Signatur: BStU, MfS, BV Magdeburg, AU, Nr. 141/53, Bd. 2, Bl. 134-140
Ernst Jennrich geriet dort eher zufällig in die Menschenmenge am Gefängniskomplex und kam an einen Karabiner, mit dem er zwei Schüsse abfeuerte. Das Oberste Gericht der DDR forderte später die Todesstrafe für die ihm vorgeworfene Ermordung eines Wachmanns.
Vom 16. bis 21. Juni 1953 kam es in fast 700 Städten und Gemeinden der DDR zu Demonstrationen und Streiks. Begann der 17. Juni noch als Arbeiteraufstand, entwickelte er sich schnell zum Volksaufstand weiter. Er nahm vielerorts revolutionäre Züge an, bevor er mit Hilfe von russischen Panzern unterdrückt wurde.
Die Industriemetropole Magdeburg gehörte mit einer Zahl von etwa 50.000 Demonstranten zu den Städten, in denen sich die Volkserhebung am 17. Juni am intensivsten entwickelte. Die Elbestadt war ein Zentrum des Schwermaschinenbaus. Hier gab es mehrere große Werke mit zehntausenden Beschäftigten. Viele hatten von den Streiks und Demonstrationen in Ost-Berlin aus westlichen Radiosendern erfahren. Unter dem Ruf "Magdeburg folgt den Berlinern" zogen schließlich etwa 10.000 Arbeiterinnen und Arbeiter zum Stadtzentrum. Dort vereinigten sich mehrere große Demonstrationszüge.
Die Aufständischen besetzten eine Anzahl staatlicher Einrichtungen, darunter das Rathaus, die Bezirksleitungen der SED und der Freien Deutschen Jugend (FDJ) sowie den Bezirksvorstand der DDR-Einheitsgewerkschaft FDGB. Je länger die Demonstrationen andauerten, desto gewalttätiger wurden die Proteste. Immer wieder kam es bei diesen Besetzungen und Erstürmungen zu Zusammenstößen mit den Ordnungskräften.
Insgesamt wurden drei Zivilisten, zwei Polizisten und ein Stasi-Offizier getötet. Daneben gab es etliche Verletzte. Gegen Mittag trafen zwei sowjetische Panzer ein und sowjetische Soldaten begannen, den Aufstand zu unterbinden. Sowjetische Militärtribunale übernahmen die Bestrafung tatsächlicher oder vermeintlicher Rädelsführer des Aufstands.
Der Fall des 42-jährigen Gärtners Ernst Jennrich zeigt, wie willkürlich solche Todesurteile zustande kamen. Jennrich war am 17. Juni 1953 mit einem seiner vier Söhne im Stadtgebiet Magdeburgs unterwegs. Gegen Mittag trafen beide im Stadtzentrum auf die Demonstranten am Hasselbachplatz. Aus Neugier ging Ernst Jennrich dann zur Menschenmenge am nur unweit entfernten Gefängniskomplex in Magdeburg-Sudenburg. Wie er in späteren Verhören beim MfS zugab, kam er dort in den Besitz eines Karabiners der Polizei und feuerte zwei Schüsse ab. Die ihm vorgeworfene Erschießung eines Wachmanns bestritt er aber stets vehement. Schließlich habe er nach den Schüssen die Waffe zerschlagen, um sie unbrauchbar zu machen.
Ohne schlüssige Beweise, jedoch belastet durch Zeugenaussagen einiger VP-Angehöriger, wurde Ernst Jennrich am 25. August 1953 vom Bezirksgericht Magdeburg wegen Boykotthetze und Terror zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. Der Magdeburger Bezirksstaatsanwalt legte dagegen Protest ein, dem sich das Oberste Gericht der DDR anschloss. Das Oberste Gericht hob das Urteil auf, weil angeblich die Aussagen der Zeugen für den Mordvorwurf an einem der Wachmänner ausreichend gewesen seien. Der Fall wurde neu verhandelt und das Bezirksgericht Magdeburg verurteilte Ernst Jennrich am 6. Oktober 1953 zum Tode. Am 20. März 1954 wurde Ernst Jennrich im Zuchthaus Dresden durch Enthauptung hingerichtet.
Oberstes Gericht
der
Deutschen Demokratischen Republik
1b Strafsenat
1b Ust 476/53
Im Namen des Volkes !
