Signatur: BStU, MfS, BV Leipzig, AU, Nr. 252/66, Bd. 5, Bl. 248-257
Urteil gegen zwei Jugendliche, die im Herbst 1965 mit Flugblättern zu einer Protestdemonstration in Leipzig gegen das zuvor erlassene "Beatverbot" aufgerufen hatten. Der Bezirk Leipzig hatte 44 von 49 Beatgruppen die Spielerlaubnis aberkannt.
In den 60er Jahren trat der Beat seinen Siegeszug um die Welt an. Mit der Musik von Bands wie den Beatles oder den Rolling Stones entwickelten junge Leute neue Vorlieben und distanzierten sich von der Generation ihrer Eltern. Ein neues Lebensgefühl entstand vor allem im Westen, aber verzögert und modifiziert auch hinter dem Eisernen Vorhang. Unter dem Einfluss der Entstalinisierung in der Sowjetunion unter Nikita Chruschtschow lockerte auch die SED in der DDR ab 1962 vorübergehend ihre Jugend- und Kulturpolitik. In der Folge formierten sich auch hier Beat-Bands, die sich an den neuen westlichen Musikrichtungen orientierten.
Nach dem Sturz Chruschtschows im Oktober 1964 und mit dem "Kahlschlagplenum" der SED vom Dezember 1965 endete jedoch diese kurze Phase der Liberalisierung. Die Staatsführung beäugte die mit der westlichen Musik verbundene Jugendkultur zunehmend argwöhnisch, weil hier junge Menschen abseits der staatlich kontrollierten Massenorganisationen weitgehend selbstbestimmt zusammenfanden. Der westliche Einfluss auf die DDR-Jugend erschien auch der Stasi gefährlich. Sie vermutete hier den planvollen Versuch westlicher "Feindzentralen", junge DDR-Bürger für sich zu gewinnen und damit den Nährboden für politische Opposition zu legen.
Am 11. Oktober 1965 fasste das Zentralkomitee der SED einen Beschluss, nach dem Beatgruppen die in der DDR für öffentliche Auftritte benötigte Spielerlaubnis entzogen werden sollte. Der Bezirk Leipzig ging hier besonders radikal vor und ließ die Lizenz von 44 der insgesamt 49 registrierten Amateurbeatgruppen aberkennen und erteilte ein Verbot für fünf von ihnen. Darunter befanden sich die in der Region besonders populären Bands "The Butlers", "The Guitar Men" und "The Shatters".
Nachdem zwei Jugendliche mit Flugblättern zu einem Protest gegen das Verbot von Beatgruppen aufgerufen hatten, versammelten sich am 31. Oktober 1965 ca. 1.000 bis 2.000 Jugendliche auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig. Die Volkspolizei löste die Demonstration gewaltsam auf und verhaftete hunderte Jugendliche. Ein Großteil der jungen Leute musste anschließend für mehrere Wochen Zwangsarbeit leisten.
Am 5. November 1965 fand die Mutter eines der Jugendlichen die Stempel und Texte für die neuen Flugblätter in der Wohnung. Sie, selbst Lehrerin, übergab den Stempelkasten dem Direktor der Schule ihres Sohnes. Somit war die Urheberschaft der Flugblätter geklärt. Die Stasi wurde umgehend informiert und leitete ein Ermittlungsverfahren gegen die Schüler ein. Der Staatsanwalt erhob Anklage und die Jugendstrafkammer des Kreisgerichts Leipzig-Land verurteilte die beiden Schüler zu eineinhalb Jahren Freiheitsentzug auf Bewährung.. Sie mussten die Schule verlassen und konnten kein Abitur ablegen.
Das Verfahren wurde auch gegen einen dritten Jugendlichen, einen Verwandten von einem der beiden Jungen, geführt. Dieser hatte zwar Kenntnis von den Flugblättern, war aber nicht an ihrer Verteilung beteiligt. Er erhielt 10 Monate Freiheitsentzug auf Bewährung.
