Signatur: BStU, MfS, SdM, Nr. 2356, Bl. 76-80
Am 4. und 5. Dezember 1989 stürmten mutige Bürgerinnen und Bürger etliche Bezirks- und Kreisämter des neu gegründeten Amts für Nationale Sicherheit. Vorausgegangen waren Gerüchte über die Vernichtung von Akten. Die Führungsebene der Staatssicherheit dokumentierte am 7. Dezember die desolate Lage in verschiedenen Bezirksämtern.
Mit der Wahl einer neuen Regierung durch die Volkskammer der DDR am 17. November 1989 wurde das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umgewandelt. Das Amt unterstand nun nicht mehr direkt der SED-Führung, sondern dem Ministerpräsidenten. Dem AfNS unterstellt waren die Bezirks- und Kreisämter, ehemals Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen des MfS.
Nur wenige Tage nach dieser Zäsur, am 4. und 5. Dezember 1989, verschafften sich mutige Bürgerinnen und Bürger, angeführt von Mitgliedern der Bürgerbewegung, Zugang zu den Bezirks- und etlichen Kreisämtern in der gesamten DDR. Die Protagonisten forderten, die Aktenvernichtung zu unterbinden und die Archive der Stasi zu versiegeln. Sie wollten Einsicht in die Heizanlagen, in die Aschetonnen sowie in die Kofferräume der Pkws und Aktentaschen der Mitarbeiter der Geheimpolizei haben. Hintergrund waren Gerüchte über die Vernichtung von Unterlagen der Staatssicherheit, die sich bestätigten.
Wie die Führung der Staatssicherheit die aktuelle Situation beurteilte, dokumentiert das vorliegende Protokoll einer Sitzung am 7. Dezember 1989. Informiert wird über die Lage in sechs Bezirksverwaltungen.
Interessant ist die Anweisung (unter Punkt 3.6), "die Ausweise der OibE im Ministerrat … unverzüglich einzuziehen". Dabei handelt es sich um Stasi-Offiziere, die in verdeckter Form in anderen Teilen des Staatsapparates (vor allem in der Wirtschaft und im Bereich Inneres) tätig waren. Alexander Schalck-Golodkowski gehörte dazu und ebenso der Staatssekretär im Sekretariat des Ministerrates, Harry Möbis. Die Verbindung zu den meisten von ihnen wurde seit Ende November gekappt. Schließlich werden vorbereitende Überlegungen für ein am Tag darauf stattfindendes Gespräch mit dem Vorsitzenden des Ministerrates Hans Modrow angestellt.
Von den Teilnehmern der kleinen Runde ist vor allem auf Generalmajor Heinz Engelhardt hinzuweisen, den bisherigen Leiter der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Frankfurt (Oder), der wenige Tage darauf Wolfgang Schwanitz als Chef der Staatssicherheit ablöste.
3.11. In Absprache mit Gen. Modrow wird ein Personenschutz lediglich bei Protokollveranstaltungen (Reisen, Empfang ausländischer Gäste) gestellt.
Anfragen an die Herren Maleuda und Gerlach zur Organisation ihres Personenschutzes werden schriftlich vom Leiter des Amtes gestellt. Dazu hat der Leiter HA PS, Gen. Hummitzsch, den Entwurf entsprechender Schreiben vorzulegen.
verantw.: Gen. GM Engelhardt
3.12. In Vorbereitung des Besuches des Bundeskanzlers der BRD sind entsprechende Zuarbeiten vorzubereiten.
verantw.: Gen. GO Großmann; Gen. GM Niebling
3.13. Für die erste Sitzung des neu zu formierenden Nationalen Verteidigungsrates ist eine Vorlage zur weiteren Verfahrensweise mit den Ausweichführungspunkten vorzulegen.
verantw.: Gen. GM Engelhardt
Bemerkung: Dazu wurde GVS M 69/89 von Gen. Schwanitz an Gen. Engelhardt übergeben.
Zusammenarbeit mit Gen. Oberst Buse erforderlich.
