Signatur: BStU, MfS, HV A, Nr. 644, Bl. 99-103
Auf dem Gipfeltreffen der Staaten des Warschauer Pakts am 7. Juli 1989 hob der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow die Breschnew-Doktrin auf. Damit war die bisher beschränkte Souveränität der sozialistischen Staaten offiziell beendet. Die für die Auslandsspionage tätige Hauptverwaltung A (HV A) berichtete, wie Bonner Regierungskreise auf den Warschauer-Pakt-Gipfel reagierten.
Im Sommer 1989 war bereits seit Monaten zu erkennen, dass sich die DDR-Führung mit ihrem reformfeindlichen Kurs von den Entwicklungen der anderen Warschauer-Pakt-Staaten isolierte (vgl. 7.4.1989). Auch der SED-Spitze war das nicht verborgen geblieben, sie wiegte sich aber in dem Glauben, die DDR sei eine Insel der Stabilität, während die Reformstaaten (Ungarn, Polen und Sowjetunion) immer tiefer in Turbulenzen gerieten. Im Juni und Juli 1989 kamen mehrere Ereignisse zusammen, die zeigten, wie illusionär die Auffassung war, die DDR könne sich dem entziehen.
Am 6. Juli sprach der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow vor dem Europarat in Straßburg und machte deutlich, dass die Sowjetunion nicht mehr den Anspruch erhob, über den Charakter des politischen Systems in den kleineren osteuropäischen Staaten zu bestimmen.
Am nächsten Tag fand in Bukarest das letzte Gipfeltreffen der Warschauer-Pakt-Staaten vor dem revolutionären Herbst statt. Reformer und Dogmatiker standen einander mit unvereinbaren Positionen gegenüber. In der Abschlusserklärung einigte man sich auf eine Kompromissformel: "Kein Land darf den Verlauf der Ereignisse innerhalb eines anderen Landes diktieren, keiner darf sich die Rolle eines Richters oder Schiedsrichters anmaßen." In den Stasi-Unterlagen hat dieses bedeutsame Ereignis (nach bisherigem Kenntnisstand) kaum Spuren hinterlassen. Aber über einen Umweg gelangte doch eine interessante Information in das Archiv: Die Spionageabteilung des MfS, die Hauptverwaltung A (HV A), berichtete, wie der Warschauer-Pakt-Gipfel in Bonner Regierungskreisen eingeschätzt wurde.
Dieses Papier war für die Mitglieder des SED-Politbüros bestimmt. Es informiert über die westliche Reaktion auf das letzte Gipfeltreffen der Ostblock-Staaten vor der Herbstrevolution, der Tagung des "Politischen Beratenden Ausschusses" (PBA) der Warschauer Vertragsorganisation. Grundlage waren offenbar vertrauliche Informationen, die Agenten der HV A, in der Bundesrepublik beschafft hatten.
UdSSR, in Polen und Ungarn so stark an bündnispolitischer Relevanz und blockinternem Konfliktpotential gewonnen, daß sie ein gleichgewichtiges Diskussionsfeld neben der internationalen Beratungsmaterie gewesen sei. Die Auseinandersetzung mit der Frage der Reformpolitik sei schon deshalb unvermeidlich gewesen, da der fortschreitende Wandel von Herrschaftssystem und innenpolitischem Kurs mit einer Veränderung der außenpolitischen Linie gekoppelt sei. Davon ausgehend sei die Reformpolitik vor allem unter den Aspekten ihrer Auswirkung auf die Außenpolitik des Warschauer Vertrages sowie der Akzeptanz innenpolitischer Systemveränderung diskutiert worden.
