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Geschichten
"Radio Glasnost - Außer Kontrolle"
Das Ost-West-Radio der DDR-Opposition und die Stasi
Im Sommer 1987 hatte die Sendung Radio Glasnost ihre Premiere. Die Beiträge wurden von Oppositionellen in der
DDR produziert, jedoch von einer Redaktion in West-Berlin vertont und dann von dort ausgestrahlt. Die Macher wollten die Menschen auf beiden Seiten der Mauer erreichen und sie über die wachsende Protestbewegung in der
DDR informieren. Für die
DDR-Führung und die
Stasi war das ein großes Ärgernis. Die Geheimpolizei versuchte mehrfach die Ausstrahlung von Radio Glasnost mit Störsendern zu behindern.
"Radio Glasnost - Außer Kontrolle"
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Einleitung
Die einstündige Sendung "Radio Glasnost - Außer Kontrolle" mit Beiträgen "aus und über die DDR" konnte in den zweieinhalb Jahren zwischen Juli 1987 und dem Mauerfall sowohl im Westen als auch im Osten Berlins empfangen werden. Jeden letzten Montag des Monats begrüßte die Radiomoderatorin Ilona Marenbach die Einwohner in "Friedrichshain und Friedrichsfelde, in Pankow und Prenzlauer Berg und nicht zuletzt in Kreuzberg und Zehlendorf". Zu hören gab es die Musik von Bands aus dem Untergrund sowie Wortbeiträge, die zuvor heimlich vom Osten in den Westen geschmuggelt worden waren. So landeten die Berichte über Veranstaltungen der Opposition und ihre Diskussionen im Westen - mal auf Kassette, mal auf Papier - wo sie vertont und zu Sendebeiträgen zusammengestellt wurden.
Eine kleine West-Berliner Redaktion, gegründet durch den Radio-100-Redakteur Dieter Rulff und den aus der DDR ausgebürgerten Oppositionellen Roland Jahn, sorgte dafür, dass die Beiträge auf dem Sendeplatz von Radio Glasnost beim Alternativsender Radio 100 fest verankert waren. Dieser Sender hatte sich erst kurz zuvor, im März 1987, einen Platz auf der Frequenz des ersten privaten Radiosenders Berlins erobert. Während tagsüber ein kommerzieller Privatsender sendete, übernahm abends Radio-100. "Radio Glasnost – Außer Kontrolle", der offizielle Name der Sendung der DDR-Dissidenten, versuchte "aus der eigenen Suppenschüssel zu springen und zu schauen was draußen los ist", wie Marenbach sagte.
Einleitung
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Audiomitschnitt Radio Glasnost 25. April 1988
Audiomitschnitt Radio Glasnost 25. April 1988
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Das erste Mal war Radio Glasnost am 22. Juli 1987 zu hören. In einer kurzen Pilotsendung kündigte Moderatorin Marenbach an, von nun an monatlich eine einstündige Sendung auszustrahlen, in der Oppositionelle aus der DDR zu Wort kommen würden. Ab dem 31. August 1987 konnten die Zuhörer nun beispielsweise Diskussionen aus unterschiedlichen Gruppen der Umwelt- und Menschenrechtsbewegung lauschen. Es dauerte nicht lange, bis Radio Glasnost in der DDR sein Publikum gefunden hatte.
Doch auch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde hellhörig und wertete alle Sendungen im Detail aus. Die Geheimpolizei fahndete nach den Urhebern und untersuchte, welchen Einfluss die Beiträge auf DDR-Bürger haben könnten. Minister Erich Mielke persönlich wies die zuständigen Diensteinheiten an, gegen den Sender und die Macher des Programms vorzugehen.
