Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 4256, Bl. 18-25
Ein Bericht der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe stellt fest: Die Stimmung unter den Ausreisewilligen unterscheidet sich nicht wesentlich von jener der restlichen Bevölkerung.
Im ersten Halbjahr 1989 hatten über 100.000 Bürger Anträge darauf gestellt, aus der DDR in die Bundesrepublik überzusiedeln. Nach bisherigen Erfahrungen würden sie Monate, wenn nicht Jahre auf eine Genehmigung warten müssen. Doch plötzlich eröffnete sich eine neue Möglichkeit: Ungarn begann im Mai 1989 die Grenzanlagen nach Österreich abzubauen und damit durchlässiger zu machen. Zugleich wurden DDR-Bürger, die bei einem Fluchtversuch in den Westen festgenommen worden waren, nur noch in seltenen Fällen in ihr Herkunftsland abgeschoben.
Die ersten Wagemutigen riskierten im Juni und Juli 1989 den immer noch gefährlichen Weg über die "grüne Grenze". Noch im August wurde ein DDR-Bürger an dieser Grenze erschossen. Andere suchten die bundesdeutschen Botschaften in Budapest und in Prag in der Hoffnung auf, von dort in die Bundesrepublik abgeschoben zu werden. Aus Dutzenden wurden bald Hunderte, aus Hunderten Tausende und Zehntausende.
Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe versuchte, die Motive der Flüchtenden herauszuarbeiten. Der vorliegende Bericht thematisiert die Stimmung unter den Ausreisewilligen. Die Kernbotschaft dieses Papiers ist, dass diese sich nicht wesentlich von jener der restlichen Bevölkerung unterschied.
Die Anhänger des Regimes, die "progressiven Kräfte", aber würden darauf mit "Besorgnis und Beunruhigung bis hin zu Verunsicherung" reagieren und kaum mehr wagen, dem zu widersprechen. Sie warteten darauf, dass von der SED-Führung "schnellstmöglich Maßnahmen einleitet, die zur Überwindung bestehender Probleme in der DDR führen".
Wenn die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe als das Gehirn der Staatssicherheit solche Forderungen "progressiven Kräften" in den Mund legt, kann man davon ausgehen, dass damit nicht zuletzt die intelligenteren Stasi-Offiziere selbst gemeint waren.
Berlin, 13. September 1989
Streng geheim!
Hinweise auf die Reaktion der Bevölkerung im Zusammenhang mit der ständigen Ausreise von Bürgern aus der DDR bzw. dem ungesetzlichen Verlassen der DDR
Die Problematik der ständigen Ausreise von Bürgern der DDR in das nichtsozialistische Ausland sowie des ungesetzlichen Verlassens der DDR bildet einen wesentlichen Schwerpunkt in der Reaktion der Bevölkerung. Die Entwicklung der Lage auf diesem Gebiet hat unter großen Teilen der Bevölkerung, vor allem aber unter progressiven Kräften, Besorgnis und Beunruhigung bis hin zu Verunsicherung ausgelöst.
Von vielen progressiven Kräften, insbesondere von Werktätigen aus Großbetrieben sowie von Mitarbeitern staatlicher und wirtschaftsleitender Organe und Angehörigen der Intelligenz,wird zunehmend die Erwartung geäußert - teilweise trägt dies Forderungscharakter -, daß sich die Partei- und Staatsführung tiefgründig und umfassend mit den Ursachen und begünstigenden Bedingungen dieser Entwicklung beschäftigt und schnellstmöglich Maßnahmen einleitet, die zur Überwindung bestehender Probleme in der DDR führen.
[Der folgende Abschnitt wurde über einen anderen (Text-)Abschnitt des Blattes geklebt.]
Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf in allen Bevölkerungskreisen zunehmende Auffassungen, daß man angesichts der "Massenflucht" von DDR-Bürgern, der hohen und offenbar weiter steigenden Anzahl von Antragstellungen auf ständige Ausreise und damit verbundenen Ausreisen und der Entwicklung des ungesetzlichen Verlassens der DDR, insbesondere unter Ausnutzung des Reiseverkehrs, Angst vor der Zukunft haben müsse.
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 4256, Bl. 18-25
Ein Bericht der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe stellt fest: Die Stimmung unter den Ausreisewilligen unterscheidet sich nicht wesentlich von jener der restlichen Bevölkerung.
