Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 8677, Bl. 1-177
Bei den DDR-Kommunalwahlen im Mai 1989 konnten Bürgerrechtsgruppen der SED-Führung erstmals Wahlfälschung nachweisen. Bei einer zentralen Dienstbesprechung des Ministeriums für Staatssicherheit im Vorfeld der Wahlen schilderte Minister Erich Mielke seine Befürchtungen zu den Vorhaben der Oppositionellen.
Spätestens seit Mitte der 80er Jahre lag das politische und wirtschaftliche System der DDR am Boden. Immer mehr Menschen kehrten ihrem Land den Rücken. Viele derer, die blieben, brachten ihre Unzufriedenheit deutlicher denn je zum Ausdruck. Politische Veränderungen in Polen und in der Sowjetunion gaben ihnen Mut und Hoffnung auf einen Wandel auch in der DDR.
Am 7. Mai 1989 waren die Bürgerinnen und Bürger der DDR aufgerufen, anlässlich der Kommunalwahlen den Kandidaten der Nationalen Front ihre Stimme zu geben. Wie immer stand nur diese eine Liste zur Auswahl. Mit "Ja" zu stimmen, bedeutete, den Stimmzettel zu falten und in die Wahlurne einzuwerfen. Für ein "Nein" musste jeder einzelne Kandidat in den obligatorisch aufgebauten Wahlkabinen sauber waagerecht durchgestrichen werden. Andere Kenntlichmachungen führten zu einer ungültigen Stimmenabgabe. Im Volksmund wurden die Wahlen daher auch als "Zettelfalten" bezeichnet.
Schon bei den vorangegangenen Volkskammerwahlen waren Vorwürfe der Wahlfälschung über westliche Medien erstmals öffentlich geworden. Anfang 1989 riefen verschiedene Gruppen von Oppositionellen zum Wahlboykott auf, forderten freie Wahlen und die Beobachtung der Stimmenauszählung. Letztere war nach § 37 (1) des DDR-Wahlgesetzes öffentlich und auch nach der Verfassung der DDR nicht verboten.
Trotzdem war angesichts der Erfahrung früherer Repressalien, auch durch die Stasi, die Teilnahme daran ein mutiger Schritt. Doch auch diese Aussichten konnten zahlreiche Bürgerinnen und Bürger nicht davon abhalten, extra spät zur Wahl zu gehen oder gegen 18:00 Uhr erneut die Wahllokale aufzusuchen, um die Auszählung zu beobachten. Landesweit fanden in etwa 1.000 Wahllokalen die Stimmenauszählungen unter ihrer Teilnahme statt. Die von den tatsächlichen Wahlergebnissen abweichenden veröffentlichten Zahlen sorgten für zahlreiche Proteste in vielen Städten.
Im Vorfeld der Kommunalwahlen fand eine zentrale Dienstbesprechung des Ministeriums für Staatssicherheit statt. Minister Erich Mielke ging in seiner Rede auch auf die Wahlen ein und schilderte ausführlich seine Befürchtung, dass die "feindlich-negativen Kräfte" dieses Ereignis für eine "Destabilisierung der politischen Machtverhältnisse in der DDR" nutzen würden, was es aus seiner Sicht zu verhindern galt, ohne dass es für "Außenstehende … sichtbar" würde. Ausführlich schildert er die Vorbereitungen von Bürgerrechtsgruppen, um die Stimmenauszählung zu überwachen.
Alle diese Faktoren müssen in der politisch-operativen Arbeit im Rahmen der weiteren Vorbereitung und Durchführung der Aktion mit in Rechnung gestellt werden, damit rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet werden können und wir durch nichts überrascht werden.
Um ein Wirksamwerden gegnerischer Kräfte im Zusammenhang mit dem Pfingsttreffen weitestgehend vorbeugend zu verhindern, ist eine umfassende operative Kontrolle und Überwachung des grenzüberschreitenden Reiseverkehrs, besonders bezogen auf die Hauptstadt, zu gewährleisten. Personen, bei denen der begründete Verdacht besteht, daß sie mit feindlichen Aktivitäten gegen das Treffen wirksam werden wollen, sind unter Nutzung anderer Anlässe zurückzuweisen bzw. es sind gegen sie zeitlich begrenzte Reisesperrmaßnahmen einzuleiten.
