Signatur: BArch, MfS, HA III, Nr. 9562, Bl. 5-6
Im August 1985 lief der westdeutsche Verfassungsschutzmitarbeiter Hansjoachim Tiedge in die DDR über. Daraufhin leitete das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) verschiedene Maßnahmen ein, um die Tarnung seiner Agentinnen und Agenten in der DDR zu schützen.
Am 19. August 1985 reiste Hansjoachim Tiedge über Helmstedt-Marienborn in die DDR. Zu dieser Zeit war Tiedge Gruppenleiter des Referates "Nachrichtendienste der DDR" beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Auf Grund seiner Funktion und seiner 19-jährigen Tätigkeit für das BfV besaß er umfassende Kenntnisse der westdeutschen Spionageabwehr gegen die DDR.
Bis zum 23. August gab es in der Bundesrepublik keine Hinweise auf Tiedges Aufenthaltsort. Erst als der ostdeutsche Nachrichtendienst ADN meldete, dass "Tiedge […] in die DDR übergetreten [ist] und […] um Asyl ersucht" hat, wusste die westdeutsche Seite Bescheid.
Die Stasi notierte zum Motiv des Überlaufens: "Ablehnung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung". Tatsächlich flüchtete Tiedge vor persönlichen Problemen. Hohe Schulden und übermäßiger Alkoholkonsum sowie der Tod seiner Frau hatten den Beamten in familiäre und dienstliche Schwierigkeiten gebracht.
Das BfV leitete als Reaktion auf den durch Tiedges Überlaufen ausgelösten schweren Sicherheitsvorfallumfangreiche Gegenmaßnahmen ein. Die Stasi notierte: "Gegenwärtig finden in der BRD umfangreiche Aktivitäten statt mit dem Ziel, sogenannte ‚schadensbegrenzende Maßnahmen‘ zu organisieren und einzuleiten.“ Unter anderem überarbeitete der Verfassungsschutz seine Sicherheitsrichtlinien. Zudem sollten Gesetze zur inneren Sicherheit, wie die Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes und das MAD-Gesetz beschleunigt werden. Letzteres regelte u. a. die Zusammenarbeit des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) der Bundeswehr mit anderen Geheimdiensten, wie dem BfV und dem BND.
[Stempel: [durchgestrichen: VS-Vertraulich
amtlich geheimgehalten]]
[Handschriftliche Ergänzung: MfS]
[Handschriftliche Ergänzung: in AWG
Tiedge]
[Hier wurde etwas geschwärzt.]
[Handschriftliche Ergänzung: [unleserlich]/50/2094/]
Hauptabteilung III
Leiter
Berlin 24. August 1985
mä-fau/ 3049 /85
[Handschriftliche Ergänzung: [durchgestrichen: 69]
64]
Sofort auf den Tisch!
Hauptabteilung III
Stellv. Operativ
[Handschriftliche Ergänzung: Leiter II/1
In meinem Auftrag
[unleserlich]gsnahmen einleiten; danach
R]
[Unterschrift]
26.08.85
Asylersuchen des Regierungsdirektors Tiedge
Der Gegner rechnet damit, daß mit dem Asylersuchen des leitenden Angehörigen des Verfassungsschutzes der BRD Regierungsdirektor Tiedge, an die DDR durch T. eine Vielzahl von internen Informationen der Spionageabwehr der BRD den Organen der DDR bekannt werden.
Gegenwärtig finden in der BRD umfangreiche Aktivitäten statt mit dem Ziel, sogenannte schadensbegrenzende Maßnahmen zu organisieren und einzuleiten. Spürbar ist bei diesen Maßnahmen die Unsicherheit des Gegners über das Wissen des T. und das der DDR bekannt gewordene Wissen. Der Gegner selbst spricht von "sehr umfangreichem Wissen", über das T. verfüge, und von "unermeßlichem Schaden", der der BRD und insbesondere der Spionageabwehr entstehe, wenn das Wissen des T. der DDR bekannt würde.
Die Hektik des Gegners bei der Einleitung der sogenannten "schadensbegrenzenden Maßnahmen" und die Unsicherheit des Gegners wird zu umfangreichen Aktivitäten führen.