Dieses Forum hatte auf diese beiden Jugendlichen eine verschiedenartige Wirkung.
Der Angeklagte [anonymisiert] hatte noch am 27.10.1965, und zwar allein, weitere 200 Flugblätter gleichen Inhalts in der Absicht ihrer Verbreitung hergestellt, um noch einen grösseren Personenkreis aufzubringen. Nachdem ihm durch dieses Forum die Folgen seines Handelns in allen Konsequenzen klar geworden sind, vernichtete er noch am 28.10.65, also gleich nach der Schülerzusammenkunft, die 200 Flugblätter und die dazu genutzten Hilfsmittel, wie zum Beispiel den Druckkasten. Er erklärte auch dem Angeklagten [anonymisiert], dass er sich an dieser Angelegenheit nicht weiter beteiligen werde.
Am 31.10.1965 kam es dann tatsächlich zu einem Auflauf von über eintausend meist jugendlichen Personen. Durch das entschlossene Vorgehen der bewaffneten Kräfte konnte diese Aktion verhindert werden. Dabei wurden mehrere Verhaftungen vorgenommen, wobei sich die betreffenden Inhaftierten wegen Auflaufs, zum Teil wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, verantworten mussten.
Der Jugendliche [anonymisiert] ist dieser Aktion ferngeblieben, weil er keine Unannehmlichkeiten mit der Schule haben wollte.
Der Jugendliche [anonymisiert] wurde von einem Lehrer zurückgehalten, als er von [anonymisiert] indie Stadt fahren wollte, um an der Kasse des Fußballstadions für ein Fußballspiel Karten zu kaufen. Dabei bestand der berechtigte Verdacht, dass er sich in irgendeiner Weise an dieser Aktion beteiligen werde.
Der Jugendliche [anonymisiert] ist mit [anonymisiert] in die Stadt gefahren. Dort suchten beide eine unmittelbar in der Nähe des Leuschnerplatzes gelegene Gaststätte auf. Von dort aus beobachtete der Jugendliche [anonymisiert] die Vorgänge auf dem Leuschnerplatz bezw. in dessen Nähe.
Nachdem der Jugendliche [anonymisiert] von Inhaftierungen anlässlich der Aktion vom 31.10.65 Kenntnis hatte, kaufte er sich noch am 01.11.65 in [anonymisiert] einen Kinderdruckkasten. Er wandte sich an [anonymisiert] mit der Aufforderung, mit einer erneuten Flugblattaktion die Freilassung der inhaftierten Bürger zu fordern. Dazu fühlte er sich nach seinen Ausführungen inder Hauptverhandlung verpflichtet, weil sie die Ursache für die Aktion und damit für die vorgenommenen Verhaftungen gesetzt haben. [anonymisiert] lehnte jedoch eine Teilnahme an dieser neuen Aktion ab. Zwischenzeitlich stellte der Jugendliche [anonymisiert] jedoch vier Flugzettel (etwa DIN A 6) mit folgender aufgedruckter Aufschrift her: "Beatdemonstranten ! Es war ein Erfolg ! Aber viele 100 sind eingekerkert - deshalb 07.11. 15.00 Uhr Leuschnerplatz."
Weitere Flugzettel stellte er nicht her. Er hatte auch nicht mehr die Absicht dazu bezw. zur Verteilungder bereits hergestellten Zettel. Das lag vor allem daran, weil [anonymisiert] dabei nicht mitmachte und er allein eine solche Aktion nicht durchführen wollte. Bei der Herstellung dieser Flugzettel hatte der Jugendliche [anonymisiert] das Ziel, die Staatsorgane zur Freilassung der Inhaftierten zu veranlassen. Nähere Überlegungen über die Durchführung einer solchen Aktion hatte er jedoch nicht angestellt.