3.14. Zu den Schutzbauwerken der Ausweich- und Reserveführungsstellen der Partei- und Staatsführung ist ein kurzer Bericht mit Fotodokumentation zu erarbeiten. Dieser ist über dem Gen. Modrow dem Volkskammerausschuß vorzulegen. Dazu sind dem Gen. Coburger K-Techniker zu unterstellen.
verantw.: Gen. GM Braun
3.15. Auf Anfragen aus den Bezirksämtern wird entschieden:
Aus dem Amt ausscheidende Mitarbeiter haben ihre persönliche Waffe abzugeben. Nur im Amt verbleibende Mitarbeiter sind berechtigt, eine persönliche Waffe zu führen.
3.16. Einsichtname in IM-Akten durch die Öffentlichkeit (Anfrage Gen. Mittag) - gemeinsamer Standpunkt: Einsichtnahme ist auf jeden Fall zu unterbinden, da Auswirkungen für das inoffizielle Netz verheerend.
Schußwaffenanwendung zur Verhinderung einer Einsichtnahme ist nicht zulässig. Lediglich körperlicher Einsatz ist zulässig.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Die Umwandlung des MfS in ein AfNS erfolgte im Zusammenhang mit der Neubildung der Regierung durch Ministerpräsident Hans Modrow am 17./18.11.1989. Zum Leiter des Amtes wurde Schwanitz gewählt. War Mielke als Minister für Staatssicherheit noch dem Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR und faktisch dem SED-Generalsekretär unterstellt gewesen, so ordnete man Schwanitz dem Vorsitzenden des Ministerrates unter. In der Regierungserklärung wurde dem neuen Amt vorgegeben, dass »neues Denken in Fragen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit« auch von diesem Bereich erwartet werde und dass der Apparat zu verkleinern sei. Näheres hätte in einem Gesetz geregelt werden müssen, das geplant wurde, aber nie verabschiedet worden ist. Noch am Tag seiner Wahl informierte der neue Amtschef die Mitarbeiter der Staatssicherheit, dass der »Prozess der revolutionären Erneuerung« vorbehaltlos zu unterstützen sei. Kommissionen zur Neustrukturierung wurden eingerichtet und die Diensteinheiten aufgefordert, eigene Vorschläge einzubringen. Dies waren Versuche einer technokratischen Reform, die von der alten Generalsriege angeleitet wurden. Angekündigt wurde, das Personal abzubauen – zuerst ging es um 10 %, zwei Wochen später war die Vorgabe bereits eine Reduktion um 50 %. Das alte Feindbild sollte nicht mehr gelten: »Andersdenkende« seien jetzt zu tolerieren, nur »Verfassungsfeinde« zu bekämpfen. Unklar blieb, wer Letzteren in einer Zeit zuzurechnen war, in der die Verfassung selbst zur Disposition stand. Zugleich wurde die Aktenvernichtung in diesen Wochen fortgesetzt, viele inoffizielle Mitarbeiter »abgeschaltet«. Die Mitarbeiter waren zunehmend verunsichert und demotiviert. Anfang Dezember beschleunigte sich der revolutionäre Umbruch: Am 1.12.1989 wurde die führende Rolle der SED aus der Verfassung gestrichen, am 3. trat das ZK der SED zurück, am 4. und 5.12. besetzten aufgebrachte Bürger KD und Bezirksämter des AfNS. Die Stasi-Mitarbeiter leisteten keinen gewaltsamen Widerstand. Am 5.12. trat das Kollegium des AfNS zurück. In den folgenden Tagen wurden die Leiter der meisten Hauptabteilungen und der Bezirksämter abgesetzt. Am 7.12.1989 forderte der Zentrale Runde Tisch die Auflösung des AfNS – auch mit den Stimmen der SED-Sprecher. Am 14.12. wurde durch den Ministerrat beschlossen, das AfNS aufzulösen und durch einen sehr viel kleineren Verfassungsschutz (ca. 10 000 Mitarbeiter) und einen mit ca. 4000 Mitarbeitern gegenüber der HV A fast unveränderten Nachrichtendienst zu ersetzen. In diese Dienste sollten keine ehemaligen Führungskader der Staatssicherheit übernommen werden. Parallel dazu bestand aber das »AfNS in Auflösung« fort, dessen Leiter den alten Apparat abwickeln sollten. Das war eine Ambivalenz, die das allgemeine Misstrauen weiter verstärkte und die Forderung nach vollständiger Auflösung der Geheimpolizei wieder lauter werden ließ.