Alle angewiesenen Maßnahmen zur Verhinderung von provokatorisch-demonstrativen Handlungen und anderen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten seitens reaktionärer kirchlicher u.a. feindlich-negativer Kräfte, besonders von Kräften politischer Untergrundtätigkeit, Mitgliedern sogenannter kirchlicher Basisgruppen und von Antragstellern auf ständige Ausreise, sind konsequent und zielstrebig durchzusetzen.
Die Kirchen gerieten nicht selten unter Verdacht, gegen die politischen Verhältnisse in der DDR zu opponieren. Das lag an ihrer weitgehenden Eigenständigkeit, an der christlichen Botschaft, die von den kommunistischen Ideologen als konkurrierendes Sinn- und Erklärungsangebot abgelehnt wurde, sowie an ihrem Beharren auf Mitsprache und Gestaltungsanspruch in gesellschaftlichen Fragen. Im Auftrag der SED wurde daher das MfS tätig, um die von den Kirchen ausgehenden vermeintlichen und tatsächlichen Gefahren für das politisch-ideologische System der DDR abzuwehren.
Die SED-Kirchenpolitik war in den vier Jahrzehnten der DDR Wandlungen unterworfen. In den 50er Jahren führte die SED mehrfach einen offenen Kirchenkampf. Dieser richtete sich u. a. gegen die kirchliche Jugend- und Studentenarbeit, v. a. bei der Einführung der Jugendweihe, sowie gegen karitative Einrichtungen wie die Bahnhofsmissionen. Mehrere Religionsgemeinschaften wurden verboten und deren Anhänger verfolgt.
Die SED war zudem bestrebt, die Verlesung von solchen Hirtenbriefen und Kanzelabkündigungen zu unterbinden, in denen sozialethische, gesellschaftskritische oder politische Fragen aufgegriffen wurden. Von der Polizei und dem MfS wurden kirchliche Einrichtungen durchsucht und Literatur beschlagnahmt. Neben kirchlichen Mitarbeitern wurden unter Mitwirkung des MfS auch Pfarrer – zwischen 1950 und 1960 mindestens 140 – inhaftiert.
Ab den 60er Jahren beschränkte sich die SED zunehmend darauf, durch eine rigorose Auslegung der Veranstaltungsordnung unerwünschte kirchliche Aktivitäten zu behindern. Das offizielle Eindringen in kirchliche Räume wie im November 1987, als es nachts in der Zionsgemeinde in Ostberlin zu Durchsuchungen und Festnahmen kam, war in den 70er und 80er Jahren eher untypisch, weil dies die Staat-Kirche-Beziehungen erheblich belastete. Vor allem seit 1978 bemühte sich die SED, ein Stillhalteabkommen zwischen Kirchenleitungen und Staat zu respektieren.
Das MfS versuchte aber stets, indirekt Einfluss auf kirchliche Entscheidungen zu nehmen. Dies und die verdeckte Informationsbeschaffung zählten zu den Hauptbetätigungsfeldern des MfS im Rahmen der von der SED konzipierten Kirchenpolitik. Die Informationsbeschaffung erfolgte mittels Observation, IM-Einsatz und auf dem Weg der sog. Gesprächsabschöpfung. Dabei gelang es in Einzelfällen auch, Christen in kirchlichen Leitungspositionen als IM zu gewinnen.
So arbeitete der thüringische Kirchenjurist und Oberkirchenrat Gerhard Lotz seit 1955 mit dem MfS als IM "Karl" zusammen. Durch die Positionierung eines Offiziers im besonderen Einsatz im Konsistorium in Magdeburg, Detlev Hammer, der ab 1974 juristischer, dann Oberkonsistorialrat war, vermochte es das MfS, einen hauptamtlichen Mitarbeiter innerhalb der Leitungsstruktur der provinzsächsischen Kirche zu platzieren. Außerdem hatte das MfS gegenüber den Kirchen dann tätig zu werden, wenn Verdachtsmomente dafür vorlagen, dass die Kirchen über den ihnen von der SED zugewiesenen religiös-kultischen Bereich hinaus tätig wurden.