In der Strafsache
gegen
Ernst Jennrich,
geb. am 15. November 1911 in Wedringen,
wohnhaft: Magdeburg, [anonymisiert],
wegen
Verbrechens gegen Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in Verbindung mit Kontrollratsdirektive Nr. 38 Abschn. II Art. III A III und § 211 StGB;
hat der 1b Strafsenat des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik
in der Sitzung vom 8. September 1953, an der teilgenommen haben:
Oberrichter [anonymisiert]
als Vorsitzender,
Richter [anonymisiert]
Richter [anonymisiert]
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt [anonymisiert]
als Vertreter des Generalstaatsanwalts der Deutschen Demokratischen Republik,
Sachbearbeiter [anonymisiert]
als Schriftführer,
für Recht erkannt:
Auf den Protest wird das Urteil des Bezirksgerichts Magdeburg vom 26.August 1953
aufgehoben.
Die Sache wird an das Bezirksgericht Magdeburg
zurückverwiesen.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.
Gründe:
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Staatsverbrechen waren im StEG/1957 (§§ 13-27) und in Kapitel 2 des StGB/1968 (§§ 96-111) beschriebene politische Straftaten, die in die Zuständigkeit des MfS als strafrechtliches Untersuchungsorgan (HA IX) fielen, weil eine staatsfeindliche Absicht und/oder eine staatsgefährdende Wirkung unterstellt wurden.
Zu den Staatsverbrechen zählten diktaturspezifisch kodifizierte "klassische" politische Straftaten wie Hochverrat und Spionagedelikte sowie als Meinungs- und Organisationsdelikte definierte Handlungen (Staatsfeindliche Hetze, Staatsfeindliche Gruppenbildung), die in demokratischen Staaten als Ausübung von Grundrechten gelten würden, außerdem unterschiedliche Handlungen oder Unterlassungen, bei denen den Tätern eine staatsfeindlich motivierte Schädigungsabsicht unterstellt wurde (Diversion, Sabotage).
Die als Staatsverbrechen bezeichneten Straftatbestände stehen überwiegend in sowjetischer Rechtstradition und gehen letztlich auf Artikel 58 des StGB der RSFSR ("Konterrevolutionäre Verbrechen") zurück. Bis Februar 1958 wurden sie von DDR-Gerichten in Ermangelung konkreter strafrechtlicher Regelungen pauschal mit Hilfe von Artikel VI der Verfassung von 1949 ("Boykott- und Kriegshetze") geahndet.
Staatsverbrechen galten als schwere Straftaten; bei einigen Tatbeständen (Hochverrat, Spionage, Terror, Diversion, Sabotage) umfasste der Strafrahmen bis 1987 auch die Todesstrafe.
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
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Ernst Jennrich geriet dort eher zufällig in die Menschenmenge am Gefängniskomplex und kam an einen Karabiner, mit dem er zwei Schüsse abfeuerte. Das Oberste Gericht der DDR forderte später die Todesstrafe für die ihm vorgeworfene Ermordung eines Wachmanns.
Vom 16. bis 21. Juni 1953 kam es in fast 700 Städten und Gemeinden der DDR zu Demonstrationen und Streiks. Begann der 17. Juni noch als Arbeiteraufstand, entwickelte er sich schnell zum Volksaufstand weiter. Er nahm vielerorts revolutionäre Züge an, bevor er mit Hilfe von russischen Panzern unterdrückt wurde.
Die Industriemetropole Magdeburg gehörte mit einer Zahl von etwa 50.000 Demonstranten zu den Städten, in denen sich die Volkserhebung am 17. Juni am intensivsten entwickelte. Die Elbestadt war ein Zentrum des Schwermaschinenbaus. Hier gab es mehrere große Werke mit zehntausenden Beschäftigten. Viele hatten von den Streiks und Demonstrationen in Ost-Berlin aus westlichen Radiosendern erfahren. Unter dem Ruf "Magdeburg folgt den Berlinern" zogen schließlich etwa 10.000 Arbeiterinnen und Arbeiter zum Stadtzentrum. Dort vereinigten sich mehrere große Demonstrationszüge.
Die Aufständischen besetzten eine Anzahl staatlicher Einrichtungen, darunter das Rathaus, die Bezirksleitungen der SED und der Freien Deutschen Jugend (FDJ) sowie den Bezirksvorstand der DDR-Einheitsgewerkschaft FDGB. Je länger die Demonstrationen andauerten, desto gewalttätiger wurden die Proteste. Immer wieder kam es bei diesen Besetzungen und Erstürmungen zu Zusammenstößen mit den Ordnungskräften.
