Signatur: BStU, MfS, HA IX, Nr. 16677, Bl. 16-21
1973 entwickelte die Staatssicherheit einen Plan, um den kritischen Künstler Wolf Biermann gegen seinen Willen auszubürgern.
Wolf Biermann, Sohn einer kommunistischen Arbeiterfamilie aus Hamburg, siedelte 1953 als Schüler in die DDR über. Er hielt den Staat für das bessere Deutschland. Dort nahm er ein Studium am Berliner Ensemble, dem von Bertolt Brecht gegründeten Theater, auf. Mit seinen Liedern und Gedichten, die er bald zu schreiben begann, geriet er zunehmend in Konflikt mit der strengen Linie der Staatspartei SED. 1965 verhängte das Politbüro ein totales Auftrittsverbot gegen den Künstler. Darüber hinaus hörte die Staatssicherheit Biermanns Wohnung und Telefongespräche ab, las seine Briefe und setzte auch Spitzel auf ihn an. Ihn einzusperren oder „verschwinden“ zu lassen hätte dagegen zu viele unerwünschte internationale Reaktionen nach sich gezogen.
Obwohl seine künstlerischen Wirkungsmöglichkeiten dadurch auf private Räume eingeschränkt wurden, gewann Biermann weiterhin an Popularität – auch im Westen Deutschlands. Dort veröffentlichte er Schallplatten und Gedichtbände. Das SED-Regime konnte dies nicht verhindern und auch Auftritte des Liedermachers in anderen Staaten formal nicht verbieten. Die DDR-Oberen verweigerten ihm jedoch die Ausreise, wenn es Anfragen an den Liedermacher aus dem Ausland gab. Die einzige Ausnahme sei, so bestimmte SED-Chefideologe Kurt Hager, „dass Biermann eine Ausreise in kapitalistische Länder gestattet werden sollte in der Hoffnung, dass er nicht in die DDR zurückkehrt“. Das aber lag dem Sänger fern.
Deshalb entwickelte das MfS 1973 den vorliegenden Plan, Biermann gegen seinen Willen auszubürgern. Die Stasioffiziere entwarfen eine Strategie, die vorsah, den Liedermacher in den Westen reisen zu lassen, um ihm dann, wenn er dort seine Lieder öffentlich singt, die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Im Oktober 1976 setzte die SED-Spitze dieses Vorhaben um, als sie Biermann vordergründig erlaubte, für einige Konzerte in die Bundesrepublik auszureisen.
Ausgehend von dem dargelegten Sachverhalt, insbesondere von der sich verfestigenden Feindschaft zur sozialistischen Staats-und Gesellschaftsordnung in der DDR verbunden mit einer zunehmenden Intensivierung seiner feindlichen Aktivitäten und seinem Bestreben, sich als sogenanntes Opfer der politischen Verhältnisse in der DDR darzustellen, ist es erforderlich, die Bearbeitung Biermanns abzuschließen.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Biermann im Jahre 1953 von Hamburg in die DDR übersiedelte und ihm im Rahmen des Aufnahmeverfahrens unter der Voraussetzung, daß er die damit verbundenen staatsbürgerlichen Pflichten achten wird, die Staatsbürgerschaft der DDR verliehen wurde, ist auf Grund seines dargelegten feindlichen Vorgehens gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der Abschluß der Bearbeitung Biermanns durch den Entzug der Staatsbürgerschaft der DDR und der damit verbundenen Ausweisung vorgesehen.
Da gemäß § 12 Abs. 2 Staatsbürgerschaftsgesetz der Widerruf der Verleihung nur innerhalb eines Zeitraumes von 5 Jahren möglich ist, sind als weitere gesetzliche Voraussetzungen des Verlustes der Staatsbürgerschaft gemäß § 5 Staatsbürgerschaftsgesetz die Aberkennung oder die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft gegeben.
Zur Realisierung des Abschlusses der Bearbeitung Biermanns erfolgt die Einleitung folgender Maßnahmen:
1. Mit dem Ziel der Aberkennung der Staatsbürgerschaft, die gemäß § 13 Staatsbürgerschaftsgesetz voraussetzt, daß Biermann während seines Aufenthaltes im nichtsozialistischen Ausland in grober Weise die staatsbürgerlichen Pflichten verletzt, wird unter Ausnutzung des Briefes des dänischen Staatsbürgers Knudsen die Beantragung und Genehmigung einer Reise Biermanns nach Westdeutschland eingeleitet. Zu diesem Zweck erhält der dänische Staatsbürger Knudsen
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1973 entwickelte die Staatssicherheit einen Plan, um den kritischen Künstler Wolf Biermann gegen seinen Willen auszubürgern.
