Signatur: BStU, MfS, BV Rostock, AU, Nr. 1646/88, Bd. 4, Bl. 33-36
Die Rostockerin Sylke Glaser wollte ihre kritische Meinung zu den politischen Verhältnissen in der DDR äußern. Sie fertigte und verteilte daher Flugblätter und schrieb Briefe an verschiedene Partei- und Staatsfunktionäre. Wegen "öffentlicher Herabwürdigung" wurde sie zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsentzug verurteilt.
Die Rostockerin Sylke Glaser wollte ihre kritische Meinung zu den politischen Verhältnissen in der DDR äußern. Eine freie Presse oder regierungsunabhängige Medien gab es in der DDR aber nicht. Deshalb nahm sie die Sache in die eigenen Hände, fertigte und verteilte Flugblätter und schrieb Briefe an verschiedene Partei- und Staatsfunktionäre.
Die Stasi ermittelte Glaser als Urheberin der Flugblätter und Briefe. Es folgten Verhaftung und die Unterbringung in der Stasi-Untersuchungshaft in Rostock. Nach zwei Monaten wurde sie mit dem vorliegenden Urteil wegen "mehrfacher öffentlicher Herabwürdigung" nach Paragraph 220 Strafgesetzbuch der DDR zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsentzug verurteilt.
Das Urteil unterstellte der jungen Frau, dass sie sich bloß verurteilen lassen wollte und darauf spekulierte, dann von der BRD als politischer Häftling freigekauft zu werden. Tatsächlich erfuhr Glaser von dieser Möglichkeit erst in der Haft. Ende Oktober 1988 gelangte sie dennoch genau auf diesem Weg in den Westen. Im November 1991 hob ein Gericht des wiedervereinigten Deutschlands ihr Urteil auf und rehabilitierte sie.
bis zur Inhaftierung keiner geregelten Arbeit nach.
Sie hatte sich gemäß ihren Einlassungen um eine Arbeitsstelle als Kassiererin bei der Kreisfilmstelle Rostock beworben. Zu einer Einstellung war es bisher nicht gekommen, da die Kaderunterlagen erst angefordert werden mußten.
Aus den Aussagen der Angeklagten ergibt sich, daß sie zu Teilbereichen der gesellschaftlichen Entwicklung eine ablehnende Haltung hat. So ist sie der Meinung, daß die persönlichen Freiheiten eingeschränkt sind, sie ihre Meinung nicht frei sagen kann und auch nicht dort hin reisen kann, wo sie gerne hin möchte. Die Angeklagte fühlt sich "entmündigt". Bedingt durch brieflichen und auch persönlichen Kontakt zu Bürgern in der BRD, insbesondere zu [geschwärzt], kam die Angeklagte zu dem Entschluß, ihren Wohnsitz in der BRD zu nehmen und dazu evtl. einen Antrag auf Obersiedlung in die BRD bzw. ein Eheschließungsersuchen zu stellen. Diesbezüglich wollte sie sich mit dem BRD-Bürger [geschwärzt], wohnhaft [geschwärzt], nochmals verständigen. Die Angeklagte ist der Meinung, in der BRD entsprechend ihren Vorstellungen leben zu können, wobei sie die angeblichen "Vorzüge" ausschließlich bewertet.
Die Angeklagte ging davon aus, daß die Genehmigung der Übersiedlung in die BRD doch erst nach längerer Zeit möglicherweise erteilt wird und inspiriert durch die Ereignisse im Januar 1988 in Berlin kam sie zu dem Entschluß, eine Straftat zu begehen, um so in Haft genommen zu werden und dann später in die BRD auszureisen. So hat die Angeklagte im Februar/März 1988 selbst gefertigte Flugzettel mit politisch negativem Inhalt im Stadtgebiet von Rostock verteilt und wurde dafür durch das VPKA Rostock mit einer Ordnungsstrafe von 500,- M im April 1988 zur Verantwortung gezogen.
Daraus schlußfolgerte die Angeklagte, daß die von ihr begangenen Handlungen nicht die Schwere einer Straftat aufweisen und sie zur Erreichung ihres Ziels eine weitere Straftat mit politischem Inhalt begehen muß. Weiterhin wollte sie durch die von ihr entwickelten Aktivitäten andere Bürger zum Nachdenken über angebliche Ungerechtigten in der DDR anregen. Aus diesem Grunde hat die Angeklagte sich dazu entschlossen, mehrere anonyme Briefe herzustellen und darin die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR herabzuwürdigen und diese dann an bestimmte Institutionen bzw. an Persönlichkeiten wichtiger gesellschaftlicher und politischer Bereiche zu versenden.
