Signatur: BStU, MfS, BdL/Dok., Nr. 5299, Bl. 1-3
Das Inkrafttreten einer neuen Reiseverordnung im Januar 1989 löste in der DDR eine Welle an Kritik aus. Nachdem Generalsekretär Erich Honecker die Einschränkungen für Besuchsreisen ins westliche Ausland am 13. März zurücknahm, übermittelte Minister Erich Mielke am Tag darauf seinen Untergebenen die veränderte Rechtslage.
Seit dem Mauerbau im Jahr 1961 durften DDR-Bürgerinnen und -Bürger nur unter bestimmten Voraussetzungen in den Westen reisen. Die wichtigsten waren: Rentenalter, Dienstreise oder eine Genehmigung wegen einer "dringenden Familienangelegenheit" (zum Beispiel der "runde Geburtstag" eines engen Verwandten). Für den "normalen" berufstätigen DDR-Bürger war letzteres fast die einzige Möglichkeit für eine derartige Reise. Ursprünglich sehr restriktiv gehandhabt, nahm die Zahl die Reisegenehmigungen in den 1980er Jahren stetig zu. 1988 durften immerhin 1,4 Millionen Menschen mit einer solchen Begründung in den Westen fahren.
Die Stasi hatte dagegen erhebliche Bedenken: Sie fürchtete, dass die Reisenden als Spione angeworben werden könnten, auf jeden Fall aber wären sie "feindlichen ideologischen Einflüssen" ausgesetzt. Und der Reiseverkehr brachte von der Überprüfung der Antragsteller bis zur Überwachung der Rückkehrer eine Menge Arbeit mit sich.
Im Zuge der Wiener Nachfolgekonferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) sah sich der SED-Staat gezwungen, der bis dahin undurchschaubaren Praxis der Reisegenehmigungen eine rechtliche Form zu geben. Deshalb wurde im Machtapparat eine "Reiseverordnung" ausgearbeitet. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nutzte die Gelegenheit, um Regelungen durchzusetzen, die den Reiseverkehr verringern sollten. Nachdem die neue Reiseverordnung in Kraft trat, zeigten sich die Folgen: Bürgern, die zuvor noch hatten fahren dürfen, wurde jetzt eine solche Genehmigung versagt. Ihr Antrag wurde von der Volkspolizei nicht einmal entgegengenommen. Die Empörung darüber war beträchtlich.
Die Einschränkung der Reisemöglichkeiten durch die "Reiseverordnung" vom 30. November 1988 war vor allem auf die Einflussnahme der Staatssicherheit zurückzuführen. Als diese Regelung am 13. März 1989 durch Erich Honecker wieder aufgehoben wurde, war das eine Niederlage für die Staatssicherheit. Minister Erich Mielke übermittelte einen Tag später die veränderte Rechtslage an seine Untergebenen und wies darauf hin, dass die Anträge für Privatreisen fortan zunehmen würden.
dem Mißbrauch des Privatreiseverkehrs rechtzeitig erkannt werden.
Den leitenden Partei- und Staatsfunktionären sind entsprechende, mit den zuständigen Diensteinheiten abgestimmte Informationen zu übergeben.
Dieses Schreiben ist der 3. Durchführungsbestimmung zur Dienstanweisung Nr. 4/85, VVS MfS o008-75/88, beizufügen.
[Unterschrift: Mielke]
Armeegeneral
Anlage
1956 entstanden durch Umbenennung der Abteilung Allgemeines. Aufgaben des Büros der Leitung waren unter anderem
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Signatur: BStU, MfS, BdL/Dok., Nr. 5299, Bl. 1-3
Das Inkrafttreten einer neuen Reiseverordnung im Januar 1989 löste in der DDR eine Welle an Kritik aus. Nachdem Generalsekretär Erich Honecker die Einschränkungen für Besuchsreisen ins westliche Ausland am 13. März zurücknahm, übermittelte Minister Erich Mielke am Tag darauf seinen Untergebenen die veränderte Rechtslage.
