeugen Jehovas verurteilt. In Schauprozessen wurden zunächst lange Freiheitsstrafen verhängt, die Strafmaße über die Jahre insgesamt aber gemildert. Diejenigen Mitglieder, welche nicht verhaftet wurden, hatten vor allem mit dem Verlust ihrer Arbeitsstellen zu rechnen.
Durch Verhöre von Festgenommenen und das Einschleusen Inoffizieller Mitarbeiter (IM) in die Religionsgemeinschaft erfuhr die Stasi von deren Plänen. So konnte die Geheimpolizei die Zeugen Jehovas "bearbeiten", "zersetzen" und mit Falschinformationen in die Irre führen. Besonders ab Mitte der 60er Jahre wählt die Stasi zunehmend solche geheimpolizeilichen Methoden zur Bekämpfung der Religionsgemeinschaft.
In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wurden die Zeugen Jehovas teilweise geduldet. Dementsprechend wurden meist "nur" Ordnungsstrafen verhängt – die der Bericht aus dem Jahre 1987 auflistet, nach Strafhöhe differenziert. Erstellt hat das Dokument die Hauptabteilung XX/4, zuständig für die Kirchen im Land. Vorangestellt ist eine Beschreibung der Entwicklung der Tätigkeit der Zeugen Jehovas. Dass die "rechtswidrigen Aktivitäten" nicht nachgelassen hätten, Ordnungsstrafverfahren jedoch ein "wirksames Mittel zur Einschränkung und Zurückdrängung" der Religionsgemeinschaft seien, ist ein Widerspruch, der letztlich aus der staatlichen Linie zwischen Duldung und Bekämpfung resultierte.
Einer Analyse und Bewertung der Zahlen folgt in der Anlage des Dokumentes eine Tabelle der durchgeführten Verfahren, nach Bezirken differenziert. Vermerkt ist außerdem, wie viele Betroffene Rechtsmittel eingelegt hatten.
Beim überwiegenden Teil der geahndeten Verstöße wurde eine Ordnungsstrafe bis zu M 300,-- ausgesprochen. Der Anteil von Ordnungsstrafverfahren über M 300,-- hat sich allerdings gegenüber dem Vorjahr um 22 Ordnungsstrafverfahren erhöht, darunter der Anteil von Ordnungsstrafverfahren über M 500,-- um 11. Die letztgenannte Zahl zeigt, daß die Anzahl der "Zeugen Jehova", die wiederholt innerhalb von zwei Jahren eine gleichartige Handlung begingen, zugenommen hat. Das verdeutlicht, daß eine zunehmende, wenn auch relativ geringe Anzahl von "Zeugen Jehova" besonders aktiv und fanatisch auftritt und aus früheren Sanktionen keine Lehren gezogen hat.
3. In 180 Fällen (= 56 %) wurde gegen die durchgeführten Ordnungsstrafmaßnahmen Rechtsmittel eingelegt. In einem Fall mußte diesem stattgegeben werden.
Da die Ordnungsstrafmaßnahmen auf gesetzlicher Grundlage durchgeführt wurden, d.h. u.a. auch, daß niemand auf Grund seiner bloßen Zugehörigkeit zur Organisation "Zeugen Jehova" zur Verantwortung gezogen wurde, konnten die Rechtsmittel auf abgestimmter einheitlicher Grundlage zurückgewiesen werden.
4. Die Begehungsweisen und praktizierten Methoden bei der rechtswidrigen Fortsetzung der Vereinigungstätigkeit durch Angehörige der verbotenen Organisation "Zeugen Jehova" haben sich nach wie vor nicht verändert.
Das Aufsuchen von Bürgern in ihren Wohnungen bzw. Grundstücken und Führen von Werbegesprächen ist die am häufigsten praktizierte Methode, mit der die "Zeugen Jehova" an die Öffentlichkeit treten.
Operative Erkenntnisse belegen, daß 1987 nur vereinzelt größere rechtswidrige Zusammenkünfte von "Zeugen Jehova" aufgelöst wurden, die sich auf das sog. Gedächtnismahl beziehen.