Als die Mutter des Jugendlichen [anonymisiert] die vier zuletzt hergestellten Flugzettel fand, meldete sie diesen Vorfall am nächsten Tage dem Klassenleiter ihres Sohnes. Bei der Befragung der Jugendlichen ergab sich der vorgenannte Sachverhalt. Daraufhin wurden die drei Jugendlichen am 06.11.65 in Untersuchungshaft genommen. Ihre Entlassung erfolgte am 18.11.65.
Aufgrund ihres Verhaltens wurden die Jugendlichen [anonymisiert] und [anonymisiert] von der erweiterten Oberschule verwiesen. Sie besuchen jetzt die polytechnische Oberschule mit dem Ziel des Abschlusses der 10. Klasse, und zwar [anonymisiert] in [anonymisiert] und [anonymisiert] in [anonymisiert].
Strafprozessrechtlich zulässige Möglichkeit der offiziellen Kontaktaufnahme mit Verdächtigen, Zeugen und anderen Personen noch vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (strafprozessuales Prüfungsstadium). Verdächtige konnten gemäß § 95 StPO/1968 zur Befragung zugeführt werden (Zuführung). Vom MfS wurde die B. gelegentlich als demonstrative Maßnahme zur Einschüchterung Oppositioneller genutzt, gegen die aus politischen Gründen kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden sollte.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Erstes Stadium des Strafverfahrens, steht formal unter Leitung des Staatsanwaltes (§ 87 StPO/1968). Die eigentlichen Ermittlungen werden von den staatlichen Untersuchungsorganen (Polizei, MfS, Zoll) durchgeführt (§ 88 StPO/1968) und vom Staatsanwalt beaufsichtigt (§ 89 StPO/1968).
Tatsächlich waren für die Ermittlungen des MfS lediglich die zuvor vom MfS ausgewählten Staatsanwälte der Abteilungen IA zuständig, die gemäß MfS-internen Regelungen keine Einsicht in Unterlagen oder Ermittlungen, die nicht der StPO entsprachen, bekommen durften. Faktisch gab es daher eine doppelte Aktenführung in der zuständigen Linie IX: den internen Untersuchungsvorgang und die für Staatsanwaltschaft und Gericht bestimmte Gerichtsakte und somit keine wirksame staatsanwaltschaftliche Aufsicht über die MfS-Ermittlungen. Einleitung wie auch Einstellung des Ermittlungsverfahrens konnten selbständig von den Untersuchungsorganen verfügt werden (§§ 98, 141 StPO/1968).
Mit dem Ermittlungsverfahren verbunden waren Eingriffe in die persönliche Freiheit Beschuldigter durch die Untersuchungsorgane wie die Beschuldigten- und Zeugenvernehmung, die Durchsuchung, die Beschlagnahme, die Festnahme oder die Untersuchungshaft. In der Tätigkeit des MfS stellte das Ermittlungsverfahren einen besonders wirksamen Teil des repressiven Vorgehens gegen politische Gegner dar.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.
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Signatur: BStU, MfS, BV Leipzig, AU, Nr. 252/66, Bd. 5, Bl. 248-257
Urteil gegen zwei Jugendliche, die im Herbst 1965 mit Flugblättern zu einer Protestdemonstration in Leipzig gegen das zuvor erlassene "Beatverbot" aufgerufen hatten. Der Bezirk Leipzig hatte 44 von 49 Beatgruppen die Spielerlaubnis aberkannt.
In den 60er Jahren trat der Beat seinen Siegeszug um die Welt an. Mit der Musik von Bands wie den Beatles oder den Rolling Stones entwickelten junge Leute neue Vorlieben und distanzierten sich von der Generation ihrer Eltern. Ein neues Lebensgefühl entstand vor allem im Westen, aber verzögert und modifiziert auch hinter dem Eisernen Vorhang. Unter dem Einfluss der Entstalinisierung in der Sowjetunion unter Nikita Chruschtschow lockerte auch die SED in der DDR ab 1962 vorübergehend ihre Jugend- und Kulturpolitik. In der Folge formierten sich auch hier Beat-Bands, die sich an den neuen westlichen Musikrichtungen orientierten.
