Signatur: BStU, MfS, BV Berlin, Tb, Nr. 113
Mit der Pilotsendung von Radio Glasnost im Juli 1987 überraschte die DDR-Opposition das MfS. Die insgesamt 27 Sendungen mit Beiträgen über die ostdeutsche Protestbewegung wurden mitgeschnitten und teilweise durch Störsender beeinträchtigt.
Die Sendung "Radio Glasnost - Außer Kontrolle" mit Beiträgen "aus und über die DDR" wurde von dem privaten Alternativkanal Radio 100 in West-Berlin einmal monatlich ausgestrahlt. Das einstündige Programm war zwischen Juli 1987 und dem Mauerfall sowohl im Westen als auch im Osten Berlins zu empfangen. In einer kurzen Pilotsendung kündigte Moderatorin Marenbach am 22. Juli 1987 an, von nun an würden auf diesem Sendeplatz Oppositionelle aus der DDR zu Wort kommen. Deren Beiträge und Diskussionen wurden in Ostdeutschland formuliert oder aufgenommen, über die Grenze geschmuggelt und dann von Radio 100 in West-Berlin ausgestrahlt. Bis November 1989 verband Radio Glasnost auf diesem Wege die Ost-Berliner Opposition mit der freien Welt.
In der DDR waren Reinhard Schult, Ralf Hirsch und andere für Texte und Organisation verantwortlich. Eine kleine West-Berliner Redaktion, gegründet durch den Radio-100-Redakteur Dieter Rulff und den aus der DDR ausgebürgerten Oppositionellen Roland Jahn, sorgte dann dafür, dass die Beiträge im privaten Radio 100 einen festen Sendeplatz bekamen. Es dauerte nicht lange, bis Radio Glasnost sein Publikum in der DDR gefunden hatte. Auch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde hellhörig und wertete alle Sendungen im Detail aus. Die Geheimpolizei fahndete nach den Urhebern und untersuchte, welchen Einfluss die Beiträge auf DDR-Bürger haben könnten. Auch erschwerte die Stasi den Empfang von zwei Sendungen durch Störsender.
Alle Sendungen wurden vom MfS mitgeschnitten und analysiert. Hier handelt es sich um die Sendung vom 25. April 1988. Dies war die neunte Sendung von Radio Glasnost - und die erste nachdem die Stasi im März erstmalig versucht hatte, den Empfang durch Störsender zu beeinträchtigen. Im April versuchte die Stasi nun erneut den Empfang zu behindern. In der Sendung wurden die vorangegangenen Störungen thematisiert und kritisiert. In dem Transkript der Stasi zu dieser Sendung wurden indes mehrere angesprochene Themen gar nicht wiedergegeben und Fakten verfälscht. So sprach Moderatorin Ilona Marenbach davon, dass die DDR Schulden in Höhe von "Milliarden" hätte, die Stasi schrieb jedoch "Millionen".
Es handelt sich bei dieser Tonaufnahme um einen Mitschnitt des MfS.
An mehreren Stellen wurden aus rechtlichen Gründen Musikbeiträge entfernt
[Musik im Hintergrund; Sprecherin Ilona Marenbach:]
Außer Kontrolle, Radio Glasnost,
jeden letzten Montag im Monat
von 21:00 bis 22:00 Uhr
auf UKW 103,4 MHz
Radio Glasnost - außer Kontrolle
Es liegt mir auf der Zunge, etwas zu erzählen. Aber ich tue es nicht. Zumindest jetzt noch nicht. Statt dessen wünsche ich euch einen schönen guten Abend und einen eben so guten Empfang, der, ich glaub neunten Sendung, von Radio Glasnost.
Am Mikrofon Ilona Marenbach.
Den Startschuss für das heutige Glasnost-Querfeldeinrennen gibt die 9. Synode Berlin-Brandenburg.
Doch das erste Hindernis, das von den Teilnehmern genommen werden muss, ist schon gewaltig hoch. Es kann nicht so einfach übersprungen werden. So bemühen sich die Sportler, es Stück für Stück abzubauen. Es geht um die Ausbürgerungsproblematik.
Unangenehm wird Sport ja erst dann, wenn man ihn betreiben muss, und dann auch noch mit der Waffe in der Hand. Insbesondere junge Männer eines bestimmten Alters haben da kaum eine Alternative. Sie können eben noch nicht wählen zwischen Wehrdienst und sozialem Friedensdienst, dem zweiten Thema des heutigen Abends.
Sportliche Leistungen werden auch in der Volkswirtschaft erwartet, die sich als dritte Hürde oder Graben den Läufern in den Weg stellt. Insbesondere Kombinatsdirektoren scheinen in diesem Jahr Schwierigkeiten bei diesem Hindernis gehabt zu haben. Mit Planvorsprüngen und Planrückständen befasst sich ein aktueller Wirtschaftskommentar.
Kurz vor dem Ziel haben wir dann noch etwas für die Bastler unter euch, die bislang immer an der Hürde 100 MHz gescheitert sind. Wie dieses Hindernis übersprungen werden kann und Höhen bis zu 103,4 MHz erreicht werden können, erfahrt ihr dann.
[Hintergrundmusik endet]
Vom 8. bis zum 12. April tagte die Synode Berlin-Brandenburg. Mit Bedauern und Unverständnis wurde dort die Behinderung der Berliner Ausgabe der Wochenzeitung "Die Kirche" festgestellt. "Unsere Kirchenzeitungen sind zu fairer und unverkürzter Berichterstattung verpflichtet. Wir bitten die Kirchenleitung beim Presseamt beim Vorsitzenden des Ministerrates der DDR vorstellig zu werden, um wieder eine unbehinderte, sachgemäße Berichterstattung zu ermöglichen", hieß es dort in einem Antrag. Das scheint nicht so viel genützt zu haben, denn kurz darauf wurde die Veröffentlichung sämtlicher Kirchenblätter untersagt. Die Genehmigung zum Druck wurde verweigert. Auch heute wurden wieder zwei Kirchenzeitungen "Die Kirche" und "Die Potsdamer Kirche" nicht an ihre Leser verteilt. Das Presseamt beim Ministerrat der DDR hatte gegen die Veröffentlichung Einspruch erhoben.
Gegenstand der Ausgaben war, wie auch in der letzten Woche, die Berichterstattung über die Synodaltagung Berlin-Brandenburg.
In Auszügen stellen wir nun einen Beschluss der Synode zur Ausbürgerungsproblematik vor und befassen uns mit einem der vielen Themen, die dort besprochen wurden, mit Glasnost in der Sowjetunion.
[männlicher Sprecher 1:]
Wir bitten die Kirchenleitung, gemeinsam mit dem Bund der evangelischen Kirchen in der DDR die Bemühungen bei den Staatsorganen fortzusetzen, Ungewissheiten und Ungerechtigkeiten in Ausbürgerungsfragen auszuräumen. Insbesondere muss deutlich sein, dass Antragsteller, die den Antrag zurückziehen, keine Benachteiligungen erfahren. Auch wenn es mittelfristig aus ökonomischen, sozialen und politischen Gründen nicht möglich ist, allen Ausbürgerungswünschen zu entsprechen, sollte doch erreicht werden, dass nach einer Phase der Prüfung und Reintegrationsbemühungen verbindliche Entscheidungen ergehen. Es sollten Ungewissheiten und Frustrationen vermieden werden, die unnötig persönliche Verzweiflungen und gesellschaftliche Beunruhigungen verursachen.
Hinsichtlich der Antragsteller, die gegenwärtig durch jahrelange Ungewissheit zermürbt sind, sollten bald verbindliche Entscheidungen ergehen, die wegen der bisherigen Belastungen aus humanitären Gründen in der Regel die Ausbürgerung ermöglichen sollten. Wir bitten den Bund der evangelischen Kirchen in der DDR, die evangelische Kirche in Deutschland dafür zu gewinnen ihre Möglichkeiten zu nutzen, um in der Bundesrepublik Deutschland die indirekte Mitverantwortung für die Ausbürgerungsproblematik zu bedenken.
Die staatsrechtlichen und ökonomischen Erleichterungen für DDR-Bürger wirken als Abwerbemechanismus, der, verbunden mit der organisierten Erst-Arbeitsbeschaffung, immer wieder DDR-Bürger in Versuchung führt. Es sollte auch geprüft werden, ob die anstehenden bilateralen Auswanderungsvorgänge nicht bilaterale Absprachen zwischen den beiden deutschen Staaten erforderlich machen.
[Sprecherin Ilona Marenbach:]
Neben der ewigen Streitfrage ums Ausreisen und Ausreißen, nach dem Motto bloß weg, ging es auf der Synode auch um andere gesellschaftliche Prozesse. Zum Beispiel die sozialistische Umgestaltung in der Sowjetunion. Auch dazu wurde ein Beschluss gefasst.
