Signatur: BStU, MfS, BV Dresden, Abt. IX, Nr. 30101, Bl. 197-198
Nach den Kommunalwahlen in der DDR am 7. Mai 1989 erstatteten etliche Bürgerinnen und Bürger Anzeige wegen Wahlbetrugs. Auch ein Dresdner begründete seine Anzeige mit seinen eigenen Erlebnissen und Beobachtungen zum Wahlvorgang.
Am 7. Mai 1989 waren die Bürgerinnen und Bürger der DDR aufgerufen, anlässlich der Kommunalwahlen den Kandidaten der Nationalen Front ihre Stimme zu geben. Wie immer stand nur diese eine Liste zur Auswahl. Mit "Ja" zu stimmen, bedeutete, den Stimmzettel zu falten und in die Wahlurne einzuwerfen. Für ein "Nein" musste jeder einzelne Kandidat in den obligatorisch aufgebauten Wahlkabinen sauber waagerecht durchgestrichen werden. Andere Kenntlichmachungen führten zu einer ungültigen Stimmenabgabe. Im Volksmund wurden die Wahlen daher auch als "Zettelfalten" bezeichnet.
Schon bei den vorangegangenen Volkskammerwahlen waren über westliche Medien Vorwürfe der Wahlfälschung öffentlich geworden. Anfang 1989 riefen verschiedene Gruppen von Oppositionellen zum Wahlboykott auf, forderten freie Wahlen und die Beobachtung der Stimmenauszählung. Letztere war nach § 37 (1) des DDR-Wahlgesetzes öffentlich und auch nach der Verfassung der DDR nicht verboten.
In der gesamten DDR war es im Vorfeld der Wahlen zu verschiedenen "Vorkommnissen" gekommen, wobei die Stasi regionale Schwerpunkte ausmachte. Zu den meisten Vorfällen kam es in der Hauptstadt Berlin, den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Dresden, Leipzig, Halle und Magdeburg. Die Art und Weise der "Vorkommnisse" glich sich dabei: Es gingen bei den Wahlkommissionen und Amtsträgern zum Teil anonyme Schreiben und Anrufe ein, zahlreiche "Hetzlosungen" und "Hetzzettel" wurden verbreitet.
Ziel der Kritik waren das Wahlsystem und die Missstände in der DDR. Der Stasi war dabei durchaus bewusst, dass derartige Proteste nur die Spitze des Eisbergs waren. Unter der Oberfläche wurden zahlreiche weniger deutlich artikulierte "Wahlvorbehalte" sichtbar, die beispielsweise in Form der Verweigerung der Annahme der Wahlbenachrichtigungen oder der Ankündigung der Wahlverweigerung zum Ausdruck kamen. Die Stasi beobachtete daher sehr genau die Stimmung im Vorfeld der Wahlen und versuchte mit Hilfe von Inoffiziellen Mitarbeitern den Ursachen der "Wahlvorbehalte" auf den Grund zu gehen.
Denn verschiedene Einzelpersonen, Initiativgruppen und kirchliche Kreise forderten eine bessere Informationspolitik im Vorfeld der Wahlen, um "demokratische Rechte auf Mitgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse" auch richtig wahrnehmen zu können. Sie wollten den "gesamten Wahlvorgang durchschaubar" machen und so den "Verdacht einer Manipulierung" der Wahlergebnisse ausräumen.
Darüber hinaus reichte ein Dresdner eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Wahlfälschung ein. Im vorliegenden Schreiben an den Bezirksstaatsanwalt begründet er seine Anzeige wegen Wahlfälschung mit seinen persönlichen Erlebnissen während der Kommunalwahl. So habe die Staatssicherheit ihn und seine Frau bereits im Vorfeld der Wahl verhört und eingeschüchtert. Weiterhin sei das von ihm aufgesuchte Wahllokal einige Zeit geschlossen und nicht öffentlich zugänglich gewesen. Die tatsächlichen Ergebnisse der Wahl seien zudem nicht vollständig bekanntgegeben worden.
[handschriftliche Ergänzung: zum Material
Dr. Koritsch]
[Notiz wurde handschriftlich markiert]
Staatsanwalt des
Stadtbezirkes
Dresden-Nord
Lothringer Str. 1
Dresden
8019
[Stempel: [unleserlich]alt
[unleserlich]
Eing. am 11 Mai 1989]
Dresden, den 8. Mai 1989
Betr.