Dementsprechend observierte das MfS Kirchengemeinden und Pfarrer, die – wie es beim MfS hieß – im Rahmen der "Partnerschaftsarbeit" Besuchskontakt zu Kirchengemeinden in der Bundesrepublik unterhielten. Das MfS legte hierzu OV an und ermittelte gegen die Organisatoren der Zusammenkünfte.
Als Ziele der MfS-Aufklärung galten ebenso kirchliche Synoden und Basistreffen, auf denen grundsätzlich die potenzielle Gefahr bestand, dass Kritik an den Verhältnissen in der DDR geübt werden würde. In das Blickfeld des MfS rückten die evangelischen Kirchen insbesondere ab Mitte der 70er Jahre: Zunächst rief die auch unter nichtkirchlichen Jugendlichen an Attraktivität gewinnende kirchliche Jugendarbeit, dann die Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsarbeit unter dem Dach der Kirche den Argwohn des MfS hervor.
Insgesamt war das MfS nur eine von mehreren Institutionen des SED-Staates, die im Rahmen der SED-Kirchenpolitik tätig wurden. Im Zusammenspiel mit ihnen versuchte das MfS, die Kirchen zu kontrollieren und zu disziplinieren.
In Auswertung der kirchenpolitischen Kampagnen der 50er Jahre und bestärkt durch konzeptionelle Arbeiten, drängte die SED-Führung ab Anfang der 80er Jahre zunehmend auf ein koordiniertes Vorgehen. Die vom MdI und den Abteilungen für Inneres erstellten Rapportmeldungen, Berichte und Personeneinschätzungen zu Gottesdiensten und kirchlichen Mitarbeitern wurden vereinbarungsgemäß dem MfS zur Verfügung gestellt und bildeten häufig den Grundstock jener Berichte und Personencharakteristiken, die sich in den Beständen des MfS wiederfinden.
Bereits vor Gründung des MfS hatte bei der Deutschen Verwaltung des Innern in der Abteilung K 5 das Referat C 3 existiert. Als Aufgabenbeschreibung wurde die "Aufklärung und Bekämpfung der kirchlichen Feindtätigkeit" genannt. Ab 1950 bestand im MfS zunächst die Abteilung V, die sich ab 1953 Hauptabteilung V nannte und 1964 im Zuge einer Umstrukturierung zur Hauptabteilung XX wurde.
Innerhalb dieser Organisationsstruktur zeichnete die Abt. 4 für die "Bearbeitung" der Kirchen verantwortlich. 1988 gliedert sich diese in sechs Fachreferate, wobei je eins für die evangelischen Kirchen, die katholische Kirche sowie die Religionsgemeinschaften und Sekten zuständig war. Ein Referat widmete sich Operativen Vorgängen. Als Schwerpunkt der Arbeit wurde die "Bekämpfung der politischen Untergrundtätigkeit" benannt. Zwei weitere Referate nahmen koordinierende Funktionen wahr.
Neben der Hauptabteilung XX/4 stützte sich das MfS bei der Bekämpfung und Infiltration der Kirchen auf die Zuarbeit verschiedener Hauptabteilungen und Abteilungen - so u. a. auf die Dienste der HV A bei der "Aufklärung" von westlichen Partnergemeinden und Pfarrern, die die kirchliche Friedensarbeit in den ostdeutschen Gemeinden unterstützten. Im Fall der Inhaftierung kirchlicher Mitarbeiter übernahm die Hauptabteilung IX als Untersuchungsorgan den Vorgang.
Hinzu kamen andere institutionalisierte Formen der "Bearbeitung". Als politisch-ideologische fungierte ab 1958 das Referat Familienforschung, das Verwicklungen missliebiger Kirchenvertreter in das NS-Regime aufdecken oder konstruieren sollte, um die so Diffamierten unter Druck setzen zu können. Angesiedelt war es beim Deutschen Zentralarchiv in Potsdam. Es verwaltete verschiedene aus NS-Beständen stammende Unterlagen und wertete sie aus. Dabei handelte es sich um eine verdeckt arbeitende Einrichtung des MfS.