Es sind [unterstrichen: alle] Mittel und Möglichkeiten zu nutzen, umfassend und konkret aufzuklären
- welche sogenannten "schadensbegrenzenden Maßnahmen" werden eingeleitet; wer ist an diesen Maßnahmen beteiligt; wo sind derartige Maßnahmen geplant und vorgesehen
- welche sonstigen Aktivitäten und Maßnahmen werden von den Sicherheitsdiensten der BRD jetzt geplant, eingeleitet und organisiert.
Die gegenwärtige Situation der Unsicherheit und Hektik in den Sicherheitsdiensten der BRD wird zu erhöhten Kommunikationen führen, die durch uns zu Informationsgewinnung ausgenutzt werden müssen.
[Hier wurde etwas geschwärzt.]
Hauptabteilung III (Volkswirtschaft)
Nach dem Vorbild der "Verwaltung für Wirtschaft" in der sowjetischen Hauptverwaltung für Staatssicherheit erhielt das am 8.2.1950 gebildete MfS eine Einrichtung, die zunächst unter der Bezeichnung Abteilung III bzw. Hauptabteilung III agierte. Vorläufer war die von Mielke geleitete Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft im MdI. Die Kernaufgaben bestanden in der Sabotageabwehr, im Schutz des Volkseigentums und in der Überwachung der Betriebe. Für die SAG Wismut wurde 1951 eine separate Struktureinheit, die Objektverwaltung "W" gegründet.
1955 wurde die systematische Überprüfung von Leitungskadern (später Sicherheitsüberprüfungen), 1957 der Aufbau des Informantennetzes, die Zusammenarbeit mit staatlichen Leitern und Parteisekretären, der Aufbau von Operativgruppen und Objektdienststellen sowie die Gewinnung von IM für Schlüsselpositionen in wirtschaftsleitenden Organen, Betrieben und Institutionen etabliert. Mit der Auflösung der Abteilung VI erhielt die HA III den Auftrag zur Sicherung volkswirtschaftlicher Maßnahmen auf dem Gebiet der Landesverteidigung.
1964 erfolgte im Zusammenhang mit den Reformen in der DDR-Volkswirtschaft die Umbenennung der HA III in HA XVIII. Die neue Struktur basierte auf dem Produktionsprinzip, das zunächst auf die führenden Wirtschaftszweige Bau und Industrie fokussiert war. Andere Wirtschaftsobjekte wurden nach dem Territorialprinzip von den Kreisdienststellen bearbeitet. Der HA XVIII in der Zentrale entsprachen gemäß dem Linienprinzip auf der Bezirksebene die Abteilungen XVIII der Bezirksverwaltungen. Sicherungsschwerpunkte waren vor allem Außenhandel, Wissenschaft und Technik sowie die Verteidigungsindustrie. Mit der Richtlinie 1/ 82 wurde der Akzent auf die Gewährleistung der inneren Stabilität verschoben. Strukturelle Auswirkungen hatte insbesondere die Hochtechnologie Mikroelektronik. 1983 wurde die für den Bereich KoKo zuständige AG BKK aus der für den Außenhandel zuständigen Abteilung 7 der HA XVIII herausgelöst.
Zuletzt wies die Organisationsstruktur 6 Arbeitsbereiche und 62 Referate auf. Sie diente vor allem der Aufklärung gegnerischer Geheimdienste ("Arbeit im und nach dem Operationsgebiet"), der inneren Abwehrarbeit in den Betrieben und Institutionen, der Gewährleistung der inneren Stabilität, der Wahrung von Sicherheit, Ordnung und Geheimnisschutz sowie der Unterstützung der Wirtschaft durch "effektivitäts- und leistungsfördernde Maßnahmen". Leiter der HA XVIII waren Knoppe (1950–1953), Hofmann (1953–1957), Weidauer (1957–1963), Mittig (1964–1974) und Kleine (1974–1989). Der hauptamtliche Mitarbeiterbestand stieg 1954–1989 von 93 auf 646, auf der gesamten Linie XVIII waren es zuletzt 1623. 1989 arbeiteten für die Linie XVIII ca. 11.000 IM.