Anzeige wegen Wahlbehinderung (§ 210 StGB) und wegen dringenden Verdachtes der Wahlfälschung (§ 211 StGB)
gegen die Verantwortlichen des Wahlkreise 27 b, 8080 Dresden, Grenzstr., gegen die Kreiswahlkommission des Stadtbezirkes Dresden-Nord, die Bezirksbehörde des Ministeriums für Staatssicherheit 8060 Dresden, Bautzener Str. sowie gegen den Staatsrat der DDR, der seiner Pflicht, die demokratische Durchführung der Wahlen am 07.05.1989 zu gewährleisten (§ 48, Wahlgesetz der DDR), m.E. nicht genügt hat.
Sehr geehrter Herr Staatsanwalt!
Zur Begründung o.g. Anzeige teile ich Ihnen folgende Fakten mit:
Die Wahlversammlungen in den Wohngebieten des Stadtbezirkes Dresden-Nord wurden nicht allgemein bekannt gemacht. Auf telefonische Anfragen unter den Ruf-Nummern 55780 (Sekretär des Rates) und 53061 (Stadtbez.-Ausschuß der Nationalen Front) wurde keine Auskunft darüber erteilt, lediglich bereits durchgeführte Veranstaltungen genau benannt.
In einer Wahlversammlung des Wahlkreises 27 b, 8080 Dresden, Grenzstr. im Klub der Volkssolidarität in Dresden Klotzsche Anfang April 1989 wurde auf Anfragen über den Auszählungsmodus und die Möglichkeit, den Wahlvorschlag der Nationalen Front ablehnen zu können, keine Auskunft erteilt. Die entsprechenden Festlegungen, die in einer gesonderte Direktive zur Wahl 1989 enthalten sein sollen wurden den Wählern generell vorenthalten, offenbar, um die Wahlentscheidung in der gewünschten Form zu erzwingen. Da ich auf meine Frage, wie eine gültige Gegenstimme beschaffen sein müsse, keine Antwort und sich als unzutreffend erweisende Ausreden erhielt, war ich gezwungen, diese Frage im Wahllokal vor der Wahlhandlung öffentlich zu stellen. Ich bekam sie dort dann zwar beantwortet, man zwang mich aber damit, das mir garantierte Prinzip der geheimen Abstimmung aufzugeben. Was noch schwerer wiegt, ich hatte damit bewiesen, daß dies die einzige Möglichkeit für Wähler ist, eine entsprechende Information zu erhalten. Damit wird massiver Einfluß auf deren Wahlverhalten genommen, die Möglichkeit der Zustimmung zum Wahlvorschlag der Nationalen Front faktisch als einzige Alternative erzwungen.
Inoffizielle Mitarbeiter (IM) waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), um primär Informationen über Bürger, die Gesellschaft, ihre Institutionen und Organisationen der DDR oder im Ausland zu gewinnen. Unter Umständen hatten IM auf Personen oder Ereignisse in der DDR steuernden Einfluss zu nehmen.
In der DDR-Gesellschaft hießen sie "Spitzel", "Denunzianten" oder "Kundschafter". Mit der deutschen Einheit hat sich die Bezeichnung Inoffizieller Mitarbeiter des MfS für die heimlichen Zuträger etabliert. Sie lieferten u. a. Informationen über Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung.
Die SED-Führung wollte stets über die konkrete Situation und Lage in der DDR unterrichtet sein. Die IM hatten den Auftrag, "staatsgefährdende" Bestrebungen zu ermitteln, was beim MfS "politisch ideologische Diversion" bzw. "politische Untergrundtätigkeit" hieß. Der Bogen hierfür war weit gespannt und reichte von einer privaten Meinungsäußerung bis hin zu politischen Aktivitäten. Überdies sollten sie, wenn auch selten, direkt auf gesellschaftliche Entwicklungen oder einzelne Personen einwirken.
Die IM waren das wichtigste Repressionsinstrument in der DDR. IM wurden auf bestimmte Schwerpunkte angesetzt, von denen tatsächliche oder vermeintliche Gefahren ausgehen konnten. Diese Objekte und Territorien, Bereiche oder Personen waren so zahlreich, dass die geheimpolizeiliche Durchdringung tendenziell den Charakter einer flächendeckenden Überwachung annahm.