Das Kommunique und die Erklärung sowie die Verlautbarungen zu den Gesprächen am Rande der PBA-Tagung verdeutlichten, daß M. Gorbatschow sein reformpolitisches Konzept nur im Hinblick auf dessen unmittelbare außenpolitische Implikationen habe durchsetzen können. Mit der nachhaltigen Willensbekundung zur Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Bukarester Erklärung vollziehe der Warschauer Vertrag eine bemerkenswerte Annäherung an das normative Verständnis des Westens. Sie stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bestreben der sowjetischen Führung, die gesamteuropäische Verständigung voranzutreiben und die politischen Voraussetzungen für eine breite Zusammenarbeit mit den westlichen Staaten zu verbessern. Soweit mit der Anerkennung der grundlegenden Bedeutung einer Menschenrechtsrespektierung die orthodoxen Warschauer Vertragsstaaten bündnisintern in eine politische Leistungspflicht genommen worden seien, hätten sie sich den sowjetischen Forderungen offensichtlich nicht widersetzen können. Gleichwohl lasse das Kommunique deren fortbestehende Vorbehalte erkennen. Die Erklärung beinhalte auch eine nachhaltige Bestätigung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, die dem Postulat in der UdSSR/BRD-Erklärung vom 13.06.1989 entspreche. Sie balanciere die im gleichen Kontext erhobene Forderung nach strikter Achtung des politisch-territorialen Status quo aus, die bislang einseitig die europapolitische Position des Warschauer Vertrages markiere. Auch diese Bereitschaft zu größerer politischer Ausgewogenheit scheine in Bukarest umstritten gewesen zu sein. Im Kommunique sei der Begriff "Selbstbestimmungsrecht" - wahrscheinlich auf Drängen der DDR - zugunsten der unpräziseren Formel, wonach jedes Volk das Recht auf "freie Bestimmung seines Schicksals" habe, abgeschwächt worden. Insgesamt habe M. Gorbatschow jedoch seinen Handlungsspielraum gegenüber dem Westen, insbesondere unter dem Aspekt seiner gesamteuropäischen Konzeption, vergrößern können.
Aufklärung hatte innerhalb des MfS unterschiedliche Bedeutungen: Sie wird zur Bezeichnung des Tätigkeitsbereiches der Auslandsspionage verwendet, die überwiegend von der HV A getragen wurde, die teilweise auch kurz als Aufklärung bezeichnet wird. Darüber hinaus findet der Begriff Verwendung bei der Bezeichnung von Sachverhaltsermittlungen (Aufklärung eines Sachverhalts) und von Überprüfungen der Eignung von IM-Kandidaten (Aufklärung des Kandidaten).
Die Hauptverwaltung A (HV A) war die Spionageabteilung des MfS, deren Bezeichnung sich an die der Spionageabteilung des KGB, 1. Verwaltung, anlehnt. Der Ordnungsbuchstabe A wurde in der Bundesrepublik oftmals, aber unzutreffenderweise mit "Aufklärung" aufgelöst. Die HV A wurde 1951 als Institut für Wirtschaftswissenschaftliche Forschung (IWF) gebildet und ging im September 1953 als HA XV in das Staatssekretariat für Staatssicherheit ein. Sie wurde im MfS von 1956 bis zur Auflösung im Juni 1990 als HV A bezeichnet.
Der Schwerpunkt nachrichtendienstlicher Tätigkeit der HV A lag in der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin, wo sie mit Objektquellen, d. h. den IM in den nachrichtendienstlichen Zielobjekten, aktiv war.
Die HV A gliederte sich 1956 in 15, 1989 in 20 Abteilungen.
Für die operative Arbeit gegen das Bundeskanzleramt und wichtige Bundesministerien war die Abteilung I, für die gegen die bundesdeutschen Parteien die Abteilung II und für die Arbeit außerhalb Deutschlands die Abteilung III zuständig. Für die Infiltration der USA war die Abteilung XI, für die NATO und die Europäischen Gemeinschaften die Abteilung XII verantwortlich. Mit der Militärspionage war die Abteilung IV befasst, mit der Unterwanderung gegnerischer Nachrichtendienste die Abteilung IX.