Im ersten Halbjahr 1989 hatten über 100.000 Bürger Anträge darauf gestellt, aus der DDR in die Bundesrepublik überzusiedeln. Nach bisherigen Erfahrungen würden sie Monate, wenn nicht Jahre auf eine Genehmigung warten müssen. Doch plötzlich eröffnete sich eine neue Möglichkeit: Ungarn begann im Mai 1989 die Grenzanlagen nach Österreich abzubauen und damit durchlässiger zu machen. Zugleich wurden DDR-Bürger, die bei einem Fluchtversuch in den Westen festgenommen worden waren, nur noch in seltenen Fällen in ihr Herkunftsland abgeschoben.
Die ersten Wagemutigen riskierten im Juni und Juli 1989 den immer noch gefährlichen Weg über die "grüne Grenze". Noch im August wurde ein DDR-Bürger an dieser Grenze erschossen. Andere suchten die bundesdeutschen Botschaften in Budapest und in Prag in der Hoffnung auf, von dort in die Bundesrepublik abgeschoben zu werden. Aus Dutzenden wurden bald Hunderte, aus Hunderten Tausende und Zehntausende.
Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe versuchte, die Motive der Flüchtenden herauszuarbeiten. Der vorliegende Bericht thematisiert die Stimmung unter den Ausreisewilligen. Die Kernbotschaft dieses Papiers ist, dass diese sich nicht wesentlich von jener der restlichen Bevölkerung unterschied.
Die Anhänger des Regimes, die "progressiven Kräfte", aber würden darauf mit "Besorgnis und Beunruhigung bis hin zu Verunsicherung" reagieren und kaum mehr wagen, dem zu widersprechen. Sie warteten darauf, dass von der SED-Führung "schnellstmöglich Maßnahmen einleitet, die zur Überwindung bestehender Probleme in der DDR führen".
Wenn die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe als das Gehirn der Staatssicherheit solche Forderungen "progressiven Kräften" in den Mund legt, kann man davon ausgehen, dass damit nicht zuletzt die intelligenteren Stasi-Offiziere selbst gemeint waren.
Es sei zu befürchten, daß sich dadurch die vorhandenen Probleme in der DDR weiter zuspitzen und es zu einer weiteren Verschlechterung der Stimmungslage der Bevölkerung komme.
Mit großer Besorgnis wird auch die Frage gestellt, ob die DDR angesichts der ohnehin angespannten Arbeitskräftesituation eine Verringerung des gesellschaftlichen Arbeitskräftepotentials, vor allem im Hinblick auf den Weggang einer großen Zahl von Hoch- und Fachschulkadern sowie Facharbeitern, in diesem Umfang volkswirtschaftlich verkraften könne.
[Die folgenden Abschnitte wurde über das Blatt geklebt.]
Dies treffe besonders zu auf Bereiche der materiellen Produktion sowie Forschung und Entwicklung, Handel/Versorgung und Dienstleistungen einschließlich des Gaststättenwesens sowie in besonderem Maße auf das Gesundheitswesen.
Leitungskader und Mitarbeiter, vor allem aus den genannten Bereichen, schätzen ein, daß bei weiteren ständigen Ausreisen entsprechend der gegenwärtigen Praxis und bei weiter anhaltendem ungesetzlichen Verlassen unter Ausnutzung besonders des Reiseverkehrs erhebliche Abstriche an gestellten Aufgaben und Leistungszielen unumgänglich seien, die weitreichende negative Folgen besonders auf sozialpolitischem Gebiet und bei der medizinischen Grundbetreuung der Bevölkerung hätten. Insbesondere Mitarbeiter in medizinischen Einrichtungen erklären unter Hinweis auf den "Abgang" qualifzierten medizinischen Personals, bereits jetzt solchen enormen Belastungen ausgesetzt zu sein, denen auf Dauer physisch und psychisch nicht standzuhalten sei. Dies schaffe neue Anlässe für Antragstellungen auf ständige Ausreise bzw. für das ungesetzliche Verlassen.
[Die folgenden Abschnitte wurde über das Blatt geklebt.]
Immer wieder wird Unverständnis geäußert, daß so viele Bürger, vor allem Jugendliche und Jungerwachsene, ihre gesicherte soziale Existenz in der DDR aufgeben und ins Ungewisse fahren.
Sehr häufig wird in diesem Zusammenhang, besonders von vielen älteren Bürgern, darunter von Mitgliedern der SED, die Frage gestellt, warum hauptsächlich junge Menschen, die doch im Sozialismus aufgewachsen und erzogen wurden, in der DDR umfassende soziale Unter-
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 4256, Bl. 18-25
Ein Bericht der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe stellt fest: Die Stimmung unter den Ausreisewilligen unterscheidet sich nicht wesentlich von jener der restlichen Bevölkerung.