Die Anzahl der vom MfS geführten inoffiziellen Mitarbeiter umfasste im Jahre 1989 ungefähr 189.000 IM, darunter 173.000 IM der Abwehrdiensteinheiten, ferner 13.400 IM in der DDR und 1.550 IM in der Bundesrepublik, die von der Hauptverwaltung A geführt wurden, sowie diverse andere wie Zelleninformatoren usw. Auf 89 DDR-Bürger kam somit ein IM. In der Zeit von 1950 bis 1989 gab es insgesamt ca. 620.000 IM.
Die Entwicklung des IM-Netzes ist nicht allein von einem kontinuierlichen Anstieg geprägt, sondern verweist auf besondere Wachstumsphasen in Zeiten innergesellschaftlicher Krisen wie dem 17. Juni 1953 oder am Vorabend des Mauerbaus. Im Zuge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik wurde das IM-Netz ebenfalls erweitert. So umfasste es Mitte der 70er Jahre – hochgerechnet – über 200.000 IM. Angesichts wachsender oppositioneller Bewegungen hatte es in den 80er Jahren gleichfalls ein hohes Niveau.
Die flächendeckende Überwachung der Gesellschaft fiel regional recht unterschiedlich aus. Im Land Brandenburg, das die Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam vereint, war sie stärker als in Thüringen. Die höchste IM-Dichte wies der ehemalige Bezirk Cottbus auf.
Das MfS operierte formal nach territorialen Gesichtspunkten und Sicherungsbereichen, setzte jedoch operative Schwerpunkte in der geheimpolizeilichen Arbeit. Bezogen auf das Gesamtministerium lagen diese – sowohl auf Kreis-, als auch auf Bezirks- und Hauptabteilungsebene – bei der Volkswirtschaft, der Spionageabwehr und auf der "politischen Untergrundtätigkeit", der "Bearbeitung " von oppositionellen Milieus und den Kirchen.
Die Motive zur Kooperation mit dem MfS waren überwiegend ideeller, seltener materieller Natur, noch seltener war Erpressung der Grund. Die Kooperation währte durchschnittlich sechs bis zehn Jahre oder länger. Augenfällig ist, dass darunter nicht wenige soziale Aufsteiger waren. Der Anteil von weiblichen IM lag in der DDR bei 17 Prozent, in der Bundesrepublik bei 28 Prozent. Über die Hälfte der IM war Mitglied der SED. Von den 2,3 Mio. Mitgliedern der Partei ausgehend, waren 4 bis 5 Prozent zuletzt inoffiziell aktiv, d. h. jedes zwanzigste SED-Mitglied.
Das MfS differenzierte IM nach Kategorien: Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit, IM zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereichs, IM im besonderen Einsatz, Führungs-IM und IM zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens. Die wichtigste Kategorie waren IM mit "Feindverbindungen" bzw. solche, die Personen zu "bearbeiten" hatten, die "im Verdacht der Feindtätigkeit" standen. Im Laufe der 80er Jahre nahm der Anteil von IM in der Kategorie IMB bis Dezember 1988 auf rund 3.900 zu.
Der Anteil von Bundesbürgern oder Ausländern unter den IM des MfS betrug nicht einmal 2 Prozent. 1989 waren mindestens 3.000 Bundesbürger inoffiziell im Dienste des MfS, zusätzlich mehrere Hundert Ausländer. In der Zeit von 1949 bis 1989 waren insgesamt mindestens 12.000 Bundesbürger und Westberliner IM.
Die operativen Ziele des MfS waren über die gesamte Bundesrepublik Deutschland verteilt. Darüber hinaus gab es Schwerpunkte in Europa, im Nahen Osten und Asien, nachgeordnet auch in Afrika und Lateinamerika. Nachrichtendienstliche Schwerpunkte waren vor allem die Wissenschafts- und Technikspionage, erst danach die politische und mit etwas Abstand die Militärspionage. Die Bundesrepublik Deutschland wurde folglich vor allem als Ressource zur Systemstabilisierung genutzt.
Die politische Spionage diente vornehmlich dazu, die politische Gefährdungslage des herrschenden Systems in der DDR bestimmen zu können. Dieses Profil deutet an, dass die Spionage der Bewahrung des Status quo dienen sollte. Von einer Unterwanderung der Bundesrepublik war die Geheimpolizei zahlenmäßig weit entfernt. Vielmehr waren ihre inoffiziellen Mitarbeiter damit beschäftigt, das DDR-System zu stabilisieren.
Signatur: BStU, MfS, BV Dresden, Abt. IX, Nr. 30101, Bl. 197-198
Nach den Kommunalwahlen in der DDR am 7. Mai 1989 erstatteten etliche Bürgerinnen und Bürger Anzeige wegen Wahlbetrugs. Auch ein Dresdner begründete seine Anzeige mit seinen eigenen Erlebnissen und Beobachtungen zum Wahlvorgang.