[männlicher Sprecher 1:]
Die Synode begrüßt den Prozess der sozialistischen Umgestaltung auf dem Weg der Offenheit und der Demokratisierung in der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern. Für die Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme in unserem Land, wie sie zum Beispiel im Bischofsbericht benannt wurden, hoffen wir auf einen entsprechenden Prozess der Demokratisierung und Offenheit auch in der DDR.
[Musik; falsche Geschwindigkeit, zu langsam, Umschaltung auf entsprechende Geschwindigkeit]
[Sprecherin Ilona Marenbach spricht auf den Titel:]
Wenn wir jetzt beim Fernsehen wären, könnten wir eine Schrifttafel einschieben, auf der würde stehen: Achtung Sendestörung im Bereich Berlin-Ost. In West-Berlin ist die Sendung größtenteils, größtenteils störungsfrei zu empfangen, obwohl auch wir ein dezentes Rauschen drauf haben. Das liegt aber nicht an uns, sondern an irgendeinem, Pardon, Idioten, der nicht will, dass man uns in Ost-Berlin empfangen kann. Dieses Problem hatten wir auch schon bei unserer letzten Sendung. Es gibt aber eine Möglichkeit und die besteht darin, von Stereo auf Mono umzuschalten. Das hat zumindest bei der letzten Sendung schon mal geklappt.
[Musik]
[Sprecherin Ilona Marenbach:]
Ja, wir tun jetzt mal so, als sei überhaupt nichts und machen weiter.
Die halbjährlichen Einberufungen zur Nationalen Volksarmee stehen bevor. Wie aus Kirchenkreisen verlautete, wollen diesmal mindestens 147 Leute den Wehrdienst total verweigern. 120 davon wollen ausreisen, 27 im Land bleiben. Alle Totalverweigerer treffen sich am Wochenende vom 29. April zum 1. Mai in einer Gemeinde in Brandenburg.
Aber dieses geplante Treffen scheint den Staatsorganen zu missfallen. Generalsuperintendent Bransch bekam Druck von den Behörden. Das Treffen der Totalverweigerer solle nicht stattfinden, um das Verhältnis Staat/Kirche nicht weiter zu belasten und um Regelungen treffen zu können, fernab der Öffentlichkeit. Generalsuperintendent Bransch wirkte dann auf die Kirchengemeinde in Brandenburg ein, die Veranstaltung der Totalverweigerer ins Wasser fallen zu lassen. Doch der Gemeindekirchenrat widersetzte sich Bransch. Das Treffen der Totalverweigerer findet vom 29. April bis zum 1. Mai doch statt. Dass solche Treffen den Oberen der DDR ein Dorn im Auge sind, ist klar. Neben dem normalen Wehrdienst und der Spatentruppe gibt es keinen sozialen Friedensdienst in der DDR. Eine Forderung der UNO an alle Länder der Erde seit Jahren schon. Die Forderungen nach einem sozialen Friedensdienst, kurz SOFD genannt, werden aber in der DDR immer lauter. In unserem folgenden Beitrag, sofern er noch zu hören ist - das Rauschen kommt immer näher, bald kann ich mich selbst nicht mehr richtig verstehen - in unserem folgenden Beitrag also geht es um einen kurzen Abriss der Geschichte der Remilitarisierung der DDR nach dem 2. Weltkrieg und der Forderung nach dem sozialen Friedensdienst.
[männlicher Sprecher 2:]
Sozialer Friedensdienst
Die Remilitarisierung der DDR begann im Jahre 1948 mit der Aufstellung der Volkspolizei-Bereitschaften und der Seepolizei. 1952 entstand die Kasernierte Volkspolizei, die Volkspolizei See und die Volkspolizei Luft. Ebenfalls 1952 wurde die GST als wehrsportliche Massenorganisation gegründet. 1953 wurden die Kampfgruppen gegründet. Nach dem Eintritt der DDR in den Warschauer Pakt verabschiedete die Volkskammer am 26. September 1953 das Gesetz zur Ergänzung der Verfassung. Der Schutz des Vaterlandes wird zur ehrenvollen nationalen Pflicht der Bürger erklärt. Am 18. Juni 1956 wird das Gesetz über die Schaffung der Nationalen Volksarmee und des Ministeriums für Nationale Verteidigung verabschiedet. Am 24. Januar 1962 beschloss die Volkskammer das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht. Das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht brachte viele Christen und Pazifisten in starke Konflikte. Der damalige Landesbischof der thüringischen evangelischen Kirche, Dr. Mitzenheim, der als erster die These einer Kirche im Sozialismus vertrat, erreichte in Verhandlungen mit dem damaligen Staatschef Ulbricht das Gesetz über die Aufstellung der Baueinheiten, das am 16. September 1964 verabschiedet wurde.
[männlicher Sprecher 3:]
Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR über die Aufstellung von Baueinheiten im Bereich des Ministeriums für Nationale Verteidigung.
§ 1, Absatz 1
Im Bereich des Ministeriums für nationale Verteidigung sind Baueinheiten aufzustellen.
Absatz 2
Der Dienst in den Baueinheiten ist Wehrersatzdienst gemäß § 25 des Wehrpflichtgesetzes. Er wird ohne Waffe durchgeführt.
§ 2, Absatz 1
Die Baueinheiten haben die Aufgabe, Arbeitsleistungen im Interesse der Deutschen Demokratischen Republik zu erfüllen.
Dazu gehören insbesondere:
a) Mitarbeit bei Straßen- und Verkehrsbauten sowie Ausbau von Verteidigungs- und sonstigen militärischen Anlagen
b) Beseitigung von Übungsschäden
c) Einsatz bei Katastrophen
Absatz 2
Der Einsatz von Baueinheiten erfolgt durch den Minister für Nationale Verteidigung oder die von ihm dazu Beauftragten.
§ 3
Für die Angehörigen der Baueinheiten gelten die gesetzlichen und militärischen Bestimmungen, die den Grundwehrdienst bzw. den Reservistendienst in der Nationalen Volksarmee regeln, soweit nicht in dieser Anordnung etwas anderes festgelegt ist.
§ 4, Absatz 1
Zum Dienst in den Baueinheiten werden solche Wehrpflichtigen herangezogen, die aus religiösen Anschauungen oder aus ähnlichen Gründen den Wehrdienst mit der Waffe ablehnen.
Absatz 2
Die Angehörigen der Baueinheiten tragen den Dienstgrad Bausoldat.
§ 5, Absatz 1
Die Angehörigen der Baueinheit leisten keinen Fahneneid nach § 3 der Dienstlaufbahnordnung vom 24. Januar 1962.
Absatz 2
Die Angehörigen der Baueinheiten legen ein Gelöbnis ab.
§ 6
Neben der Heranziehung zu Arbeitsleistungen gemäß § 2, Absatz 1 ist mit den Angehörigen der Baueinheiten folgende Ausbildung durchzuführen:
a) staatspolitische Schulung
b) Schulung über gesetzliche und militärische Bestimmungen
c) Exerzierausbildung ohne Waffe
d) militärische Körperertüchtigung
e) Pionierdienst und spezialfachliche Ausbildung
f) Schutzausbildung und
g) Ausbildung in Erster Hilfe.
§ 7
Die Bausoldaten der Baueinheiten tragen eine steingraue Uniform mit Effekten und der Waffenfarbe Oliv. Als besondere Kennzeichen tragen sie das Symbol eines Spatens auf den Schulterklappen.
§ 8
Ungediente Reservisten, bei denen die Voraussetzungen des § 4, Absatz 1 zutreffen sowie gediente Reservisten, die Dienst in den Baueinheiten geleistet haben, können als Ersatz für den Reservistendienst zur Ausbildung oder zu Übungen in den Baueinheiten einberufen werden.
§ 9
Die Vorgesetzten der Angehörigen der Baueinheiten, also das Ausbildungspersonal, sind bewährte Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere der Nationalen Volksarmee.
§ 10
Im Interesse der Steigerung der Arbeitsproduktivität können den Angehörigen der Baueinheiten als materieller Anreiz zusätzlich zum Wehrsold Zuschläge gezahlt werden. Voraussetzung für die Zahlung von Zuschlägen ist die Übererfüllung der geforderten Arbeitsleistungen.
§ 11
Der Minister für Nationale Verteidigung erlässt zur Durchführung dieser Anordnung die erforderlichen Durchführungs- und militärischen Bestimmungen.
§ 12
Diese Anordnung tritt mit Wirkung vom 1. September 1964 in Kraft.
Berlin, den 7. September 1964
Der Vorsitzende des Nationalen Verteidigungsrates, Walter Ulbricht.
