Signatur: BArch, MfS, HA XVIII, Nr. 22949, Bl. 28
Der Volksentscheid über die neue "sozialistische" Verfassung der DDR im Jahr 1968 sollte den Führungsanspruch der SED zementieren. Die staatliche Jugendorganisation FDJ versuchte unter anderem an der TU Dresden, ganze Seminargruppen geschlossen zum Wahlgang zu bewegen. Ein davon abweichendes Wahlverhalten registrierte die Stasi sehr genau.
Am 6. April 1968 fand der einzige Volksentscheid in der Geschichte der DDR statt. Zur Abstimmung stand der Entwurf einer neuen Verfassung. In ihr wurde der SED ausdrücklich die führende Rolle in der DDR, dem nunmehr "sozialistischen Staat deutscher Nation", zugesprochen.
Damit bei der Abstimmung im Sinne der SED alles glatt ging und alle Wahlberechtigten ihr Kreuzchen beim "Ja" setzten, inszenierte die Staatspartei vorab monatelang sogenannte Volksaussprachen. Diese in Arbeitskollektiven, an Hochschulen, Universitäten und bei den Streitkräften organisierten Versammlungen dienten der Kontrolle und Lenkung des Abstimmungsverhaltens. Trotzdem sagten in einigen Regionen 10 Prozent der Wählerinnen und Wähler "Nein" zur Verfassung.
Eine zentrale Rolle im Umfeld des Volksentscheids kam der Staatssicherheit zu. Der Befehl 8/68 von Stasi-Minister Mielke an alle Diensteinheiten war die Grundlage für die Maßnahme- und Einsatzpläne des MfS rund um den Volksentscheid. Aktion "Optimismus" war der geheimpolizeiliche Name für diese Operation. Sie begann am 28. März 1968, 17 Uhr, und endete am 7. April 1968, 17 Uhr.
Alle Diensteinheiten waren verpflichtet, regelmäßig über die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung zu informieren, vor allem darüber, ob es ablehnende Haltungen oder gar offenen Protest gegen die neue Verfassung gab. Die Berichte wurden zusammengefasst und an die Zentrale Auswertungs- und Kontrollgruppe (ZAIG) des MfS gemeldet. Diese hatte die Aufgabe, die Partei- und Staatsführung täglich auf dem Laufenden zu halten. So sollte das Wahlverhalten der Bürgerinnen und Bürger mit hohem Aufwand überwacht und gesteuert werden.
Die Kreisleitung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) an der Technischen Universität Dresden hatte eine schriftliche "Willenserklärung" ausgearbeitet, geschlossen am Volksentscheid teilzunehmen und der Verfassung zuzustimmen. Diese Willenserklärung sollte von den FDJ-Mitgliedern und allen Studentinnen und Studenten in den einzelnen Seminargruppen unterschrieben werden. Studierende, die ihre Unterschrift verweigerten, wurden der Stasi gemeldet.
[Handschriftliche Ergänzung: Analysis]
Dresden, den 28.03.1968
Wir FDJ-Mitglieder und Studenten
der Technischen Universität Dresden
geben unser Ja [durchkreuzter Kreis] der neuen Verfassung!
Bekenntnis aller FDJ-Mitglieder und Studenten der Technischen Universität Dresden zur neuen sozialistischen Verfassung der DDR
Wir begrüßen von ganzem Herzen den Beschluß der Volkskammer, am 6. April 1968 einen Volksentscheid über die Annahme der neuen sozialistischen Verfassung durchzuführen.
Wir FDJ-Mitglieder und Studenten sind [handschriftliche Ergänzung: glücklich] bereit, im sozialistischen Staat deutscher Nation, unserer DDR, zu leben und sind stolz darauf, an der TU studieren zu können.
Unseren Platz an einer der höchsten Bildungsstätten der DDR verdanken wir dem jahrzehntelangen Kampf der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.
Die neue sozialistische Verfassung entspricht vollständig den Vorstellungen und Idealen unserer eigenen Zukunft. Wir werden diese Zukunft an der Seite der Arbeiterklasse mitgestalten. Hohe Leistungen im Studium und die Mitwirkung an der Hochschulreform zur Schaffung einer modernen sozialistischen Universität sind erste Beiträge dazu.
Wir erklären, daß wir dem Entwurf der neuen Verfassung, den wir ausgiebig studiert und sorgfältig geprüft haben, unser uneingeschränktes "Ja" geben werden.
Wir bekunden damit erneut, daß uns alles mit unserer sozialistischen Republik, aber nichts mit dem westdeutschen Imperialismus verbindet.
In enger Freundschaft mit der Sowjetunion und an der Seite aller anderen sozialistischen Bruderländer sind wir bereit, die DDR gegen jeden Angriff des westdeutschen Imperialismus zu verteidigen.
Unsere FDJ- und Seminargruppe .... Fachrichtung.... Fakultät... nimmt deshalb am 06.04.1968 am Volksentscheid [unterstrichen: geschlossen] an der TU teil.
Wir FDJ-Studenten dokumentieren unsere Verbundenheit mit unserem Staat durch das Tragen des Blauhemdes.
Durch die Teilnahme unseres Gruppenkollektivs an der Großkundgebung mit dem Genossen Willi Stoph und Dr. Lothar Bolz am 05.04.68 auf dem Altmarkt in Dresden werden wir unser "Ja" zur sozialistischen Verfassung öffentlich bekennen.
Name; Vorname; Name; Vorname
- b.w.-
1978 wurden die AIG der Bezirksverwaltungen mit der Integration des Kontrollwesens in Auswertungs- und Kontrollgruppen umgewandelt. Analog zur ZAIG waren die AKG jetzt das Funktionalorgan der Leiter der BV mit den Aufgaben Auswertung und Information, Planung, Überprüfung und Kontrolle, Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen und Weisungen sowie EDV. Darüber hinaus wurden die AKG auch für Öffentlichkeitsarbeit zuständig, die im Ministerium noch bis 1985 der Abteilung Agitation bzw. der Arbeitsgruppe Öffentliche Verbindungen zugeordnet war. 1979 wurden auch in den meisten selbständigen Abteilungen und Hauptabteilungen der MfS-Zentrale AKG gebildet. Die AKG unterstanden den Leitern der jeweiligen Diensteinheit, wurden aber fachlich von der ZAIG angeleitet.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Bericht zur Aktion "Optimismus" Dokument, 15 Seiten
Dankschreiben der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt zum erfolgreichen Volksentscheid 1968 Dokument, 2 Seiten
Information der Volkspolizei-Inspektion Pankow über "staatsverleumderischen" Spruch zum Volksentscheid Dokument, 4 Seiten
Abschlussbericht der MfS-Bezirksverwaltung Frankfurt (Oder) zur Aktion "Optimismus" Dokument, 5 Seiten