Es ist bekannt, daß die "Zeugen Jehova" die Vergrößerung ihrer Organisationsbasis auf Weisung ihrer Feindzentrale fortzusetzen beabsichtigen. Dem ist stärker durch Anwendung von Ordnungsstrafverfahren gerecht zu werden.
Anlage
Feindzentrale
Als Feindobjekt (in den 50er Jahren auch Feindzentralen) wurden westliche Institutionen und Organisationen bezeichnet, denen das MfS subversive Aktivitäten gegen die DDR und/oder andere kommunistische Staaten unterstellte. Neben den gegnerischen Nachrichtendiensten handelte es sich dabei um politische oder kirchliche Organisationen, wissenschaftliche Institute, Interessenverbände, Medien, Bildungseinrichtungen und parteinahe Stiftungen (in den 80er Jahren u. a. Aktion Sühnezeichen, Axel Springer Verlag, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutschlandfunk, Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, taz, Zeugen Jehovas).
Die Zuständigkeit für die als gefährlich eingeschätzten Feindobjekt lag bei unterschiedlichen operativen Diensteinheiten des MfS, die sie in Feindobjektvorgängen (Objektvorgänge) und Feindobjektakten bearbeiteten. Für die als weniger gefährlich eingeschätzten Feindobjekte ohne operative Zuständigkeit galt (ab 1985) eine Dokumentationspflicht der ZAIG.
Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund)
Die Hauptabteilung XX bildete den Kernbereich der politischen Repression und Überwachung der Staatssicherheit. In Struktur und Tätigkeit passte sie sich mehrfach an die sich wandelnden Bedingungen der Herrschaftssicherung an. Die Diensteinheit ging 1964 durch Umbenennung aus der Hauptatbeilung V hervor, die ihrerseits in den Abteilungen V und VI (1950–1953) ihre Vorläufer hatte.
Die Hauptabteilung XX und die ihr nachgeordneten Abteilungen XX in den Bezirksverwaltungen (Linie XX) sowie entsprechende Arbeitsbereiche in den KD überwachten wichtige Teile des Staatsapparates (u. a. Justiz, Gesundheitswesen und bis 1986 das Post- und Fernmeldewesen), die Blockparteien und Massenorganisationen, den Kultur- und Sportbereich, die Medien und die Kirchen sowie SED-Sonderobjekte und Parteibetriebe. Federführend war die Hauptabteilung XX auch bei der Bekämpfung der "politischen Untergrundtätigkeit" (PUT), also der Opposition.
Ab der zweiten Hälfte der 50er Jahre und verstärkt seit dem Beginn der Entspannungspolitik fühlte sich das SED-Regime zunehmend durch die "politisch-ideologische Diversion" (PiD) bedroht. Die Schwächung der "Arbeiter-und-Bauern-Macht" durch "ideologische Aufweichung und Zersetzung" galt als Hauptinstrument des Westens bei der Unterminierung der DDR. Auch bei der Bekämpfung der PiD hatte die Hauptabteilung XX innerhalb des MfS die Federführung.
Das Erstarken der Bürgerrechtsbewegung (Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen) in der DDR führte in den 80er Jahren zu einem weiteren Bedeutungszuwachs der Linie XX. In der DA 2/85 bestätigte Minister Mielke dementsprechend die Federführung der Hauptabteilung XX bei der Bekämpfung der PUT.
Im Verlauf der fast 40-jährigen Entwicklung der Hauptabteilung XX veränderte sich ihre Struktur mehrfach. In der Endphase verfügte sie über neun operative Abteilungen und vier Funktionalorgane der Leitung (Sekretariat, Arbeitsgruppe der Leitung, Koordinierungsgruppe des Leiters, Auswertungs- und Kontrollgruppe).
Die Hauptabteilung V lag ab 1953 zunächst im unmittelbaren Anleitungsbereich von Mielke in seiner Eigenschaft als 1. Stellvertreter des Staatssicherheitschefs. Ab 1955 war der stellvertretende Minister Bruno Beater und 1964–1974 der stellv. Minister Fritz Schröder auf der Ebene der MfS-Leitung für die Hauptabteilung XX zuständig. Beide waren zuvor selbst (Beater 1953–1955, Schröder 1955–1963) Leiter der Hauptabteilung V. Seit 1975 gehörte die Hauptabteilung XX zum Verantwortungsbereich von Mielkes Stellvertreter Rudi Mittig. Von 1964 bis zur Auflösung des MfS leitete Kienberg die Hauptabteilung XX. Ihm standen seit 1965 zwei Stellvertreter zur Seite.