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Von 1950 bis 1968 geltende Bezeichnung für inoffizielle Mitarbeiter mit tatsächlichem oder potenziellem Zugang zu Personen oder Organisationen, die vom MfS als feindlich eingestuft wurden. Vor allem in den 50er Jahren kamen GM häufig auch im Westen zum Einsatz. Sie sollten "wertvolle Angaben" über Spionage und "illegale, antidemokratische" Aktivitäten beschaffen, gegen "feindliche Zentralen" und "Untergrundgruppen" wirken, bei der direkten "Bearbeitung" von verdächtigen Personen eingesetzt werden, "Feinde" beobachten, ferner Beweise für "Feindtätigkeit" gewinnen und zur "Zersetzung", "Zerschlagung von feindlichen Gruppierungen" beitragen. 1968 wurde diese Kategorie in IMV und IMF gesplittet.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Die Hauptabteilung PS war hauptsächlich für den "physischen Schutz" der Partei- und Staatsführung zuständig. Dazu gehörte auch die Absicherung von Auslandsreisen und Delegationen der DDR auf internationalen Konferenzen. Auch Staatsgäste wurden durch die Hauptabteilung PS geschützt. Die HA PS entstand, als die Abteilung PS 1951 zu einer Hauptabteilung (HA) aufgewertet wurde. Ihre Hauptaufgaben bestanden in der
Im Herbst 1989 gehörten der HA PS 3.343 hauptamtliche Mitarbeiter an.
In den Bezirksverwaltung (BV) bestanden selbständige Referate PS.
Inoffizielle Mitarbeiter (IM) waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), um primär Informationen über Bürger, die Gesellschaft, ihre Institutionen und Organisationen der DDR oder im Ausland zu gewinnen. Unter Umständen hatten IM auf Personen oder Ereignisse in der DDR steuernden Einfluss zu nehmen.
In der DDR-Gesellschaft hießen sie "Spitzel", "Denunzianten" oder "Kundschafter". Mit der deutschen Einheit hat sich die Bezeichnung Inoffizieller Mitarbeiter des MfS für die heimlichen Zuträger etabliert. Sie lieferten u. a. Informationen über Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung.
Die SED-Führung wollte stets über die konkrete Situation und Lage in der DDR unterrichtet sein. Die IM hatten den Auftrag, "staatsgefährdende" Bestrebungen zu ermitteln, was beim MfS "politisch ideologische Diversion" bzw. "politische Untergrundtätigkeit" hieß. Der Bogen hierfür war weit gespannt und reichte von einer privaten Meinungsäußerung bis hin zu politischen Aktivitäten. Überdies sollten sie, wenn auch selten, direkt auf gesellschaftliche Entwicklungen oder einzelne Personen einwirken.
Die IM waren das wichtigste Repressionsinstrument in der DDR. IM wurden auf bestimmte Schwerpunkte angesetzt, von denen tatsächliche oder vermeintliche Gefahren ausgehen konnten. Diese Objekte und Territorien, Bereiche oder Personen waren so zahlreich, dass die geheimpolizeiliche Durchdringung tendenziell den Charakter einer flächendeckenden Überwachung annahm.
Die Anzahl der vom MfS geführten inoffiziellen Mitarbeiter umfasste im Jahre 1989 ungefähr 189.000 IM, darunter 173.000 IM der Abwehrdiensteinheiten, ferner 13.400 IM in der DDR und 1.550 IM in der Bundesrepublik, die von der Hauptverwaltung A geführt wurden, sowie diverse andere wie Zelleninformatoren usw. Auf 89 DDR-Bürger kam somit ein IM. In der Zeit von 1950 bis 1989 gab es insgesamt ca. 620.000 IM.