Insgesamt wurden drei Zivilisten, zwei Polizisten und ein Stasi-Offizier getötet. Daneben gab es etliche Verletzte. Gegen Mittag trafen zwei sowjetische Panzer ein und sowjetische Soldaten begannen, den Aufstand zu unterbinden. Sowjetische Militärtribunale übernahmen die Bestrafung tatsächlicher oder vermeintlicher Rädelsführer des Aufstands.
Der Fall des 42-jährigen Gärtners Ernst Jennrich zeigt, wie willkürlich solche Todesurteile zustande kamen. Jennrich war am 17. Juni 1953 mit einem seiner vier Söhne im Stadtgebiet Magdeburgs unterwegs. Gegen Mittag trafen beide im Stadtzentrum auf die Demonstranten am Hasselbachplatz. Aus Neugier ging Ernst Jennrich dann zur Menschenmenge am nur unweit entfernten Gefängniskomplex in Magdeburg-Sudenburg. Wie er in späteren Verhören beim MfS zugab, kam er dort in den Besitz eines Karabiners der Polizei und feuerte zwei Schüsse ab. Die ihm vorgeworfene Erschießung eines Wachmanns bestritt er aber stets vehement. Schließlich habe er nach den Schüssen die Waffe zerschlagen, um sie unbrauchbar zu machen.
Ohne schlüssige Beweise, jedoch belastet durch Zeugenaussagen einiger VP-Angehöriger, wurde Ernst Jennrich am 25. August 1953 vom Bezirksgericht Magdeburg wegen Boykotthetze und Terror zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. Der Magdeburger Bezirksstaatsanwalt legte dagegen Protest ein, dem sich das Oberste Gericht der DDR anschloss. Das Oberste Gericht hob das Urteil auf, weil angeblich die Aussagen der Zeugen für den Mordvorwurf an einem der Wachmänner ausreichend gewesen seien. Der Fall wurde neu verhandelt und das Bezirksgericht Magdeburg verurteilte Ernst Jennrich am 6. Oktober 1953 zum Tode. Am 20. März 1954 wurde Ernst Jennrich im Zuchthaus Dresden durch Enthauptung hingerichtet.
Gründe:
Das Bezirksgericht Magdeburg hat mit Urteil vom 26. August 1953 den Angeklagten wegen Verbrechens gegen Art. 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in Verbindung mit Kontrollratsdirektive Nr. 38 Abschn. II Art. III A III zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt.
Folgender Sachverhalt wurde im Urteil festgestellt:
Der im Jahre 1911 geborene Angeklagte entstammt einer Arbeiterfamilie. Nach dem Besuch der Volksschule erlernte zunächst das Bäckerhandwerk, arbeitete aber später als Gärtner. Nachdem er in verschiedenen Betrieben tätig war, wurde er 1942 zur faschistischen Wehrmacht einberufen. Nach einigen Wochen amerikanischer Internierung wurde er 1945 entlassen und eröffnete in Magdeburg eine Gemüsehandlung, die er 1949 wieder aufgab. Anschließend arbeitete er in der Zuckerrafinerie Magdeburg-Sudenburg, im Karl-Marx-Werk und zuletzt als Gärtner bei der LPG "Einheit" in Magdeburg-Neustadt.
Von 1928 bis 1933 gehörte derAngeklagte der SAJ und der SPD an. Nach 1945 schloss er sich wieder der SPD an und wurde nach der Vereinigung der beiden Arbeiterparteien Mitglied der SED, aus der er im Jahre 1947 austrat.