Aus der Tagespresse entnahm die Angeklagte die notwendigen Adressen.
Anfang April 1988 fertigte die Angeklagte somit mit verstellter Handschrift ein Schreiben, welches u.a. folgenden Inhalt hat : "Hier darf man nicht mal frei seine Meinung sagen! Konnten wir jemals eigene Losungen zum 1. Mai verwenden? Nein, die stehen ja schön vorgedruckt in den Zeitungen! ..... Sobald einer einen anderen und damit falschen Spruch hebt, wird er von Leuten der Stasi festgenommen und stundenlang verhört! .... Überall muß man aufpassen, was man sagt, da ansonsten mal Vertreter der Staatssicherheit vor der eigenen Tür stehen, einen mitnehmen und bestrebt sind, demjenigen alles mögliche anzuhängen, was er nie begangen hat.... Warum genehmigt man den Ausreisewilligen nicht ihren Antrag? ... Soll unsere Regierung nicht so spielen mit diesen Menschen, sondern sie gehen lassen und nicht mit aller Macht zurückhalten! ... Man wird in unserem Staate richtig eingesperrt. u.a.
Das Schreiben umfaßt zwei A4-Seiten und wurde mit einem von der Angeklagten selbst gefertigten Gedicht hinsichtlich der Notwendigkeit des "Veränderns der Welt" am 12.04.1988 per Post zum Versand gebracht.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Vorgangsart von 1953 bis 1960. In Beobachtungsvorgängen wurden Personen erfasst, die als potenziell oder tatsächlich politisch unzuverlässig oder feindlich eingestellt galten und daher vorbeugend beobachtet wurden. Dazu gehörten etwa ehemalige NS-Funktionsträger, ehemalige Sozialdemokraten, Teilnehmer an den Aktionen des 17. Juni 1953 sowie Personen, die aus dem Westen zugezogen waren. Die Vorgangsart verlor nach und nach an Bedeutung. 1960 gingen noch bestehende Beobachtungsvorgänge in den zugehörigen Objektvorgängen auf. Der Beobachtungsvorgang war zentral in der Abteilung XII zu registrieren, die betroffenen Personen in der zentralen Personenkartei F 16 zu erfassen.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.
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Die Rostockerin Sylke Glaser wollte ihre kritische Meinung zu den politischen Verhältnissen in der DDR äußern. Sie fertigte und verteilte daher Flugblätter und schrieb Briefe an verschiedene Partei- und Staatsfunktionäre. Wegen "öffentlicher Herabwürdigung" wurde sie zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsentzug verurteilt.
Die Rostockerin Sylke Glaser wollte ihre kritische Meinung zu den politischen Verhältnissen in der DDR äußern. Eine freie Presse oder regierungsunabhängige Medien gab es in der DDR aber nicht. Deshalb nahm sie die Sache in die eigenen Hände, fertigte und verteilte Flugblätter und schrieb Briefe an verschiedene Partei- und Staatsfunktionäre.
Die Stasi ermittelte Glaser als Urheberin der Flugblätter und Briefe. Es folgten Verhaftung und die Unterbringung in der Stasi-Untersuchungshaft in Rostock. Nach zwei Monaten wurde sie mit dem vorliegenden Urteil wegen "mehrfacher öffentlicher Herabwürdigung" nach Paragraph 220 Strafgesetzbuch der DDR zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsentzug verurteilt.
Das Urteil unterstellte der jungen Frau, dass sie sich bloß verurteilen lassen wollte und darauf spekulierte, dann von der BRD als politischer Häftling freigekauft zu werden. Tatsächlich erfuhr Glaser von dieser Möglichkeit erst in der Haft. Ende Oktober 1988 gelangte sie dennoch genau auf diesem Weg in den Westen. Im November 1991 hob ein Gericht des wiedervereinigten Deutschlands ihr Urteil auf und rehabilitierte sie.