Die Entwicklung des IM-Netzes ist nicht allein von einem kontinuierlichen Anstieg geprägt, sondern verweist auf besondere Wachstumsphasen in Zeiten innergesellschaftlicher Krisen wie dem 17. Juni 1953 oder am Vorabend des Mauerbaus. Im Zuge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik wurde das IM-Netz ebenfalls erweitert. So umfasste es Mitte der 70er Jahre – hochgerechnet – über 200.000 IM. Angesichts wachsender oppositioneller Bewegungen hatte es in den 80er Jahren gleichfalls ein hohes Niveau.
Die flächendeckende Überwachung der Gesellschaft fiel regional recht unterschiedlich aus. Im Land Brandenburg, das die Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam vereint, war sie stärker als in Thüringen. Die höchste IM-Dichte wies der ehemalige Bezirk Cottbus auf.
Das MfS operierte formal nach territorialen Gesichtspunkten und Sicherungsbereichen, setzte jedoch operative Schwerpunkte in der geheimpolizeilichen Arbeit. Bezogen auf das Gesamtministerium lagen diese – sowohl auf Kreis-, als auch auf Bezirks- und Hauptabteilungsebene – bei der Volkswirtschaft, der Spionageabwehr und auf der "politischen Untergrundtätigkeit", der "Bearbeitung " von oppositionellen Milieus und den Kirchen.
Die Motive zur Kooperation mit dem MfS waren überwiegend ideeller, seltener materieller Natur, noch seltener war Erpressung der Grund. Die Kooperation währte durchschnittlich sechs bis zehn Jahre oder länger. Augenfällig ist, dass darunter nicht wenige soziale Aufsteiger waren. Der Anteil von weiblichen IM lag in der DDR bei 17 Prozent, in der Bundesrepublik bei 28 Prozent. Über die Hälfte der IM war Mitglied der SED. Von den 2,3 Mio. Mitgliedern der Partei ausgehend, waren 4 bis 5 Prozent zuletzt inoffiziell aktiv, d. h. jedes zwanzigste SED-Mitglied.
Das MfS differenzierte IM nach Kategorien: Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit, IM zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereichs, IM im besonderen Einsatz, Führungs-IM und IM zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens. Die wichtigste Kategorie waren IM mit "Feindverbindungen" bzw. solche, die Personen zu "bearbeiten" hatten, die "im Verdacht der Feindtätigkeit" standen. Im Laufe der 80er Jahre nahm der Anteil von IM in der Kategorie IMB bis Dezember 1988 auf rund 3.900 zu.
Der Anteil von Bundesbürgern oder Ausländern unter den IM des MfS betrug nicht einmal 2 Prozent. 1989 waren mindestens 3.000 Bundesbürger inoffiziell im Dienste des MfS, zusätzlich mehrere Hundert Ausländer. In der Zeit von 1949 bis 1989 waren insgesamt mindestens 12.000 Bundesbürger und Westberliner IM.
Die operativen Ziele des MfS waren über die gesamte Bundesrepublik Deutschland verteilt. Darüber hinaus gab es Schwerpunkte in Europa, im Nahen Osten und Asien, nachgeordnet auch in Afrika und Lateinamerika. Nachrichtendienstliche Schwerpunkte waren vor allem die Wissenschafts- und Technikspionage, erst danach die politische und mit etwas Abstand die Militärspionage. Die Bundesrepublik Deutschland wurde folglich vor allem als Ressource zur Systemstabilisierung genutzt.
Die politische Spionage diente vornehmlich dazu, die politische Gefährdungslage des herrschenden Systems in der DDR bestimmen zu können. Dieses Profil deutet an, dass die Spionage der Bewahrung des Status quo dienen sollte. Von einer Unterwanderung der Bundesrepublik war die Geheimpolizei zahlenmäßig weit entfernt. Vielmehr waren ihre inoffiziellen Mitarbeiter damit beschäftigt, das DDR-System zu stabilisieren.