Am 7. Mai 1989 waren die Bürgerinnen und Bürger der DDR aufgerufen, anlässlich der Kommunalwahlen den Kandidaten der Nationalen Front ihre Stimme zu geben. Wie immer stand nur diese eine Liste zur Auswahl. Mit "Ja" zu stimmen, bedeutete, den Stimmzettel zu falten und in die Wahlurne einzuwerfen. Für ein "Nein" musste jeder einzelne Kandidat in den obligatorisch aufgebauten Wahlkabinen sauber waagerecht durchgestrichen werden. Andere Kenntlichmachungen führten zu einer ungültigen Stimmenabgabe. Im Volksmund wurden die Wahlen daher auch als "Zettelfalten" bezeichnet.
Schon bei den vorangegangenen Volkskammerwahlen waren über westliche Medien Vorwürfe der Wahlfälschung öffentlich geworden. Anfang 1989 riefen verschiedene Gruppen von Oppositionellen zum Wahlboykott auf, forderten freie Wahlen und die Beobachtung der Stimmenauszählung. Letztere war nach § 37 (1) des DDR-Wahlgesetzes öffentlich und auch nach der Verfassung der DDR nicht verboten.
In der gesamten DDR war es im Vorfeld der Wahlen zu verschiedenen "Vorkommnissen" gekommen, wobei die Stasi regionale Schwerpunkte ausmachte. Zu den meisten Vorfällen kam es in der Hauptstadt Berlin, den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Dresden, Leipzig, Halle und Magdeburg. Die Art und Weise der "Vorkommnisse" glich sich dabei: Es gingen bei den Wahlkommissionen und Amtsträgern zum Teil anonyme Schreiben und Anrufe ein, zahlreiche "Hetzlosungen" und "Hetzzettel" wurden verbreitet.
Ziel der Kritik waren das Wahlsystem und die Missstände in der DDR. Der Stasi war dabei durchaus bewusst, dass derartige Proteste nur die Spitze des Eisbergs waren. Unter der Oberfläche wurden zahlreiche weniger deutlich artikulierte "Wahlvorbehalte" sichtbar, die beispielsweise in Form der Verweigerung der Annahme der Wahlbenachrichtigungen oder der Ankündigung der Wahlverweigerung zum Ausdruck kamen. Die Stasi beobachtete daher sehr genau die Stimmung im Vorfeld der Wahlen und versuchte mit Hilfe von Inoffiziellen Mitarbeitern den Ursachen der "Wahlvorbehalte" auf den Grund zu gehen.
Denn verschiedene Einzelpersonen, Initiativgruppen und kirchliche Kreise forderten eine bessere Informationspolitik im Vorfeld der Wahlen, um "demokratische Rechte auf Mitgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse" auch richtig wahrnehmen zu können. Sie wollten den "gesamten Wahlvorgang durchschaubar" machen und so den "Verdacht einer Manipulierung" der Wahlergebnisse ausräumen.
Darüber hinaus reichte ein Dresdner eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Wahlfälschung ein. Im vorliegenden Schreiben an den Bezirksstaatsanwalt begründet er seine Anzeige wegen Wahlfälschung mit seinen persönlichen Erlebnissen während der Kommunalwahl. So habe die Staatssicherheit ihn und seine Frau bereits im Vorfeld der Wahl verhört und eingeschüchtert. Weiterhin sei das von ihm aufgesuchte Wahllokal einige Zeit geschlossen und nicht öffentlich zugänglich gewesen. Die tatsächlichen Ergebnisse der Wahl seien zudem nicht vollständig bekanntgegeben worden.
