Referat Erich Mielkes auf einer Dienstbesprechung kurz vor den Kommunalwahlen 1989
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 8677, Bl. 1-177
Bei den DDR-Kommunalwahlen im Mai 1989 konnten Bürgerrechtsgruppen der SED-Führung erstmals Wahlfälschung nachweisen. Bei einer zentralen Dienstbesprechung des Ministeriums für Staatssicherheit im Vorfeld der Wahlen schilderte Minister Erich Mielke seine Befürchtungen zu den Vorhaben der Oppositionellen.
Spätestens seit Mitte der 80er Jahre lag das politische und wirtschaftliche System der DDR am Boden. Immer mehr Menschen kehrten ihrem Land den Rücken. Viele derer, die blieben, brachten ihre Unzufriedenheit deutlicher denn je zum Ausdruck. Politische Veränderungen in Polen und in der Sowjetunion gaben ihnen Mut und Hoffnung auf einen Wandel auch in der DDR.
Am 7. Mai 1989 waren die Bürgerinnen und Bürger der DDR aufgerufen, anlässlich der Kommunalwahlen den Kandidaten der Nationalen Front ihre Stimme zu geben. Wie immer stand nur diese eine Liste zur Auswahl. Mit "Ja" zu stimmen, bedeutete, den Stimmzettel zu falten und in die Wahlurne einzuwerfen. Für ein "Nein" musste jeder einzelne Kandidat in den obligatorisch aufgebauten Wahlkabinen sauber waagerecht durchgestrichen werden. Andere Kenntlichmachungen führten zu einer ungültigen Stimmenabgabe. Im Volksmund wurden die Wahlen daher auch als "Zettelfalten" bezeichnet.
Schon bei den vorangegangenen Volkskammerwahlen waren Vorwürfe der Wahlfälschung über westliche Medien erstmals öffentlich geworden. Anfang 1989 riefen verschiedene Gruppen von Oppositionellen zum Wahlboykott auf, forderten freie Wahlen und die Beobachtung der Stimmenauszählung. Letztere war nach § 37 (1) des DDR-Wahlgesetzes öffentlich und auch nach der Verfassung der DDR nicht verboten.
Trotzdem war angesichts der Erfahrung früherer Repressalien, auch durch die Stasi, die Teilnahme daran ein mutiger Schritt. Doch auch diese Aussichten konnten zahlreiche Bürgerinnen und Bürger nicht davon abhalten, extra spät zur Wahl zu gehen oder gegen 18:00 Uhr erneut die Wahllokale aufzusuchen, um die Auszählung zu beobachten. Landesweit fanden in etwa 1.000 Wahllokalen die Stimmenauszählungen unter ihrer Teilnahme statt. Die von den tatsächlichen Wahlergebnissen abweichenden veröffentlichten Zahlen sorgten für zahlreiche Proteste in vielen Städten.
Im Vorfeld der Kommunalwahlen fand eine zentrale Dienstbesprechung des Ministeriums für Staatssicherheit statt. Minister Erich Mielke ging in seiner Rede auch auf die Wahlen ein und schilderte ausführlich seine Befürchtung, dass die "feindlich-negativen Kräfte" dieses Ereignis für eine "Destabilisierung der politischen Machtverhältnisse in der DDR" nutzen würden, was es aus seiner Sicht zu verhindern galt, ohne dass es für "Außenstehende … sichtbar" würde. Ausführlich schildert er die Vorbereitungen von Bürgerrechtsgruppen, um die Stimmenauszählung zu überwachen.
Metadaten
- Datum:
- 28.4.1989
- Rechte:
- BStU
- Überlieferungsform:
- Dokument
In Wirklichkeit muß es im Rahmen echter Demokratie den verbrecherischen Elementen weitaus schlechter und den Bürgern weitaus besser gehen. So muß es, auf eine Formel gebracht, aussehen. Wir müssen die Situation ernsthaft korrigieren. Im Interesse der ganzen Gesellschaft, jedes Arbeitskollektivs, jedes einzelnen Bürgers muß alles getan werden, damit unsere Rechtsschutzorgane entschlossen, sachkundig und überzeugt, in voller Übereinstimmung mit dem Gesetz handeln. Hier, Genossen, kann man meiner Ansicht nach nicht geteilter Meinung sein. Natürlich müssen wir mit allen Mitteln die Ebene der Kompetenz der Rechtsschutzorgane erhöhen, sie mit ehrlichen und unbestechlichen Kadern festigen, von zufälligen und unwürdigen Personen befreien. Wenn wir jedoch wollen, daß unsere Gesetze wirksam werden, daß sie uns sowie den Prozeß der Demokratisierung, Offenheit und Umgestaltung schützen, müssen die Rechtsschutzorgane gleichzeitig die ständige Unterstützung seitens der Gesellschaft bei der Ausübung ihrer keineswegs leichten Pflicht spüren. Natürlich müssen wir für sie sowohl in moralischer als auch in materieller Hinsicht Sorge tragen. Der Schutz der Rechtsordnung, der staatlichen und gesellschaftlichen Disziplin ist Anliegen aller Bürger, der ganzen Gesellschaft, aller Arbeitskollektive. Das verkündet unsere Verfassung."
Soweit das Zitat. Wir haben immer in diesem Sinne gearbeitet, und das werden wir auch weiter tun, so wie wir die Aufgaben heute gestellt haben. Bei ihrer Realisierung wünsche ich Euch viel Erfolg.