Die Kreisdienststellen waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren entsprechend den regionalen Gegebenheiten unterschiedlich strukturiert und personell ausgestattet. Einige verfügten über ein Referat zur komplexen Spionageabwehr oder zur Sicherung der Volkswirtschaft und andere nur über spezialisierte Mitarbeiter in diesen Bereichen. Ihre Aufgaben waren die Kontrolle der Wirtschaft, des Verkehrswesens, des Staatsapparates, des Gesundheitswesens, der kulturellen Einrichtungen, der Volksbildung, ggf. von Einrichtungen des Hoch- und Fachschulwesens, wissenschaftlich-technischer Einrichtungen sowie die Überwachung besonders interessierender Personenkreise.
Die Kreisdienststellen waren maßgeblich an den Genehmigungsverfahren für dienstliche bzw. private Auslandsreisen beteiligt, führten Sicherheitsüberprüfungen durch und erstellten Stimmungs- und Lageberichte. Zur Realisierung der Aufgaben bedurfte es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern des POZW, insbesondere mit der Volkspolizei, den Räten und anderen Einrichtungen der Kreise. Die Kreisdienststellen unterhielten ständige Verbindungen zu den SED Kreisleitungen. Zwei Drittel der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kreisdienststellen waren operativ tätig. Die Kreisdienststellen führten 50 Prozent der IM und bearbeiteten etwa 60 Prozent der OV zu einzelnen Personen oder Gruppen.
Die Kreisdienststellen gliederten sich in 2 bis 16 Fachreferate sowie das Referat Auswertung und Information (ZAIG) und die Wache/Militärische Sicherungsgruppe. In jeder Kreisdienststelle gab es einen Offizier, der teilweise oder ganz (IM-führender Mitarbeiter/XV) für die Belange der HV A vor Ort zuständig war.
Zur Durchdringung von Ministerien und anderen wichtigen Stellen des Staatsapparates, der Wirtschaft, aber auch außerhalb der DDR setzte das MfS hauptamtliche Mitarbeiter als Offizier im besonderen Einsatz (OibE) ein. Sie agierten dort verdeckt und mit einer legendierten Biografie ausgestattet. Schwerpunkte waren das System der Sicherheitsbeauftragten in den Betrieben, Residenten sowie Wachkräfte in den Auslandsvertretungen der DDR.
In einigen Bereichen arbeiteten zeitweise regelrechte OibE-Strukturen, etwa im MdI der DDR (Personendatenbank), dem Entwicklungszentrum des Kombinates Robotron oder der Sektion Kriminalistik der Humboldt-Universität. 1983 gab es 3.471 OibE, danach sank die Zahl. 1988 verfügten 27 Diensteinheiten der MfS-Zentrale über 1.856 OibE.
1971 hervorgegangen aus dem Büro der Leitung. Seine Aufgaben waren
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Signatur: BStU, MfS, SdM, Nr. 2356, Bl. 76-80
Am 4. und 5. Dezember 1989 stürmten mutige Bürgerinnen und Bürger etliche Bezirks- und Kreisämter des neu gegründeten Amts für Nationale Sicherheit. Vorausgegangen waren Gerüchte über die Vernichtung von Akten. Die Führungsebene der Staatssicherheit dokumentierte am 7. Dezember die desolate Lage in verschiedenen Bezirksämtern.
Mit der Wahl einer neuen Regierung durch die Volkskammer der DDR am 17. November 1989 wurde das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umgewandelt. Das Amt unterstand nun nicht mehr direkt der SED-Führung, sondern dem Ministerpräsidenten. Dem AfNS unterstellt waren die Bezirks- und Kreisämter, ehemals Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen des MfS.
Nur wenige Tage nach dieser Zäsur, am 4. und 5. Dezember 1989, verschafften sich mutige Bürgerinnen und Bürger, angeführt von Mitgliedern der Bürgerbewegung, Zugang zu den Bezirks- und etlichen Kreisämtern in der gesamten DDR. Die Protagonisten forderten, die Aktenvernichtung zu unterbinden und die Archive der Stasi zu versiegeln. Sie wollten Einsicht in die Heizanlagen, in die Aschetonnen sowie in die Kofferräume der Pkws und Aktentaschen der Mitarbeiter der Geheimpolizei haben. Hintergrund waren Gerüchte über die Vernichtung von Unterlagen der Staatssicherheit, die sich bestätigten.