1954 waren in der Hauptabteilung V insgesamt 139 Mitarbeiter beschäftigt. Im Herbst 1989 verfügte die Hauptabteilung XX über 461 Mitarbeiter, von denen mehr als 200 als IM-führende Mitarbeiter eingesetzt waren.
In den 15 Bezirksverwaltungen waren auf der Linie XX im Oktober 1989 insgesamt knapp 1.000 Kader und damit auf der gesamten Linie XX fast 1.500 hauptamtliche Mitarbeiter im Einsatz. Gleichzeitig konnte allein die Hauptabteilung XX mit etwas mehr als 1.500 IM auf einen überdurchschnittlich hohen Bestand an inoffiziellen Kräften zurückgreifen. Ihrem Aufgabenprofil entsprechend spiegelt sich nicht zuletzt in der Entwicklung der Hauptabteilung XX auch die Geschichte von Opposition, Widerstand und politischer Dissidenz in der DDR. Im Herbst 1989 wurden von der Diensteinheit 31 Operative Vorgänge (10 Prozent aller Operativen Vorgänge im Berliner Ministeriumsbereich) und 59 Operative Personenkontrollen (8,7 Prozent) bearbeitet.
Inoffizielle Mitarbeiter (IM) waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), um primär Informationen über Bürger, die Gesellschaft, ihre Institutionen und Organisationen der DDR oder im Ausland zu gewinnen. Unter Umständen hatten IM auf Personen oder Ereignisse in der DDR steuernden Einfluss zu nehmen.
In der DDR-Gesellschaft hießen sie "Spitzel", "Denunzianten" oder "Kundschafter". Mit der deutschen Einheit hat sich die Bezeichnung Inoffizieller Mitarbeiter des MfS für die heimlichen Zuträger etabliert. Sie lieferten u. a. Informationen über Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung.
Die SED-Führung wollte stets über die konkrete Situation und Lage in der DDR unterrichtet sein. Die IM hatten den Auftrag, "staatsgefährdende" Bestrebungen zu ermitteln, was beim MfS "politisch ideologische Diversion" bzw. "politische Untergrundtätigkeit" hieß. Der Bogen hierfür war weit gespannt und reichte von einer privaten Meinungsäußerung bis hin zu politischen Aktivitäten. Überdies sollten sie, wenn auch selten, direkt auf gesellschaftliche Entwicklungen oder einzelne Personen einwirken.
Die IM waren das wichtigste Repressionsinstrument in der DDR. IM wurden auf bestimmte Schwerpunkte angesetzt, von denen tatsächliche oder vermeintliche Gefahren ausgehen konnten. Diese Objekte und Territorien, Bereiche oder Personen waren so zahlreich, dass die geheimpolizeiliche Durchdringung tendenziell den Charakter einer flächendeckenden Überwachung annahm.
Die Anzahl der vom MfS geführten inoffiziellen Mitarbeiter umfasste im Jahre 1989 ungefähr 189.000 IM, darunter 173.000 IM der Abwehrdiensteinheiten, ferner 13.400 IM in der DDR und 1.550 IM in der Bundesrepublik, die von der Hauptverwaltung A geführt wurden, sowie diverse andere wie Zelleninformatoren usw. Auf 89 DDR-Bürger kam somit ein IM. In der Zeit von 1950 bis 1989 gab es insgesamt ca. 620.000 IM.
Die Entwicklung des IM-Netzes ist nicht allein von einem kontinuierlichen Anstieg geprägt, sondern verweist auf besondere Wachstumsphasen in Zeiten innergesellschaftlicher Krisen wie dem 17. Juni 1953 oder am Vorabend des Mauerbaus. Im Zuge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik wurde das IM-Netz ebenfalls erweitert. So umfasste es Mitte der 70er Jahre – hochgerechnet – über 200.000 IM. Angesichts wachsender oppositioneller Bewegungen hatte es in den 80er Jahren gleichfalls ein hohes Niveau.