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Erster Bericht nach der Pilotsendung von Radio Glasnost
Erster Bericht nach der Pilotsendung von Radio Glasnost
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Bericht nach der ersten Sendung über die Hintergrundpersonen und Wirksamkeit auf die DDR
Bericht nach der ersten Sendung über die Hintergrundpersonen und Wirksamkeit auf die DDR
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Information an alle Diensteinheiten über die Sendereihe Radio Glasnost
Information an alle Diensteinheiten über die Sendereihe Radio Glasnost
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Die Entstehung und die Verantwortlichen
In der DDR waren Reinhard Schult, Ralf Hirsch und andere für Texte und Organisation verantwortlich. Im Westen beteiligten sich Dieter Rulff, Roland Jahn sowie die aus der DDR ausgereisten Autoren Rüdiger Rosenthal und Fred Kowasch an der Redaktion. Über deren Netzwerke und Kontakte auf beiden Seiten der Mauer bekam das Projekt Aufmerksamkeit bei der DDR-Opposition, die sich nach dem Start mehr und mehr an der Produktion beteiligte. Jahn, ehemaliges Mitglied des Jenaer Friedenskreises, diente vor allem als Vermittler zwischen bundesdeutschen Journalisten und Oppositionellen in der DDR. Diese Kontakte ermöglichten es erst, das Material für die Sendungen von Ost nach West zu transportieren. Hauptsächlich wurde es von westdeutschen Journalisten, Diplomaten und Bundestagsabgeordneten über die Grenze geschmuggelt, deren Gepäck nicht so streng kontrolliert werden durfte.
Das MfS wusste sehr genau, dass die Informationen und Sendebeiträge über ein geheimes Kuriernetz nach West-Berlin gelangten und versuchte die „feindlich-negative[…] Beeinflussung von Bürgern der DDR“ zu unterbinden. Radio 100 hätte seine auf „politisch ideologische Zersetzung gerichtete Tätigkeit erheblich aktiviert“, hieß es kurz nach der zweiten Sendung in einem Bericht der Hauptabteilung III, zuständig für Funkaufklärung und Funkabwehr. Die Geheimpolizei setzte alles daran die Verbindungen zwischen den Oppositionellen aus der DDR und der Redaktion in West-Berlin aufzudecken.
Die Entstehung und die Verantwortlichen
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Maßnahmen der Linie IX gegen Radio Glasnost
Maßnahmen der Linie IX gegen Radio Glasnost
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Empfangsgebiet von Radio Glasnost in der DDR
Empfangsgebiet von Radio Glasnost in der DDR
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Maßnahmeplan zur politisch-operativen Bearbeitung von Radio Glasnost
Maßnahmeplan zur politisch-operativen Bearbeitung von Radio Glasnost
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Aktion "David" – Technische Störung
"Ich hoffe, dass wir noch ein paar Hörer und Hörerinnen haben und nicht alle zur Geburtstagsfeier von Erich Mielke gegangen sind, aber vielleicht wird auch dort, beim Minister für Staatssicherheit Radio Glasnost gehört." Mit diesen Worten begann die fünfte Sendung von Radio Glasnost, das der DDR-Führung zunehmend ein Dorn im Auge war. Sogar das Zentralorgan der SED, die Tageszeitung "Neues Deutschland", bezog in einem Artikel Stellung gegen die "Hasstiraden gegen die DDR". Dieser Beitrag verschaffte der Sendung noch mehr Zulauf und bestärkte somit die Redaktion in ihrem Weg.
Die Staatssicherheit beschränkte sich nun nicht mehr darauf, die einzelnen Sendungen detailliert mitzuschneiden. Zusätzlich installierten Funkspezialisten der Geheimpolizei unter dem Decknamen Aktion "David" Störsender, um den Empfang von Radio Glasnost möglichst zu unterbinden. Allerdings war die Sendefrequenz von Radio 100 international angemeldet und mit dem Ministerium für Post- und Fernmeldewesen der DDR abgestimmt worden. Um nicht das internationale Postabkommen zu verletzen und gegen internationales Recht zu verstoßen, durften sich technische Störmaßnahmen nur auf das Gebiet der DDR erstrecken. Durch eine Zusammenarbeit mit der DDR-Post war es dann möglich, insgesamt zwölf Störsender rund um West-Berlin aufzustellen, die den Empfang von Radio Glasnost in der DDR erschweren sollten. Besonders stark sollte der Empfang gestört werden, wenn sich die Radiobeiträge frontal gegen die DDR richteten.
Aktion "David" – Technische Störung
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Technische Störung von "Radio Glasnost – außer Kontrolle"
Technische Störung von "Radio Glasnost – außer Kontrolle"
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Aktion David Maßnahmeplan
Aktion David Maßnahmeplan
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Information über die Einleitung von Störmaßnahmen gegen Radio Glasnost
Information über die Einleitung von Störmaßnahmen gegen Radio Glasnost
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Schlussfolgerung Aktion "David"
Die Störsender arbeiteten, wie von der Stasi gewünscht: In vielen Bereichen im Osten Berlins war die achte Sendung vom 28. März 1988 nur noch schwer oder gar nicht zu verstehen. Die Stasi dokumentierte auf Karten, wo die Aktion "David" wirksam war. Allerdings wurde auch der Radioempfang in West-Berlin gestört, wogegen der Berliner Senat in einer offiziellen Stellungnahme protestierte.