Aufklärung hatte innerhalb des MfS unterschiedliche Bedeutungen: Sie wird zur Bezeichnung des Tätigkeitsbereiches der Auslandsspionage verwendet, die überwiegend von der HV A getragen wurde, die teilweise auch kurz als Aufklärung bezeichnet wird. Darüber hinaus findet der Begriff Verwendung bei der Bezeichnung von Sachverhaltsermittlungen (Aufklärung eines Sachverhalts) und von Überprüfungen der Eignung von IM-Kandidaten (Aufklärung des Kandidaten).
Spionageabwehr beinhaltete nicht nur defensives Abwehren westlicher Spionage, sondern auch offensive Bekämpfung westlicher (zumeist bundesdeutscher) Sicherheitsbehörden auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Das MfS fasste den Spionagebegriff sehr weit, so dass auch Angehörige oppositioneller Gruppen oder westliche Korrespondenten und Diplomaten regelmäßig im Visier der Spionageabwehr standen.
Das MfS unterschied drei Arten der Spionageabwehr. Die innere Spionageabwehr agierte innerhalb der DDR. Die äußere (auch: offensive) Spionageabwehr sollte bundesdeutsche Sicherheitsbehörden direkt bekämpfen, sich dabei aber auf deren Außenstellen und nachgeordnete Diensteinheiten konzentrieren. Die Gegenspionage hatte die Aufgabe, Spione in den Zentralen bundesdeutscher Sicherheitsbehörden zu platzieren, um die westliche Spionage gegen die DDR schon im Vorfeld zu paralysieren. In der Praxis waren die Grenzen zwischen äußerer Spionageabwehr, für die die Hauptabteilung II zuständig war, und der Gegenspionage, die Sache der Abt. IX der HV A war, fließend.
Die Spionageabwehr des MfS reagierte einerseits auf die tatsächliche Spionage gegen die DDR. Vor allem der BND und sein Vorgänger, die Organisation Gehlen, unterhielten in der DDR bis zum Mauerbau 1961 ein großes Agentennetz. In den Folgejahren brachen viele Kontakte westlicher Geheimdienste zu ihren Agenten in der DDR ab, auch enttarnte die Spionageabwehr viele von ihnen.
Der BND setzte daraufhin verstärkt Bundesbürger zur Informationsgewinnung ein, die als Besucher oder Transitreisende in der DDR unterwegs waren ("Reise- und Transitspione"). Seit den 70er Jahren versuchte der BND vor allem DDR-Bürger, die als Dienstreisende in den Westen kamen, als Agenten anzuwerben. Westliche Geheimdienste betrieben in der DDR schwerpunktmäßig Militärspionage.
Das MfS ging andererseits von der unzutreffenden Annahme aus, dass politisch widerständiges Verhalten von DDR-Bürgern zumeist von westlichen Geheimdiensten inspiriert würde (Diversion, politisch-ideologische), sodass die Bekämpfung politischer Gegner oft in den Bereich der Spionageabwehr fiel, ebenso wie die Überwachung westlicher Journalisten und Diplomaten. Aufgrund des weit gefassten Spionagebegriffs waren zahlreiche MfS-Abteilungen mit Spionageabwehr befasst, was zu Ineffizienz führte. Mielke wies deshalb 1987 der Hauptabteilung II die Federführung bei der Spionageabwehr zu.
1953 bis 1955 verhaftete das MfS in drei Großaktionen 1.200 Personen in der DDR und Westberlin, die pauschal als westliche Agenten bezeichnet wurden. Tatsächlich befanden sich darunter etliche Personen, die nur politischen Widerstand gegen die SED geleistet hatten. In vielen Fällen wurden hohe Haftstrafen verhängt, mindestens zehn Menschen wurden hingerichtet. Zugleich nutzte das MfS diese Aktionen erfolgreich als Vorlagen für ausgeklügelte Pressekampagnen.
Auch in späteren Jahren wurden Erfolge der Spionageabwehr popularisiert, nicht zuletzt um spionagebereite DDR-Bürger abzuschrecken. Schwerpunktaktionen der Hauptabteilung II in den 70er und 80er Jahren richteten sich u. a. gegen Transitspione sowie gegen die Anwerbung von Angehörigen bestimmter Personengruppen durch westliche Dienste (beispielsweise Militärangehörige, Reisekader). Erfolge erzielte die HV A im Rahmen der Gegenspionage in den 70er und 80er Jahren u. a. aufgrund ihrer Top-Quellen im BND (Gabriele Gast, Alfred Spuhler), BfV (Klaus Kuron) und MAD (Joachim Krase).