[männlicher Sprecher 2:]
In den ersten zehn Jahren gab es in der DDR etwa 220 bis 240 Bausoldaten pro Jahr. Da die Bausoldaten nur alle 18 Monate eingezogen wurden und ihre Erfahrungen also nicht in der Truppe weitergeben konnten, gab es Seminare, schriftliche Starthilfen, durch die die Erfahrungen vermittelt wurden. In den evangelischen Kirchen wurden so genannte "Handreichungen für Bausoldaten" herausgegeben. Von Anfang an herrschte bei den Pazifisten Unzufriedenheit mit dem waffenlosen Armeedienst. In zahlreichen Eingaben wurde ein wirklicher ziviler Ersatzdienst gefordert. Durch freiwillige Einsätze nach dem Ende ihrer Dienstzeit, versuchten die Bausoldaten einen solchen Friedensdienst vorzuleben. Reaktion des Staates auf diese vielfältigen Bemühungen sowie auf ständige Interventionen der evangelischen Kirche war eine Anordnung von 1975, nach der die Bausoldaten nicht mehr in Baueinheiten dienten, sondern in Gruppen zu etwa zehn in verschiedenen Dienststellen der Armee, wo sie rückwärtige Dienste, zum Beispiel Versorgung und medizinischen Dienst zu verrichten hatten.
[männlicher Sprecher 3:]
Aus der Durchführungsverordnung des Stellvertreters des Chefs des Hauptstabes für allgemeine Fragen vom 14. Oktober 1975 zur Anordnung 31/75 des Stellvertreters des Ministers und Chefs des Hauptstabes über die Einberufung und den Einsatz von Bausoldaten in der Nationalen Volksarmee und den Grenztruppen der DDR vom 4. Mai 1975.
7. Die Bausoldaten sind zu folgenden Aufgaben einzusetzen:
1. Reinigung von Straßen und Plätzen innerhalb der Objekte und Reinigung von Außenrevieren
2. Pflege von Grünanlagen
3. Ausgestaltung außerhalb von Gebäuden
4. Unterhaltungsarbeiten an Mobiliar in den hierfür vorhandenen Werkstätten
5. Transport- und Verladearbeiten
6. Hilfsarbeiten zur Sicherstellung der Versorgung
7. Betrieb und Unterhaltung von Heizungsanlagen
Absatz 8
Die von den Bausoldaten zu erfüllenden Aufgaben sind auf der Grundlage der Ziffer 7 und unter Beachtung der örtlichen Bedingungen schriftlich festzulegen und von den Vorgesetzten der Verantwortlichen der Bausoldaten zu bestätigen.
9. Die Planung des Einsatzes der Bausoldaten und der Tagesablauf hat unter Achtung der geltenden Rechtsvorschriften und militärischen Bestimmungen und unter strikter Wahrung der Wachsamkeit und Sicherheit zu erfolgen.
11. Die Verantwortlichen der Bausoldaten haben bei den Arbeitseinsätzen der Bausoldaten die Sicherheitsbestimmungen konsequent durchzusetzen.
12. Für den Tag der Ablegung des Gelöbnisses ist für die Bausoldaten dienstfrei zu gewähren.
13. Bei der Anwendung der Disziplinarbefugnisse und disziplinarischen Verantwortlichkeit sind folgende Belobigungsarten:
- Fotografieren vor der entfalteten Truppenfahne und Aushändigung des Fotos an den Armeeangehörigen bzw. Veröffentlichung des Fotos
- Eintragung in das Ehrenbuch des Truppenteils
gegenüber dem Bausoldaten nicht auszusprechen.
14. Die Bausoldaten sind in Sicherstellungsgruppen zusammenzufassen. Die Gruppenführer sind aus dem Bestand der Bausoldaten einzusetzen.
[männlicher Sprecher 2:]
Den Vorstellungen der Bausoldaten entsprach die neue Verordnung nur insofern, als sie nicht mehr unmittelbar militärische Arbeitseinsätze leisten mussten. Andererseits erschwerte die Dezentralisation den Bausoldaten ihre Vorstellungen zu diskutieren und vorzubringen und gehört zu werden. Viele betrachteten die Baueinheiten jetzt nur noch als eine privilegierte Minderheit. Sie sahen in der neuen Regelung nur eine Verdunkelung des Charakters der Wehrdienstverweigerung. Es war zu beobachten, dass sich das Interesse der Bausoldaten nach 1976 vorrangig auf die Wahrung ihrer individuellen Freiheit bzw. ihrer persönlichen, religiösen oder moralischen Rechtfertigung richtete.
[Sprecherin Ilona Marenbach:]
An dieser Stelle machen wir erst mal ne kurze Pause. Wir sind hier ja schließlich nicht auf dem Bau im Akkord. Ideologisch zwar auf der anderen Seite der Mauer angesiedelt, gibt das folgende Stück das Gefühl junger Männer wider, die einen bestimmten Brief erhalten haben.
[Musik]
[Sprecherin Ilona Marenbach spricht auf die Musik:]
Probiert einfach mal aus, ob der Empfang auf Mono besser ist.
[Musik]
[Sprecherin Ilona Marenbach spricht auf die Musik:]
Achtung, Sendestörung außerhalb unseres Studios! Mono ist angesagt.
[Musik]
[Sprecherin Ilona Marenbach spricht auf die Musik:]
Leistungsfunktionsgestört sind wir im Augenblick auch. Aber ihr könnt sicher sein, wir werden die Sendung wiederholen.
[Musik endet]
[Sprecherin Ilona Marenbach:]
Im ersten Teil des Beitrages ging es um die Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates über die Aufstellung von Baueinheiten, um die Einberufung und den Einsatz von Bausoldaten in der Nationalen Volksarmee und den Grenztruppen der DDR.
Der zweite Teil leitet über von Bausoldaten zum sozialen Friedensdienst.
[männlicher Sprecher 2:]
In den letzten Jahren nahm die Zahl der Bausoldaten ständig zu. Jedes halbe Jahr dürften etwa 600 Bausoldaten einberufen werden. Die Schwierigkeiten als Bausoldat anerkannt zu werden, sind dementsprechend gewachsen. Bei gründlichen Befragungen während der Musterung kommt es oft zu juristischen Falschinformationen mit Androhung hoher Strafen. Seit 1983 werden Bausoldaten wieder verstärkt in größeren Einheiten in der Volkswirtschaft, aber auch im militärischen Bereich eingesetzt. Mit der Initiative "Sozialer Friedensdienst", kurz SOFD, von 1981 wurden die Bemühungen aus den 60er Jahren um einen wirklichen zivilen Friedensdienst wieder aufgenommen. War in den 60er Jahren wesentlich mehr eine persönliche Betroffenheit von der Wehrdienstfrage für den Wunsch nach einem sozialen Friedensdienst ausschlaggebend, so ist heute die Wahrnehmung der objektiven Zunahme der Rüstung und ihrer gesellschaftlichen Begleiterscheinungen schwerwiegender. Wenn heutige Militärs mit der Barbarenargumentation zur Rüstung gegen den jeweiligen Erbfeind auffordern, muss man entschieden widersprechen. Seit dem 6. August 1945, seit dem Fall der ersten Atombombe und der seither aufgebauten Atomwaffenbedrohung der Weltmächte ist jeder Krieg, auch der kleinste, mit konventionellen Waffen geführte, zu einer Gefahr für das Ausbrechen des Atomkrieges und dem Untergang der Menschheit geworden.
Heute kann keiner der Kontrahenten im Kampf um die Weltmacht einen entscheidenden Sieg erringen. Es sei denn, um den Preis der Selbstvernichtung. Die einzige Alternative liegt in der allgemeinen Abrüstung und in gegenseitigen Friedensverträgen. Und langfristige Friedenspolitik bedeutet den allmählichen Machtverzicht der Großmächte und aller Nationalstaaten, den Aufbau einer Weltfriedensordnung, wobei der äußere Friede untrennbar ist vom inneren Frieden der Staaten. Ende April und Anfang Mai 1981 fand ein Treffen in Dresden statt, bei dem die ein halbes Jahr diskutierte Eingabe zum sozialen Friedensdienst zu Papier gebracht wurde.
[männlicher Sprecher 3:]
Die Volkskammer der DDR möge beschließen:
1. Als gleichberechtigte Alternative zu Wehrdienst und Wehrersatzdienst wird ein sozialer Friedensdienst eingerichtet. Die Erfassung, Musterung und Einberufung dazu erfolgt dem Wehrdienst entsprechend. Das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht vom 24. Januar 1962 mit den dazu erlassenen Folgebestimmungen ist dahingehend zu ändern.
2. Der sozialen Friedensdienst Leistende wird zu einem 24 monatigem Dienst verpflichtet. Als zeichenhafte Vorgabe seines Friedenswillens und als Schwelle für Drückeberger.
3. Der sozialen Friedensdienst Leistende genießt die gleichen Rechte wie der Wehrdienstleistende, zum Beispiel Versicherung, Entlohnung, Urlaub und Erhalt des früheren Arbeitsplatzes.
