Entwicklung zur Spitzenquelle

1955 war Karl-Heinz Kurras Zugführer im Einsatzkommando Charlottenburg der West-Berliner Schutzpolizei. Der Verband war als Polizeibereitschaft unter anderem für die Begleitung von Demonstrationen und Großveranstaltungen zuständig. Nur wenige Tage nach seiner Verpflichtung informierte der Geheime Mitarbeiter "Otto Bohl" über den Einsatzplan seines Kommandos für den 1. Mai in West-Berlin. In der Folge übermittelte er etwa Persönlichkeitsprofile und diskreditierende Details über seine Kollegen sowie ungezählte dienstliche Unterlagen nach Ost-Berlin.

Die Fülle der eingehenden Informationen von "Otto Bohl" war für das MfS von Anfang an attraktiv. Seine Führungsoffiziere, zu Beginn Fritz Redlin und später Werner Eiserbeck von der für die "operative Bearbeitung" der West-Berliner Polizei zuständigen Abteilung VII, hoben seine rasche Auffassungsgabe hervor. Weiter heißt es in den regelmäßigen "Auskunftsberichten", "Otto Bohl" sei bereit "jeden Auftrag für das MfS durchzuführen. Er besitzt Mut und Kühnheit, um schwierige Aufgaben zu lösen."

Die Stasi gab "Otto Bohl" deshalb auch den Auftrag, in der Polizei Karriere zu machen. Kurras, der als "Waffennarr" Mitglied des Polizeischießvereins war und sich darüber innerhalb des Polizeiapparates gut vernetzen konnte, war bei seinen West-Berliner Vorgesetzten beliebt. Diese Verbindungen verstand er zu nutzen. 1959 gelang die Versetzung zur Kriminalpolizei, Kurras wurde Kommissar. Das nächste Ziel war eine Versetzung zum LKA, lieber noch aber in die Abteilung I der Kriminalpolizei. Diese Abteilung sollte die Westberliner Polizei gegen Infiltrierung von Agenten aus der DDR schützen und das MfS beobachten.

Das Vorhaben gelang. Kurras, der im Auftrag des MfS seinen Westberliner Vorgesetzten weismachte, dass er der freiheitlich-demokratischen Grundordnung treu ergeben sei, wurde im Januar 1965 zur Abteilung I versetzt. Deren Abwehrbemühungen, inklusive der Fahndung nach Spitzeln der Stasi in den eigenen Reihen, waren nun für das MfS ein offenes Buch. Kurras wurde spätestens jetzt für das MfS zu einer Spitzenquelle.