In der Folgezeit hat die Angeklagte mit gleicher Zielstellung am 16.04.1988 ein Schreiben im Format A5 gefertigt und an den Chefredakteur der "Ostsee-Zeitung" versandt. Dieses Schreiben enthält die bereits genannten Formulierungen und enthält darüber hinaus die Aussage, daß Personen, die öffentlich ihre Meinung kundtun, in unbegründeter Weise festgenommen werden, wobei die Angeklagte sich auf die ihr bekannt gewordenen Geschehnisse im Zusammenhang mit dem Auftreten Wismaraner Bürger bezieht. Dem Schreiben an den Chefredakteur der "Ostsee-Zeitung" legte sie noch einzelne Zeitungsausschnitte bei, um damit, wie die Angeklagte erklärt, ihre Argumentation zu bekräftigen.
Danach hat die Angeklagte weitere anonyme Schreiben im Format A5 angefertigt und vier per Post zum Versand aufgegeben, und zwar an den Chefredakteur sowie an den Verlagsdirektor der Zeitung "Norddeutsche Neueste Nachrichten" Rostock, an das VPKA Rostock, Abteilung Kriminalpolizei und an das Ministerium für Staatssicherheit, Bezirksverwaltung Rostock. Zwei weitere Schreiben ähnlichen Inhalts an einen Oberrichter des Bezirksgerichtes Rostock und den Verlagsdirektor des Berliner Verlages hat die Angeklagte gemäß ihren Einlassungen vergessen abzusenden. Diese Schreiben wurden sichergestellt.
In der Zeit vom 20.03. bis 02.04.1988 hat die Angeklagte weitere vier anonyme Briefe mit herabwürdigendem Inhalt gefertigt und die Absicht gehabt, diese evtl. an den 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED, an einen Sekretär der Bezirksleitung der SED, an den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Rostock und an den 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Rostock zu versenden. Auch diese vier Briefe wurden beschlagnahmt und sichergestellt.
Darüber hinaus hat die Angeklagte Anfang April 1988 in Blockschrift eine größere Anzahl von Handzetteln in den Abmessungen 5 x 8 cm mit dem Text "Achtung - Bitte verwenden Sie auch eigene Losungen zum 1. Mai" hergestellt und diese teilweise am 29.04.1988 im Stadtgebiet von Rostock auf der Straße fallengelassen. Bei den von der Angeklagten gefertigten Schriften und Handzettel handelt es sich um anonyme Schreiben. Die Angeklagte erklärt, daß sie zwar ihre Inhaftierung bewirken wollte, die Briefe dennoch nicht mit ihren Personalien versah, da sie noch weitere Schreiben beabsichtigte, zu versenden.
Die getroffenen Sachfeststellungen ergeben sich aus den Einlassungen der Angeklagten sowie aus den zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemachten Beweismittel.
Festzustellen ist, daß strafrechtliche Relevanz die Versendung von insgesamt 6 handschriftlich hergestellten anonymen Briefe an den Oberbürgermeister der Stadt Rostock, den Chefredakteur der "Ostsee-Zeitung", den Chefredakteur sowie an den Verlagsdirektor der Zeitung "Norddeutsche Neueste Nachrichten", an das VPKA, Abteilung Kriminalpolizei und an das Ministerium für Staatssicherheit, Bezirksverwaltung Rostock erlangen.
Die weiteren im Sachverhalt aufgeführten Aktivitäten der Angeklagten (Herstellung weiterer anonymer Briefe, die bei der Hausdurchsuchung vorgefunden worden sind und Herstellung von Handzetteln und teilweise Verteilung dieser) wurden nur zur Charakterisierung der politisch-ideologischen Grundhaltung der Angeklagten aufgeführt.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Vorgangsart von 1953 bis 1960. In Beobachtungsvorgängen wurden Personen erfasst, die als potenziell oder tatsächlich politisch unzuverlässig oder feindlich eingestellt galten und daher vorbeugend beobachtet wurden. Dazu gehörten etwa ehemalige NS-Funktionsträger, ehemalige Sozialdemokraten, Teilnehmer an den Aktionen des 17. Juni 1953 sowie Personen, die aus dem Westen zugezogen waren. Die Vorgangsart verlor nach und nach an Bedeutung. 1960 gingen noch bestehende Beobachtungsvorgänge in den zugehörigen Objektvorgängen auf. Der Beobachtungsvorgang war zentral in der Abteilung XII zu registrieren, die betroffenen Personen in der zentralen Personenkartei F 16 zu erfassen.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.
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Signatur: BStU, MfS, BV Rostock, AU, Nr. 1646/88, Bd. 4, Bl. 33-36
Die Rostockerin Sylke Glaser wollte ihre kritische Meinung zu den politischen Verhältnissen in der DDR äußern. Sie fertigte und verteilte daher Flugblätter und schrieb Briefe an verschiedene Partei- und Staatsfunktionäre. Wegen "öffentlicher Herabwürdigung" wurde sie zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsentzug verurteilt.
