Analyse "feindlicher Diskussionen" zum Ungarnaufstand im Kreis Torgau
Signatur: BStU, MfS, BV Leipzig, Leiter, Nr. 122, Bl. 215
Nach den Ereignissen in Ungarn zeigten sich viele DDR-Bürger solidarisch mit den Aufständischen.
Am 23. Oktober 1956 forderten Studenten der Budapester Universitäten auf einer Großdemonstration bürgerliche Freiheitsrechte, ein parlamentarisches Regierungssystem und nationale Unabhängigkeit. Sie bekundeten damit ihre Sympathie für einen Arbeiteraufstand in Polen drei Monate zuvor. Zudem verlangten die Demonstranten die Rückkehr von Imre Nagy als Ministerpräsident. Er hatte das Land von 1953 bis 1955 regiert und dabei einige Reformen angestoßen.
Dieser Volksaufstand in Ungarn vom Herbst 1956 löste beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Unruhe aus. Die Erinnerungen an den Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 waren noch frisch und die ostdeutsche Geheimpolizei wollte um jeden Preis verhindern, dass die explosive Stimmung auf das eigene Land übersprang. Die SED-Parteizeitung "Neues Deutschland" sprach schon am 25. Oktober von einem "Putsch konterrevolutionärer Elemente". Die DDR-Führung versuchte die Bevölkerung durch sozialpolitisches Entgegenkommen zu beruhigen und das MfS wollte die Bürger durch Abschreckung disziplinieren.
Gegen Solidaritätsbekundungen für den Aufstand in Ungarn ging die Stasi sofort vor, auch kleinste Vorkommnisse wurden genauestens dokumentiert. Im Kreis Torgau stellte die Geheimpolizei eine Liste mit Informationen zu Personen zusammen, die sich an "feindlichen Diskussionen" beteiligt hatten. Feindlich war es in den Augen der SED-Diktatur schon, sich kritisch zur Niederschlagung des Aufstands in Ungarn zu äußern oder Sympathie für die Beweggründe der Aufständischen auszudrücken.
Metadaten
- Diensteinheit:
- Bezirksverwaltung Leipzig, Leiter
- Urheber:
- MfS
- Datum:
- 18. Dezember 1956
- Rechte:
- BStU
- Überlieferungsform:
- Dokument
Ministerium für Staatssicherheit
Bezirksverwaltung Leipzig
-Leitung-
Leipzig, den 18.12.1956
Ru/Lie,
Tgb.-Nr. 394/56
An den
Leiter der Kreisdienststelle
Torgau
Betr.: Personen aus dem Kreisgebiet, die bei politischen
Ereignissen laufend feindliche Diskussionen führen.
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Durch eine Analyse wurde festgestellt, dass sich im Kreisgebiet Torgau mehrere Personen befinden, die sehr oft durch feindliche Diskussionen bzw. hetzerische Reden in Erscheinung treten.
Als Anlage wird Ihnen über solche Personen Material über-mittelt.
Es wird erneut darauf hingewiesen, dass sämtliche in dieser Richtung angefallenen Personen operativ zu bearbeiten sind, indem eine ständige Überwachung durch GI zu erfolgen hat.
Zur gegebenen Zeit wird seitens der Leitung der Bezirksverwaltung die Durchführung dieser Massnahme kontrolliert.
[Unterschrift]
(Geyer)
Major
stellv.Leiter der Bez.-Verw.-op.-
Anlage: 3 Blatt