Am 17. Juni 1953 verließ der Angeklagte gegen 8.00 Uhr seine Arbeitsstelle, um beim Rat des Bezirks einen Auftrag zu erledigen. Unterwegs schloss er sich einer Menschenmenge an, die von einem Provokateur aufgeputscht wurde, sich am Streik mit dem Ziel des Sturzes der Regierung zu beteiligen und Terrorhandlungen zu begehen. Der Angeklagte hörte diese Hetzreden geraume Zeit an und folgte dann dem Zug der Demonstranten in Richtung Stadtmitte. In der Nähe des VEB - Möbelfabrik in Neustadt angelangt, begab er sich in diesen Betrieb und hetzte die Arbeiter zur Teilnahme an den Ausschreitungen auf. Ein Teil der Belegschaft legte daraufhin die Arbeit nieder und schloss sich dem radalierenden Zug an. Nach dem Verlassen des Betriebes - kurz nach 10.00 Uhr - traf der Angeklagte seinen [anonymisiert] Sohn, der sich ihm anschloss. Vor dem Parteihaus der SED, aus dem bereits Akten aus dem Fenster geworfen und angezündet wurden, hielt sich der Angeklagte längere Zeit auf. Dann ging er am Bahnhof vorbei zum Damaschke-Platz, wo er die Ausschreitungen der Provokateure im Hause des Rates
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Staatsverbrechen waren im StEG/1957 (§§ 13-27) und in Kapitel 2 des StGB/1968 (§§ 96-111) beschriebene politische Straftaten, die in die Zuständigkeit des MfS als strafrechtliches Untersuchungsorgan (HA IX) fielen, weil eine staatsfeindliche Absicht und/oder eine staatsgefährdende Wirkung unterstellt wurden.
Zu den Staatsverbrechen zählten diktaturspezifisch kodifizierte "klassische" politische Straftaten wie Hochverrat und Spionagedelikte sowie als Meinungs- und Organisationsdelikte definierte Handlungen (Staatsfeindliche Hetze, Staatsfeindliche Gruppenbildung), die in demokratischen Staaten als Ausübung von Grundrechten gelten würden, außerdem unterschiedliche Handlungen oder Unterlassungen, bei denen den Tätern eine staatsfeindlich motivierte Schädigungsabsicht unterstellt wurde (Diversion, Sabotage).
Die als Staatsverbrechen bezeichneten Straftatbestände stehen überwiegend in sowjetischer Rechtstradition und gehen letztlich auf Artikel 58 des StGB der RSFSR ("Konterrevolutionäre Verbrechen") zurück. Bis Februar 1958 wurden sie von DDR-Gerichten in Ermangelung konkreter strafrechtlicher Regelungen pauschal mit Hilfe von Artikel VI der Verfassung von 1949 ("Boykott- und Kriegshetze") geahndet.
Staatsverbrechen galten als schwere Straftaten; bei einigen Tatbeständen (Hochverrat, Spionage, Terror, Diversion, Sabotage) umfasste der Strafrahmen bis 1987 auch die Todesstrafe.
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
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Signatur: BStU, MfS, BV Magdeburg, AU, Nr. 141/53, Bd. 2, Bl. 134-140
Ernst Jennrich geriet dort eher zufällig in die Menschenmenge am Gefängniskomplex und kam an einen Karabiner, mit dem er zwei Schüsse abfeuerte. Das Oberste Gericht der DDR forderte später die Todesstrafe für die ihm vorgeworfene Ermordung eines Wachmanns.
Vom 16. bis 21. Juni 1953 kam es in fast 700 Städten und Gemeinden der DDR zu Demonstrationen und Streiks. Begann der 17. Juni noch als Arbeiteraufstand, entwickelte er sich schnell zum Volksaufstand weiter. Er nahm vielerorts revolutionäre Züge an, bevor er mit Hilfe von russischen Panzern unterdrückt wurde.
Die Industriemetropole Magdeburg gehörte mit einer Zahl von etwa 50.000 Demonstranten zu den Städten, in denen sich die Volkserhebung am 17. Juni am intensivsten entwickelte. Die Elbestadt war ein Zentrum des Schwermaschinenbaus. Hier gab es mehrere große Werke mit zehntausenden Beschäftigten. Viele hatten von den Streiks und Demonstrationen in Ost-Berlin aus westlichen Radiosendern erfahren. Unter dem Ruf "Magdeburg folgt den Berlinern" zogen schließlich etwa 10.000 Arbeiterinnen und Arbeiter zum Stadtzentrum. Dort vereinigten sich mehrere große Demonstrationszüge.
Die Aufständischen besetzten eine Anzahl staatlicher Einrichtungen, darunter das Rathaus, die Bezirksleitungen der SED und der Freien Deutschen Jugend (FDJ) sowie den Bezirksvorstand der DDR-Einheitsgewerkschaft FDGB. Je länger die Demonstrationen andauerten, desto gewalttätiger wurden die Proteste. Immer wieder kam es bei diesen Besetzungen und Erstürmungen zu Zusammenstößen mit den Ordnungskräften.