Wolf Biermann, Sohn einer kommunistischen Arbeiterfamilie aus Hamburg, siedelte 1953 als Schüler in die DDR über. Er hielt den Staat für das bessere Deutschland. Dort nahm er ein Studium am Berliner Ensemble, dem von Bertolt Brecht gegründeten Theater, auf. Mit seinen Liedern und Gedichten, die er bald zu schreiben begann, geriet er zunehmend in Konflikt mit der strengen Linie der Staatspartei SED. 1965 verhängte das Politbüro ein totales Auftrittsverbot gegen den Künstler. Darüber hinaus hörte die Staatssicherheit Biermanns Wohnung und Telefongespräche ab, las seine Briefe und setzte auch Spitzel auf ihn an. Ihn einzusperren oder „verschwinden“ zu lassen hätte dagegen zu viele unerwünschte internationale Reaktionen nach sich gezogen.
Obwohl seine künstlerischen Wirkungsmöglichkeiten dadurch auf private Räume eingeschränkt wurden, gewann Biermann weiterhin an Popularität – auch im Westen Deutschlands. Dort veröffentlichte er Schallplatten und Gedichtbände. Das SED-Regime konnte dies nicht verhindern und auch Auftritte des Liedermachers in anderen Staaten formal nicht verbieten. Die DDR-Oberen verweigerten ihm jedoch die Ausreise, wenn es Anfragen an den Liedermacher aus dem Ausland gab. Die einzige Ausnahme sei, so bestimmte SED-Chefideologe Kurt Hager, „dass Biermann eine Ausreise in kapitalistische Länder gestattet werden sollte in der Hoffnung, dass er nicht in die DDR zurückkehrt“. Das aber lag dem Sänger fern.
Deshalb entwickelte das MfS 1973 den vorliegenden Plan, Biermann gegen seinen Willen auszubürgern. Die Stasioffiziere entwarfen eine Strategie, die vorsah, den Liedermacher in den Westen reisen zu lassen, um ihm dann, wenn er dort seine Lieder öffentlich singt, die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Im Oktober 1976 setzte die SED-Spitze dieses Vorhaben um, als sie Biermann vordergründig erlaubte, für einige Konzerte in die Bundesrepublik auszureisen.
in Beantwortung seines Schreibens vom 26. 3. 1973
- durch die Kanzlei des Staatsrates die Mitteilung, daß sein Schreiben zuständigkeitshalber zur weiteren Bearbeitung an das Präsidium der Volkspolizei weitergeleitet wurde und danach
- durch das Präsidium der Volkspolizei unter Beachtung der zulässigen Bearbeitungsfrist nach ca. 14 Tagen die Mitteilung, daß bisher noch kein entsprechender Antrag Biermanns vorliegt und somit die Voraussetzungen der Bearbeitung nicht gegeben sind.
Im Ergebnis dessen soll die Beantragung einer Reise durch Biermann in dringenden Familienangelegenheiten zu seiner Großmutter nach Hamburg erreicht werden. Im Rahmen des üblichen Verfahrensweges wird einer seitens Biermanns zu erwartenden Forderung nach einer Garantie für eine Wiedereinreisegenehmigung damit begegnet, daß entsprechend den bestehenden gesetzlichen Regelungen dies nicht üblich ist, da die Erteilung einer befristeten Ausreisegenehmigung die Rückkehr des betreffenden Bürgers voraussetzt und dies auch von ihm erwartet wird. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, daß auf Grund der dafür geltenden gesetzlichen Festlegungen, wonach Ausreisegenehmigungen in dringenden Familienangelegenheiten nur in der DDR wohnhaften Großeltern, Eltern, Kindern und Geschwistern erteilt werden können, eine extensive Auslegung der Anordnung über Regelungen im Reiseverkehr erfolgen müßte. Da einzuschätzen ist, daß Biermann bei Durchführung einer solchen Reise seine staatsbürgerlichen Pflichten verletzt, besteht gemäß § 13 Staatsbürgerschaftsgesetz die Voraussetzung für die Aberkennung der Staatsbürgerschaft der DDR und die damit verbundene ständige Ausweisung aus dem Gebiet der DDR. Ausgehend von der Möglichkeit, daß Biermann in Kenntnis der sich daraus für ihn ergebenden Konsequenzen ein offenes feindliches Auftreten vermeidet, sind jedoch grobe Pflichtverletzungen durch solche Handlungen wie
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1973 entwickelte die Staatssicherheit einen Plan, um den kritischen Künstler Wolf Biermann gegen seinen Willen auszubürgern.