Dieser Zwang nahm in meinem Fall und im Falle meiner Frau den Charakter einer Bedrohung an, da wir am Freitag, dem 28.04.1989 von zu Hause abgeholt wurden und auf der Bezirksbehörde der Staatssicherheit in 8060 Dresden, Bautzener Str. acht Stunden inhaftiert und verhört wurden. Gegenstand des Verhörs und der Vorwürfe war vor allem die Tatsache, daß wir ein Schreiben über hier bestehende Rechte des Wählers weitergegeben haben sollten, auf dem nur das steht, war rechtlich hier garantiert ist, dessen Weitergabe aber für das Organ "sehr wohl von Interesse" war. Ich gehe daher davon aus, daß Wahrnehmung des und Aufklärung über bestehendes Recht in Verbindung mit der Wahl 1989 bereits zu vorübergehender Inhaftierung und Ermittlung und damit offenbar bezweckter Einschüchterung führt, daß die staatlich organisierte Nichtbekanntmachung von Rechten und notwendigen Informationen für die Wähler planmäßiger Bestandteil der Wahlvorbereitungen war. Übrigens wurde auch mein Arbeitsplatz während des Verhörs vom gleichen Organ untersucht, dort Ermittlungen angestellt und Kollegen Befragungen unterzogen. Meine Frau wurde ungesetzlich vorher nach ihrem Wahlverhalten befragt und sah sich gezwungen, dieses preiszugeben.
Ich beanstande weiter, daß zwischen Beendigung der Wahlhandlungen und dem Beginn der Stimmauszählung das Wahllokal 220, Königsbrücker Landstr. in Dresden-Klotzsche für einige Zeit geschlossen und der Kontrolle der Öffentlichkeit entzogen wurde.
Bei Auszählung der Stimmen wurden zwar 15% Gegenstimmen gegen den Wahlvorschlag der Nationalen Front festgestellt, auf Anfrage jedoch das Ergebnis der Sonderwahl und die Wahlbeteiligung verschwiegen. Der Vorsitzende gab auf Anfrage bekannt, daß er diese Ergebnisse nicht bekannt machen dürfe. Damit ist die Erstellung eines von der Öffentlichkeit kontrollierten Wahlprotokolles unmöglich und der dringende Verdacht der Absicht der Wahlfälschung begründet. Im Wahllokal 122 b, 8030 Übigau z.B. wurden diese Ergebnisse mitgeteilt. Der Nichtwähleranteil betrug dort annähernd 20%, wodurch die Erheblichkeit des Faktums unterstrichen werden soll. Das kann durch weitere Beispiele unterstrichen werden.
Auf Grund der genannten Fakten, die ich persönlich erlebt habe, erkenne ich das Ergebnis der Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 nicht als rechtmäßig an. Daneben sind mir eine Reihe von Fakten glaubhaft mittelbar bekannt geworden, die geeignet sind, meine Überzeugung zu stützen, die ich aber nicht selbst bezeugen kann. Ich bitte um Überprüfung der mitgeteilten Fakten. Zeugen dafür und darüber hinaus können von mir jederzeit benannt werden.
Hochachtungsvoll
[Unterschrift]
[anonymisiert]
[anonymisiert]
Dresden, 8080
Inoffizielle Mitarbeiter (IM) waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), um primär Informationen über Bürger, die Gesellschaft, ihre Institutionen und Organisationen der DDR oder im Ausland zu gewinnen. Unter Umständen hatten IM auf Personen oder Ereignisse in der DDR steuernden Einfluss zu nehmen.
In der DDR-Gesellschaft hießen sie "Spitzel", "Denunzianten" oder "Kundschafter". Mit der deutschen Einheit hat sich die Bezeichnung Inoffizieller Mitarbeiter des MfS für die heimlichen Zuträger etabliert. Sie lieferten u. a. Informationen über Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung.
Die SED-Führung wollte stets über die konkrete Situation und Lage in der DDR unterrichtet sein. Die IM hatten den Auftrag, "staatsgefährdende" Bestrebungen zu ermitteln, was beim MfS "politisch ideologische Diversion" bzw. "politische Untergrundtätigkeit" hieß. Der Bogen hierfür war weit gespannt und reichte von einer privaten Meinungsäußerung bis hin zu politischen Aktivitäten. Überdies sollten sie, wenn auch selten, direkt auf gesellschaftliche Entwicklungen oder einzelne Personen einwirken.
Die IM waren das wichtigste Repressionsinstrument in der DDR. IM wurden auf bestimmte Schwerpunkte angesetzt, von denen tatsächliche oder vermeintliche Gefahren ausgehen konnten. Diese Objekte und Territorien, Bereiche oder Personen waren so zahlreich, dass die geheimpolizeiliche Durchdringung tendenziell den Charakter einer flächendeckenden Überwachung annahm.
Die Anzahl der vom MfS geführten inoffiziellen Mitarbeiter umfasste im Jahre 1989 ungefähr 189.000 IM, darunter 173.000 IM der Abwehrdiensteinheiten, ferner 13.400 IM in der DDR und 1.550 IM in der Bundesrepublik, die von der Hauptverwaltung A geführt wurden, sowie diverse andere wie Zelleninformatoren usw. Auf 89 DDR-Bürger kam somit ein IM. In der Zeit von 1950 bis 1989 gab es insgesamt ca. 620.000 IM.
