Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 8266, Bl. 9-11
Am 6. November 1989 reagierte die SED-Führung auf die Tausenden von Menschen, die die DDR über die Tschechische Grenze verließen, und veröffentlichte den Entwurf eines neuen Reisegesetzes. Dieser sah vor, dass DDR-Bürgerinnen und Bürger künftig für 30 Tage im Jahr ungehindert in das westliche Ausland reisen durften. Die zeitliche Begrenzung wurde allerdings als ungenügend empfunden und sorgte in der DDR-Bevölkerung für Empörung.
Im November 1989 mussten SED und Staatssicherheit unter dem Druck der Bürgerbewegung immer weiter zurückweichen. Die Diktatur befand sich in einer offenen Krise. Davon blieb auch das Ministerium für Staatssicherheit nicht verschont.
Die Öffnung der Westgrenze der DDR am 9. November hatte die Diktatur gebrochen. 28 Jahre hatten Mauer und Stacheldraht Land und Menschen getrennt. Der neuen SED-Führung unter Egon Krenz war in den Wochen zuvor klar geworden, dass sie nicht darum herum kommen würde, die Grenze ein Stück weit zu öffnen. In Kommissionen, an denen auch Vertreter der Staatssicherheit beteiligt waren, wurde über ein neues "Reisegesetz" beraten.
Am 6. November 1989 veröffentlichte die SED-Führung im Parteiorgan "Neues Deutschland" den Entwurf einer neuen Regelung. Dieser Gesetzentwurf wäre noch im September 1989 eine Sensation gewesen. Jetzt stellte er niemanden mehr zufrieden, weil das Regime bereits erkennbar geschwächt war. Nach der geplanten Regelung sollten zwar (fast) alle jedes Jahr für einige Wochen in den Westen reisen dürfen, aber weiterhin würden Antrag und Genehmigung (Visum) der Staatsorgane erforderlich sein. Auf Demonstrationen, etwa in Leipzig, attackierten die Rednerinnen und Redner den Entwurf als Ausdruck der alten Machtanmaßung.
Seit dem 5. November schickte der Minister für Staatssicherheit täglich einen "Lagebericht" über Stimmung und Aktionen im Land an SED-Generalsekretär Krenz. Im dritten Bericht vom 7. November wird berichtet, dass die Größe der Demonstrationen und der Unmut der DDR-Bevölkerung eskalierten. Die Veröffentlichung des Reisegesetzentwurfes hatte nicht zur Beruhigung beigetragen, sondern im Gegenteil die Proteste weiter verstärkt.
Ministerrat Der Deutschen Demokratischen Republik
Ministerium für Staatssicherheit
Der Minister
Berlin, den 7. Nov. 1989
Tgb.-Nr. VMA/ 515/89
Generalsekretär des Zentralkomitees der SED
Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates der DDR
Genossen Egon Krenz
Berlin
[Kürzel: K.]
Werter Genosse Krenz!
Beiliegend übersende ich Ihnen den 3. Lagebericht mit der Bitte um Kenntnisnahme.
[Unterschrift: Mielke]
Armeegeneral
Anlage:
2 Blatt
Regime, auch Regimeverhältnisse, bezeichnet die Gesamtheit der Verhältnisse und Lebensbedingungen eines Landes oder geographischen Raumes (z. B. politische Entwicklungen, administrative Strukturen, kulturelle Besonderheiten, behördliche Sicherheitsvorkehrungen), deren Kenntnis für ein effektives und unauffälliges nachrichtendienstliches Handeln notwendig war. Mit diesen Kenntnissen sollten vor allem das IM-Netz im Westen und der grenzüberschreitende Agentenreiseverkehr geschützt werden.
So sollten IM im Westeinsatz wissen, wie die bundesdeutsche Spionageabwehr arbeitete, wie streng Meldeformalitäten in Hotels gehandhabt wurden, wie man sich als durchschnittlicher Bundesbürger verhielt usw. Die Abteilung VI der HV A hatte die Aufgabe, systematisch Informationen über das Regime im Operationsgebiet zu sammeln und in der SIRA-Teildatenbank 13 nachzuweisen.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 8266, Bl. 9-11
Am 6. November 1989 reagierte die SED-Führung auf die Tausenden von Menschen, die die DDR über die Tschechische Grenze verließen, und veröffentlichte den Entwurf eines neuen Reisegesetzes. Dieser sah vor, dass DDR-Bürgerinnen und Bürger künftig für 30 Tage im Jahr ungehindert in das westliche Ausland reisen durften. Die zeitliche Begrenzung wurde allerdings als ungenügend empfunden und sorgte in der DDR-Bevölkerung für Empörung.
Im November 1989 mussten SED und Staatssicherheit unter dem Druck der Bürgerbewegung immer weiter zurückweichen. Die Diktatur befand sich in einer offenen Krise. Davon blieb auch das Ministerium für Staatssicherheit nicht verschont.