Um den steigenden Informationsbedarf – unter Berücksichtigung der Spezifik kirchlicher und religiöser Angelegenheiten – zu decken und um Sonderaufträge u. a. auch im Ausland ausführen zu können, etablierte das MfS 1960 die sog. Auswertungsgruppe, die dem Referat V zugeordnet wurde. In einem konspirativen Objekt in Berlin-Pankow ("Institut Wandlitz") arbeiteten hauptamtliche IM und mehrere OibE zusammen.
Seine "Absicherung" fand das Vorgehen des MfS gegenüber den Kirchen durch ein umfangreiches Netz von OibE und IM, die das MfS im Staatssekretariat für Kirchenfragen und in den Kirchenabteilungen der DDR-Bezirke unterhielt. 1989 gab es im Staatssekretariat drei OibE; zudem berichtete der persönliche Referent und Büroleiter der Staatssekretäre Hans Seigewasser und Klaus Gysi, Horst Dohle, ab 1975 als IM "Horst" dem MfS. Insgesamt aber gelang es dem MfS nicht, die Kirchen umfassend zu unterwandern.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 8677, Bl. 1-177
Bei den DDR-Kommunalwahlen im Mai 1989 konnten Bürgerrechtsgruppen der SED-Führung erstmals Wahlfälschung nachweisen. Bei einer zentralen Dienstbesprechung des Ministeriums für Staatssicherheit im Vorfeld der Wahlen schilderte Minister Erich Mielke seine Befürchtungen zu den Vorhaben der Oppositionellen.
Spätestens seit Mitte der 80er Jahre lag das politische und wirtschaftliche System der DDR am Boden. Immer mehr Menschen kehrten ihrem Land den Rücken. Viele derer, die blieben, brachten ihre Unzufriedenheit deutlicher denn je zum Ausdruck. Politische Veränderungen in Polen und in der Sowjetunion gaben ihnen Mut und Hoffnung auf einen Wandel auch in der DDR.
Am 7. Mai 1989 waren die Bürgerinnen und Bürger der DDR aufgerufen, anlässlich der Kommunalwahlen den Kandidaten der Nationalen Front ihre Stimme zu geben. Wie immer stand nur diese eine Liste zur Auswahl. Mit "Ja" zu stimmen, bedeutete, den Stimmzettel zu falten und in die Wahlurne einzuwerfen. Für ein "Nein" musste jeder einzelne Kandidat in den obligatorisch aufgebauten Wahlkabinen sauber waagerecht durchgestrichen werden. Andere Kenntlichmachungen führten zu einer ungültigen Stimmenabgabe. Im Volksmund wurden die Wahlen daher auch als "Zettelfalten" bezeichnet.
Schon bei den vorangegangenen Volkskammerwahlen waren Vorwürfe der Wahlfälschung über westliche Medien erstmals öffentlich geworden. Anfang 1989 riefen verschiedene Gruppen von Oppositionellen zum Wahlboykott auf, forderten freie Wahlen und die Beobachtung der Stimmenauszählung. Letztere war nach § 37 (1) des DDR-Wahlgesetzes öffentlich und auch nach der Verfassung der DDR nicht verboten.
Trotzdem war angesichts der Erfahrung früherer Repressalien, auch durch die Stasi, die Teilnahme daran ein mutiger Schritt. Doch auch diese Aussichten konnten zahlreiche Bürgerinnen und Bürger nicht davon abhalten, extra spät zur Wahl zu gehen oder gegen 18:00 Uhr erneut die Wahllokale aufzusuchen, um die Auszählung zu beobachten. Landesweit fanden in etwa 1.000 Wahllokalen die Stimmenauszählungen unter ihrer Teilnahme statt. Die von den tatsächlichen Wahlergebnissen abweichenden veröffentlichten Zahlen sorgten für zahlreiche Proteste in vielen Städten.
Im Vorfeld der Kommunalwahlen fand eine zentrale Dienstbesprechung des Ministeriums für Staatssicherheit statt. Minister Erich Mielke ging in seiner Rede auch auf die Wahlen ein und schilderte ausführlich seine Befürchtung, dass die "feindlich-negativen Kräfte" dieses Ereignis für eine "Destabilisierung der politischen Machtverhältnisse in der DDR" nutzen würden, was es aus seiner Sicht zu verhindern galt, ohne dass es für "Außenstehende … sichtbar" würde. Ausführlich schildert er die Vorbereitungen von Bürgerrechtsgruppen, um die Stimmenauszählung zu überwachen.