Nach dem Sturz Chruschtschows im Oktober 1964 und mit dem "Kahlschlagplenum" der SED vom Dezember 1965 endete jedoch diese kurze Phase der Liberalisierung. Die Staatsführung beäugte die mit der westlichen Musik verbundene Jugendkultur zunehmend argwöhnisch, weil hier junge Menschen abseits der staatlich kontrollierten Massenorganisationen weitgehend selbstbestimmt zusammenfanden. Der westliche Einfluss auf die DDR-Jugend erschien auch der Stasi gefährlich. Sie vermutete hier den planvollen Versuch westlicher "Feindzentralen", junge DDR-Bürger für sich zu gewinnen und damit den Nährboden für politische Opposition zu legen.
Am 11. Oktober 1965 fasste das Zentralkomitee der SED einen Beschluss, nach dem Beatgruppen die in der DDR für öffentliche Auftritte benötigte Spielerlaubnis entzogen werden sollte. Der Bezirk Leipzig ging hier besonders radikal vor und ließ die Lizenz von 44 der insgesamt 49 registrierten Amateurbeatgruppen aberkennen und erteilte ein Verbot für fünf von ihnen. Darunter befanden sich die in der Region besonders populären Bands "The Butlers", "The Guitar Men" und "The Shatters".
Nachdem zwei Jugendliche mit Flugblättern zu einem Protest gegen das Verbot von Beatgruppen aufgerufen hatten, versammelten sich am 31. Oktober 1965 ca. 1.000 bis 2.000 Jugendliche auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig. Die Volkspolizei löste die Demonstration gewaltsam auf und verhaftete hunderte Jugendliche. Ein Großteil der jungen Leute musste anschließend für mehrere Wochen Zwangsarbeit leisten.
Am 5. November 1965 fand die Mutter eines der Jugendlichen die Stempel und Texte für die neuen Flugblätter in der Wohnung. Sie, selbst Lehrerin, übergab den Stempelkasten dem Direktor der Schule ihres Sohnes. Somit war die Urheberschaft der Flugblätter geklärt. Die Stasi wurde umgehend informiert und leitete ein Ermittlungsverfahren gegen die Schüler ein. Der Staatsanwalt erhob Anklage und die Jugendstrafkammer des Kreisgerichts Leipzig-Land verurteilte die beiden Schüler zu eineinhalb Jahren Freiheitsentzug auf Bewährung.. Sie mussten die Schule verlassen und konnten kein Abitur ablegen.
Das Verfahren wurde auch gegen einen dritten Jugendlichen, einen Verwandten von einem der beiden Jungen, geführt. Dieser hatte zwar Kenntnis von den Flugblättern, war aber nicht an ihrer Verteilung beteiligt. Er erhielt 10 Monate Freiheitsentzug auf Bewährung.
Die Jugendlichen haben durch ihr Verhalten folgende Strafgesetze verletzt:
Indem die Jugendlichen [anonymisiert] und [anonymisiert] 174 Flugblätter herstellten, in denenzu einer Aktion gegen die Staatsorgane aufgefordert wurde, haben sie, zugleich mit der Verbreitung derselben, zum Ungehorsam gegen Anordnungen aufgerufen, die die Staatsorgane innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffen haben. Hierbei handelt es sich darum, die Tätigkeit der Beatgruppen zu überprüfen.
Zugleich haben sie damit auch den Tatbestand des § 114 Abs. 1 StGB verletzt. Hiernach wird bestraft, wer es unternimmt, durch Drohung eine Behörde zur Vornahme oder Unterlassung einer Amtshandlung zu nötigen. Die Flugblattaktion unddie durch sie gewollte und im übrigen auch erfolgte Zusammenballung von Bürgern sollte die staatlichen Organe dazu veranlassen, die beabsichtigte Überprüfung der Beatgruppen zu unterlassen. Da es sich hierbei um eine rechtswidrige Aktion handelt, liegt der Tatbestand der Nötigung durch Drohung vor. Nur durch das energische Eingreifen bewaffneter Kräfte konnten grössere Zwischenfälle verhindert werden. Solche Zwischenfälle jedoch sind für westliche Publikation[durchgestrichen: smittel; handschriftliche Ergänzung: organe] geeignete Mittel für deren Propaganda gegen unsere Republik.