4. Eine Kasernierung in Wohnheimen kann vorgesehen werden, um einseitigen Heimschlafvorteil zu vermeiden.
5. Es erfolgt eine Grundausbildung in erster Hilfe und Katastrophenschutz.
6. Der sozialen Friedensdienst Leistende erhält regelmäßig politischen Unterricht mit den besonderen Schwerpunkten Friedenssicherung, Abrüstung, gewaltfreie Konfliktbewältigung.
7.1. Der Einsatz von sozialen Friedensdienstleistenden erfolgt an sozialen Schwerpunkten wie:
1. Heimbetreuung in Kinderheimen, Altenheimen, Pflegeheimen, Heimen für körperlich und geistig Behinderte
2. Krankenhaushilfsdiensten
3. Sozialfürsorge bei Suchtkranken, Jugendhilfe und Resozialisierung
4. Volkssolidarität und
5. Der Bereich Umweltschutz ist daraufhin zu prüfen.
7.2. Die Zielsetzung dabei ist:
1. Entlastung der Fachkräfte für ihre eigentlichen Aufgaben
2. Entlastung von Familienvätern und -müttern vom Nacht- und Wochenenddienst
[männlicher Sprecher 2:]
Trotz der vorsichtigen und fast demütigen Forderung der Verhandlungspapieres reagierte der Staat schroff. Staatssekretär Gysi erklärte, die Forderungen bedeuten eine Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht und einen Eingriff in das Ureigendste eines Staates. Der Cottbusser Parteichef Werner Walde sprach sogar von friedens- und verfassungsfeindlichen Forderungen. Nachdem aus der Nachrüstung und Stationierung resultierenden zeitweiligen Niedergang der Friedensbewegung nach 1983, trat auch das SOFD-Projekt in eine Latenzphase. Erst 1985 wurde durch unangemessene staatliche Repressionen gegen Totalverweigerer eine neue Welle von Initiativen ausgelöst. Gegen Totalverweigerer hatte sich in den letzten Jahren eine Stillhaltepraxis herausgebildet. In einer nachträglichen Einberufungsüberprüfung wurden Ende September 1985 fünfzig bis achtzig Totalverweigerer aus der gesamten DDR gemustert und nachdem sie den Einberufungsbefehl erwartungsgemäß verweigert hatten, verhaftet.
Im Berliner Polizeipräsidium in der Keibelstraße wurden allein sechzehn Totalverweigerer festgehalten. Die Kirchenleitung setzte wie üblich auf diskrete Verhandlungen. Die Friedensbewegung hielt demgegenüber Öffentlichkeit für wichtiger und versuchte, gegen den Widerstand der Kirchenleitung, Informationen zusammenzutragen und formulierte Eingaben. Der Pfarrer der Berliner Sophiengemeinde Passauer machte zur Eröffnung der Friedensdekade vor Funk und Fernsehen den Eklat öffentlich. Drei kirchliche Mitarbeiter wurden - wohl um kenntlich zu machen, dass die Verhandlungsführung der Kirchenleitung dem Staat am besten gefällt - bereits nach drei Wochen aus der Haft entlassen; die übrigen Totalverweigerer eine Woche später. Der Verteidigungsminister Hoffmann hatte die Einberufungsbefehle zurückgezogen. Der Militärstaatsanwalt erkundigte sich bei einigen der Verweigerer nach ihren Vorstellungen von einem zivilen Ersatzdienst. Der Grund für das Zurückweichen der Behörden war sicher die erstaunliche internationale Solidarität der Wehrdienstverweigerer. In der folgenden Zeit entstanden überall in der DDR Gruppen, die Konzepte für einen zivilen Ersatzdienst formulierten. Während des Friedensseminares in Stendal entstand eine DDR-weite Gruppe von, wie es hieß, Menschen, die sich mit der Wehrdienstproblematik beschäftigen. Während anfangs wohl die Hoffnung auf staatliches Entgegenkommen in der Mehrheit der Gruppen zu sehr gemäßigten Konzepten auf der Linie des SOFD-Papieres von 1981 führte, gingen die Forderungen im Laufe des Jahres 1986 auf das anfangs von den meisten als zu radikal bezeichnete Graswurzelpapier zu, einem Politischen Minimalprogramm der Wehrdienstverweigerer.
[männlicher Sprecher 3:]
1. Recht auf Wehrdienstverweigerung
In der DDR muss eine echte Alternative zur Wehrdienstpflicht und auch zum so genannten Wehrersatzdienst geschaffen werden. Beide existierenden Formen der Wehrdienstableistung werden in keiner Weise den Anforderungen gerecht, die sich aus dem Recht auf Gewissensfreiheit und dem Recht auf Wehrdienstverweigerung ergeben.
Absatz 1
Jeder hat ohne Einschränkung das Recht, den Wehrdienst zu verweigern. Als Alternative dazu muss ein nichtmilitärischer, alternativer Dienst, sprich ziviler Ersatzdienst, geschaffen werden.
Absatz 2
Dieser Ersatzdienst wird von den Wehrdienstverweigerern als Zeichen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung geleistet.
Absatz 3
Die Entscheidung zu diesem Ersatzdienst kann jederzeit erfolgen. Erfolgt diese Entscheidung während des Wehrdienstes, so muss der Wehrdienstverweigerer aus dem aktiven Wehrdienst entlassen werden.
Absatz 4
Die Entscheidung zur Wehrdienstverweigerung muss dem zuständigen Wehrkreiskommando schriftlich mitgeteilt werden. Innerhalb von vier Wochen muss die Registrierung als Wehrdienstverweigerer schriftlich bestätigt werden. Damit erlischt die Zuständigkeit militärischer Dienststellen. Die Anerkennung und Registrierung als Wehrdienstverweigerer darf niemandem verwehrt werden.
Absatz 5
Die Wehrdienstverweigerer werden bei entsprechenden Stellen im Bereich des Ministeriums für Gesundheitswesen bzw. dem Ministerium für Umweltschutz registriert.
Absatz 6
Entscheidungen über Einberufungsdatum, Einsatzort und Einsatzweise erfolgt über diese Dienststellen.
Absatz 7
Die Dauer des zivilen Ersatzdienstes darf sich nicht von der des Grundwehrdienstes unterscheiden.
Absatz 8
Der Zivildienstleistende untersteht der Zivilgerichtsbarkeit.
Absatz 9
Eine Unterbringung in Wohnheimen kann vorgesehen werden, wenn das durch Sachzwänge erforderlich ist. Möglichst ist der Dienst am Wohnort abzuleisten.
Absatz 10
Entlohnung entsprechend dem Wehrsold, freie Heimfahrt in allen öffentlichen Verkehrsmitteln, Rechte entsprechend dem Arbeitsgesetzbuch, außer Entlohnung und Kündigung.
Absatz 11
Es erfolgt eine Grundausbildung im jeweiligen Einsatzgebiet, die nicht zum Einsatz im Kriegsfall missbraucht werden kann.
[männlicher Sprecher 2:]
Soweit die Dokumentation zur Remilitarisierung in der DDR und zur Geschichte der Wehrdienstverweigerung. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass selbst das gegenwärtige Patt zwischen Behörden und Wehrdienstverweigerern nur durch ständigen, öffentlichen Druck aufrecht zu erhalten ist. Um so wichtiger ist, dass jeder, der sich angesprochen fühlt, zusammen mit anderen neue Kreise bildet, Konzepte für einen zivilen Ersatzdienst entwirft und durch Veranstaltungen, Eingaben und andere öffentlichkeitswirksame Mittel unser Anliegen ein Stück vorantreibt.
Unterzeichnet mit: die Graswurzelgruppe
[Sprecherin Ilona Marenbach:]
Das war ein geschichtlicher Abriss der Graswurzelgruppe zur Remilitarisierung der DDR und der Forderung nach einem sozialen Friedensdienst. Ursprüngliche Gerüchte, nach denen in diesem Jahr die Einziehung zum Wehrdienst schon vor dem 1. Mai beginnen soll, haben sich nicht bestätigt. Auf der eingangs schon erwähnten Synode Berlin-Brandenburg wurde auch zum Problem des Wehrdienstes und seiner Verweigerung ein Beschluss gefasst.
[männlicher Sprecher 4:]
Die Bundes-Synode hat festgestellt, dass jeder Christ, der vor die Frage des Wehrdienstes gestellt ist, prüfen muss, ob seine Entscheidung mit dem Evangelium des Friedens zu vereinbaren ist. In diesen Tagen gewinnt dieser Vorgang wieder aktuelle Bedeutung. Christen treffen in ihrer Friedensverantwortung unterschiedliche Entscheidungen. Dienst bei den bewaffneten Einheiten, Dienst bei den Baueinheiten, Angebot eines Dienstes in der Gesellschaft außerhalb jeglicher militärischer Bereiche. Wir sind uns der Notwendigkeit besonderer seelsorgerischer Begleitung dieser jungen Christen bewusst. Besonders diejenigen, die die dritte Entscheidung treffen, brauchen in diesen Tagen unsere Begleitung. Die Kirchenleitung wird gebeten, zum Ausdruck zu bringen, dass die im Zusammenhang der Wehrpflicht getroffenen Gewissensentscheidungen nicht in einem Bewertungszusammenhang mit anderen gesellschaftlichen Vorgängen gebracht werden.