Die Entwicklung des IM-Netzes ist nicht allein von einem kontinuierlichen Anstieg geprägt, sondern verweist auf besondere Wachstumsphasen in Zeiten innergesellschaftlicher Krisen wie dem 17. Juni 1953 oder am Vorabend des Mauerbaus. Im Zuge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik wurde das IM-Netz ebenfalls erweitert. So umfasste es Mitte der 70er Jahre – hochgerechnet – über 200.000 IM. Angesichts wachsender oppositioneller Bewegungen hatte es in den 80er Jahren gleichfalls ein hohes Niveau.
Die flächendeckende Überwachung der Gesellschaft fiel regional recht unterschiedlich aus. Im Land Brandenburg, das die Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam vereint, war sie stärker als in Thüringen. Die höchste IM-Dichte wies der ehemalige Bezirk Cottbus auf.
Das MfS operierte formal nach territorialen Gesichtspunkten und Sicherungsbereichen, setzte jedoch operative Schwerpunkte in der geheimpolizeilichen Arbeit. Bezogen auf das Gesamtministerium lagen diese – sowohl auf Kreis-, als auch auf Bezirks- und Hauptabteilungsebene – bei der Volkswirtschaft, der Spionageabwehr und auf der "politischen Untergrundtätigkeit", der "Bearbeitung " von oppositionellen Milieus und den Kirchen.
Die Motive zur Kooperation mit dem MfS waren überwiegend ideeller, seltener materieller Natur, noch seltener war Erpressung der Grund. Die Kooperation währte durchschnittlich sechs bis zehn Jahre oder länger. Augenfällig ist, dass darunter nicht wenige soziale Aufsteiger waren. Der Anteil von weiblichen IM lag in der DDR bei 17 Prozent, in der Bundesrepublik bei 28 Prozent. Über die Hälfte der IM war Mitglied der SED. Von den 2,3 Mio. Mitgliedern der Partei ausgehend, waren 4 bis 5 Prozent zuletzt inoffiziell aktiv, d. h. jedes zwanzigste SED-Mitglied.
Das MfS differenzierte IM nach Kategorien: Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit, IM zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereichs, IM im besonderen Einsatz, Führungs-IM und IM zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens. Die wichtigste Kategorie waren IM mit "Feindverbindungen" bzw. solche, die Personen zu "bearbeiten" hatten, die "im Verdacht der Feindtätigkeit" standen. Im Laufe der 80er Jahre nahm der Anteil von IM in der Kategorie IMB bis Dezember 1988 auf rund 3.900 zu.
Der Anteil von Bundesbürgern oder Ausländern unter den IM des MfS betrug nicht einmal 2 Prozent. 1989 waren mindestens 3.000 Bundesbürger inoffiziell im Dienste des MfS, zusätzlich mehrere Hundert Ausländer. In der Zeit von 1949 bis 1989 waren insgesamt mindestens 12.000 Bundesbürger und Westberliner IM.
Die operativen Ziele des MfS waren über die gesamte Bundesrepublik Deutschland verteilt. Darüber hinaus gab es Schwerpunkte in Europa, im Nahen Osten und Asien, nachgeordnet auch in Afrika und Lateinamerika. Nachrichtendienstliche Schwerpunkte waren vor allem die Wissenschafts- und Technikspionage, erst danach die politische und mit etwas Abstand die Militärspionage. Die Bundesrepublik Deutschland wurde folglich vor allem als Ressource zur Systemstabilisierung genutzt.
Die politische Spionage diente vornehmlich dazu, die politische Gefährdungslage des herrschenden Systems in der DDR bestimmen zu können. Dieses Profil deutet an, dass die Spionage der Bewahrung des Status quo dienen sollte. Von einer Unterwanderung der Bundesrepublik war die Geheimpolizei zahlenmäßig weit entfernt. Vielmehr waren ihre inoffiziellen Mitarbeiter damit beschäftigt, das DDR-System zu stabilisieren.
Wahlfall '89 - Dokumentation der Opposition über Wahlfälschungen Dokument, 32 Seiten
Eingabe von Dresdner Pfarrern an Egon Krenz Dokument, 4 Seiten
Zu Protestaktivitäten im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen 1989 Dokument, 17 Seiten
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