Indem der Angeklagte weitere 4 Flugblätter für eine erneute Aktion herstellte, hat er auch insoweit den Tatbestand des § 114 Abs. 1 StGB erfüllt.
Der Jugendliche [anonymisiert] verletzte durch seine Beteiligung an der Herstellung von 174 Flugzetteln ebenfalls den Tatbestand des § 114 Abs. 1 StGB.
In Übereinstimmung, mit der Staatsanwaltschaft sieht die Kammer keine Gesetzesverletzung in der Herstellung von 200 Flugblättern, die Stunden darauf vom gleichen Täter wieder vernichtet worden sind. Insoweit kann also keine Bestrafung des Jugendlichen [anonymisiert] erfolgen.
Die Angeklagten sind Jugendliche im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) - § 1-. Ihre strafrechtliche Verantwortlichkeit liegt gemäss § 4 JGG nur dann vor, wenn sie zur Zeit der Tat nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug waren, die gesellschaftliche Gefährlichkeit ihrer Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Bei allen Jugendlichen hat das Gericht eine normale körperliche und geistige Entwicklung festgestellt. Dabei hat sich das Gericht nicht nur auf den Akteninhalt, auf den persönlichen Eindruck, den die Jugendlichen in der Hauptverhandlung hinterliessen und auf die Tatsache gestützt, dass sie die für ihr Alter gesteckten schulischen Ziele in einer Oberschule, zum Teil mit beabsichtigtem Abiturabschluss, erfüllten, sondern auch aus den Ausführungen der Erziehungspflichtigen und der Lehrer der jugendlichen ergaben sich diese Feststellungen des Gerichts. Wenn der Jugendliche [anonymisiert] im Gegensatz zu den beiden anderen grössere Leistungsschwierigkeiten zeigt, dann ist das, wie von seinen Eltern und Lehrern dargelegt wurde, keineswegs auf eine Minderung der Intelligenz zurückzuführen, sondern auf ungenügendes Interesse an der Schule. Die Jugendlichen haben auch erkannt, dass ihr Verhalten gesellschaftsgefährlich ist. Das schliesst nicht aus, dass sie sich über die ganze Tragweite ihres Verhaltens nicht im klaren gewesen sind. Dass sie aber ihre beabsichtigte Aktion als illegal ansahen, die also mit den Gesetzen nicht zu vereinbaren ist, zeigen folgende Tatsachen:
Der Jugendliche [anonymisiert] diskutierte mit seiner Mutter und [anonymisiert] über den Zeitungsartikel vom 20.10.65. Dabei wurde ihm von der Mutter und [anonymisiert] bedeutet, daß es nicht um die Beatmusik, sondern um Erscheinungen der Unkultur ginge. Entsprechend seiner ungenügenden Verbindung zu unserem Staate glaubte er das nicht. Von seiner beabsichtigten Aktion sagte er jedoch seinen Verwandten nichts obwohl er zu diesen ein sonst enges Verhältnis hat. Auch anderen Bürgern erzählte er nichts davon.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Erstes Stadium des Strafverfahrens, steht formal unter Leitung des Staatsanwaltes (§ 87 StPO/1968). Die eigentlichen Ermittlungen werden von den staatlichen Untersuchungsorganen (Polizei, MfS, Zoll) durchgeführt (§ 88 StPO/1968) und vom Staatsanwalt beaufsichtigt (§ 89 StPO/1968).