Seit den 70er Jahren intensivierte das MfS die Strategie der "vorbeugenden Verhinderung": Immer mehr Bürger wurden als potenziell spionageverdächtig observiert, immer mehr Berufsgruppen zu Geheimnisträgern erklärt, das Personal der Hauptabteilung II aufgestockt, auch die Kreisdienststellen setzten nun einen Mitarbeiter ausschließlich für Aufgaben der Linie II (Linienprinzip) ein.
Generell profitierte die Spionageabwehr von der geschlossenen Gesellschaft der DDR, der flächendeckenden Observierung der Bevölkerung, der Kooperation mit anderen sozialistischen Geheimdiensten sowie der Strategie, Verdächtige mitunter über einen sehr langen Zeitraum zu observieren. Post- und Telefonkontrolle und die Funküberwachung im In- und Ausland dienten in erheblichem Maße der Spionageabwehr.
Die überzogene Sicherheitsdoktrin führte dazu, dass das MfS in der ersten Hälfte der 70er Jahre dem Hirngespinst eines Hochstaplers aufsaß und 144 DDR-Bürger als angebliche "Agenten mit spezieller Auftragsstruktur" (AsA), quasi als Eliteagenten westlicher Dienste, einstufte und es auf dieser fiktiven Grundlage zu zahlreichen Verurteilungen kam.
Vagen Schätzungen zufolge spionierten zwischen 1949 und 1989 rund 10.000 Ost- und Westdeutsche für den BND in der DDR, viele von ihnen nur für kurze Zeit und nicht in Schlüsselpositionen. Etwa 4.000 Agenten bundesdeutscher Dienste sollen in dieser Zeit durch die Spionageabwehr der DDR erkannt und festgenommen worden sein.
Etwa 90 Prozent der "Innenquellen" des BND in der DDR (Agenten, die direkt in einem auszuspionierenden Objekt tätig waren) sollen in den 70er und 80er Jahren als Doppelagenten auch dem MfS gedient haben. Darunter waren offenbar viele, die "überworben" wurden, das heißt, das MfS hatte ihre BND-Anbindung erkannt, sie aber nicht verhaftet, sondern als IM angeworben und nun gegen den BND eingesetzt.
Sichere Angaben darüber, in welchem Umfang westliche Agenten in der DDR unerkannt geblieben sind, liegen nicht vor. Insofern kann noch keine abschließende Bilanz der Wirksamkeit der Spionageabwehr gezogen werden.
Signatur: BArch, MfS, HA III, Nr. 9562, Bl. 5-6
Im August 1985 lief der westdeutsche Verfassungsschutzmitarbeiter Hansjoachim Tiedge in die DDR über. Daraufhin leitete das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) verschiedene Maßnahmen ein, um die Tarnung seiner Agentinnen und Agenten in der DDR zu schützen.
Am 19. August 1985 reiste Hansjoachim Tiedge über Helmstedt-Marienborn in die DDR. Zu dieser Zeit war Tiedge Gruppenleiter des Referates "Nachrichtendienste der DDR" beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Auf Grund seiner Funktion und seiner 19-jährigen Tätigkeit für das BfV besaß er umfassende Kenntnisse der westdeutschen Spionageabwehr gegen die DDR.
Bis zum 23. August gab es in der Bundesrepublik keine Hinweise auf Tiedges Aufenthaltsort. Erst als der ostdeutsche Nachrichtendienst ADN meldete, dass "Tiedge […] in die DDR übergetreten [ist] und […] um Asyl ersucht" hat, wusste die westdeutsche Seite Bescheid.
Die Stasi notierte zum Motiv des Überlaufens: "Ablehnung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung". Tatsächlich flüchtete Tiedge vor persönlichen Problemen. Hohe Schulden und übermäßiger Alkoholkonsum sowie der Tod seiner Frau hatten den Beamten in familiäre und dienstliche Schwierigkeiten gebracht.