Wie die Führung der Staatssicherheit die aktuelle Situation beurteilte, dokumentiert das vorliegende Protokoll einer Sitzung am 7. Dezember 1989. Informiert wird über die Lage in sechs Bezirksverwaltungen.
Interessant ist die Anweisung (unter Punkt 3.6), "die Ausweise der OibE im Ministerrat … unverzüglich einzuziehen". Dabei handelt es sich um Stasi-Offiziere, die in verdeckter Form in anderen Teilen des Staatsapparates (vor allem in der Wirtschaft und im Bereich Inneres) tätig waren. Alexander Schalck-Golodkowski gehörte dazu und ebenso der Staatssekretär im Sekretariat des Ministerrates, Harry Möbis. Die Verbindung zu den meisten von ihnen wurde seit Ende November gekappt. Schließlich werden vorbereitende Überlegungen für ein am Tag darauf stattfindendes Gespräch mit dem Vorsitzenden des Ministerrates Hans Modrow angestellt.
Von den Teilnehmern der kleinen Runde ist vor allem auf Generalmajor Heinz Engelhardt hinzuweisen, den bisherigen Leiter der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Frankfurt (Oder), der wenige Tage darauf Wolfgang Schwanitz als Chef der Staatssicherheit ablöste.
3.17. Im Zusammenhang mit der Auflösung der Kreisämterer ist ein Schreiben an den Minister für Innere Angelegenheiten vorzubereiten, um eine Übereinkunft Zur Übernahme der in den Kreisämtern gelagerten Bestände an Munition und Waffen in die VP-Kreisämter zu erzielen.
3.18. Übergabe Krankenhaus Berlin-Buch nur bei Gewährleistung folgender Bedingungen:
4. Vorbereitung eines Gespräches mit Gen. Modrow am 08.12.1989 Folgende Punkte sind zu vertreten:
Protokollant
[Unterschrift]
Fauth
Hauptmann
Verteiler
Beratungsteilnehmer
Die Umwandlung des MfS in ein AfNS erfolgte im Zusammenhang mit der Neubildung der Regierung durch Ministerpräsident Hans Modrow am 17./18.11.1989. Zum Leiter des Amtes wurde Schwanitz gewählt. War Mielke als Minister für Staatssicherheit noch dem Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR und faktisch dem SED-Generalsekretär unterstellt gewesen, so ordnete man Schwanitz dem Vorsitzenden des Ministerrates unter. In der Regierungserklärung wurde dem neuen Amt vorgegeben, dass »neues Denken in Fragen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit« auch von diesem Bereich erwartet werde und dass der Apparat zu verkleinern sei. Näheres hätte in einem Gesetz geregelt werden müssen, das geplant wurde, aber nie verabschiedet worden ist. Noch am Tag seiner Wahl informierte der neue Amtschef die Mitarbeiter der Staatssicherheit, dass der »Prozess der revolutionären Erneuerung« vorbehaltlos zu unterstützen sei. Kommissionen zur Neustrukturierung wurden eingerichtet und die Diensteinheiten aufgefordert, eigene Vorschläge einzubringen. Dies waren Versuche einer technokratischen Reform, die von der alten Generalsriege angeleitet wurden. Angekündigt wurde, das Personal abzubauen – zuerst ging es um 10 %, zwei Wochen später war die Vorgabe bereits eine Reduktion um 50 %. Das alte Feindbild sollte nicht mehr gelten: »Andersdenkende« seien jetzt zu tolerieren, nur »Verfassungsfeinde« zu bekämpfen. Unklar blieb, wer Letzteren in einer Zeit zuzurechnen war, in der die Verfassung selbst zur Disposition stand. Zugleich wurde die Aktenvernichtung in diesen Wochen fortgesetzt, viele inoffizielle Mitarbeiter »abgeschaltet«. Die Mitarbeiter waren zunehmend verunsichert und demotiviert. Anfang Dezember beschleunigte sich der revolutionäre Umbruch: Am 1.12.1989 wurde die führende Rolle der SED aus der Verfassung gestrichen, am 3. trat das ZK der SED zurück, am 4. und 5.12. besetzten aufgebrachte Bürger KD und Bezirksämter des