Tatsächlich waren für die Ermittlungen des MfS lediglich die zuvor vom MfS ausgewählten Staatsanwälte der Abteilungen IA zuständig, die gemäß MfS-internen Regelungen keine Einsicht in Unterlagen oder Ermittlungen, die nicht der StPO entsprachen, bekommen durften. Faktisch gab es daher eine doppelte Aktenführung in der zuständigen Linie IX: den internen Untersuchungsvorgang und die für Staatsanwaltschaft und Gericht bestimmte Gerichtsakte und somit keine wirksame staatsanwaltschaftliche Aufsicht über die MfS-Ermittlungen. Einleitung wie auch Einstellung des Ermittlungsverfahrens konnten selbständig von den Untersuchungsorganen verfügt werden (§§ 98, 141 StPO/1968).
Mit dem Ermittlungsverfahren verbunden waren Eingriffe in die persönliche Freiheit Beschuldigter durch die Untersuchungsorgane wie die Beschuldigten- und Zeugenvernehmung, die Durchsuchung, die Beschlagnahme, die Festnahme oder die Untersuchungshaft. In der Tätigkeit des MfS stellte das Ermittlungsverfahren einen besonders wirksamen Teil des repressiven Vorgehens gegen politische Gegner dar.
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Signatur: BStU, MfS, BV Leipzig, AU, Nr. 252/66, Bd. 5, Bl. 248-257
Urteil gegen zwei Jugendliche, die im Herbst 1965 mit Flugblättern zu einer Protestdemonstration in Leipzig gegen das zuvor erlassene "Beatverbot" aufgerufen hatten. Der Bezirk Leipzig hatte 44 von 49 Beatgruppen die Spielerlaubnis aberkannt.
In den 60er Jahren trat der Beat seinen Siegeszug um die Welt an. Mit der Musik von Bands wie den Beatles oder den Rolling Stones entwickelten junge Leute neue Vorlieben und distanzierten sich von der Generation ihrer Eltern. Ein neues Lebensgefühl entstand vor allem im Westen, aber verzögert und modifiziert auch hinter dem Eisernen Vorhang. Unter dem Einfluss der Entstalinisierung in der Sowjetunion unter Nikita Chruschtschow lockerte auch die SED in der DDR ab 1962 vorübergehend ihre Jugend- und Kulturpolitik. In der Folge formierten sich auch hier Beat-Bands, die sich an den neuen westlichen Musikrichtungen orientierten.
Nach dem Sturz Chruschtschows im Oktober 1964 und mit dem "Kahlschlagplenum" der SED vom Dezember 1965 endete jedoch diese kurze Phase der Liberalisierung. Die Staatsführung beäugte die mit der westlichen Musik verbundene Jugendkultur zunehmend argwöhnisch, weil hier junge Menschen abseits der staatlich kontrollierten Massenorganisationen weitgehend selbstbestimmt zusammenfanden. Der westliche Einfluss auf die DDR-Jugend erschien auch der Stasi gefährlich. Sie vermutete hier den planvollen Versuch westlicher "Feindzentralen", junge DDR-Bürger für sich zu gewinnen und damit den Nährboden für politische Opposition zu legen.
Am 11. Oktober 1965 fasste das Zentralkomitee der SED einen Beschluss, nach dem Beatgruppen die in der DDR für öffentliche Auftritte benötigte Spielerlaubnis entzogen werden sollte. Der Bezirk Leipzig ging hier besonders radikal vor und ließ die Lizenz von 44 der insgesamt 49 registrierten Amateurbeatgruppen aberkennen und erteilte ein Verbot für fünf von ihnen. Darunter befanden sich die in der Region besonders populären Bands "The Butlers", "The Guitar Men" und "The Shatters".
Nachdem zwei Jugendliche mit Flugblättern zu einem Protest gegen das Verbot von Beatgruppen aufgerufen hatten, versammelten sich am 31. Oktober 1965 ca. 1.000 bis 2.000 Jugendliche auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig. Die Volkspolizei löste die Demonstration gewaltsam auf und verhaftete hunderte Jugendliche. Ein Großteil der jungen Leute musste anschließend für mehrere Wochen Zwangsarbeit leisten.
