Befehl von Erich Mielke zu den Kriterien für die Verhaftung von Aufständischen des 17. Juni 1953
Signatur: BStU, MfS, BV Potsdam, AS, Nr. 1/53, Bd. 9, Bl. 78
Befehl von Erich Mielke zu den Kriterien für die Verhaftung von Aufständischen des 17. Juni 1953. Demonstranten, die Plakate getragen oder politische Losungen skandiert hatten, waren ebenso umgehend festzunehmen wie die Streikleitungen, die sich nach Verhängung des Ausnahmezustandes gebildet hatten.
Vom 16. bis 21. Juni 1953 kam es in fast 700 Städten und Gemeinden der DDR zu Demonstrationen und Streiks. Begann der 17. Juni noch als Arbeiteraufstand, entwickelte er sich schnell zum Volksaufstand. Er nahm vielerorts revolutionäre Züge an, bevor er mit Hilfe von russischen Panzern unterdrückt wurde.
Der Aufstand traf das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) genauso unvorbereitet wie die SED-Führung. Nur langsam gewannen die Verantwortlichen einen Überblick über die Ereignisse. Erst der Einsatz des sowjetischen Militärs gab der Stasi das Heft des Handelns zurück in die Hand. Zunächst übernahmen die sowjetischen Sicherheitsorgane die Verfolgung von Aufständischen, hielten auf Befehl aus Moskau Standgerichte ab und ließen Verurteilte zur Abschreckung erschießen. Ab dem 18. Juni nahm wieder die Staatssicherheit den Großteil der Verhaftungen vor. Als politisches Strafverfolgungs- und Untersuchungsorgan war es Aufgabe der Staatssicherheit, vermeintliche Hauptschuldige ausfindig zu machen und Belastungsmaterial gegen sie zu sammeln.
Das vorliegende Dokument zeigt, dass vor allem solche Aufständische in den Blick der Staatssicherheit gerieten, die Plakate getragen oder politische Losungen skandiert oder nach Verhängung des Ausnahmezustandes Streikleitungen gebildet hatten. Das Dokument stammt von Erich Mielke, zu dieser Zeit stellvertretender Minister für Staatssicherheit. Vier Jahre später übernahm er den Posten des Ministers, den er bis 1989 innehatte.
Metadaten
FS. Nr.540
Abs. MfS: Berlin
an alle BVfS:
Blitz
Potsdam, den 19.6.53
1) Streikleitungen,die Streiks organisierten ehe Ausnahmezustand verhängt, a. unter der Losung: Nieder mit der Regierung, nieder mit der "SED" sind ohne vorherige Prüfung festzunehmen.
b) Unter wirtschaftlichen Losungen wie: Niedrige Preise, Lohnerhöhung Normensenkung und allgemeine geheime Wahlen sind nach Überprüfung der einzelnen Mitglider festzunehmen.
Streikleitungen aber,die si ch erst nach Verhängung des Ausnahmezustandes bildeten, sind sofort festzunehmen. Die wirklichen Initiatoren und Auftraggeber sind durch Vernehmungen zu entlarven. " SED " Mitglieder die der Streikleitung beitraten, in der Absicht diese im Sinne unserer Partei auszunützen und ehrliche einfache Arbeiter [handschriftliche Ergänzung: die] hineingezogen wurden, sind, wenn die Vernehmung keine andere Beweise erbringt zu entlassen.
2) Die Arbeit mit "GM" und "GI" zwecks Aufklärung der wahren Initiatoren der Streikbewegung sind zu verstärken. Wertvolle Qualifizierte Anwerbungen sind zu tätigen. Alle offiziellen und inoffiziellen Quellen ausnützen, zum Beispiel: Nachbarn, Freunde, Verwandte usw. Dabei jede Wichtigtuerei beachten, den kleinsten Hinweis nachgehen, zur Aufspürung der sich nach Beendigung der Streiks tarnenden Provokateure. 13.00 nach den einzelnen Punkten Bericht in Meldung mit aufnehmen Anzahl der Festgenommenen, gleuchfalls mit Schluß bis 13.00 des jeweiligen Meldetages.
Am 19.6.53 ist bis 16.00 Uhr Meldeschluß.
Meldefrist gemäß "FS" 529 vom 18.6.53 entfällt.
Mielke.