Das BfV leitete als Reaktion auf den durch Tiedges Überlaufen ausgelösten schweren Sicherheitsvorfallumfangreiche Gegenmaßnahmen ein. Die Stasi notierte: "Gegenwärtig finden in der BRD umfangreiche Aktivitäten statt mit dem Ziel, sogenannte ‚schadensbegrenzende Maßnahmen‘ zu organisieren und einzuleiten.“ Unter anderem überarbeitete der Verfassungsschutz seine Sicherheitsrichtlinien. Zudem sollten Gesetze zur inneren Sicherheit, wie die Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes und das MAD-Gesetz beschleunigt werden. Letzteres regelte u. a. die Zusammenarbeit des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) der Bundeswehr mit anderen Geheimdiensten, wie dem BfV und dem BND.
[Stempel: [durchgestrichen: VS-Vertraulich
amtlich geheimgehalten]]
[Hier wurde etwas geschwärzt.]
[Handschriftliche Ergänzung: [durchgestrichen 70]
65]
Erforderlich ist in diesem Zusammenhang, sehr sorgfältig jegliche Veränderungen im System der Sicherheitsdienste der BRD - nicht im Verfassungsschutz - festzustellen und zu analysieren.
Die Leiter der DB haben alle erforderlichen Maßnahmen zur zielgerichteten Informationsgewinnung und konkreten Analyse der Feindaktivitäten einzuleiten, die an den Prozessen der Informationsgewinnung und -auswertung beteiligten Angehörigen der Linie III sind ohne Zeitverzug im notwendigen Umfang zu instruieren.
Verteiler
Stellv. Operativ
Leiter III/1
Leiter III/7
Leiter III/9
Leiter III/16
[Unterschrift]
Männchen
Generalmajor
Linie III (Funkaufklärung und Funkabwehr)
Die Hauptabteilung III ging im Januar 1983 aus der Fusion der für Funkaufklärung zuständigen Abteilung III mit der Abteilung Funkabwehr im MfS Berlin hervor. Gemeinsam mit den nachgeordneten Abteilung III der BV betrieb sie die Funkaufklärung, Funkabwehr, Funkkontrolle und Funkgegenwirkung unter dem Leitbegriff Elektronischer Kampf (EloKa) des MfS. Ihr oblag es, aus den Funk- und Fernmeldeverbindungen der Bundesrepublik und Westberlins möglichst viele und hochwertige Gesprächsinhalte abzuschöpfen.
Im Mittelpunkt der Abhöraktionen standen Informationen aus der Bundesregierung, den Landeskabinetten, den Parteien und Medien, der Bundeswehr, der Rüstungsindustrie, den Führungsgremien der NATO, den westdeutschen Geheimdiensten und der Polizei. Daneben wurde die dem Aufspüren illegaler Funksendungen auf dem Gebiet der DDR dienende Funkabwehr betrieben und die auf den DDR-internen Funkbetrieb beschränkte Funkkontrolle.
Vor der Umstrukturierung Anfang der 80er Jahre befassten sich zwei Dienstbereiche mit der Funkarbeit im MfS: Von 1951 bis 1955 analysierte man in der HA S/2 die von westlichen Geheimdiensten benutzten technischen Verfahren und Chiffren bei der Nachrichtenübermittlung mittels Sendern und Fernsprech und Telegrafieeinrichtungen für Funk. Parallel dazu begann der technisch-organisatorische Aufbau einer Spionagefunkabwehr. Die hierauf im Jahr 1955 gebildete Abteilung Funkabwehr war bis 1968 die einzige MfS-Diensteinheit, die sich mit Angelegenheiten des speziellen Nachrichtenfunks beschäftigte. In diesen 13 Jahren wurde ein Funkfahndungssystem formiert, das aus drei Funkbeobachtungsstellen (FBS), neun Peilpunkten (PP) sowie Trupps zur mobilen Funkfahndung bestand. Bei der Suche nach Agentenfunkern und Funkresidenturen in der DDR arbeitete die Abteilung F mit dem Sachgebiet Funk der HA II zusammen.