Innerhalb der Hauptverwaltung war vornehmlich der Sektor Wissenschaft und Technik (SWT) mit Wissenschafts- und Technikspionage befasst, der zu diesem Zweck die Abteilung XIII bis XV sowie die Arbeitsgruppen 1, 3 und 5 unterhielt sowie eine eigene Auswertungsabteilung, die Abteilung V bzw. ab 1959 Abteilung VII.
Leiter der HV A waren 1951/52 Anton Ackermann, kurzzeitig Richard Stahlmann, 1952-1986 Markus Wolf, dann Werner Großmann und 1989/90 Bernd Fischer. Von anfangs zwölf Mitarbeitern wuchs der Apparat bis 1955 auf 430, bis 1961 auf 524 Mitarbeiter und erreichte bis 1972 einen Umfang von 1.066 hauptamtlichen Mitarbeitern. Bis 1989 wuchs die HV A auf 3.299 hauptamtliche Mitarbeiter, hinzu kamen 701 OibE (1985: 1.006) sowie 778 HIM. OibE und HIM arbeiteten verdeckt in der DDR und im Operationsgebiet. Insgesamt verfügte die HV A also zuletzt über 4.778 Mitarbeiter.
Die Anzahl der von der HV A geführten IM umfasste im Jahre 1989 rund 13.400 in der DDR und weitere 1.550 in der Bundesrepublik. Über 40 Jahre hinweg werden nach Hochrechnungen insgesamt rund 6.000 Bundesbürger und Westberliner IM der HV A gewesen sein.
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Signatur: BStU, MfS, HV A, Nr. 644, Bl. 99-103
Auf dem Gipfeltreffen der Staaten des Warschauer Pakts am 7. Juli 1989 hob der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow die Breschnew-Doktrin auf. Damit war die bisher beschränkte Souveränität der sozialistischen Staaten offiziell beendet. Die für die Auslandsspionage tätige Hauptverwaltung A (HV A) berichtete, wie Bonner Regierungskreise auf den Warschauer-Pakt-Gipfel reagierten.
Im Sommer 1989 war bereits seit Monaten zu erkennen, dass sich die DDR-Führung mit ihrem reformfeindlichen Kurs von den Entwicklungen der anderen Warschauer-Pakt-Staaten isolierte (vgl. 7.4.1989). Auch der SED-Spitze war das nicht verborgen geblieben, sie wiegte sich aber in dem Glauben, die DDR sei eine Insel der Stabilität, während die Reformstaaten (Ungarn, Polen und Sowjetunion) immer tiefer in Turbulenzen gerieten. Im Juni und Juli 1989 kamen mehrere Ereignisse zusammen, die zeigten, wie illusionär die Auffassung war, die DDR könne sich dem entziehen.
Am 6. Juli sprach der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow vor dem Europarat in Straßburg und machte deutlich, dass die Sowjetunion nicht mehr den Anspruch erhob, über den Charakter des politischen Systems in den kleineren osteuropäischen Staaten zu bestimmen.
Am nächsten Tag fand in Bukarest das letzte Gipfeltreffen der Warschauer-Pakt-Staaten vor dem revolutionären Herbst statt. Reformer und Dogmatiker standen einander mit unvereinbaren Positionen gegenüber. In der Abschlusserklärung einigte man sich auf eine Kompromissformel: "Kein Land darf den Verlauf der Ereignisse innerhalb eines anderen Landes diktieren, keiner darf sich die Rolle eines Richters oder Schiedsrichters anmaßen." In den Stasi-Unterlagen hat dieses bedeutsame Ereignis (nach bisherigem Kenntnisstand) kaum Spuren hinterlassen. Aber über einen Umweg gelangte doch eine interessante Information in das Archiv: Die Spionageabteilung des MfS, die Hauptverwaltung A (HV A), berichtete, wie der Warschauer-Pakt-Gipfel in Bonner Regierungskreisen eingeschätzt wurde.