Am 5. November 1965 fand die Mutter eines der Jugendlichen die Stempel und Texte für die neuen Flugblätter in der Wohnung. Sie, selbst Lehrerin, übergab den Stempelkasten dem Direktor der Schule ihres Sohnes. Somit war die Urheberschaft der Flugblätter geklärt. Die Stasi wurde umgehend informiert und leitete ein Ermittlungsverfahren gegen die Schüler ein. Der Staatsanwalt erhob Anklage und die Jugendstrafkammer des Kreisgerichts Leipzig-Land verurteilte die beiden Schüler zu eineinhalb Jahren Freiheitsentzug auf Bewährung.. Sie mussten die Schule verlassen und konnten kein Abitur ablegen.
Das Verfahren wurde auch gegen einen dritten Jugendlichen, einen Verwandten von einem der beiden Jungen, geführt. Dieser hatte zwar Kenntnis von den Flugblättern, war aber nicht an ihrer Verteilung beteiligt. Er erhielt 10 Monate Freiheitsentzug auf Bewährung.
Die gleiche Verschwiegenheit zeigten die beiden anderen Mitangeklagten. So erzählte der Angeklagte [anonymisiert] seinem Grossvater nichts von der von ihnen angezettelten Aktion, deren Auswirkungen sie unmittelbar wahrnehmen konnten.
Bei der Durchführung ihrer Straftaten gingen insbesondere die Jugendlichen [anonymisiert] und [anonymisiert] mit genauen Überlegungen vor. So diskutierten beide ausführlich über den Text des ersten Flugblattes. Während ursprünglich das Wort "Protestmarsch" fehlte, wurde es durch einen entsprechenden Vorschlag des Jugendlichen [anonymisiert] hinzugefügt, damit klar und deutlich das Ziel dieser Aktion herausgelesen werden konnte. Zwischen beiden gab es Überlegungen, ob diese Aktion nicht auf dem Karl-Marx-Platz durchgeführt werden sollte. Das wurde jedoch von [anonymisiert] verworfen, weil einige Wochen vorher dort anlässlich einer Musikaufführung es zu Ausschreitungen von Jugendlichen gekommen ist. Solche Ausschreitungen wollten sie wiederum nicht.
Der Jugendliche [anonymisiert] schliesslich hatte bei dem Texte der von ihm später allein hergestellten Flugblätter ursprünglich die Worte "Trotz Beregnung" (gemeint war der Wasserwerfer) "und Stasi" (gemeint waren die Mitarbeiter der Staatssicherheitsorgane)vorgesehen. Er liess diese Worte jedoch beim Drucken heraus, weil er nicht zu weit gehen wollte, damit sein Verhalten nicht "als politisch" angesehen werde. Obwohl das bisherige Verhalten des Jugendlichen [anonymisiert] und seiner Mitangeklagten bereits schon höchst politisch war, zeigt doch dieses Differenzierungsbestreben, dass ein offener Angriff auf das Ministerium für Staatssicherheit und die Volkspolizei nicht erfolgen sollte. Diese Differenzierung entsprach jedoch Nicht dem politischen Unverständnis des überdurchschnittlich intelligenten jugendlichen Angeklagten [anonymisiert], sondern seiner Art, grobe Formulierungen und offene Beschimpfungen zu vermeiden.
Aber auch der Jugendliche [anonymisiert] war sich über das Gesellschaftsgefährliche seines Handelns im klaren. Das zeigt sein ursprüngliches Zögern, sich an der Herstellung von Flugblättern zu beteiligen. Schliesslich liess er sich durch den Mitangeklagten [anonymisiert] dazu überreden.