Die Öffnung der Westgrenze der DDR am 9. November hatte die Diktatur gebrochen. 28 Jahre hatten Mauer und Stacheldraht Land und Menschen getrennt. Der neuen SED-Führung unter Egon Krenz war in den Wochen zuvor klar geworden, dass sie nicht darum herum kommen würde, die Grenze ein Stück weit zu öffnen. In Kommissionen, an denen auch Vertreter der Staatssicherheit beteiligt waren, wurde über ein neues "Reisegesetz" beraten.
Am 6. November 1989 veröffentlichte die SED-Führung im Parteiorgan "Neues Deutschland" den Entwurf einer neuen Regelung. Dieser Gesetzentwurf wäre noch im September 1989 eine Sensation gewesen. Jetzt stellte er niemanden mehr zufrieden, weil das Regime bereits erkennbar geschwächt war. Nach der geplanten Regelung sollten zwar (fast) alle jedes Jahr für einige Wochen in den Westen reisen dürfen, aber weiterhin würden Antrag und Genehmigung (Visum) der Staatsorgane erforderlich sein. Auf Demonstrationen, etwa in Leipzig, attackierten die Rednerinnen und Redner den Entwurf als Ausdruck der alten Machtanmaßung.
Seit dem 5. November schickte der Minister für Staatssicherheit täglich einen "Lagebericht" über Stimmung und Aktionen im Land an SED-Generalsekretär Krenz. Im dritten Bericht vom 7. November wird berichtet, dass die Größe der Demonstrationen und der Unmut der DDR-Bevölkerung eskalierten. Die Veröffentlichung des Reisegesetzentwurfes hatte nicht zur Beruhigung beigetragen, sondern im Gegenteil die Proteste weiter verstärkt.
Berlin, 7. November 1989
3. Lagebericht; [unterstrichen: Streng geheim]
Am 6. November kam es in allen Bezirken der DDR zu einer Vielzahl von Demonstrationen und Kundgebungen mit ansteigenden Teilnehmerzahlen und zunehmend aggressiv erhobenen Forderungen, die sich immer stärker gegen die führende Rolle der Partei und deren Repräsentanten auf allen Ebenen sowie die Schutz- und Sicherheitsorgane, besonders das MfS, richten. Nach vorliegenden Hinweisen nahmen an ca. 100 bedeutenden Dialog- und Protestveranstaltungen mehr als 750.000 Personen teil. Der Einfluß des "Neuen Forum" und anderer Sammlungsbewegungen wächst. Es verstärken sich Anzeichen der Ablehnung des Dialogs. Die erhobenen Forderungen tragen zunehmend radikalen und ultimativen Charakter. Massencharakter nahmen die Demonstrationen und Kundgebungen erneut vor allem in Leipzig (über 200.000 Teilnehmer), Karl-Marx-Stadt (100.000 Teilnehmer), Dresden und Halle (jeweils ca. 80.000 Teilnehmer), Magdeburg und Cottbus (jeweils ca. 32.000 Teilnehmer) an. Zu Ausschreitungen kam es nicht. In einer sich weiter zuspitzenden Atmosphäre in Halle forderten die Teilnehmer den Rücktritt des 1. Sekretärs der Bezirksleitung der SED und der SED-Stadtleitung sowie des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes.
Die Teilnehmer eines Dialoggespräches im Anschluß an eine Demonstration in Karl-Marx-Stadt verhinderten durch Sprechchöre und Pfiffe weitgehend die Rede des 1. Sekretärs der Bezirksleitung der SED.
Eine Vielzahl kirchlicher Veranstaltungen bildete wie bisher den Ausgangspunkt von Demonstrationen. Sie dienten der weiteren Formierung der bekannten Sammlungsbewegungen und der Verbreitung ihrer Forderungen und Programme. In ersten Reaktionen wurde der Reisegesetzentwurf als "Hinhaltetaktik der SED" abgelehnt.
Regime, auch Regimeverhältnisse, bezeichnet die Gesamtheit der Verhältnisse und Lebensbedingungen eines Landes oder geographischen Raumes (z. B. politische Entwicklungen, administrative Strukturen, kulturelle Besonderheiten, behördliche Sicherheitsvorkehrungen), deren Kenntnis für ein effektives und unauffälliges nachrichtendienstliches Handeln notwendig war. Mit diesen Kenntnissen sollten vor allem das IM-Netz im Westen und der grenzüberschreitende Agentenreiseverkehr geschützt werden.
So sollten IM im Westeinsatz wissen, wie die bundesdeutsche Spionageabwehr arbeitete, wie streng Meldeformalitäten in Hotels gehandhabt wurden, wie man sich als durchschnittlicher Bundesbürger verhielt usw. Die Abteilung VI der HV A hatte die Aufgabe, systematisch Informationen über das Regime im Operationsgebiet zu sammeln und in der SIRA-Teildatenbank 13 nachzuweisen.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 8266, Bl. 9-11
Am 6. November 1989 reagierte die SED-Führung auf die Tausenden von Menschen, die die DDR über die Tschechische Grenze verließen, und veröffentlichte den Entwurf eines neuen Reisegesetzes. Dieser sah vor, dass DDR-Bürgerinnen und Bürger künftig für 30 Tage im Jahr ungehindert in das westliche Ausland reisen durften. Die zeitliche Begrenzung wurde allerdings als ungenügend empfunden und sorgte in der DDR-Bevölkerung für Empörung.