Dieses Papier war für die Mitglieder des SED-Politbüros bestimmt. Es informiert über die westliche Reaktion auf das letzte Gipfeltreffen der Ostblock-Staaten vor der Herbstrevolution, der Tagung des "Politischen Beratenden Ausschusses" (PBA) der Warschauer Vertragsorganisation. Grundlage waren offenbar vertrauliche Informationen, die Agenten der HV A, in der Bundesrepublik beschafft hatten.
In der Frage politischer Systemveränderung beeinträchtige der anhaltende Widerstand der orthodoxen Bündnispartner gegen eine stärkere Einbindung in den außenpolitischen Kurs der UdSSR weiterhin die blockinterne Kooperationsfähigkeit und begünstige die desintegrativen Tendenzen. Zwei wesentliche blockpolitische Zielsetzungen der sowjetischen Führung, die auch mit dem Blick auf die europapolitischen Interessen der UdSSR von eminenter Bedeutung seien, hätten wiederum nicht vorangebracht werden können. Das gelte zunächst für die sowjetischen Bemühungen zur [manuell unterstrichen: Umstrukturierung der Organisation des Warschauer Vertrages in ein (außen-)politisches Integrationsinstrument]. Durch die Erweiterung der Kompetenzen des Generalsekretärs bzw. durch die Installierung eines ständigen politischen Gemeinschaftsorgans (internationales Sekretariat) habe der Warschauer Vertrag unter gesamteuropäischem Aspekt zu einem adäquaten politischen Dialogpartner entsprechend den NATO- und EG-Einrichtungen aufgewertet werden sollen. Da das bisherige organisatorische Reglement beibehalten werde, gebe es für den angestrebten "konstruktiven" Dialog mit der NATO sowohl auf militärischem als auch auf politischem Gebiet auf höchster politischer Ebene im Warschauer Vertrag weiterhin keinen adäquaten infrastrukturellen Hintergrund.
Ebensowenig konsensfähig sei die beabsichtigte Reform des RGW nach marktwirtschaftlichen Kriterien geblieben. Die für Juli 1989 angekündigte nächste RGW-Ratstagung sei auf November dieses Jahres (Sofia) verschoben worden, um Zeit für das wiederholt anvisierte Arbeitstreffen der Parteichefs sozialistischer Länder zum Problem der RGW-Reform zu gewinnen. Dieser Thematik habe auch das separate Treffen der Parteiführer am Rande der PBA-Tagung gegolten. Nach wie vor werde die Verwirklichung der RGW-Reform (Bildung eines gemeinsamen Marktes), die in Sofia erneut den zentralen Diskussionspunkt bilden solle, trotz formaler Zustimmung - mit Ausnahme Rumäniens - durch die fortgesetzte Abneigung der orthodoxen Bündnispartner gegen eine Umorientierung der eigenen Volkswirtschaften bzw. der bi- und multilateralen ökonomischen Zusammenarbeit auf marktwirtschaftliche Prinzipien behindert. Die UdSSR habe in aller Deutlichkeit aufgezeigt, daß diese Hinhaltetaktik zu einer zunehmenden Beeinträchtigung der blockinternen Wirtschaftskooperation zu Lasten der reformorientierten Länder führe. Um diesen Schwebezustand endlich zu durchbrechen und einen praktikablen Erfolg der vorgesehenen Sofioter RGW-Ratstagung sicherzustellen, sei eine vorherige Problemlösung auf höchster politischer Ebene unumgänglich.
Aufklärung hatte innerhalb des MfS unterschiedliche Bedeutungen: Sie wird zur Bezeichnung des Tätigkeitsbereiches der Auslandsspionage verwendet, die überwiegend von der HV A getragen wurde, die teilweise auch kurz als Aufklärung bezeichnet wird. Darüber hinaus findet der Begriff Verwendung bei der Bezeichnung von Sachverhaltsermittlungen (Aufklärung eines Sachverhalts) und von Überprüfungen der Eignung von IM-Kandidaten (Aufklärung des Kandidaten).