[Musik]
[Sprecherin Ilona Marenbach spricht auf den Titel:]
Ihr könnt sicher sein, dass wir die Sendung so lange wiederholen werden, bis sie störungsfrei empfangen werden kann.
Hört öfters Radio 100, dann sagen wir wann.
[Musik Ende]
"Many Years Ago" hieß dieses Stück von Mzwakhe, einem schwarzen Dichter aus Südafrika, der dort seit Januar im Knast sitzt. Die Kirchenleitung der evangelischen Kirche hat sich positiv zur Entwicklung in der Sowjetunion geäußert. Es gibt ja die sicherlich richtige These, dass wirtschaftliche Schwierigkeiten diese Entwicklung beschleunigen.
Von Seiten der DDR-Führung wird massiv darauf bestanden, dass die Entwicklung in der Sowjetunion auf die DDR nicht übertragbar sei, weil die Verhältnisse völlig anders seien. Vor allem wirtschaftlich sei die DDR stabiler, habe also eine Umstrukturierung gar nicht nötig. Zur Wirtschaftsentwicklung in der DDR erreicht uns ein aktueller Kommentar.
[männlicher Sprecher 5:]
Zweimal im Jahr haben die Generaldirektoren und die ZK-Parteiorganisatoren der Kombinate zum Befehlsempfang anzutreten. Zur Frühjahr- und Herbstmesse erteilt der Politbüro- und Wirtschaftstratege Günter Mittag neue Weisungen. Am 10. März diesen Jahres überraschte er den erlauchten Kreis mit den Worten: "Wer gewillt ist, zu hören, der hört; wer gewillt ist, zu sehen, der sieht". Und die Kombinatsdirektoren mit Gehältern über 3000 Mark sind sicher gewillt, zu hören und zu sehen. Hängt doch gerade vom Wirtschaftsmarschall Mittag ihre privilegierte Existenz ab. Doch während des "Mittäglichen" Leistungsvergleichs vergeht den Herren Hören und Sehen. Die Runde erschauert, denn es gab nur wenige, die einen wirklich erfüllten Plan in Leipzig vorweisen konnten. So fragten sie sich bang, wann kommt mein Name oder geht der Kelch an mir vorbei?
In diesem Kreis war es jedem [Störung], es in der sozialistischen Planwirtschaft schleift. Doch die wahren Ursachen dafür werden nicht benannt. Statt dessen gibt es Schelte. Keine Angst, in die Öffentlichkeit kann davon nichts dringen. Das ND hat Befehl, Erfolge zu melden. Schauen wir ein wenig hinter die gut gehüteten Staatskulissen.
Die Misere ist von Mittag nicht mehr zu verheimlichen, aber [Störung] verklausuliert. So hieß es schon im September 1987 vor dem gleichen Gremium: Kein wesentlicher Ausbau des Planvorsprungs, beträchtliche Rückstände sollen zugelassen werden, vorhandene Planrückstände würden weiter ansteigen. Für Mittag liegen die Ursachen in den nicht fertig gestellten Investitionsvorhaben. In der Tat, 1987 wurden 751 Investitionsvorhaben nicht realisiert. Dazu kommt, dass zweihundert dieser Objekte etwa 600 Millionen Mark mehr veranschlagen als vorgesehen war. Ausgeblieben sind auch zwanzig Vorhaben zur Einführung von Schlüsseltechnologien, zehn Vorhaben zur Verbesserung der Brenn- und Rohstofflage, zehn Vorhaben im Bereich der Konsumgüterproduktion. Dabei ist wohl nicht nur der Viertakt-Trabi auf der Strecke geblieben. Allein die Baurückstände bei Investitionen betrugen im August 87 500 Millionen Mark. Trotz wiederholt verteilter Ohrfeigen, ist das Manko inzwischen auf 600 Millionen angewachsen. Da wird der Inbetriebnahmetermin des Braunkohletagebaus Sese-Ost von Juli auf November 1987 verschoben. Das Braunkohlekombinat Senftenberg ist nämlich Eigenleistungen im Werte von 9,6 Millionen Mark schuldig geblieben; armer Genosse Generaldirektor Waldmann.
Weitere Schuldner im Falle von Sese-Ost sind das BMK Kohle und Energie mit 0,6 Millionen und der VEB Gleisbau Magdeburg mit einer halben Million Schulden. Und nun der Höhepunkt für die Verschiebung von Sese-Ost. Zitat von Mittag: "Die Terminverschiebung wurde am 11. Juni 1987 durch den Hauptabteilungsleiter im Ministerium für Kohle und Energie, Genosse Lenk, eigenmächtig bestätigt." Vorbei ists mit der schönen Staatsrente. Oder ist er weich ins soziale Netz der Bürokratie gefallen? Schade, dass ich Genosse Lenk dazu nicht befragen konnte. Es wäre sicherlich interessant gewesen.
Im November 87 schätzte das Politbüro die wirtschaftliche Gesamtsituation folgendermaßen ein:
1. Statt fünfzig prozentiger Reduzierung der Verschuldung im westlichen Ausland; Anstieg um fünfzig Prozent.
2. Katastrophale Energiesituation: es werden ganzjährige Elektroenergieimporte aus dem Westen erforderlich.
3. Die Kooperationsbeziehungen in der Industrie sind stark gestört.
4. Das Reichsbahnnetz ist zu einem erheblichen Teil verschlissen.
5. Im Staatshaushalt fehlen gegenwärtig 2,8 Milliarden Mark.
Die Lage ist ernst, dass ist nun auch schon bis ins Politbüro gedrungen. Wir merken es schon lange, doch öffentlich aussprechen darf man es immer noch nicht. Dass es bergab geht, soll ein Geheimnis bleiben. Vielleicht meinen auch die Herren im Politbüro, es klammheimlich wieder hinzukriegen - ganz ohne uns. Leitende Wirtschaftskader raunten sich bereits im Herbst 1987 Vergleiche mit Ulbrichts Schicksalsjahr 1970 ins Ohr.
Und so verschieden sind die Symptome der Krisenerscheinungen wirklich nicht: Es gibt nach wie vor riesige Produktivitätsrückstände zu den entwickelten, kapitalistischen Staaten. Zur BRD sind das dreißig bis fünfzig Prozent. Die mangelnde Inovationskraft und ständige Probleme mit der Qualitätsproduktion garantieren weiterhin die abnehmende Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt. Immer wieder treten Engpässe in der Versorgung der Bevölkerung und in der Wirtschaft auf. Der finanzielle Zuschuss für festgeschriebene Niedrigpreise hat mittlerweile die Wahnsinnshöhe von 50 Milliarden Mark im Jahr erreicht. Weder bei Honecker noch bei Mittag sind Ansätze zu finden, die wirklichen Ursachen für die chronische Antriebsschwäche unserer Wirtschaft zu beseitigen. Sichtbar wird nur Schema F, die weitere Perfektionierung der Befehls- und Kommandowirtschaft. Das stürzt zwar die Bürokratie in ratlose Aktivität, da sie sich für das eigentliche Antriebsaggregat hält, doch die Befehle und Kommandos verhallen wirkungslos im knirschenden Räderwerk. Zwischendurch klingen manche Worte des Obermaschinisten ganz vernünftig. Zum Beispiel: "Es muss daher Schluss gemacht werden mit der eingerissenen Praxis, sich gegenseitig die Verantwortung für Versäumnisse zuzuschieben. Es gilt, in die wirklichen Ursachen für die eingetretene Lage einzudringen und die notwendigen Entscheidungen zu treffen."
[Musik mit Einblendung: "Guten Morgen, Herr Mittag"]
[männlicher Sprecher 5:]
Doch allein das Wort Ursache in den Mund zu nehmen, ist noch kein Beweis dafür, diese auch erkannt zu haben. Das Sparprogramm, das gegen die Misere verordnet wurde, beinhaltet keine Strategie, die an Ursachen orientiert ist. Es wird auf weitere Importreduzierungen gesetzt, der Einsatz von Armeeangehörigen in der Konsumgüterproduktion soll den Produktionszuwachs sichern. Die DDR-Vertretungen im Ausland müssen sich einschränken, Gelder für Dienstreisen ins Ausland werden gekürzt. Womöglich Verringerung der Subventionen, außer bei Waren des Grundbedarfs. Bestände sollen abgebaut werden und noch Energie eingespart. Na denn man tau.