Insgesamt wurden drei Zivilisten, zwei Polizisten und ein Stasi-Offizier getötet. Daneben gab es etliche Verletzte. Gegen Mittag trafen zwei sowjetische Panzer ein und sowjetische Soldaten begannen, den Aufstand zu unterbinden. Sowjetische Militärtribunale übernahmen die Bestrafung tatsächlicher oder vermeintlicher Rädelsführer des Aufstands.
Der Fall des 42-jährigen Gärtners Ernst Jennrich zeigt, wie willkürlich solche Todesurteile zustande kamen. Jennrich war am 17. Juni 1953 mit einem seiner vier Söhne im Stadtgebiet Magdeburgs unterwegs. Gegen Mittag trafen beide im Stadtzentrum auf die Demonstranten am Hasselbachplatz. Aus Neugier ging Ernst Jennrich dann zur Menschenmenge am nur unweit entfernten Gefängniskomplex in Magdeburg-Sudenburg. Wie er in späteren Verhören beim MfS zugab, kam er dort in den Besitz eines Karabiners der Polizei und feuerte zwei Schüsse ab. Die ihm vorgeworfene Erschießung eines Wachmanns bestritt er aber stets vehement. Schließlich habe er nach den Schüssen die Waffe zerschlagen, um sie unbrauchbar zu machen.
Ohne schlüssige Beweise, jedoch belastet durch Zeugenaussagen einiger VP-Angehöriger, wurde Ernst Jennrich am 25. August 1953 vom Bezirksgericht Magdeburg wegen Boykotthetze und Terror zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. Der Magdeburger Bezirksstaatsanwalt legte dagegen Protest ein, dem sich das Oberste Gericht der DDR anschloss. Das Oberste Gericht hob das Urteil auf, weil angeblich die Aussagen der Zeugen für den Mordvorwurf an einem der Wachmänner ausreichend gewesen seien. Der Fall wurde neu verhandelt und das Bezirksgericht Magdeburg verurteilte Ernst Jennrich am 6. Oktober 1953 zum Tode. Am 20. März 1954 wurde Ernst Jennrich im Zuchthaus Dresden durch Enthauptung hingerichtet.
des Bezirks verfolgte. Nach einiger Zeit setzte er mit seinem Sohn den Weg zum VP-Präsidium und zur Strafvollzugsanstalt Magdeburg-Sudenburg fort. Vor der Haftanstalt befand sich bereits eine Anzahl von jonlenden Provokateuren, die die Freilassung der sogenannten politischen Häftlinge forderten. Einige dieser Provokateure waren mit Karabinern bewaffnet.
Der Angeklagte nahm einem Jugendlichen die Schusswaffe, in der sich 3 Schuss Munition befanden, ab, hängte sie sich um und patroullierte mit ihr vor dem Tor der Anstalt auf und ab.
Nach einer Aufforderung durch andere Provokateure entschloss er sich zur Beteiligung an der Schiesserei. Er ging links des Tores der Haftanstalt befindlichen Fenster, sah in das Innere des Gefängnisses und feuerte einen Schuss ab. Von hier aus schlich er zum rechten Fenster und schoss in den Gefängnishof. Auch vom gegenüberliegenden inzwischen erstürmten Gerichtsgebäude und von einem Turm wurde von Provokateuren in die Haftanstalt geschossen. Der Zeitpunkt der Schiesserei lässt sich nicht genau feststellen. Der Angeklagte gab an, sie habe in der Zeit von 12.00 - 14.00 Uhr stattgefunden. Der Angeklagte zerschlug den Karabiner nach Abgabe der Schüsse.
Als kurz nach 14.00 Uhr sowjetische Panzer die Menge zerstreuten, verliess der Angeklagte als einer der Letzten den Platz vor der Haftanstalt.
Auf dem Heimwege kam er beim VP-Revier am Draisweg vorbei. Zu den beiden dort stehenden Posten sagte er, weshalb sie noch dastünden, in der Stadt wäre schon alles erledigt und 3 Polizisten seien schon erschossen. Als er von einem der beiden Posten aufgefordert wurde, näheres zu berichten, bestieg er sein Fahrrad und rief beim Wegfahren unter Drohen mit der Faust: "Drei von Euch haben wir schon umgelegt. Wir konnten heute bloss nicht bis hierher kommen. Morgen und übermorgen kommt Ihr auch dran!"