Die Hauptverwaltung A (HV A) war die Spionageabteilung des MfS, deren Bezeichnung sich an die der Spionageabteilung des KGB, 1. Verwaltung, anlehnt. Der Ordnungsbuchstabe A wurde in der Bundesrepublik oftmals, aber unzutreffenderweise mit "Aufklärung" aufgelöst. Die HV A wurde 1951 als Institut für Wirtschaftswissenschaftliche Forschung (IWF) gebildet und ging im September 1953 als HA XV in das Staatssekretariat für Staatssicherheit ein. Sie wurde im MfS von 1956 bis zur Auflösung im Juni 1990 als HV A bezeichnet.
Der Schwerpunkt nachrichtendienstlicher Tätigkeit der HV A lag in der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin, wo sie mit Objektquellen, d. h. den IM in den nachrichtendienstlichen Zielobjekten, aktiv war.
Die HV A gliederte sich 1956 in 15, 1989 in 20 Abteilungen.
Für die operative Arbeit gegen das Bundeskanzleramt und wichtige Bundesministerien war die Abteilung I, für die gegen die bundesdeutschen Parteien die Abteilung II und für die Arbeit außerhalb Deutschlands die Abteilung III zuständig. Für die Infiltration der USA war die Abteilung XI, für die NATO und die Europäischen Gemeinschaften die Abteilung XII verantwortlich. Mit der Militärspionage war die Abteilung IV befasst, mit der Unterwanderung gegnerischer Nachrichtendienste die Abteilung IX.
Innerhalb der Hauptverwaltung war vornehmlich der Sektor Wissenschaft und Technik (SWT) mit Wissenschafts- und Technikspionage befasst, der zu diesem Zweck die Abteilung XIII bis XV sowie die Arbeitsgruppen 1, 3 und 5 unterhielt sowie eine eigene Auswertungsabteilung, die Abteilung V bzw. ab 1959 Abteilung VII.
Leiter der HV A waren 1951/52 Anton Ackermann, kurzzeitig Richard Stahlmann, 1952-1986 Markus Wolf, dann Werner Großmann und 1989/90 Bernd Fischer. Von anfangs zwölf Mitarbeitern wuchs der Apparat bis 1955 auf 430, bis 1961 auf 524 Mitarbeiter und erreichte bis 1972 einen Umfang von 1.066 hauptamtlichen Mitarbeitern. Bis 1989 wuchs die HV A auf 3.299 hauptamtliche Mitarbeiter, hinzu kamen 701 OibE (1985: 1.006) sowie 778 HIM. OibE und HIM arbeiteten verdeckt in der DDR und im Operationsgebiet. Insgesamt verfügte die HV A also zuletzt über 4.778 Mitarbeiter.
Die Anzahl der von der HV A geführten IM umfasste im Jahre 1989 rund 13.400 in der DDR und weitere 1.550 in der Bundesrepublik. Über 40 Jahre hinweg werden nach Hochrechnungen insgesamt rund 6.000 Bundesbürger und Westberliner IM der HV A gewesen sein.
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Signatur: BStU, MfS, HV A, Nr. 644, Bl. 99-103
Auf dem Gipfeltreffen der Staaten des Warschauer Pakts am 7. Juli 1989 hob der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow die Breschnew-Doktrin auf. Damit war die bisher beschränkte Souveränität der sozialistischen Staaten offiziell beendet. Die für die Auslandsspionage tätige Hauptverwaltung A (HV A) berichtete, wie Bonner Regierungskreise auf den Warschauer-Pakt-Gipfel reagierten.