Im November 1989 mussten SED und Staatssicherheit unter dem Druck der Bürgerbewegung immer weiter zurückweichen. Die Diktatur befand sich in einer offenen Krise. Davon blieb auch das Ministerium für Staatssicherheit nicht verschont.
Die Öffnung der Westgrenze der DDR am 9. November hatte die Diktatur gebrochen. 28 Jahre hatten Mauer und Stacheldraht Land und Menschen getrennt. Der neuen SED-Führung unter Egon Krenz war in den Wochen zuvor klar geworden, dass sie nicht darum herum kommen würde, die Grenze ein Stück weit zu öffnen. In Kommissionen, an denen auch Vertreter der Staatssicherheit beteiligt waren, wurde über ein neues "Reisegesetz" beraten.
Am 6. November 1989 veröffentlichte die SED-Führung im Parteiorgan "Neues Deutschland" den Entwurf einer neuen Regelung. Dieser Gesetzentwurf wäre noch im September 1989 eine Sensation gewesen. Jetzt stellte er niemanden mehr zufrieden, weil das Regime bereits erkennbar geschwächt war. Nach der geplanten Regelung sollten zwar (fast) alle jedes Jahr für einige Wochen in den Westen reisen dürfen, aber weiterhin würden Antrag und Genehmigung (Visum) der Staatsorgane erforderlich sein. Auf Demonstrationen, etwa in Leipzig, attackierten die Rednerinnen und Redner den Entwurf als Ausdruck der alten Machtanmaßung.
Seit dem 5. November schickte der Minister für Staatssicherheit täglich einen "Lagebericht" über Stimmung und Aktionen im Land an SED-Generalsekretär Krenz. Im dritten Bericht vom 7. November wird berichtet, dass die Größe der Demonstrationen und der Unmut der DDR-Bevölkerung eskalierten. Die Veröffentlichung des Reisegesetzentwurfes hatte nicht zur Beruhigung beigetragen, sondern im Gegenteil die Proteste weiter verstärkt.
Kirchliche Amtsträger in Halle (Georgengemeinde und Evangelische Studentengemeinde Halle) beabsichtigen eine Unterschriftensammlung zur Herbeiführung eines Volksentscheids zur Änderung des Artikels 1 der Verfassung der DDR.
Die 2.000 Teilnehmer einer Veranstaltung in der Oberkirche in Cottbus wurden aufgefordert, sich als Mitglieder/Sympathisanten des "Neuen Forum" bzw. der SDP einzutragen sowie mit ihren Unterschriften für die Abschaffung des Artikels 1 der Verfassung einzutreten. Während einer Andacht mit 2.000 Teilnehmern in der Gethsemanekirche, Berlin-Prenzlauer Berg, wurde zu einer Demonstration gegen das Wahlergebnis vom 7. Mai 1989 am 7. November 1989, 17.00 Uhr an der Weltzeituhr aufgefordert.
Während einer Demonstration vor einer Montagsandacht der Katholischen Kirche in Hennigsdorf wurde ein Brief an den Minister für Staatssicherheit mit der Forderung nach Beseitigung des MfS verlesen.
Nicht näher bestimmbare Kräfte beabsichtigen nach vorliegenden Hinweisen, am 7. November 1989 eine Demonstration vor der Bezirksverwaltung des MfS, Frankfurt/O. durchzuführen.
In breiten Kreisen der Bevölkerung der Bezirke Halle und Schwerin wird erwartet, daß die Regierung der DDR und das Politbüro des ZK der SED geschlossen zurücktreten.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Regime, auch Regimeverhältnisse, bezeichnet die Gesamtheit der Verhältnisse und Lebensbedingungen eines Landes oder geographischen Raumes (z. B. politische Entwicklungen, administrative Strukturen, kulturelle Besonderheiten, behördliche Sicherheitsvorkehrungen), deren Kenntnis für ein effektives und unauffälliges nachrichtendienstliches Handeln notwendig war. Mit diesen Kenntnissen sollten vor allem das IM-Netz im Westen und der grenzüberschreitende Agentenreiseverkehr geschützt werden.
So sollten IM im Westeinsatz wissen, wie die bundesdeutsche Spionageabwehr arbeitete, wie streng Meldeformalitäten in Hotels gehandhabt wurden, wie man sich als durchschnittlicher Bundesbürger verhielt usw. Die Abteilung VI der HV A hatte die Aufgabe, systematisch Informationen über das Regime im Operationsgebiet zu sammeln und in der SIRA-Teildatenbank 13 nachzuweisen.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Fernschreiben von dem Prager DDR-Botschafter Helmut Ziebart an Außenminister Oskar Fischer Dokument, 1 Seite
Schreiben Mielkes zur Vorbereitung auf die Demonstration am 4. November 1989 in Berlin Dokument, 5 Seiten
Bericht über antisozialistische Sammlungsbewegungen Dokument, 17 Seiten
Demonstrationszug vor dem Palast der Republik in Ost-Berlin aus Anlass der Amtseinführung von Egon Krenz 18 Fotografien