Personen, zu denen Informationen bzw. Verdachtshinweise auf beabsichtigte feindlich-negative Handlungen oder Störaktionen vorliegen, müssen im jeweiligen Verantwortungsbereich unter Nutzung der erforderlichen operativen Kräfte und Mittel unverzüglich bis zur zweifelsfreien Klärung operativ bearbeitet, so unter Kontrolle gehalten werden, daß ihr Wirksamwerden konsequent verhindert wird. Bearbeitungs- und Kontrollmaßnahmen sind insbesondere gegen hinlänglich bekannte Führungskräfte und Mitglieder feindlicher, oppositionellerGruppierungen einzuleiten, die bereits in der Vergangenheit anläßlich gesellschaftlicher Höhepunkte mit provokatorisch-demonstrativen Handlungen bzw. anderweitigen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten in Erscheinung getreten sind bzw. dies beabsichtigten.
Gruppierungen bzw. Konzentrationen negativ-dekadenter Jugendlicher, vor allem von Skinheads und Punks, sowie sogenannte Punk-Rock-Gruppen müssen ebenfalls unter verstärkter operativer Kontrolle gehalten werden, um rechtzeitig mögliche Pläne und Absichten zu erkennen und vorbeugend zu unterbinden.
Generell muß es dabei darum gehen, durch eine gewissenhafte operative Kontrolle und Bearbeitung aller Personenkreise, von denen Gefahren ausgehen können, und durch eine vorausschauende Einschätzung der Entwicklung der politisch-operativen Lage rechtzeitig eventuelle Anlässse, Ansatzpunkte und Umstände für ein mögliches Wirksamwerden feindlich-negativer Kräfte und negativ-dekadenter Jugendlicher zu erkennen.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 8677, Bl. 1-177
Bei den DDR-Kommunalwahlen im Mai 1989 konnten Bürgerrechtsgruppen der SED-Führung erstmals Wahlfälschung nachweisen. Bei einer zentralen Dienstbesprechung des Ministeriums für Staatssicherheit im Vorfeld der Wahlen schilderte Minister Erich Mielke seine Befürchtungen zu den Vorhaben der Oppositionellen.
Spätestens seit Mitte der 80er Jahre lag das politische und wirtschaftliche System der DDR am Boden. Immer mehr Menschen kehrten ihrem Land den Rücken. Viele derer, die blieben, brachten ihre Unzufriedenheit deutlicher denn je zum Ausdruck. Politische Veränderungen in Polen und in der Sowjetunion gaben ihnen Mut und Hoffnung auf einen Wandel auch in der DDR.
Am 7. Mai 1989 waren die Bürgerinnen und Bürger der DDR aufgerufen, anlässlich der Kommunalwahlen den Kandidaten der Nationalen Front ihre Stimme zu geben. Wie immer stand nur diese eine Liste zur Auswahl. Mit "Ja" zu stimmen, bedeutete, den Stimmzettel zu falten und in die Wahlurne einzuwerfen. Für ein "Nein" musste jeder einzelne Kandidat in den obligatorisch aufgebauten Wahlkabinen sauber waagerecht durchgestrichen werden. Andere Kenntlichmachungen führten zu einer ungültigen Stimmenabgabe. Im Volksmund wurden die Wahlen daher auch als "Zettelfalten" bezeichnet.
Schon bei den vorangegangenen Volkskammerwahlen waren Vorwürfe der Wahlfälschung über westliche Medien erstmals öffentlich geworden. Anfang 1989 riefen verschiedene Gruppen von Oppositionellen zum Wahlboykott auf, forderten freie Wahlen und die Beobachtung der Stimmenauszählung. Letztere war nach § 37 (1) des DDR-Wahlgesetzes öffentlich und auch nach der Verfassung der DDR nicht verboten.