Im Sommer 1989 war bereits seit Monaten zu erkennen, dass sich die DDR-Führung mit ihrem reformfeindlichen Kurs von den Entwicklungen der anderen Warschauer-Pakt-Staaten isolierte (vgl. 7.4.1989). Auch der SED-Spitze war das nicht verborgen geblieben, sie wiegte sich aber in dem Glauben, die DDR sei eine Insel der Stabilität, während die Reformstaaten (Ungarn, Polen und Sowjetunion) immer tiefer in Turbulenzen gerieten. Im Juni und Juli 1989 kamen mehrere Ereignisse zusammen, die zeigten, wie illusionär die Auffassung war, die DDR könne sich dem entziehen.
Am 6. Juli sprach der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow vor dem Europarat in Straßburg und machte deutlich, dass die Sowjetunion nicht mehr den Anspruch erhob, über den Charakter des politischen Systems in den kleineren osteuropäischen Staaten zu bestimmen.
Am nächsten Tag fand in Bukarest das letzte Gipfeltreffen der Warschauer-Pakt-Staaten vor dem revolutionären Herbst statt. Reformer und Dogmatiker standen einander mit unvereinbaren Positionen gegenüber. In der Abschlusserklärung einigte man sich auf eine Kompromissformel: "Kein Land darf den Verlauf der Ereignisse innerhalb eines anderen Landes diktieren, keiner darf sich die Rolle eines Richters oder Schiedsrichters anmaßen." In den Stasi-Unterlagen hat dieses bedeutsame Ereignis (nach bisherigem Kenntnisstand) kaum Spuren hinterlassen. Aber über einen Umweg gelangte doch eine interessante Information in das Archiv: Die Spionageabteilung des MfS, die Hauptverwaltung A (HV A), berichtete, wie der Warschauer-Pakt-Gipfel in Bonner Regierungskreisen eingeschätzt wurde.
Dieses Papier war für die Mitglieder des SED-Politbüros bestimmt. Es informiert über die westliche Reaktion auf das letzte Gipfeltreffen der Ostblock-Staaten vor der Herbstrevolution, der Tagung des "Politischen Beratenden Ausschusses" (PBA) der Warschauer Vertragsorganisation. Grundlage waren offenbar vertrauliche Informationen, die Agenten der HV A, in der Bundesrepublik beschafft hatten.
Das Dilemma, daß der Reformwiderstand einiger Bündnispartner blockintern zu einer teilweisen politischen Lähmung geführt habe, sei auch mit der Bukarester PBA-Tagung für M. Gorbatschow nicht geringer geworden. Das Kommunique und die Erklärung bestätigten einmal mehr das Recht jedes Bruderstaates auf eigenständige Festlegung der politischen Linie sowie die Legitimität einer Vielfalt von Sozialismusvarianten und sprächen sich gegen jegliche Form der Einmischung aus. Während die reformfreudigen Bündnispartner diese Aussagen zu Recht als einen neuerlichen und noch verbindlicheren Verzicht der UdSSR auf blockinterne politisch-ideologische Bevormundung und ein Interventionsrecht würdigten, nutzten die Orthodoxen diese sowjetischen Zusicherungen in weit größerem Umfang, um ihren konservativen Kurs gegenüber dem Reformbegehren der UdSSR abzusichern. Die bekundete Zuversicht, daß die sozialistischen Staaten ihre gegenwärtigen politischen und sozioökonomischen Probleme lösen könnten, erscheine zwiespältig und deute auf die abwartende Zurückhaltung der orthodoxen Länder gegenüber den weiteren Entwicklungen in der UdSSR, in Ungarn und Polen hin. Diese Position werde besonders durch den Umstand begünstigt, daß die reformorientierten Länder mit einer ungleich gravierenderen Krisensituation konfrontiert seien als die orthodoxen Staaten. Eine Änderung sei wohl erst zu erwarten, wenn M. Gorbatschow auf wirtschaftlichem Gebiet reformpolitische Erfolge aufzuweisen habe bzw. wenn sich auch in den reformzögernden /-abstinenten Staaten die wachsenden Schwierigkeiten schärfer manifestierten.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Aufklärung hatte innerhalb des MfS unterschiedliche Bedeutungen: Sie wird zur Bezeichnung des Tätigkeitsbereiches der Auslandsspionage verwendet, die überwiegend von der HV A getragen wurde, die teilweise auch kurz als Aufklärung bezeichnet wird. Darüber hinaus findet der Begriff Verwendung bei der Bezeichnung von Sachverhaltsermittlungen (Aufklärung eines Sachverhalts) und von Überprüfungen der Eignung von IM-Kandidaten (Aufklärung des Kandidaten).