Gegen dieses Urteil hat der Staatsanwalt des Bezirks Magdeburg Protest und der Angeklagte Berufung eingelegt. Mit dem Protest wird gerügt, dass der Angeklagte nicht tateinheitlich wegen Mordes an dem VP-Angehörigen [anonymisiert] - einem der insgesamt drei dort ermordeten Volkspolizisten - verurteilt, und deshalb auch nicht auf die für dieses Verbrechen erforderliche Todesstrafe erkannt worden ist. Mit der Berufung wird im wesentlichen eine niedrigere Strafe erstrebt.
Haft im MfS
Die in der DDR herrschende diffuse Furcht vor dem Staatssicherheitsdienst hatte verschiedene Gründe. Die Angst, einfach abgeholt werden zu können und dann für unbestimmte Zeit zu verschwinden, spielte dabei eine nicht geringe Rolle. Reale Grundlage für diese Angst war das zwar geheime, aber zumindest durch Gerüchte und Vermutungen sehr präsente Haftsystem des MfS.
Schwerpunkt dieses Haftsystems waren 15 Untersuchungshaftanstalten (UHA) auf der Ebene der MfS-Bezirksverwaltungen. Außerdem gab es noch zwei UHA auf Ministeriumsebene in Ostberlin: in der Genslerstraße in Hohenschönhausen (UHA I) und in der Magdalenenstraße in Lichtenberg (UHA II). Das bekannteste MfS-Gefängnis war jedoch die Strafvollzugsanstalt Bautzen II, ein altes Gerichtsgefängnis in Bautzens Innenstadt. Formal betrachtet, unterstand dieses häufig als MfS-Sonderhaftanstalt bezeichnete Gefängnis jedoch der Verwaltung Strafvollzug des DDR-Innenministeriums (MdI); faktisch entschied hier jedoch das MfS über alle wichtigen Fragen, von der Auswahl der Angestellten bis zur Einweisung der Häftlinge.
Das größte MfS-Gefängnis war gleichzeitig das unbekannteste: In Berlin-Hohenschönhausen befand sich unmittelbar neben der Untersuchungshaftanstalt das sog. Lager X, ein Haftarbeitslager für bis zu 900 männliche Strafgefangene. Es existierte von Anfang der 50er bis Mitte der 70er Jahre. Weiterhin gab es in allen Untersuchungshaftanstalten des MfS eigene Strafgefangenenarbeitskommandos (SGAK).
Es gilt also zu unterscheiden zwischen Untersuchungshaft und Strafvollzug. Nur ein kleiner Teil der MfS-Untersuchungshäftlinge kam nach einer rechtskräftigen Verurteilung auch in den Strafvollzug des MfS. In Bautzen II wurden bekannte politische Häftlinge untergebracht, aber auch Gefangene, die wegen schwerwiegender Spionagevorwürfe verurteilt worden waren. Ins Lager X und in die SGAK der Untersuchungshaftanstalten wurden nur verhältnismäßig wenige politische Gefangene überstellt; hier wurden die Gefangenen vor allem für die Verrichtung von Arbeiten für das MfS eingesetzt und daher auch unter dem Gesichtspunkt beruflicher Qualifikation ausgewählt.
Dennoch wurden diese beiden Möglichkeiten wegen der – im Vergleich zum normalen Strafvollzug – besseren Haftbedingungen auch als Belohnung für besonders kooperative Häftlinge genutzt, gleichermaßen wegen der besonderen Geheimhaltung, aber auch zur Isolierung von straffällig gewordenen MfS-Mitarbeitern oder Funktionären aus Politik und Wirtschaft.
Das Hauptinteresse des MfS richtete sich auf die Untersuchungshaft. Hier führte das MfS in eigener Zuständigkeit strafprozessuale Ermittlungsverfahren durch und brachte die Beschuldigten in den eigenen Untersuchungshaftanstalten unter. Parallel zur normalen Untersuchungshaft, für die in der DDR seit 1952 nicht mehr die Justizverwaltung, sondern die Verwaltung Strafvollzug des MdI zuständig war, existierte hier ein paralleles Haftsystem für Beschuldigte, die vom MfS als Feinde eingestuft worden waren. Das gesonderte System umfasste nicht nur die Haftanstalten und die für die Ermittlungen zuständigen MfS-Mitarbeiter, sondern es erstreckte sich auch auf die Staatsanwaltschaften und Gerichte.
