Seit ihrer Gründung hatte die DDR wiederholt mit innenpolitischen Problemen zu kämpfen. Während im Westteil Deutschlands der Lebensstandard der Bevölkerung kontinuierlich anstieg, stagnierte er in der DDR. Eine einseitige, auf Industrie ausgerichtete Aufbaupolitik gepaart mit rascher Militarisierung belastete die Wirtschaft des Landes, die ohnehin durch die sowjetischen Reparationsforderungen unter Druck stand. Eine Mehrheit der Bevölkerung identifizierte sich nicht mit dem sozialistischen System, das entsprechend auf tönernen Füßen stand. Gleichzeitig betrieb die SED-Führung zielstrebig den Aufbau eines Staates nach stalinistischem Vorbild und brachte damit weite Teile der Gesellschaft gegen sich auf, die sich nicht mit Bevormundung und Enteignungen abfinden wollten.
In dieser angespannten Stimmung wurde die Frage der Arbeitsnormen zum Zündfunken. Die Normen legten zentral fest, wie viel Arbeit in einem bestimmten Zeitraum zu leisten war. Am 14. Mai 1953 hatte das Zentralkomitee der SED beschlossen, die Arbeitsnormen zu erhöhen. Die Arbeiter sollten bei gleichem Lohn zehn Prozent mehr leisten. Diese faktische Lohnkürzung provozierte zahlreiche kleinere Streiks. In der Leipziger Eisen- und Stahlgießerei streikten am 13. und 16. Mai insgesamt 900 Arbeiter. Auch auf Berliner Baustellen und in Betrieben gab es kleinere Streiks. Diese kleineren Arbeitskämpfe und Proteste waren jedoch nur der Anfang. Ab dem 15. Juni kam es zu weiteren Arbeitsniederlegungen auf Berliner Großbaustellen wie denen in der Stalinallee und am Krankenhaus im Friedrichshain. Als am 16. Juni auch ein Protestmarsch von 10.000 Arbeitern und Passanten zum Haus der Ministerien keine Zugeständnisse der Staatsführung einbrachten, riefen die Demonstranten zu einem Generalstreik am 17. Juni aus.
Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile, auch über die Stadtgrenzen von Berlin hinaus. So kam es am Folgetag in vielen Städten und Kreisen der DDR zu Arbeitsniederlegungen in den Betrieben. Aus diesen Streiks wurden Proteste, die zunehmend politischen Charakter trugen. Ermutigt durch die zunächst ausbleibende Antwort des Staates forderten die Demonstranten bald nicht mehr nur eine Rücknahme der Normerhöhung, sondern politische Reformen, schließlich sogar die deutsche Wiedervereinigung.
Die aufgebrachte Bevölkerung stürmte Dienststellen der Stasi, warf Akten aus den Fenstern, verprügelte und demütigte Mitarbeiter des MfS. Ein Teil der SED-Führung flüchtete sich unter den Schutz der sowjetischen Besatzer, erst der Einsatz sowjetischen Militärs rettete der Partei die Macht.
Der Volksaufstand traf das MfS genauso unvorbereitet wie die SED-Führung. Weil die SED aber nicht akzeptieren konnte, dass große Teile der Bevölkerung ihre Politik ablehnten, deutete ihre Führung den Aufstand kurzerhand propagandistisch um. Es sei ein aus dem Ausland gesteuerter "faschistischer" Putsch gewesen. Für die Stasi wurde diese Deutung zum Problem. Die spontane Volkserhebung des 17. Juni war für sie so nur schwer vorherzusehen gewesen. Den angeblichen Putsch, für den eine organisierte Untergrundbewegung mit Kontakten in den Westen nötig gewesen wäre, hätte sie vorhersehen müssen.
Weiterführende Literatur
- Roger Engelmann: Der Tag "X" und die Staatssicherheit. 17. Juni 1953 - Reaktionen und Konsequenzen im DDR-Machtapparat, Berlin 2003
- Roger Engelmann (Bearb.): Die DDR im Blick der Stasi 1953. Die geheimen Berichte an die SED-Führung. Mit Datenbank auf CD-ROM, Göttingen 2013
- llko-Sascha Kowalczuk, Gudrun Weber (Bearb.): 17. Juni 1953: Volksaufstand in der DDR. Ursachen-Abläufe-Folgen. Mit Audio-CD; BStU, Berlin 2003
- Bernd Eisenfeld, Ilko-Sascha Kowalczuk, Erhart Neubert: Die verdrängte Revolution. Der Platz des 17. Juni 1953 in der deutschen Geschichte (Analysen und Dokumente. Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten, Bd. 25), Bremen 2004
- Roger Engelmann, Ilko-Sascha Kowalczuk (Hg.): Volkserhebung gegen den SED-Staat. Eine Bestandsaufnahme zum 17. Juni 1953 (Analysen und Dokumente - Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten, Band 27), Göttingen 2005
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