Die Hauptverwaltung A (HV A) war die Spionageabteilung des MfS, deren Bezeichnung sich an die der Spionageabteilung des KGB, 1. Verwaltung, anlehnt. Der Ordnungsbuchstabe A wurde in der Bundesrepublik oftmals, aber unzutreffenderweise mit "Aufklärung" aufgelöst. Die HV A wurde 1951 als Institut für Wirtschaftswissenschaftliche Forschung (IWF) gebildet und ging im September 1953 als HA XV in das Staatssekretariat für Staatssicherheit ein. Sie wurde im MfS von 1956 bis zur Auflösung im Juni 1990 als HV A bezeichnet.
Der Schwerpunkt nachrichtendienstlicher Tätigkeit der HV A lag in der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin, wo sie mit Objektquellen, d. h. den IM in den nachrichtendienstlichen Zielobjekten, aktiv war.
Die HV A gliederte sich 1956 in 15, 1989 in 20 Abteilungen.
Für die operative Arbeit gegen das Bundeskanzleramt und wichtige Bundesministerien war die Abteilung I, für die gegen die bundesdeutschen Parteien die Abteilung II und für die Arbeit außerhalb Deutschlands die Abteilung III zuständig. Für die Infiltration der USA war die Abteilung XI, für die NATO und die Europäischen Gemeinschaften die Abteilung XII verantwortlich. Mit der Militärspionage war die Abteilung IV befasst, mit der Unterwanderung gegnerischer Nachrichtendienste die Abteilung IX.
Innerhalb der Hauptverwaltung war vornehmlich der Sektor Wissenschaft und Technik (SWT) mit Wissenschafts- und Technikspionage befasst, der zu diesem Zweck die Abteilung XIII bis XV sowie die Arbeitsgruppen 1, 3 und 5 unterhielt sowie eine eigene Auswertungsabteilung, die Abteilung V bzw. ab 1959 Abteilung VII.
Leiter der HV A waren 1951/52 Anton Ackermann, kurzzeitig Richard Stahlmann, 1952-1986 Markus Wolf, dann Werner Großmann und 1989/90 Bernd Fischer. Von anfangs zwölf Mitarbeitern wuchs der Apparat bis 1955 auf 430, bis 1961 auf 524 Mitarbeiter und erreichte bis 1972 einen Umfang von 1.066 hauptamtlichen Mitarbeitern. Bis 1989 wuchs die HV A auf 3.299 hauptamtliche Mitarbeiter, hinzu kamen 701 OibE (1985: 1.006) sowie 778 HIM. OibE und HIM arbeiteten verdeckt in der DDR und im Operationsgebiet. Insgesamt verfügte die HV A also zuletzt über 4.778 Mitarbeiter.
Die Anzahl der von der HV A geführten IM umfasste im Jahre 1989 rund 13.400 in der DDR und weitere 1.550 in der Bundesrepublik. Über 40 Jahre hinweg werden nach Hochrechnungen insgesamt rund 6.000 Bundesbürger und Westberliner IM der HV A gewesen sein.
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Referat Erich Mielkes zur Auswertung der 8. Tagung des Zentralkomitees der SED Dokument, 146 Seiten
"Monatsübersicht 8/89 über aktuelle Probleme der Lageentwicklung in sozialistischen Staaten" Dokument, 34 Seiten
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