Seit dem Mauerbau im Jahr 1961 durften DDR-Bürgerinnen und -Bürger nur unter bestimmten Voraussetzungen in den Westen reisen. Die wichtigsten waren: Rentenalter, Dienstreise oder eine Genehmigung wegen einer "dringenden Familienangelegenheit" (zum Beispiel der "runde Geburtstag" eines engen Verwandten). Für den "normalen" berufstätigen DDR-Bürger war letzteres fast die einzige Möglichkeit für eine derartige Reise. Ursprünglich sehr restriktiv gehandhabt, nahm die Zahl die Reisegenehmigungen in den 1980er Jahren stetig zu. 1988 durften immerhin 1,4 Millionen Menschen mit einer solchen Begründung in den Westen fahren.
Die Stasi hatte dagegen erhebliche Bedenken: Sie fürchtete, dass die Reisenden als Spione angeworben werden könnten, auf jeden Fall aber wären sie "feindlichen ideologischen Einflüssen" ausgesetzt. Und der Reiseverkehr brachte von der Überprüfung der Antragsteller bis zur Überwachung der Rückkehrer eine Menge Arbeit mit sich.
Im Zuge der Wiener Nachfolgekonferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) sah sich der SED-Staat gezwungen, der bis dahin undurchschaubaren Praxis der Reisegenehmigungen eine rechtliche Form zu geben. Deshalb wurde im Machtapparat eine "Reiseverordnung" ausgearbeitet. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nutzte die Gelegenheit, um Regelungen durchzusetzen, die den Reiseverkehr verringern sollten. Nachdem die neue Reiseverordnung in Kraft trat, zeigten sich die Folgen: Bürgern, die zuvor noch hatten fahren dürfen, wurde jetzt eine solche Genehmigung versagt. Ihr Antrag wurde von der Volkspolizei nicht einmal entgegengenommen. Die Empörung darüber war beträchtlich.
Die Einschränkung der Reisemöglichkeiten durch die "Reiseverordnung" vom 30. November 1988 war vor allem auf die Einflussnahme der Staatssicherheit zurückzuführen. Als diese Regelung am 13. März 1989 durch Erich Honecker wieder aufgehoben wurde, war das eine Niederlage für die Staatssicherheit. Minister Erich Mielke übermittelte einen Tag später die veränderte Rechtslage an seine Untergebenen und wies darauf hin, dass die Anträge für Privatreisen fortan zunehmen würden.
Anlage
Erste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über Reisen von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Ausland
Auf der Grundlage des § 22 der Verordnung vom 30. November 1988 über Reisen von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Ausland (GBl. I Nr. 25 S. 271) wird folgendes bestimmt:
Zu § 7 Absätze 1 und 2 der Verordnung:
§ 1
(1) Anträge auf Privatreisen anläßlich von Geburten können auch gestellt werden, wenn die Reise einen Monat vor dem voraussichtlichen Geburtstermin oder bis zu drei Monaten nach der Geburt erfolgen soll.
(2) Anträge auf Privatreisen bei Sterbefällen können auch gestellt werden, wenn die Reise bis zu drei Monaten nach dem Sterbefall erfolgen soll.
§ 2
Anträge auf Privatreisen bei Pflegebedürftigkeit können jeweils für mehrmalige Reisen gestellt werden.
§ 3
Anträge auf Privatreisen bei lebensgefährlichen Erkrankungen und Sterbefällen von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik während ihres Aufenthaltes im Ausland können von den Ehegatten und den in § 7 der Verordnung genannten Personen gestellt werden.
§ 4
Anträge auf Privatreisen von Tanten, Onkeln, Nichten und Neffen können auch zu den Ehegatten der Verwandten gestellt werden, wenn bei diesen Gründe gemäß § 7 Absatz 2 der Verordnung vorliegen. Dies gilt entsprechend für die Ehegatten der Antragsberechtigten bei Reisen zu deren Verwandten.
§ 5
Anträge auf Privatreisen können von Bürgern gestellt werden, die Schwerstbeschädigte auf einer Privatreise begleiten sollen, soweit eine Begleitung erforderlich ist.
§ 6
Anträge auf Privatreisen können von Bürgern, die mit Ausländern verheiratet sind, bei Reisen in deren Heimatstaat ohne Vorliegen besonderer Gründe gestellt werden.
Schlußbestimmung
§ 7
Diese Durchführungsbestimmung tritt am 1. April 1989 in Kraft.
Minister des Innern und Chef der Deutschen Volkspolizei
1956 entstanden durch Umbenennung der Abteilung Allgemeines. Aufgaben des Büros der Leitung waren unter anderem
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