Befehl an die Grenztruppen über das Aussetzen des Schusswaffengebrauchs
Signatur: BStU, MfS, HA VI, Nr. 1308, Bl. 27
Die innere Krise der DDR im Jahre 1989 machte die Lage an der Grenze zur Bundesrepublik besonders heikel. Die SED-Führung fürchtete, dass Todesfälle an der Grenze der Reputation der DDR abträglich wären und die politischen Probleme weiter verschärfen könnten. Mündlich wurde der Gebrauch der Schusswaffe an der Grenze ausgesetzt.
Immer wieder versuchten DDR-Bürger, die versperrte Grenze zur Bundesrepublik Deutschland zu überwinden und in den Westen zu gelangen. Das war hochgefährlich: Die Grenztruppen waren gehalten, Grenzdurchbrüche auch mit der Schusswaffe zu vereiteln. Nicht wenige Fluchtversuche endeten deshalb mit schweren Verletzungen oder dem Tod. Im Jahre 1989 machte die innere Krise der DDR die Lage an der Grenze jedoch besonders heikel. Mögliche blutige Zwischenfälle wären der Reputation der DDR abträglich gewesen und hätten die politischen Probleme weiter verschärft. Das wollte die SED-Führung unbedingt vermeiden.
Spektakuläre Fluchtversuche verstärkten diese Sorge. So hatten Anfang 1989 zwei DDR-Bürger versucht, die Grenzübergangsstelle Chausseestraße in Westberlin zu durchsprinten. Unter den Augen zahlreicher Westberliner konnten die Männer erst durch einen Warnschuss gestoppt werden. Der Fall machte im Westen unwillkommene Schlagzeilen.
Erich Honecker und das Zentralkomitee der SED ordneten deshalb an, den Gebrauch der Schusswaffe an der Grenze auszusetzen. Nur im äußersten Notfall sollte noch geschossen werden. Das vorliegende Dokument ist eine Meldung über die Übermittlung dieses Befehls und eine Aufstellung, wann die Anweisung bis zu den einfachen Grenzposten weitergegeben wurde.
Metadaten
- Diensteinheit:
- Hauptabteilung I
- Datum:
- 12.4.1989
Hauptabteilung I beim Kommando Grenztruppen
Pätz, 12.4.1989
Niederschrift
Seit dem 3.4.1989 wurden nach mündlicher Beauflagung durch den amtierenden Minister für Nationale Verteidigung, Generaloberst Streletz, durch den Stellv. Minister und Chef Grenztruppen der DDR, Gen. Generaloberst Baumgarten, alle unterstellten Verbände, GK Nord, GK Mitte und GK Süd, gegen 19.00 Uhr mündlich angewiesen, die Schußwaffe im Grenzdienst (Staatsgrenze zur BRD und zu Berlin (West)) zur Verhinderung von Grenzdurchbrüchen nicht anzuwenden.
Nur bei Bedrohung des eigenen Lebens darf die Schußwaffe eingesetzt werden.
Diese Befehlsgebung ist am 4.4.1989 bis zum Grenzposten bekanntgemacht worden und wird praktiziert.
Am 4.4.1989, 22.00 Uhr, erfolgte der Befehl des Kommandeurs GR-36 an den DHO der Grenztruppen der DDR auf der GÜSt Chausseestraße. Am 5.4.1989, 08.35 Uhr, wurde durch den DHO der Grenztruppen der DDR, Major Stockmann, bei einer Absprache im Zusammenwirken der Zugführer der PKE, Hauptmann Laban, und der Obersekretär des Zolldienstes, Eckardt, mit dem Inhalt des Befehls vertraut gemacht.
Stellv. Leiter der HA I
Nieter
Oberst