AfNS. Die Stasi-Mitarbeiter leisteten keinen gewaltsamen Widerstand. Am 5.12. trat das Kollegium des AfNS zurück. In den folgenden Tagen wurden die Leiter der meisten Hauptabteilungen und der Bezirksämter abgesetzt. Am 7.12.1989 forderte der Zentrale Runde Tisch die Auflösung des AfNS – auch mit den Stimmen der SED-Sprecher. Am 14.12. wurde durch den Ministerrat beschlossen, das AfNS aufzulösen und durch einen sehr viel kleineren Verfassungsschutz (ca. 10 000 Mitarbeiter) und einen mit ca. 4000 Mitarbeitern gegenüber der HV A fast unveränderten Nachrichtendienst zu ersetzen. In diese Dienste sollten keine ehemaligen Führungskader der Staatssicherheit übernommen werden. Parallel dazu bestand aber das »AfNS in Auflösung« fort, dessen Leiter den alten Apparat abwickeln sollten. Das war eine Ambivalenz, die das allgemeine Misstrauen weiter verstärkte und die Forderung nach vollständiger Auflösung der Geheimpolizei wieder lauter werden ließ.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Die Kreisdienststellen waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren entsprechend den regionalen Gegebenheiten unterschiedlich strukturiert und personell ausgestattet. Einige verfügten über ein Referat zur komplexen Spionageabwehr oder zur Sicherung der Volkswirtschaft und andere nur über spezialisierte Mitarbeiter in diesen Bereichen. Ihre Aufgaben waren die Kontrolle der Wirtschaft, des Verkehrswesens, des Staatsapparates, des Gesundheitswesens, der kulturellen Einrichtungen, der Volksbildung, ggf. von Einrichtungen des Hoch- und Fachschulwesens, wissenschaftlich-technischer Einrichtungen sowie die Überwachung besonders interessierender Personenkreise.
Die Kreisdienststellen waren maßgeblich an den Genehmigungsverfahren für dienstliche bzw. private Auslandsreisen beteiligt, führten Sicherheitsüberprüfungen durch und erstellten Stimmungs- und Lageberichte. Zur Realisierung der Aufgaben bedurfte es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern des POZW, insbesondere mit der Volkspolizei, den Räten und anderen Einrichtungen der Kreise. Die Kreisdienststellen unterhielten ständige Verbindungen zu den SED Kreisleitungen. Zwei Drittel der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kreisdienststellen waren operativ tätig. Die Kreisdienststellen führten 50 Prozent der IM und bearbeiteten etwa 60 Prozent der OV zu einzelnen Personen oder Gruppen.
Die Kreisdienststellen gliederten sich in 2 bis 16 Fachreferate sowie das Referat Auswertung und Information (ZAIG) und die Wache/Militärische Sicherungsgruppe. In jeder Kreisdienststelle gab es einen Offizier, der teilweise oder ganz (IM-führender Mitarbeiter/XV) für die Belange der HV A vor Ort zuständig war.
Zur Durchdringung von Ministerien und anderen wichtigen Stellen des Staatsapparates, der Wirtschaft, aber auch außerhalb der DDR setzte das MfS hauptamtliche Mitarbeiter als Offizier im besonderen Einsatz (OibE) ein. Sie agierten dort verdeckt und mit einer legendierten Biografie ausgestattet. Schwerpunkte waren das System der Sicherheitsbeauftragten in den Betrieben, Residenten sowie Wachkräfte in den Auslandsvertretungen der DDR.
In einigen Bereichen arbeiteten zeitweise regelrechte OibE-Strukturen, etwa im MdI der DDR (Personendatenbank), dem Entwicklungszentrum des Kombinates Robotron oder der Sektion Kriminalistik der Humboldt-Universität. 1983 gab es 3.471 OibE, danach sank die Zahl. 1988 verfügten 27 Diensteinheiten der MfS-Zentrale über 1.856 OibE.
1971 hervorgegangen aus dem Büro der Leitung. Seine Aufgaben waren
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