Trotzdem war angesichts der Erfahrung früherer Repressalien, auch durch die Stasi, die Teilnahme daran ein mutiger Schritt. Doch auch diese Aussichten konnten zahlreiche Bürgerinnen und Bürger nicht davon abhalten, extra spät zur Wahl zu gehen oder gegen 18:00 Uhr erneut die Wahllokale aufzusuchen, um die Auszählung zu beobachten. Landesweit fanden in etwa 1.000 Wahllokalen die Stimmenauszählungen unter ihrer Teilnahme statt. Die von den tatsächlichen Wahlergebnissen abweichenden veröffentlichten Zahlen sorgten für zahlreiche Proteste in vielen Städten.
Im Vorfeld der Kommunalwahlen fand eine zentrale Dienstbesprechung des Ministeriums für Staatssicherheit statt. Minister Erich Mielke ging in seiner Rede auch auf die Wahlen ein und schilderte ausführlich seine Befürchtung, dass die "feindlich-negativen Kräfte" dieses Ereignis für eine "Destabilisierung der politischen Machtverhältnisse in der DDR" nutzen würden, was es aus seiner Sicht zu verhindern galt, ohne dass es für "Außenstehende … sichtbar" würde. Ausführlich schildert er die Vorbereitungen von Bürgerrechtsgruppen, um die Stimmenauszählung zu überwachen.
Im Zusammenwirken mit den anderen Schutz- und Sicherheitsorganen, den zuständigen Organen und gesellschaftlichen Kräften sowie den jeweiligen Verantwortlichen müssen alle Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem Pfingsttreffen durch geeignete Maßnahmen so abgesichert werden, daß die öffentliche Ordnung und Sicherheit jederzeit gewährleistet wird.
Von negativ-dekadenten Jugendlichen vor und während des Pfingsttreffens begangene kriminelle Handlungen, Ordnungswidrigkeiten und andere gesellschaftswidrige Handlungen sind konzentriert zu bearbeiten und kurzfristig aufzuklären. Unter differenzierter Nutzung aller rechtlichen Möglichkeiten sind die Betreffenden zur Verantwortung zu ziehen.
Bei schwerwiegenden Verstößen im Zusammenhang mit Rowdytum und anderen Gefährdungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ist, wenn dazu die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, die Festnahme dieser Personen zu veranlassen.
Nachdrücklich hebe ich die Aufgabe hervor, im engen und kameradschaftlichen Zusammenwirken mit den anderen Schutz-und Sicherheitsorganen, den zuständigen staatlichen Organen und gesellschaftlichen Organisationen und Kräften die Anreise von feindlich-negativen Personen, negativ-dekadenten Jugendlichen und kriminell gefährdeten Personen in die Hauptstadt konsequent zu unterbinden.
Als Ordnungswidrigkeiten galten nach DDR-Recht schuldhafte Verhaltensweisen, "die die staatliche Leitungstätigkeit erschweren oder die Entwicklung des sozialistischen Gemeinschaftslebens stören" (Gesetz zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten vom 12.1.1968). Durch Ordnungsstrafen sollte der Rechtsverletzer diszipliniert werden und anderen damit als erzieherisches Beispiel dienen. Die Strafandrohung war mit maximal 500 Mark, in Ausnahmefällen 1.000 Mark, im Vergleich zum Strafgesetzbuch relativ begrenzt.
Die Staatssicherheit bediente sich dieses Repressionsinstruments in Zusammenarbeit mit der Volkspolizei vor allem seit Mitte der 80er Jahre, als auf spektakuläre Strafprozesse gegen Oppositionelle verzichtet werden sollte, um das internationale Ansehen der DDR nicht zu gefährden. Erich Mielke erklärte 1984, die neu erlassene Verordnung zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten ermögliche, "gegen Personen vorzugehen, die aus anderen rechtspolitischen Gründen strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden sollen".
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Referat Erich Mielkes zur Auswertung der 8. Tagung des Zentralkomitees der SED Dokument, 146 Seiten
Dienstbesprechung zwischen Mielke und den Chefs der Bezirksverwaltungen Dokument, 79 Seiten
Referat Erich Mielkes zur "Übersiedlung" auf einer Dienstbesprechung Dokument, 60 Seiten
"Monatsübersicht 8/89 über aktuelle Probleme der Lageentwicklung in sozialistischen Staaten" Dokument, 34 Seiten