Signatur: BStU, MfS, AOP, Nr. 57/56, Bd. 2, Bl. 54
Das MfS ermittelte ab Januar 1951 wegen Spionageverdachts gegen Otto Grotewohls Chefsekretärin Elli Barczatis und ihren Geliebten Karl Laurenz. Nachdem es das Paar über zwei Jahre beobachtet hatte, stellte ein Stasi-Mitarbeiter im Februar 1953 einen Antrag auf die Überwachung des Telefonanschlusses von Laurenz.
Elli Barczatis wurde Anfang der 50er Jahre vermutlich ohne ihr Wissen zur Informantin für die Organisation Gehlen, die Vorläuferin des Bundesnachrichtendienstes (BND). Der westdeutsche Geheimdienst nutzte sie als Quelle in Ost-Berlin, ohne sie offiziell in diese Tätigkeit einzuweihen. Von April 1950 bis Januar 1953 war Barczatis die Chefsekretärin des Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl. Kurz zuvor ging sie eine Liebesbeziehung mit dem Journalisten und Übersetzer Karl Laurenz ein, der nach seinem Bruch mit der SED und den daraus resultierenden beruflichen Schwierigkeiten 1952 begonnen hatte, für die Organisation Gehlen zu spionieren. Unter dem Vorwand, Material für seine journalistische Arbeit zu sammeln, ließ er sich von Barczatis mit internen Informationen aus dem Büro des Ministerpräsidenten versorgen.
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde früh auf die beiden aufmerksam. Nach dem Bericht einer ehemaligen Kollegin von Barczatis über ein Treffen mit Laurenz intensivierte die Stasi ihre Ermittlungen. Nachdem sich der Verdacht auf eine Spionagetätigkeit erhärtet hatte, eröffnete sie am 26. Juni 1951 den Gruppenvorgang "Sylvester" und traf weitere Maßnahmen. Anfangs stützte sich die Stasi vor allem auf den Einsatz von Geheimen Informatoren und führte Beobachtungen durch. Ab Mitte 1952 kontrollierte sie auch die Post von Barczatis, Laurenz und weiteren Personen aus ihrem Umfeld. Im Februar 1953 zapfte sie den Telefonanschluss von Laurenz an.
Von Januar bis Juni 1953 besuchte Barczatis einen Parteilehrgang an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft "Walter Ulbricht" in Potsdam-Babelsberg. In ihrer sechsmonatigen Abwesenheit stand Grotewohls Sekretärin vor allem telefonisch mit Laurenz in Kontakt. Dies nahm der zuständige Bearbeiter der Abteilung VI (Überwachung Staatsapparat), Alfred Böhm, zum Anlass, einen "Antrag für die Genehmigung einer Telefonüberwachung" zu stellen. Den Antrag begründete er damit, dass eine Telefonüberwachung nähere Informationen zum Verhältnis der beiden liefern könnte.
[handschriftliche Ergänzung: Ref. II]
Abtlg. VI.Ref. II
Berlin,den 21. Februar 1953
Betr.: Antrag für die Genehmigung einer Telefonüberwachung
Bei der Bearbeitung des Gruppenvorganges "Sylvester" wurde festgestelllt,dass die Chefsekretärin des Ministerpräsidenten Grotewohl Barczatis,Elli,die sich z.Zt. auf der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft in Babelsberg befindet mit ihren Geliebten Laurenz,Karl nach Feststellung unseres Gewährmannes auf der Schule laufend in telefonischer Verbindung steht. [manuell unterstrichen: Laurenz,Karl] hat in seiner Wohnung die Telefonnummer [anonymisiert].
Weiterhin wurde festgestellt,dass die Barczatis,Elli wenn sie von der Schule in Wochenendurlaub geht,ständig mit den Laurenz,Karl in Verbindung tritt.
Da bei der Telefonüberwachung anzunehmen ist,dass wir über das Verhältnis der Barczatis,Elli und Laurenz,Karl nähere Hinweise bekommen können,wird darum gebeten, die Telefonüberwachung zu genehmigen.
Dazu kommt,dass das Telefon erst vor ca. 3 Monaten genehmigt worden ist und wir dadurch noch weitere Verbindungen des Laurenz,Karl sowie seiner Efefrau die beim Ministerium für Post- und Fernmeldewesen beschäftigt ist feststellen können.
[Unterschrift: Böhm]
Böhm
[anonymisiert]
[handschriftliche Ergänzung: 08:00 - 22:00
erledigt
[Paraphe unleserlich]]
Vorgangsart von 1950 bis 1960, erstmals definiert in den Erfassungsrichtlinien vom 20.9.1950; Operativer Vorgang gegen mehrere Personen, denen eine "feindliche Tätigkeit" unterstellt wurde. Die Eröffnung eines Gruppenvorgangs hatte auf der Grundlage von "überprüftem Material", das z. B. durch einen Überprüfungsvorgang gewonnen wurde, zu erfolgen. Er war zentral in der Abteilung XII zu registrieren. Die betroffenen Personen und ihre Verbindungen waren in der zentralen Personenkartei (F 16), involvierte Organisationen in der zentralen Feindobjektkartei (F 17) zu erfassen.
Konspirative Ermittlungsmethode, auch "Maßnahme A" genannt. Die Telefonüberwachung zählte zu den Hauptaufgaben der Abt. 26. Die Einleitung einer telefonischen Abhörmaßnahme erfolgte in den Schaltstellen der Deutschen Post durch dort tätige OibE oder IM, die Aufzeichnung der Gespräche in den Abhörstützpunkten des MfS.
In den 50er Jahren wurden die Inhalte der Telefonüberwachung handschriftlich protokolliert. Seit Mitte der 60er Jahre kamen manuell bediente Kassettenrekorder zum Einsatz, seit 1978 Geräte, die ein automatisches Mitschneiden von Telefongesprächen erlaubten. Seit 1986 wurden die verschiedenen Abhörgeräte durch ein einheitliches Abhörsystem abgelöst.
Die Auswerter zeichneten je nach Auftrag die Gespräche auszugsweise oder ganz auf. Die Gesprächsteilnehmer wurden in einer Arbeitskartei der Abt. 26 registriert. Darüber hinaus wurde ein Datenspeicher zu Personen und Sachverhalten und eine Stimmendatenbank zur Identifikation verdächtiger Personen geführt.
Vermerk zur Wiedereinstellung von Elli Barczatis beim Ministerpräsidenten der DDR Dokument, 2 Seiten
Beschluss über das Anlegen des Gruppenvorgangs "Sylvester" Dokument, 2 Seiten
Vermerk über die Geständnisverweigerung von Karl Laurenz Dokument, 1 Seite
Brief von Hertha Barczatis an Otto Grotewohl über ihre Schwester Elli Dokument, 4 Seiten