Wolf Biermann, Sohn einer kommunistischen Arbeiterfamilie aus Hamburg, siedelte 1953 als Schüler in die DDR über. Er hielt den Staat für das bessere Deutschland. Dort nahm er ein Studium am Berliner Ensemble, dem von Bertolt Brecht gegründeten Theater, auf. Mit seinen Liedern und Gedichten, die er bald zu schreiben begann, geriet er zunehmend in Konflikt mit der strengen Linie der Staatspartei SED. 1965 verhängte das Politbüro ein totales Auftrittsverbot gegen den Künstler. Darüber hinaus hörte die Staatssicherheit Biermanns Wohnung und Telefongespräche ab, las seine Briefe und setzte auch Spitzel auf ihn an. Ihn einzusperren oder „verschwinden“ zu lassen hätte dagegen zu viele unerwünschte internationale Reaktionen nach sich gezogen.
Obwohl seine künstlerischen Wirkungsmöglichkeiten dadurch auf private Räume eingeschränkt wurden, gewann Biermann weiterhin an Popularität – auch im Westen Deutschlands. Dort veröffentlichte er Schallplatten und Gedichtbände. Das SED-Regime konnte dies nicht verhindern und auch Auftritte des Liedermachers in anderen Staaten formal nicht verbieten. Die DDR-Oberen verweigerten ihm jedoch die Ausreise, wenn es Anfragen an den Liedermacher aus dem Ausland gab. Die einzige Ausnahme sei, so bestimmte SED-Chefideologe Kurt Hager, „dass Biermann eine Ausreise in kapitalistische Länder gestattet werden sollte in der Hoffnung, dass er nicht in die DDR zurückkehrt“. Das aber lag dem Sänger fern.
Deshalb entwickelte das MfS 1973 den vorliegenden Plan, Biermann gegen seinen Willen auszubürgern. Die Stasioffiziere entwarfen eine Strategie, die vorsah, den Liedermacher in den Westen reisen zu lassen, um ihm dann, wenn er dort seine Lieder öffentlich singt, die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Im Oktober 1976 setzte die SED-Spitze dieses Vorhaben um, als sie Biermann vordergründig erlaubte, für einige Konzerte in die Bundesrepublik auszureisen.
Gespräche mit Verlagen zur Veröffentlichung seiner Schriften, Auftreten in Veranstaltungen, Fertigung von Rundfunk-, Fernseh- und Schallplattenaufnahmen sowie das Aufsuchen anderer Staaten zu erwarten. Dies bildet die gesetzliche Voraussetzung, um Biermann die Staatsbürgerschaft der DDR abzuerkennen und die Wiedereinreise nicht zu gestatten. Versuche Biermanns im Zusammenwirken mit westlichen Publikationsorganen oder anderen Einrichtungen nachzuweisen, daß er seine staatsbürgerlichen Pflichten konsequent einhielt, könnten durch das Verweisen auf das jahrelange gemeinsame feindliche Vorgehen gegen die DDR als haltlos zurückgewiesen werden.
2. Bei Nichtdurchführung der angestrebten Reise erfolgt in Verwirklichung der Version der Entlassung aus der Staatsbürgerschaft, die einen entsprechenden schriftlichen Antrag des Betreffenden voraussetzt, die vorläufige Festnahme Biermanns wegen der von ihm begangenen Straftaten gemäß §§ 106 und 108 StGB.
Im Ergebnis der innerhalb der gesetzlichen zulässigen Frist von 24 Stunden zu führenden Vernehmung wird Biermann seiner Straftaten überführt, ihm die für seine Straftaten vom Gesetz angedrohte Freiheitsstrafe mitgeteilt und ihm dabei alternativ die Möglichkeit der schriftlichen Beantragung einer Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR und die damit verbundene Übersiedlung nach Westdeutschland nahegelegt. Die Durchführung dieser Untersuchungshandlung erfolgt unter Teilnahme eines Staatsanwaltes der Abteilung IA beim Generalstaatsanwalt der DDR.
Ausgehend von der mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretenden Ablehnung der Beantragung einer Entlassung aus der Staatsbürgerschaft und einer damit verbundenen provokatorischen Forderung seitens Biermanns zur Verbüßung der Freiheitsstrafe, sollte auch gegen seinen Willen eine sofortige Ausweisung nach Westdeutschland vorgenommen werden.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
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Plan zur Durchführung der Ausbürgerung Wolf Biermanns mit Argumentationshilfen Dokument, 5 Seiten
Anordnung zum Einziehen des Reisepasses von Wolf Biermann Dokument, 1 Seite
Wolf Biermann bei der Ausreise am Grenzübergang Friedrichstraße 1 Fotografie
Dokumentation über Wolf Biermanns Ausreise aus der DDR am 11.11.1976 Dokument, 4 Seiten