Die Jugendlichen wären auch in der Lage gewesen, entsprechend ihrer Einsicht, dass ihre Handlungsweise gesellschaftsgefährlich ist, sich zu verhalten. Sie brauchten ihre Handlungen nur zu unterlassen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sich unter ihnen eine Gruppenpsychose entwickelt hätte, gegen die sie als einzelne nichts tun konnten. Alle Jugendlichen wurden durch den Artikel in der LVZ darauf hingewiesen, daß sich in unserer sozialistischen Ordnung keine westliche Unkultur breitmachen darf. Bei einem besseren Verhältnis zu unserem Staate wäre ihnen bewusst geworden, dass damit auch ihren eigenen Interessen Rechnung getragen wurde. Denn keiner dieser Angeklagten ist bisher als Rowdy aufgetreten, wenn von den Flegeleien des Jugendlichen [anonymisiert] in der Schule zunächst abgesehen werden soll.
Das Gericht ist deshalb in Übereinstimmung mit allen Prozessbeteiligten einschliesslich des Vertreters der Jugendhilfe der Meinung, dass die Voraussetzungen des § 4 JGG vorliegen, das heisst, dass ihre strafrechtliche Verantwortlichkeit gegeben ist.
Bei der Bestrafung der Jugendlichen ist davon aus zugehen, dass ihr Verhalten nicht nur eine ungenügende Bindung zu unserem Staate und speziell eine starke Disziplinlosigkeit in bezug auf Staatsdisziplin zeigt, [handschriftliche Ergänzung: sondern] andererseits dass es sich nicht um Gegner unseres Staates handelt. Inwieweit durch westliche Sender einem angeblichen Verbot von Beatgruppen in der DDR das Wort gesprochen wurde, konnte in diesem Gerichtsverfahren nicht festgestellt werden. Fest steht jedoch, dass alle drei Jugendlichen durch den Empfang nicht nur von Unterhaltungssendungen, sondern auchvon Nachrichten und ähnlichen Sendungen, von der westlichen Ideologie beeinflusst
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Erstes Stadium des Strafverfahrens, steht formal unter Leitung des Staatsanwaltes (§ 87 StPO/1968). Die eigentlichen Ermittlungen werden von den staatlichen Untersuchungsorganen (Polizei, MfS, Zoll) durchgeführt (§ 88 StPO/1968) und vom Staatsanwalt beaufsichtigt (§ 89 StPO/1968).
Tatsächlich waren für die Ermittlungen des MfS lediglich die zuvor vom MfS ausgewählten Staatsanwälte der Abteilungen IA zuständig, die gemäß MfS-internen Regelungen keine Einsicht in Unterlagen oder Ermittlungen, die nicht der StPO entsprachen, bekommen durften. Faktisch gab es daher eine doppelte Aktenführung in der zuständigen Linie IX: den internen Untersuchungsvorgang und die für Staatsanwaltschaft und Gericht bestimmte Gerichtsakte und somit keine wirksame staatsanwaltschaftliche Aufsicht über die MfS-Ermittlungen. Einleitung wie auch Einstellung des Ermittlungsverfahrens konnten selbständig von den Untersuchungsorganen verfügt werden (§§ 98, 141 StPO/1968).
Mit dem Ermittlungsverfahren verbunden waren Eingriffe in die persönliche Freiheit Beschuldigter durch die Untersuchungsorgane wie die Beschuldigten- und Zeugenvernehmung, die Durchsuchung, die Beschlagnahme, die Festnahme oder die Untersuchungshaft. In der Tätigkeit des MfS stellte das Ermittlungsverfahren einen besonders wirksamen Teil des repressiven Vorgehens gegen politische Gegner dar.
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Vernehmungsprotokoll eines Schülers wegen Herstellung von Flugblättern mit Aufruf zur Leipziger "Beat-Demo" Dokument, 8 Seiten
Anklage gegen die zwei Urheber der Flugblätter zur „Beat-Demo“ Dokument, 7 Seiten
Stasi-Bericht über eine Schulveranstaltung zum Strafverfahren in der Flugblattsache Dokument, 5 Seiten
Aufruf zu einem Treffen am 7. November auf dem Leipziger Wilhelm-Leuschner-Platz Dokument, 1 Seite