Im Rahmen der Spionagefunkabwehr auf dem gesamten sozialistischen Territorium bekamen die FBS und PP Aufgaben zur Funkortung und Funkpeilung vom Apparat der Koordination zugewiesen. Seit dem Jahr 1966 wurde die Funkarbeit im MfS neu ausgerichtet: Man löste sich von der alleinigen Fixierung auf den Spionagefunk und ging zur offensiven Abschöpfung von Funkkanälen über. Die Gründung der Koordinierungsgruppe Funk und technischphysikalische Mittel, die zunächst den Rang einer Stabsstelle im Operativstab beim stellvertretenden Minister besaß und dort bis ins Jahr 1971 zum Bereich III erweitert wurde, markierte den Beginn der Funkaufklärung: Im sog. Punktsystem baute man Funkaufklärungsstützpunkte auf, um die von der Bundesrepublik und 136 Hauptabteilung III (Funkaufklärung und Funkabwehr) ihren Verbündeten unterhaltenen Informationskanäle im UKW-Funkspektrum abzuhören. Am 1.7.1971 wurden im MfS die Abteilung III und in den BV wie in der Verwaltung Groß-Berlin die Referate III gebildet. Die neue Diensteinheit trug auch die Bezeichnung Spezialfunkdienste (SFD) des MfS und kooperierte mit der Abteilung Funkabwehr.
Der Auftrag der HA III bedingte den Einsatz von funkelektronischen Mitteln und ein Gefüge aus Stützpunkten, Gebäuden, Anlagen und technischen Dienstleistungsstellen. Im Jahr 1989 existierten auf dem Gebiet der DDR 187 Stützpunkte: 105 feststehende sowie 82 mobile oder halbstationäre Abhörstellen an regelmäßig aufgesuchten Geländepunkten. Dazu erfüllten 41 Stützpunkte von anderen DDR-Ministerien Abhöraufträge oder Funkkontrolldienste im Auftrag der HA III.
Die HA III verfügte im September 1989 über 2.361 Mitarbeiter, weitere 654 gab es in den 15 Abteilung III der BV. Der zentrale Dienstsitz befand sich in Berlin-Köpenick, im Zentralobjekt Wuhlheide (ZOW). Im Jahr 1989 gliederte sich die HA III bei insgesamt 25 Abteilungen in die fünf Anleitungs- und Arbeitsbereiche Operativ (O), Informationsgewinnung (I), Funkabwehr (F), Sicherheit (S) und Technik (T).
Spionageabwehr beinhaltete nicht nur defensives Abwehren westlicher Spionage, sondern auch offensive Bekämpfung westlicher (zumeist bundesdeutscher) Sicherheitsbehörden auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Das MfS fasste den Spionagebegriff sehr weit, so dass auch Angehörige oppositioneller Gruppen oder westliche Korrespondenten und Diplomaten regelmäßig im Visier der Spionageabwehr standen.
Das MfS unterschied drei Arten der Spionageabwehr. Die innere Spionageabwehr agierte innerhalb der DDR. Die äußere (auch: offensive) Spionageabwehr sollte bundesdeutsche Sicherheitsbehörden direkt bekämpfen, sich dabei aber auf deren Außenstellen und nachgeordnete Diensteinheiten konzentrieren. Die Gegenspionage hatte die Aufgabe, Spione in den Zentralen bundesdeutscher Sicherheitsbehörden zu platzieren, um die westliche Spionage gegen die DDR schon im Vorfeld zu paralysieren. In der Praxis waren die Grenzen zwischen äußerer Spionageabwehr, für die die Hauptabteilung II zuständig war, und der Gegenspionage, die Sache der Abt. IX der HV A war, fließend.
Die Spionageabwehr des MfS reagierte einerseits auf die tatsächliche Spionage gegen die DDR. Vor allem der BND und sein Vorgänger, die Organisation Gehlen, unterhielten in der DDR bis zum Mauerbau 1961 ein großes Agentennetz. In den Folgejahren brachen viele Kontakte westlicher Geheimdienste zu ihren Agenten in der DDR ab, auch enttarnte die Spionageabwehr viele von ihnen.
Der BND setzte daraufhin verstärkt Bundesbürger zur Informationsgewinnung ein, die als Besucher oder Transitreisende in der DDR unterwegs waren ("Reise- und Transitspione"). Seit den 70er Jahren versuchte der BND vor allem DDR-Bürger, die als Dienstreisende in den Westen kamen, als Agenten anzuwerben. Westliche Geheimdienste betrieben in der DDR schwerpunktmäßig Militärspionage.
