Sorge um die Wirtschaft

Neben der Gefahr durch die radioaktive Kontamination befürchtete die Stasi die Bedrohung für die Wirtschaft der DDR durch Tschernobyl. Der Außenhandel war für die DDR von großer Bedeutung. Nur durch den Verkauf von Waren ins westliche Ausland ließen sich dringend benötigte Devisen erwirtschaften. In der Bundesrepublik, einem der wichtigsten Handelspartner der DDR, reagierte man jedoch geschockt auf das Reaktorunglück – und mied Waren aus dem Osteuropa. Vor allem Lebensmittel aus der DDR, die zuvor gerne importiert worden waren, galten nun als gefährlich.

Die Stasi verzeichnete die Folgen genau. So verweigerte nun eine West-Berliner Molkerei die für den gesamten Monat Mai 1986 vereinbarte Abnahme von Frischmilch. Der DDR entgingen allein dadurch knapp 325 000 Valutaeinheiten. Das wären heute inflationsbereinigt etwa 286 000 Euro.

Gleichzeitig ließen auch die Bürger der DDR die Finger von frischen Lebensmitteln. Gemüse und Milch verkamen zu Ladenhütern. Milchpulver hingegen war mehr als üblich gefragt, so dass aus der verschmähten Frischmilch rasch Nachschub an Trockenmilch produziert wurde. So verbesserte Tschernobyl absurderweise die Versorgungslage in der DDR: Die Tage und Wochen bis Ende Mai 1986 waren vielleicht der einzige Zeitraum ihres Bestehens, in denen die Staatssicherheit von einem Überangebot in den Kaufhallen berichten konnte.