Für die Aufsicht in den vom MfS geführten Ermittlungsverfahren waren allein Staatsanwälte der Abteilungen I bzw. IA der General- bzw. Bezirksstaatsanwaltschaften zuständig, die vom MfS "bestätigt" worden waren. Das Gleiche galt für die für MfS-Fälle zuständigen Haftrichter. Formal wurden die Anforderungen der Strafprozessordnung zwar gewahrt, faktisch war jedoch das dort normierte System der Unterordnung der Ermittler unter die Staatsanwaltschaft sowie die Unabhängigkeit der Gerichte auf den Kopf gestellt.
Die Zuständigkeit für den Vollzug der Untersuchungshaft und den Strafvollzug lag im MfS bei der Abteilung XIV des Ministeriums sowie den ihr nachgeordneten Abteilungen XIV der Bezirksverwaltungen (Linie XIV). Für die Durchführung des Ermittlungsverfahrens waren die Hauptabteilung IX des Ministeriums sowie die ihr nachgeordneten Abteilungen IX der Bezirksverwaltungen (Linie IX), die im Außenkontakt als MfS-Untersuchungsabteilung firmierten, zuständig. Die Linien IX und XIV lagen im unmittelbaren Anleitungsbereich des Ministers für Staatssicherheit.
Die Haftbedingungen wandelten sich im Laufe der Zeit. Herrschten in den frühen 50er Jahren sehr einfache, an sowjetischen Verhältnissen orientierte, mitunter brutale Unterbringungs- und Umgangsformen vor - erinnert sei hier an das Kellergefängnis in Berlin-Hohenschönhausen, das sog. U-Boot -, besserten sich die materiellen Bedingungen danach langsam, aber kontinuierlich.
Von Häftlingen, die sowohl MfS- als auch MdI-Untersuchungshaftanstalten kennengelernt haben, werden die materiellen Unterbringungsbedingungen, also Zellenausstattung, Hygiene, Verpflegung etc. beim MfS regelmäßig als deutlich besser bezeichnet; innerhalb des MfS gab es ein Gefälle von der Ministeriumsebene zu den UHA der Bezirksverwaltungen. Umgekehrt wurden jedoch die Umgangsregeln beim MfS als unmenschlicher als beim MdI bezeichnet.
Beim MfS galt ein absolutes Primat der Sicherheit: Häftlinge wurden strikt voneinander getrennt; zwar gab es nicht nur Einzelhaft, aber es kam zu keinen zufälligen Begegnungen von Häftlingen untereinander. Sämtliche Kontakte wurden von der Untersuchungsabteilung gesteuert.
Die Häftlinge wurden außerhalb der Vernehmungen nicht mehr mit ihrem Namen, sondern nur mit einer Nummer angesprochen. MfS-Mitarbeitern war jede Kommunikation mit Häftlingen, die über das unbedingt dienstlich Erforderliche hinausging, streng verboten – schließlich hätten so Informationen vom MfS an die als Feinde betrachteten Häftlinge abfließen können. Alle eigentlich normalen Rechte von Inhaftierten, wie Besuchs-, Schreib-, Lese- oder Einkaufserlaubnis, Freigang, Versorgung mit Zigaretten, Kaffee oder Ähnliches, wurden als besondere Belohnung behandelt und von den Vernehmungsoffizieren zur gezielten Steuerung der Aussagebereitschaft eingesetzt.
Häftlinge fühlten sich so meist sehr schnell einem übermächtigen, weder durchschau- noch berechenbaren Apparat ohnmächtig ausgeliefert. Spezielle Methoden, wie die konspirative und überraschende Festnahme, die Einlieferung in geschlossenen Fahrzeugen, die Vermeidung jeglichen Sichtkontakts zu Orientierungspunkten außerhalb des Gefängnisses, die Wegnahme von Uhren und das Verbot von Schreibzeug und Aufzeichnungen in den Zellen, führten bei den Häftlingen oft zu einem Gefühl der räumlichen und zeitlichen Desorientierung.