Die flächendeckende Überwachung der Gesellschaft fiel regional recht unterschiedlich aus. Im Land Brandenburg, das die Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam vereint, war sie stärker als in Thüringen. Die höchste IM-Dichte wies der ehemalige Bezirk Cottbus auf.
Das MfS operierte formal nach territorialen Gesichtspunkten und Sicherungsbereichen, setzte jedoch operative Schwerpunkte in der geheimpolizeilichen Arbeit. Bezogen auf das Gesamtministerium lagen diese – sowohl auf Kreis-, als auch auf Bezirks- und Hauptabteilungsebene – bei der Volkswirtschaft, der Spionageabwehr und auf der "politischen Untergrundtätigkeit", der "Bearbeitung " von oppositionellen Milieus und den Kirchen.
Die Motive zur Kooperation mit dem MfS waren überwiegend ideeller, seltener materieller Natur, noch seltener war Erpressung der Grund. Die Kooperation währte durchschnittlich sechs bis zehn Jahre oder länger. Augenfällig ist, dass darunter nicht wenige soziale Aufsteiger waren. Der Anteil von weiblichen IM lag in der DDR bei 17 Prozent, in der Bundesrepublik bei 28 Prozent. Über die Hälfte der IM war Mitglied der SED. Von den 2,3 Mio. Mitgliedern der Partei ausgehend, waren 4 bis 5 Prozent zuletzt inoffiziell aktiv, d. h. jedes zwanzigste SED-Mitglied.
Das MfS differenzierte IM nach Kategorien: Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit, IM zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereichs, IM im besonderen Einsatz, Führungs-IM und IM zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens. Die wichtigste Kategorie waren IM mit "Feindverbindungen" bzw. solche, die Personen zu "bearbeiten" hatten, die "im Verdacht der Feindtätigkeit" standen. Im Laufe der 80er Jahre nahm der Anteil von IM in der Kategorie IMB bis Dezember 1988 auf rund 3.900 zu.
Der Anteil von Bundesbürgern oder Ausländern unter den IM des MfS betrug nicht einmal 2 Prozent. 1989 waren mindestens 3.000 Bundesbürger inoffiziell im Dienste des MfS, zusätzlich mehrere Hundert Ausländer. In der Zeit von 1949 bis 1989 waren insgesamt mindestens 12.000 Bundesbürger und Westberliner IM.
Die operativen Ziele des MfS waren über die gesamte Bundesrepublik Deutschland verteilt. Darüber hinaus gab es Schwerpunkte in Europa, im Nahen Osten und Asien, nachgeordnet auch in Afrika und Lateinamerika. Nachrichtendienstliche Schwerpunkte waren vor allem die Wissenschafts- und Technikspionage, erst danach die politische und mit etwas Abstand die Militärspionage. Die Bundesrepublik Deutschland wurde folglich vor allem als Ressource zur Systemstabilisierung genutzt.
Die politische Spionage diente vornehmlich dazu, die politische Gefährdungslage des herrschenden Systems in der DDR bestimmen zu können. Dieses Profil deutet an, dass die Spionage der Bewahrung des Status quo dienen sollte. Von einer Unterwanderung der Bundesrepublik war die Geheimpolizei zahlenmäßig weit entfernt. Vielmehr waren ihre inoffiziellen Mitarbeiter damit beschäftigt, das DDR-System zu stabilisieren.
Zur Seite 1 wechseln
aktuelle Seite 2
Zur Seite 3 wechseln
Übersicht über Ordnungsstrafverfahren gegen ehemalige Zeugen Jehovas 1983 Dokument, 3 Seiten
Versteckte Zeitschriften der Zeugen Jehovas 4 Fotografien
Maßnahmeplan zur Überprüfung von Paul Riedel Dokument, 3 Seiten
Beschluss zur Einstellung des Operativ-Vorgangs "Motor" zu Paul Riedel Dokument, 2 Seiten