Die Rostockerin Sylke Glaser wollte ihre kritische Meinung zu den politischen Verhältnissen in der DDR äußern. Eine freie Presse oder regierungsunabhängige Medien gab es in der DDR aber nicht. Deshalb nahm sie die Sache in die eigenen Hände, fertigte und verteilte Flugblätter und schrieb Briefe an verschiedene Partei- und Staatsfunktionäre.
Die Stasi ermittelte Glaser als Urheberin der Flugblätter und Briefe. Es folgten Verhaftung und die Unterbringung in der Stasi-Untersuchungshaft in Rostock. Nach zwei Monaten wurde sie mit dem vorliegenden Urteil wegen "mehrfacher öffentlicher Herabwürdigung" nach Paragraph 220 Strafgesetzbuch der DDR zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsentzug verurteilt.
Das Urteil unterstellte der jungen Frau, dass sie sich bloß verurteilen lassen wollte und darauf spekulierte, dann von der BRD als politischer Häftling freigekauft zu werden. Tatsächlich erfuhr Glaser von dieser Möglichkeit erst in der Haft. Ende Oktober 1988 gelangte sie dennoch genau auf diesem Weg in den Westen. Im November 1991 hob ein Gericht des wiedervereinigten Deutschlands ihr Urteil auf und rehabilitierte sie.
Ausgehend, vom Inhalt der von der Angeklagten sechs handschriftlich hergestellten anonymen Briefe, die sie an die im Sachverhalt genannten Personen und Institutionen versandt hat, hat die Angeklagte mit diesen Schriften die staatliche Ordnung der DDR und auch die Tätigkeit staatlicher Organe in der Öffentlichkeit herabgewürdigt.
Sie hat Schriften, die geeignet sind, die staatliche Ordnung zu beeinträchtigen, in der Öffentlichkeit verbreitet, da sie diese Schreiben per Post versandte und damit eineu nicht bestimmbaren Personenkreis zugänglich machte.
Die Angeklagte verletzte mehrfach den Straftatbestand der öffentlichen Herabwürdigung - Vergehen gemäß § 220 Absatz 2 StGB - in Verbindung mit § 63 Absatz 2 StGB liegt Tatmehrheit vor.
Das strafbare Verhalten der Angeklagten ist Ausdruck einer negativ verfestigten Grundeinstellung zu Teilbereichen der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR. Die Angeklagte hat sich bewußt zur Begehung von Straftaten entschlossen, die sich eindeutig gegen die staatliche Ordnung der DDR richten. Die Angeklagte handelte zielgerichtet und mit hoher Intensität, sodaß die von ihr begangenen Straftaten eine erhebliche Gesellschaftswidrigkeit aufweisen.
Im Interesse des konsequenten Schutzes der staatlichen Ordnung vor derartigen kriminellen Verhaltensweisen aber auch zur nachhaltigen Disziplinierung der Angeklagten ist somit der Ausspruch einer Freiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und drei Monaten, wie auch von der Staatsanwaltschaft beantragt, die notwendige Maßnahme strafrechtlicher Verantwortlichkeit.
Die Entscheidung des Gerichtes steht dem Antrag des Rechtsanwaltes nicht entgegeb.
Da die Angeklagte für die ihr zur Last gelegten Straftaten verurteilt worden ist, hat sie gemäß § 364 StPO die Auslagen des Verfahrens zu tragen.
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Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Vorgangsart von 1953 bis 1960. In Beobachtungsvorgängen wurden Personen erfasst, die als potenziell oder tatsächlich politisch unzuverlässig oder feindlich eingestellt galten und daher vorbeugend beobachtet wurden. Dazu gehörten etwa ehemalige NS-Funktionsträger, ehemalige Sozialdemokraten, Teilnehmer an den Aktionen des 17. Juni 1953 sowie Personen, die aus dem Westen zugezogen waren. Die Vorgangsart verlor nach und nach an Bedeutung. 1960 gingen noch bestehende Beobachtungsvorgänge in den zugehörigen Objektvorgängen auf. Der Beobachtungsvorgang war zentral in der Abteilung XII zu registrieren, die betroffenen Personen in der zentralen Personenkartei F 16 zu erfassen.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.
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