Im ersten Halbjahr 1989 hatten über 100.000 Bürger Anträge darauf gestellt, aus der DDR in die Bundesrepublik überzusiedeln. Nach bisherigen Erfahrungen würden sie Monate, wenn nicht Jahre auf eine Genehmigung warten müssen. Doch plötzlich eröffnete sich eine neue Möglichkeit: Ungarn begann im Mai 1989 die Grenzanlagen nach Österreich abzubauen und damit durchlässiger zu machen. Zugleich wurden DDR-Bürger, die bei einem Fluchtversuch in den Westen festgenommen worden waren, nur noch in seltenen Fällen in ihr Herkunftsland abgeschoben.
Die ersten Wagemutigen riskierten im Juni und Juli 1989 den immer noch gefährlichen Weg über die "grüne Grenze". Noch im August wurde ein DDR-Bürger an dieser Grenze erschossen. Andere suchten die bundesdeutschen Botschaften in Budapest und in Prag in der Hoffnung auf, von dort in die Bundesrepublik abgeschoben zu werden. Aus Dutzenden wurden bald Hunderte, aus Hunderten Tausende und Zehntausende.
Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe versuchte, die Motive der Flüchtenden herauszuarbeiten. Der vorliegende Bericht thematisiert die Stimmung unter den Ausreisewilligen. Die Kernbotschaft dieses Papiers ist, dass diese sich nicht wesentlich von jener der restlichen Bevölkerung unterschied.
Die Anhänger des Regimes, die "progressiven Kräfte", aber würden darauf mit "Besorgnis und Beunruhigung bis hin zu Verunsicherung" reagieren und kaum mehr wagen, dem zu widersprechen. Sie warteten darauf, dass von der SED-Führung "schnellstmöglich Maßnahmen einleitet, die zur Überwindung bestehender Probleme in der DDR führen".
Wenn die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe als das Gehirn der Staatssicherheit solche Forderungen "progressiven Kräften" in den Mund legt, kann man davon ausgehen, dass damit nicht zuletzt die intelligenteren Stasi-Offiziere selbst gemeint waren.
stützung und Förderung erfahren haben, glauben, ihre persönlichen Perspektiven nur unter kapitalistischen Verhältnissen verwirklichen zu können.
Nahezu übereinstimmend wird in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, es seien in der politisch-ideologischen Erziehung der Jugend Fehler gemacht und Mängel zugelassen worden.
Eine Ursache sei darin zu sehen, daß der Jugend in der Schule und während der Berufsausbildung ein "Idealbild" vom Sozialismus vermittelt werde, das beim Eintritt in das Berufsleben mit der Praxis und dem Alltagsleben nicht mehr übereinstimme. Die dadurch auftretenden Probleme würden, maßgeblich mit zurückzuführen auf die fortgesetzte Einflußnahme seitens westlicher Massenmedien, von jungen Menschen häufig als Widerspruch zwischen Theorie und Praxis empfunden.
Die für die Jugend wirksamen sozialpolitischen Maßnahmen würden oft als Selbstverständlichkeit angesehen, die erreichten und geschaffenen materiellen und ideellen Werte des Sozialismus oft nicht genügend geschätzt. Es sei eine starke Orientierung an materiellen Werten festzustellen. Diese jungen Menschen sähen dann offenbar im Verlassen der DDR die einzige Chance zur Erfüllung ihrer Wünsche.
Ältere Bürger äußern, sie hätten unter komplizierten Bedingungen und auch unter persönlichen Entbehrungen an der Gestaltung des Sozialismus in der DDR aktiv mitgewirkt, ohne von Partei und Staat in einem mit der Jugend vergleichbaren Maße sozialpolitisch gefördert und unterstützt worden zu sein.
In den sehr umfangreich und häufig sehr heftig geführten Diskussionen zu den Ursachen und begünstigenden Bedingungen für diese gesamte Entwicklung wird mehrheitlich zum Ausdruck gebracht, die eigentlichen Ursachen lägen in der seit langem angestauten Unzufriedenheit breitester Teile der Bevölkerung mit einer Vielzahl ungelöster Probleme
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Hinweise auf Reaktionen von SED-Mitgliedern und Funktionären auf die Lage in der DDR Dokument, 8 Seiten
Reaktionen der DDR-Bevölkerung auf die erste offizielle "Reiseverordnung" Dokument, 11 Seiten
Reaktionen der DDR-Bevölkerung und Vorkommnisse anlässlich der zeitweiligen Aussetzung des pass- und visafreien Reiseverkehrs in die Tschechoslowakei Dokument, 6 Seiten
Meinungen aus der DDR-Bevölkerung zu den bevorstehenden Kommunalwahlen 1989 Dokument, 8 Seiten