Das MfS ging andererseits von der unzutreffenden Annahme aus, dass politisch widerständiges Verhalten von DDR-Bürgern zumeist von westlichen Geheimdiensten inspiriert würde (Diversion, politisch-ideologische), sodass die Bekämpfung politischer Gegner oft in den Bereich der Spionageabwehr fiel, ebenso wie die Überwachung westlicher Journalisten und Diplomaten. Aufgrund des weit gefassten Spionagebegriffs waren zahlreiche MfS-Abteilungen mit Spionageabwehr befasst, was zu Ineffizienz führte. Mielke wies deshalb 1987 der Hauptabteilung II die Federführung bei der Spionageabwehr zu.
1953 bis 1955 verhaftete das MfS in drei Großaktionen 1.200 Personen in der DDR und Westberlin, die pauschal als westliche Agenten bezeichnet wurden. Tatsächlich befanden sich darunter etliche Personen, die nur politischen Widerstand gegen die SED geleistet hatten. In vielen Fällen wurden hohe Haftstrafen verhängt, mindestens zehn Menschen wurden hingerichtet. Zugleich nutzte das MfS diese Aktionen erfolgreich als Vorlagen für ausgeklügelte Pressekampagnen.
Auch in späteren Jahren wurden Erfolge der Spionageabwehr popularisiert, nicht zuletzt um spionagebereite DDR-Bürger abzuschrecken. Schwerpunktaktionen der Hauptabteilung II in den 70er und 80er Jahren richteten sich u. a. gegen Transitspione sowie gegen die Anwerbung von Angehörigen bestimmter Personengruppen durch westliche Dienste (beispielsweise Militärangehörige, Reisekader). Erfolge erzielte die HV A im Rahmen der Gegenspionage in den 70er und 80er Jahren u. a. aufgrund ihrer Top-Quellen im BND (Gabriele Gast, Alfred Spuhler), BfV (Klaus Kuron) und MAD (Joachim Krase).
Seit den 70er Jahren intensivierte das MfS die Strategie der "vorbeugenden Verhinderung": Immer mehr Bürger wurden als potenziell spionageverdächtig observiert, immer mehr Berufsgruppen zu Geheimnisträgern erklärt, das Personal der Hauptabteilung II aufgestockt, auch die Kreisdienststellen setzten nun einen Mitarbeiter ausschließlich für Aufgaben der Linie II (Linienprinzip) ein.
Generell profitierte die Spionageabwehr von der geschlossenen Gesellschaft der DDR, der flächendeckenden Observierung der Bevölkerung, der Kooperation mit anderen sozialistischen Geheimdiensten sowie der Strategie, Verdächtige mitunter über einen sehr langen Zeitraum zu observieren. Post- und Telefonkontrolle und die Funküberwachung im In- und Ausland dienten in erheblichem Maße der Spionageabwehr.
Die überzogene Sicherheitsdoktrin führte dazu, dass das MfS in der ersten Hälfte der 70er Jahre dem Hirngespinst eines Hochstaplers aufsaß und 144 DDR-Bürger als angebliche "Agenten mit spezieller Auftragsstruktur" (AsA), quasi als Eliteagenten westlicher Dienste, einstufte und es auf dieser fiktiven Grundlage zu zahlreichen Verurteilungen kam.
Vagen Schätzungen zufolge spionierten zwischen 1949 und 1989 rund 10.000 Ost- und Westdeutsche für den BND in der DDR, viele von ihnen nur für kurze Zeit und nicht in Schlüsselpositionen. Etwa 4.000 Agenten bundesdeutscher Dienste sollen in dieser Zeit durch die Spionageabwehr der DDR erkannt und festgenommen worden sein.
Etwa 90 Prozent der "Innenquellen" des BND in der DDR (Agenten, die direkt in einem auszuspionierenden Objekt tätig waren) sollen in den 70er und 80er Jahren als Doppelagenten auch dem MfS gedient haben. Darunter waren offenbar viele, die "überworben" wurden, das heißt, das MfS hatte ihre BND-Anbindung erkannt, sie aber nicht verhaftet, sondern als IM angeworben und nun gegen den BND eingesetzt.
Sichere Angaben darüber, in welchem Umfang westliche Agenten in der DDR unerkannt geblieben sind, liegen nicht vor. Insofern kann noch keine abschließende Bilanz der Wirksamkeit der Spionageabwehr gezogen werden.