Trotzdem initiierte die Staatssicherheit eine zweite Aktion unter dem Decknamen "David 2". Die nächste Sendung im April sollte erneut durch Störmaßnahmen unterbrochen werden. Anders als bei der März-Sendung reagierte Moderatorin Marenbach diesmal in der Sendung auf die Störmaßnahmen. "Wenn wir jetzt beim Fernsehen wären, könnten wir eine Schrifttafel einschieben, auf der würde stehen: Achtung Sendestörung im Bereich Berlin-Ost." Marenbach empfahl zur Verbesserung der Sendequalität auf Mono-Empfang überzugehen und versprach eine Wiederholung der Sendung. Insgesamt schaffte die Stasi es bei der ersten Sendung 18 Minuten und bei der zweiten 14 Minuten lang den Empfang zu stören. Als daraufhin weitere Proteste gegen die DDR laut wurden, stellte das MfS die Störmaßnahmen ein. So hatten etwa die West-Berliner Tageszeitung (Taz) und das Bundespostministerium versucht die Ursache der Störungen zurück zu verfolgen. Die Stasi musste sogar einsehen, "dass durch eine Kampagne westlicher Medien infolge der Störversuche, die Aussendungen von Radio Glasnost popularisiert und politisch aufgewertet würden und erfahrungsgemäß der Hörerkreis in der Hauptstadt der DDR und den angrenzenden Bezirken anwachsen werde." Die Störsender hatten zwar das Programm von Radio Glasnost unterbrochen, der Sendung aber zusätzliche Aufmerksamkeit und damit auch neue Hörer beschert. Zwei Wochen nach dem Ende der Aktion "David 2" entschied Mielke, den Empfang von Radio Glasnost vorerst nicht weiter stören zu lassen.
Schlussfolgerung Aktion "David"
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Informationen zu den durchgeführten Maßnahmen Aktion "David"
Informationen zu den durchgeführten Maßnahmen Aktion "David"
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Beendigung der Störmaßnahmen und Abschlussbericht
Beendigung der Störmaßnahmen und Abschlussbericht
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Epilog
Radio Glasnost hatte einen Vorläufer, der für das oppositionelle Radio Ideengeber war. Bereits Ende Oktober 1986, im Gefolge des Reaktorunglücks von Tschernobyl hatte das kurzlebige Piratenradio "Schwarzer Kanal" auf ganz ähnliche Art und Weise das Informationsmonopol der DDR-Medien unterlaufen. Unter dem Titel "Der Schwarze Kanal" waren vom West-Berliner Stadtteil Kreuzberg mit Hilfe West-Berliner Autonomer kurze Sendungen mit Beiträgen von Oppositionellen aus der DDR ausgestrahlt worden. Durch Störsender der DDR wurde der Empfang massiv erschwert - und der Sender war auch nach westlichen Maßstäben illegal. Zum Jahresende hatten die Veranstalter die Sendung bereits wieder eingestellt. Aber eine Idee war geboren. Als wenige Monate später Radio 100 auf der ersten privaten Frequenz Sendefläche erhielt, ging Radio Glasnost nun erfolgreich und dauerhafter an den Start.
Mit der Friedlichen Revolution von 1989 wurde auch das Informationsmonopol des Staates gebrochen – und das Senden aus dem Untergrund somit hinfällig. Am letzten Montag im November 1989, drei Wochen nach dem Mauerfall, eröffnete Ilona Marenbach mit ihrem Willkommensgruß ein letztes Mal eine Sendung von Radio Glasnost. Dieses Mal konnten die Oppositionellen aus der DDR jedoch live im Studio in West-Berlin sein, darunter Reinhard Schult vom Neuen Forum und Hildigund Neubert vom Demokratischen Aufbruch. Mit dabei war auch Ibrahim Böhme von der neuen Sozialdemokratischen Partei der DDR, der später als Stasi-Spitzel enttarnt wurde. Insgesamt hatte Radio Glasnost bis dahin 27 Mal über die Oppositionsbewegung und deren Aktivitäten in der DDR berichtet.
Epilog