[männlicher Sprecher 6:]
"Es war einmal ein Kapitän, der wollte wieder Land mal sehen. Sein Schiff fuhr auf ne Sandbank drauf, so nahm die Sache ihren Lauf. Noch gings dem Käptn gut an Bord, die Crew hört auch auf jedes Wort. Verschweigt er doch die wahre Lage, nun warten wir auf jene Tage, die erhellen die Misere, greift die Schraube doch ins Leere."
[Musik]
[Sprecherin Ilona Marenbach:]
Bis zum 30. November letzten Jahres haben wir ja noch auf der Frequenz 100,6 MHz gesendet. Das war ein UKW-Bereich, der gerade noch von diesen alten Röhrenradios empfangen werden konnte. Mit dem Wechsel auf 103,4 MHz kam das Empfangs-Aus für diese alten Kisten, die sich hauptsächlich noch als Küchenradios bewähren. Aber das muss nicht sein. Es gibt Möglichkeiten, diese Apparate umzurüsten. Ich würde so etwas ja gar nicht erst probieren, aber es soll Leute geben, die nicht so ne technischen Trampel sind wie ich. Für die folgende Bastelanleitung übernehme ich keine Gewähr. Wahrscheinlich kann sie außerhalb Schönebergs eh niemand mehr hören.
[weibliche Sprecherin 1:]
Laß ich doch neulich in der Berliner Zeitung, dass es ein Leichtes ist, mit einem Radio, dessen Frequenzbereich nur bis 100 MHz geht, den neuen Jugendsender zu hören. Der liegt auf 102 MHz. Da war es doch ein Leichtes, gleich Radio 100 auf 103,4 MHz einzustellen. Dazu braucht man nur Folgendes zu tun:
1. Gehäuse abbauen, bis man an die Eingeweide gut heran kommt.
2. Eine Blechschachtel suchen, etwa doppelte Zigarettenschachtel-Größe, die im Deckel circa sechs oder sieben Löcher hat. Das ist der Tuner.
3. Dieser Deckel kann vorsichtig abgehoben werden.
4. Jetzt werden Spulen und Kondensatoren sichtbar. Die Spulen könnte man mit einem Schornstein vergleichen. Der Kondensator sieht daneben aus, wie ein kleiner, dicker Behälter.
5. Beide, Spule und Kondensator, haben in der Mitte eine kleine Stellschraube. Stecker in die Dose und den letzten Sender bei circa 100 MHz einstellen.
6. Bei einigen Spulen und Kondensatoren verändert sich nichts hörbares, wenn ihr sie verstellt. Also wenn ihr dran dreht, die Ausgangsstellung unbedingt merken und wenn sich bei leichter Drehung nichts geändert hat, sofort wieder zurück stellen. In der Blechschachtel sind Trennbleche. Ihr müsst an der Spule oder an dem Kondensator drehen, die alleine in einem abgetrennten Bereich sind und wo sich sofort der Sender ändert. Das Sicherste ist, die Spule zu verstellen. Sie muss hinein gedreht werden. Nach ein bis zwei Umdrehungen könnt ihr dann Jugendradio DDR auf 102 MHz hören und ein Stückchen weiter gedreht kommt dann Radio 100 auf 103,4 MHz. Jetzt stimmt die Skala eures Radios nicht mehr. Das heißt, die anderen Sender haben sich mit verschoben. Am anderen Ende des UKW-Bandes fehlt natürlich auch ein Stück. Wenn ihr alles richtig gemacht habt, ist da aber mindestens noch BBC London zu hören.
11. Deckel wieder auf den Tuner.
12. Gehäuse wieder zusammen bauen und
13. Stecker in die Dose und los geht's mit Radio 100. Viel Spaß und weitersagen!
[Hintergrundmusik; Sprecherin Ilona Marenbach:]
Und wie immer zum Schluss noch ein paar Tipps:
Heute Abend, gleich nach der Sendung, findet in der Zionskirche eine Andacht zum zweiten Jahrestag von Tschernobyl statt. Die Zionskirche ist am Zionskirchplatz.
Morgen, am 26.04., geht es um den Umweltschutz und die Probleme der Errichtung von Industriebetrieben. Und zwar findet das Ganze im "Haus der sowjetischen Wissenschaft und Kultur" in der Friedrichstraße im Pressezentrum, dritte Etage statt, um 16.00 Uhr. Zu diesem Thema gibt es übrigens einen spannenden Bericht, in der neuen Monatszeitung "Moscow News". Eine Bürgerinitiative im Ural kämpft für saubere Luft. Leider ist "Moscow News" nur in der BRD erhältlich. Obwohl von der sowjetischen Nachrichtenagentur "Nowosty" herausgegeben, bestehen zur Zeit noch keine Möglichkeiten, diese auch in der DDR zu verbreiten.
Am gleichen Ort, im "Haus der sowjetischen Wissenschaft und Kultur", geht es einen Tag später weiter mit einem Gespräch über die Teilnahme der Jugend an der Umgestaltung, dem 70. Jahrestag des Leninschen Komsomol gewidmet, ab 15.00 Uhr im "Haus der sowjetischen Wissenschaft und Kultur".
Immer noch da, noch einen Tag später, am 28. April, geht es im kleinen Saal um "Das Sowjetland auf dem Kurs der Umgestaltung und des Friedens", um 16.00 Uhr.
So wir verlassen jetzt das Gebäude der sowjetischen Wissenschaft und begeben uns nach Potsdam. Da kann man uns nämlich auch hören. Am 03. Mai gibt es in der katholischen Peter-und-Paul-Gemeinde einen Gesprächskreis zur "Arche". Die "Arche" ist ein DDR-weiter Bund ökologischer Gruppen, der sich gerade gegründet hat. Zukünftig soll es jeden Dienstag zur gleichen Zeit, am gleichen Ort, zum gleichen Thema, nämlich Ökologie, einen Gesprächskreis geben. Peter-und-Paul-Gemeinde, Bebelstr. 9 in Potsdam.
Dann haben wir noch zwei Veranstaltungen, die untersagt wurden, also nicht stattfanden. Das war eine Lesung an der Wand-Ausstellung von Thomas Günter und eine Ausstellung von C. Bach und T. Günter: "Es wäre schön, wenn".
Und schon habe ich wieder ein Rauschen auf den Kopfhörern.
[Musik]
[Sprecherin Ilona Marenbach spricht auf den Titel:]
So, das war jetzt die knisternde Radio Glasnost-Sendung vom 25. April 88. Die nächste Glasnost-Sendung kommt bestimmt.
Redaktion und Aufnahmeleitung hatte Dieter Rulff, an der Technik saß und sitzt Susi Werli und am Mikrofon verabschiedet sich Ilona Marenbach und es geht jetzt garantiert ungestört weiter mit [Name unverständlich].
[Musik]
Operative Beobachtung
Die Beobachtung zählte zu den konspirativen Ermittlungsmethoden, die in der Regel von operativen Diensteinheiten in Auftrag gegeben und von hauptamtlichen Mitarbeitern der Linie VIII (Hauptabteilung VIII) durchgeführt wurden. Dabei wurden sog. Zielpersonen (Beobachtungsobjekte genannt) über einen festgelegten Zeitraum beobachtet, um Hinweise über Aufenthaltsorte, Verbindungen, Arbeitsstellen, Lebensgewohnheiten und ggf. strafbare Handlungen herauszufinden. Informationen aus Beobachtungen flossen in Operative Personenkontrollen, Operative Vorgänge oder Sicherheitsüberprüfungen ein. Im westlichen Ausland wurden Beobachtungen meist von IM unter falscher Identität ausgeführt.
Überwachung des Kulturbereichs
Die für Kultur, Kunst und Literatur zuständigen Diensteinheiten des MfS hatten die kulturpolitische Linie der Partei zu unterstützen und durchzusetzen. Geheimpolizeiliche Überwachung im Kultur- und Medienbereich bedeutete zunächst "Objektsicherung", die nach dem Mauerbau durch eine personenbezogene Überwachung ergänzt und in den 70er Jahren durch eine angestrebte "flächendeckende Überwachung" drastisch erweitert wurde. Im letzten Jahrzehnt bestimmten subtilere Formen der Einflussnahme die geheimpolizeiliche Durchdringung des künstlerisch-kulturellen Bereiches der DDR.
In den 50er Jahren intensivierte das MfS seine operative Tätigkeit im Kulturbereich immer nur dann, wenn es "ideologische Aufweichungstendenzen" unter den Kulturschaffenden, speziell den Schriftstellern, befürchtete, was in der Regel mit bestimmten außen- oder innenpolitischen Prozessen im Zusammenhang stand. Derartige Tendenzen beobachtete es im Juni 1953 nicht, dafür aber umso mehr 1956/57 nach den Systemkrisen in Ungarn und Polen. Nach 1957 intensivierte das MfS die Überwachung im Verantwortungsbereich "Kultur" (K.). Beispielsweise geriet das Verlagswesen stärker ins Visier.