Hinzu kam ein ausgeklügeltes Spitzelsystem unter den Häftlingen. Die Untersuchungsabteilungen sammelten gezielt Informationen unter den Häftlingen mit Hilfe angeworbener Zuträger, die zunächst als Kammeragenten (KA), später als Zelleninformatoren (ZI) bezeichnet wurden. Sie sollten von ihren Mithäftlingen jene Informationen erlangen, die diese in den Vernehmungen nicht preisgegeben hatten. Insbesondere in den 70er und 80er Jahren sollten sie Häftlinge oft aber auch nur in Gespräche zu bestimmten Themen oder Zusammenhängen verwickeln, die dann von der Untersuchungsabteilung mittels versteckter Abhöreinrichtungen in den Zellen aufgezeichnet und ausgewertet wurden.
Bei den Häftlingen führten diese Bedingungen häufig zu einem Gefühl psychischer Einkreisung, des Ausgeliefertseins und dem Schwinden jeglichen Widerstandsgeistes. Ohnehin hatten die meisten Häftlinge das berechtigte Empfinden einer extrem ungerechten Behandlung. Schließlich war seit Anfang der 60er Jahre die überwiegende Zahl Gefangener lediglich wegen ihrer Bestrebungen, die DDR in Richtung Westen zu verlassen, inhaftiert worden. Sie fühlten sich in ihrem Handeln im Einklang mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und diversen auch von der DDR unterzeichneten völkerrechtlichen Abkommen.
Eine weitere Häftlingsgruppe bildeten Menschen, die durch unerschrockene Wahrnehmung von oder Forderung nach politischen Rechten in den Augen der herrschenden Partei zu einer Gefahr für das Ansehen oder die Existenz der DDR geworden waren. Nur einem sehr kleinen Teil der Häftlinge wurden tatsächliche Staatsverbrechen zur Last gelegt.
Außerdem gab es neben den politischen Gefangenen auch noch Beschuldigte, denen gewöhnliche unpolitische Delikte angelastet wurden, die aber unter besonderer Geheimhaltung ermittelt und verhandelt werden sollten. Eine Rechtsgrundlage für den Betrieb von Untersuchungshaftanstalten durch das MfS gab es nicht. Der Strafvollzug des MfS widersprach seit Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes 1968 ausdrücklich der geltenden Rechtslage. Die strafprozessuale Ermittlungstätigkeit des MfS war erst seit 1968 in der Strafprozessordnung explizit geregelt, fand aber auch vorher statt.
Eine besondere Bedeutung hatten die MfS-Haftanstalten auch für die Praxis des Häftlingsfreikaufs durch die Bundesrepublik. Seitens der DDR wurden die konkreten Freikaufaktionen vom MfS koordiniert und durchgeführt. Sämtliche freigekauften Häftlinge durchliefen kurz vor ihrer Entlassung in die Bundesrepublik daher noch die MfS-Untersuchungshaftanstalt Karl-Marx-Stadt, in der die letzten Formalitäten erledigt wurden und von wo aus die Busse in die Bundesrepublik abfuhren.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Staatsverbrechen waren im StEG/1957 (§§ 13-27) und in Kapitel 2 des StGB/1968 (§§ 96-111) beschriebene politische Straftaten, die in die Zuständigkeit des MfS als strafrechtliches Untersuchungsorgan (HA IX) fielen, weil eine staatsfeindliche Absicht und/oder eine staatsgefährdende Wirkung unterstellt wurden.
Zu den Staatsverbrechen zählten diktaturspezifisch kodifizierte "klassische" politische Straftaten wie Hochverrat und Spionagedelikte sowie als Meinungs- und Organisationsdelikte definierte Handlungen (Staatsfeindliche Hetze, Staatsfeindliche Gruppenbildung), die in demokratischen Staaten als Ausübung von Grundrechten gelten würden, außerdem unterschiedliche Handlungen oder Unterlassungen, bei denen den Tätern eine staatsfeindlich motivierte Schädigungsabsicht unterstellt wurde (Diversion, Sabotage).
Die als Staatsverbrechen bezeichneten Straftatbestände stehen überwiegend in sowjetischer Rechtstradition und gehen letztlich auf Artikel 58 des StGB der RSFSR ("Konterrevolutionäre Verbrechen") zurück. Bis Februar 1958 wurden sie von DDR-Gerichten in Ermangelung konkreter strafrechtlicher Regelungen pauschal mit Hilfe von Artikel VI der Verfassung von 1949 ("Boykott- und Kriegshetze") geahndet.
Staatsverbrechen galten als schwere Straftaten; bei einigen Tatbeständen (Hochverrat, Spionage, Terror, Diversion, Sabotage) umfasste der Strafrahmen bis 1987 auch die Todesstrafe.
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
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