Nach dem Mauerbau wurde die geheimpolizeiliche Durchdringung des künstlerisch- kulturellen Bereiches verstärkt. Die Stasi meinte dort erste Anzeichen für das Entstehen eines "politischen Untergrundes" auszumachen. Das anfänglich eher sporadische Interesse wich einer zunehmenden Aufmerksamkeit, die sich speziell auf die Abläufe im Literaturbetrieb ausrichtete. Das MfS forcierte eine "unsichtbare Front" im Innern und fungierte fortan verstärkt als Wächter und Häscher der Kulturpolitik der SED.
In der Folge nahm in den 60er Jahren das Ausmaß der personenbezogenen Überwachung stetig zu. Aus verstörenden Erfahrungen mit dem Prager Frühling (1967/68) wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass "der Klassenfeind bei der Organisierung der Konterrevolution […] immer von dem scheinbar unpolitischen Bereich der Kunst ausgeht". Vor diesem Hintergrund sind die 1969 eingeleiteten strukturellen und organisatorischen Veränderungen zur Kontrolle und Überwachung der Sicherungsbereiche Kultur und "Massenkommunikationsmittel" (M.) zu sehen.
Der Befehl 20/69 regelte den Aufbau der "Linie XX/7" mit den Zuständigkeitsbereichen Kultur / Massenmedien in der HA XX/7 und den Abt. XX/7 in den BV. In den KD standen, den regionalen Besonderheiten entsprechend, häufig nur einzelne Mitarbeiter zur zeitweiligen Erledigung operativer Aufgaben im Sicherungsbereich Kultur zur Verfügung. Fortan richtete das MfS sein Augenmerk auf die Felder Fernsehen, Rundfunk, den ADN und die Printmedien sowie auf alle kulturellen Institutionen vom Ministerium für Kultur bis hin zum Theater in der Provinz.
Entsprechend der DA 3/69 sollten zukünftig "alle inoffiziellen und offiziellen Möglichkeiten zur zielgerichteten und ständigen Informationsbeschaffung und zur operativen Bearbeitung feindlicher Kräfte" eingesetzt und zur offensiven Abwehr der feindlichen Angriffe entsprechend der Sicherung der zentralen Objekte, Einrichtungen und Organisationen im Bereich der Kultur / Massenmedien gewährleistet werden". Dieses grundsätzliche Aufgabenprofil zur Kontrolle und reibungslosen Durchsetzung der SED-Kulturpolitik blieb bis Ende 1989 gültig.
Mitte der 70er Jahre weitete das MfS seinen Überwachungsapparat im Bereich Kultur erheblich aus, weil "die ideologisch leicht anfälligen Kulturschaffenden" von der SED-Führung und dem MfS nicht mehr nur als Saboteure der Kulturpolitik der Partei eingestuft wurden, sondern zunehmend für potentielle oder tatsächliche Gegner des Sozialismus schlechthin gehalten wurden. Infolgedessen strebte das MfS die "flächendeckende Kontrolle" der kulturellen Szene an, in der möglichst jegliche kritische Entwicklung bereits im Keim erstickt werden sollte.
Nach der Ratifizierung der KSZE-Schlussakte 1975 ließ Mielke die nach innen gerichtete Tätigkeit seines Apparates in jenen gesellschaftlichen Bereichen verstärken, die ihm für die "Politik der menschlichen Kontakte" (Kontaktpolitik) besonders anfällig schien. Betroffen waren davon auch die Künstler und Schriftsteller, die nach Einschätzung des MfS einen Hauptangriffsbereich des Klassengegners" (des Westens) darstellten. Um die internationale Reputation der DDR nicht zu gefährden, war Aufsehen möglichst zu vermeiden. Es gewannen subtile Formen der Einflussnahme und differenzierte Zersetzungsmethoden" an Bedeutung.
Diese Tendenz verstärkte sich nach dem aufsehenerregenden Protest gegen die Ausbürgerung von Biermann 1976. Im Zusammenhang mit der Gründung der Solidarność in Polen im Jahr 1980 verlagerte das MfS den Schwerpunkt seiner operativen Arbeit im Kulturbereich von der "Objektsicherung" auf die Überwachung einzelner Personen. Das Ministerium konzentrierte sich nunmehr auf die Bearbeitung von institutionell gebundenen Akteuren des Kunst- und Kulturbetriebes, die der PUT verdächtigt wurden.
Mit der DA 2/85 "zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der PUT" versuchte das MfS, das allmählich anwachsende oppositionelle Potenzial gezielter zu "bearbeiten". Die Einflussmöglichkeiten des MfS waren sehr stark von den lokalen Gegebenheiten, der aktuellen politischen bzw. kulturpolitischen Linie der SED und der Prominenz des jeweils bearbeiteten Künstlers/Schriftstellers abhängig. Demzufolge waren die Eingriffsmöglichkeiten bei prominenten Kulturschaffenden tendenziell erheblich geringer als beispielsweise bei noch unbekannten Nachwuchsautoren, die über keine Lobby verfügten und an Orten lebten und arbeiteten, für die sich Westmedien kaum interessierten.
Seit den 80er Jahren wurde die Veranlassung der Künstler zu "gesellschaftsgemäßem Verhalten" zu einer zentralen methodischen Variante der Staatssicherheit. Hierbei ging es nicht mehr darum, kritisches Denken strafrechtlich zu verfolgen oder das Entstehen partiell kritischer Werke zu verhindern, sondern deren Veröffentlichung "nur" noch einzuschränken und die betreffenden Personen von dem Bereich zu isolieren, den das MfS mit "politischer Untergrund" beschrieb. In solchen Fällen beschränkte es sich zunehmend darauf, "vorbeugende Aufklärungsarbeit" zu leisten, ohne repressive Maßnahmen einzuleiten.
Dafür rückte verstärkt jene nachgewachsene Generation ins Blickfeld der politischen Geheimpolizei, die sich ästhetisch alternativ definierte und organisatorisch nicht in den staatlich organisierten Kulturbetrieb eingebunden war. Speziell für diesen Personenkreis wurde 1981 die "Linie XX/9" gegründet.
Die Kirchen gerieten nicht selten unter Verdacht, gegen die politischen Verhältnisse in der DDR zu opponieren. Das lag an ihrer weitgehenden Eigenständigkeit, an der christlichen Botschaft, die von den kommunistischen Ideologen als konkurrierendes Sinn- und Erklärungsangebot abgelehnt wurde, sowie an ihrem Beharren auf Mitsprache und Gestaltungsanspruch in gesellschaftlichen Fragen. Im Auftrag der SED wurde daher das MfS tätig, um die von den Kirchen ausgehenden vermeintlichen und tatsächlichen Gefahren für das politisch-ideologische System der DDR abzuwehren.
Die SED-Kirchenpolitik war in den vier Jahrzehnten der DDR Wandlungen unterworfen. In den 50er Jahren führte die SED mehrfach einen offenen Kirchenkampf. Dieser richtete sich u. a. gegen die kirchliche Jugend- und Studentenarbeit, v. a. bei der Einführung der Jugendweihe, sowie gegen karitative Einrichtungen wie die Bahnhofsmissionen. Mehrere Religionsgemeinschaften wurden verboten und deren Anhänger verfolgt.
Die SED war zudem bestrebt, die Verlesung von solchen Hirtenbriefen und Kanzelabkündigungen zu unterbinden, in denen sozialethische, gesellschaftskritische oder politische Fragen aufgegriffen wurden. Von der Polizei und dem MfS wurden kirchliche Einrichtungen durchsucht und Literatur beschlagnahmt. Neben kirchlichen Mitarbeitern wurden unter Mitwirkung des MfS auch Pfarrer – zwischen 1950 und 1960 mindestens 140 – inhaftiert.
Ab den 60er Jahren beschränkte sich die SED zunehmend darauf, durch eine rigorose Auslegung der Veranstaltungsordnung unerwünschte kirchliche Aktivitäten zu behindern. Das offizielle Eindringen in kirchliche Räume wie im November 1987, als es nachts in der Zionsgemeinde in Ostberlin zu Durchsuchungen und Festnahmen kam, war in den 70er und 80er Jahren eher untypisch, weil dies die Staat-Kirche-Beziehungen erheblich belastete. Vor allem seit 1978 bemühte sich die SED, ein Stillhalteabkommen zwischen Kirchenleitungen und Staat zu respektieren.
Das MfS versuchte aber stets, indirekt Einfluss auf kirchliche Entscheidungen zu nehmen. Dies und die verdeckte Informationsbeschaffung zählten zu den Hauptbetätigungsfeldern des MfS im Rahmen der von der SED konzipierten Kirchenpolitik. Die Informationsbeschaffung erfolgte mittels Observation, IM-Einsatz und auf dem Weg der sog. Gesprächsabschöpfung. Dabei gelang es in Einzelfällen auch, Christen in kirchlichen Leitungspositionen als IM zu gewinnen.
So arbeitete der thüringische Kirchenjurist und Oberkirchenrat Gerhard Lotz seit 1955 mit dem MfS als IM "Karl" zusammen. Durch die Positionierung eines Offiziers im besonderen Einsatz im Konsistorium in Magdeburg, Detlev Hammer, der ab 1974 juristischer, dann Oberkonsistorialrat war, vermochte es das MfS, einen hauptamtlichen Mitarbeiter innerhalb der Leitungsstruktur der provinzsächsischen Kirche zu platzieren. Außerdem hatte das MfS gegenüber den Kirchen dann tätig zu werden, wenn Verdachtsmomente dafür vorlagen, dass die Kirchen über den ihnen von der SED zugewiesenen religiös-kultischen Bereich hinaus tätig wurden.
Dementsprechend observierte das MfS Kirchengemeinden und Pfarrer, die – wie es beim MfS hieß – im Rahmen der "Partnerschaftsarbeit" Besuchskontakt zu Kirchengemeinden in der Bundesrepublik unterhielten. Das MfS legte hierzu OV an und ermittelte gegen die Organisatoren der Zusammenkünfte.
Als Ziele der MfS-Aufklärung galten ebenso kirchliche Synoden und Basistreffen, auf denen grundsätzlich die potenzielle Gefahr bestand, dass Kritik an den Verhältnissen in der DDR geübt werden würde. In das Blickfeld des MfS rückten die evangelischen Kirchen insbesondere ab Mitte der 70er Jahre: Zunächst rief die auch unter nichtkirchlichen Jugendlichen an Attraktivität gewinnende kirchliche Jugendarbeit, dann die Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsarbeit unter dem Dach der Kirche den Argwohn des MfS hervor.
Insgesamt war das MfS nur eine von mehreren Institutionen des SED-Staates, die im Rahmen der SED-Kirchenpolitik tätig wurden. Im Zusammenspiel mit ihnen versuchte das MfS, die Kirchen zu kontrollieren und zu disziplinieren.
In Auswertung der kirchenpolitischen Kampagnen der 50er Jahre und bestärkt durch konzeptionelle Arbeiten, drängte die SED-Führung ab Anfang der 80er Jahre zunehmend auf ein koordiniertes Vorgehen. Die vom MdI und den Abteilungen für Inneres erstellten Rapportmeldungen, Berichte und Personeneinschätzungen zu Gottesdiensten und kirchlichen Mitarbeitern wurden vereinbarungsgemäß dem MfS zur Verfügung gestellt und bildeten häufig den Grundstock jener Berichte und Personencharakteristiken, die sich in den Beständen des MfS wiederfinden.
Bereits vor Gründung des MfS hatte bei der Deutschen Verwaltung des Innern in der Abteilung K 5 das Referat C 3 existiert. Als Aufgabenbeschreibung wurde die "Aufklärung und Bekämpfung der kirchlichen Feindtätigkeit" genannt. Ab 1950 bestand im MfS zunächst die Abteilung V, die sich ab 1953 Hauptabteilung V nannte und 1964 im Zuge einer Umstrukturierung zur Hauptabteilung XX wurde.
Innerhalb dieser Organisationsstruktur zeichnete die Abt. 4 für die "Bearbeitung" der Kirchen verantwortlich. 1988 gliedert sich diese in sechs Fachreferate, wobei je eins für die evangelischen Kirchen, die katholische Kirche sowie die Religionsgemeinschaften und Sekten zuständig war. Ein Referat widmete sich Operativen Vorgängen. Als Schwerpunkt der Arbeit wurde die "Bekämpfung der politischen Untergrundtätigkeit" benannt. Zwei weitere Referate nahmen koordinierende Funktionen wahr.
Neben der Hauptabteilung XX/4 stützte sich das MfS bei der Bekämpfung und Infiltration der Kirchen auf die Zuarbeit verschiedener Hauptabteilungen und Abteilungen - so u. a. auf die Dienste der HV A bei der "Aufklärung" von westlichen Partnergemeinden und Pfarrern, die die kirchliche Friedensarbeit in den ostdeutschen Gemeinden unterstützten. Im Fall der Inhaftierung kirchlicher Mitarbeiter übernahm die Hauptabteilung IX als Untersuchungsorgan den Vorgang.
Hinzu kamen andere institutionalisierte Formen der "Bearbeitung". Als politisch-ideologische fungierte ab 1958 das Referat Familienforschung, das Verwicklungen missliebiger Kirchenvertreter in das NS-Regime aufdecken oder konstruieren sollte, um die so Diffamierten unter Druck setzen zu können. Angesiedelt war es beim Deutschen Zentralarchiv in Potsdam. Es verwaltete verschiedene aus NS-Beständen stammende Unterlagen und wertete sie aus. Dabei handelte es sich um eine verdeckt arbeitende Einrichtung des MfS.
Um den steigenden Informationsbedarf – unter Berücksichtigung der Spezifik kirchlicher und religiöser Angelegenheiten – zu decken und um Sonderaufträge u. a. auch im Ausland ausführen zu können, etablierte das MfS 1960 die sog. Auswertungsgruppe, die dem Referat V zugeordnet wurde. In einem konspirativen Objekt in Berlin-Pankow ("Institut Wandlitz") arbeiteten hauptamtliche IM und mehrere OibE zusammen.
Seine "Absicherung" fand das Vorgehen des MfS gegenüber den Kirchen durch ein umfangreiches Netz von OibE und IM, die das MfS im Staatssekretariat für Kirchenfragen und in den Kirchenabteilungen der DDR-Bezirke unterhielt. 1989 gab es im Staatssekretariat drei OibE; zudem berichtete der persönliche Referent und Büroleiter der Staatssekretäre Hans Seigewasser und Klaus Gysi, Horst Dohle, ab 1975 als IM "Horst" dem MfS. Insgesamt aber gelang es dem MfS nicht, die Kirchen umfassend zu unterwandern.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Vorgangsart von 1953 bis 1960. In Beobachtungsvorgängen wurden Personen erfasst, die als potenziell oder tatsächlich politisch unzuverlässig oder feindlich eingestellt galten und daher vorbeugend beobachtet wurden. Dazu gehörten etwa ehemalige NS-Funktionsträger, ehemalige Sozialdemokraten, Teilnehmer an den Aktionen des 17. Juni 1953 sowie Personen, die aus dem Westen zugezogen waren. Die Vorgangsart verlor nach und nach an Bedeutung. 1960 gingen noch bestehende Beobachtungsvorgänge in den zugehörigen Objektvorgängen auf. Der Beobachtungsvorgang war zentral in der Abteilung XII zu registrieren, die betroffenen Personen in der zentralen Personenkartei F 16 zu erfassen.
Vorgangsart von 1953 bis 1960. In Beobachtungsvorgängen wurden Personen erfasst, die als potenziell oder tatsächlich politisch unzuverlässig oder feindlich eingestellt galten und daher vorbeugend beobachtet wurden. Dazu gehörten etwa ehemalige NS-Funktionsträger, ehemalige Sozialdemokraten, Teilnehmer an den Aktionen des 17. Juni 1953 sowie Personen, die aus dem Westen zugezogen waren. Die Vorgangsart verlor nach und nach an Bedeutung. 1960 gingen noch bestehende Beobachtungsvorgänge in den zugehörigen Objektvorgängen auf. Der Beobachtungsvorgang war zentral in der Abteilung XII zu registrieren, die betroffenen Personen in der zentralen Personenkartei F 16 zu erfassen.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Die Registrierung war der zentrale Nachweis eines Vorgangs oder einer Akte in der Abteilung XII. Die Diensteinheiten hatten der Abteilung XII alle zur Registrierung notwendigen Dokumente vorzulegen (u. a. zwei Karteikarten F 16 für jede zu erfassende Person). In der Abteilung XII erfolgte der Eintrag im Vorgangsregistrierbuch (F 64) mit Vergabe der Registriernummer, die Ausfertigung der F 22 und F 77 und ggf. weiterer Karteikarten sowie ein Eintrag im Vorgangsheft (F 47) des für den Vorgang verantwortlichen Mitarbeiters.
Bestimmte Formblätter und die Aktenteile waren mit Registriernummer versehen an die Diensteinheit zu senden. Registrierpflichtig waren u. a.: IM-Vorlauf, IM-Vorgang, Operative Personenkontrolle, Operativer Vorgang, Untersuchungs- und Sicherungsvorgang.
Informationen zu den durchgeführten Maßnahmen Aktion "David" Dokument, 19 Seiten
Erster Bericht nach der Pilotsendung von Radio Glasnost Dokument, 2 Seiten
Maßnahmen der Linie IX gegen Radio Glasnost Dokument, 3 Seiten
Bericht nach der ersten Sendung über die Hintergrundpersonen und Wirksamkeit auf die DDR Dokument, 6 Seiten