Signatur: BStU, MfS, HA XX, Nr. 14237, Bl. 1-3
Die im November 1987 auf dem X. Schriftstellerkongress der DDR begonnenen Debatten hallten längere Zeit nach. Der Bezirksverband Berlin des Schriftstellerverbands der DDR führte noch im Jahr darauf die Diskussionen des Kongresses weiter. Die Stasi vermerkte hier, welche Autorinnen und Autoren mit "politisch-negativen" Äußerungen auffielen.
Literatinnen und Literaten litten in der DDR unter der Bevormundung durch das SED-Regime. Gegen die Zensur regte sich in den 80er Jahren vermehrt offene Kritik. Die zuständige Kulturabteilung des Zentralkomitees der SED, die dem Chefideologen und Politbüromitglied Kurt Hager unterstand, lehnte Lockerungen ab. Der X. DDR-Schriftstellerkongress, der am 24. November 1987 in Gegenwart von Generalsekretär Erich Honecker und sechs weiteren SED-Politbüromitgliedern begann, zeigte aber auf, dass diese harte Linie zunehmend offen kritisiert wurde. Die Staatssicherheit schenkte einzelnen kritischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kongresses und ihrer Meinung nach "feindlich-negativen Kräften" besondere Beachtung.
Bereits im Vorfeld des Kongresses machten verschiedene Autorinnen und Autoren deutlich, dass sie eine staatliche Bevormundung nicht mehr widerspruchslos hinnehmen würden. Häufig kamen sie in diesem Zusammenhang auch auf den Aderlass durch die Abwanderung von Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus der DDR zu sprechen.
Die Autorinnen und Autoren beriefen sich in ihrer Kritik oft auf Äußerungen der Führungsspitzen aus dem eigenen politischen Lager. So sah der Präsident des Schriftstellerverbands der DDR, Hermann Kant, seine Forderung nach mehr Offenheit und öffentlicher Kontroverse von Honeckers Erklärung zum 70. Jahrestag der Oktoberrevolution gedeckt. Hier hatte der SED-Generalsekretär die Vorreiterrolle der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) beim Beschreiten neuer Wege gelobt. Andere beriefen sich auf den XX. KPdSU-Parteitag (1956) und den dort aufgedeckten "Missbrauch der Macht" oder zitierten aus dem gemeinsamen Papier von SED und SPD vom August 1987.
Bemerkenswert war, dass auf dem Kongress frei gesprochen und kontrovers diskutiert wurde. Am heftigsten debattierten die Teilnehmenden über die ausgeschlossenen bzw. ausgereisten Schriftsteller und Schriftstellerinnen. Die Meinungsverschiedenheiten verliefen dabei nicht nur zwischen den Verbandsmitgliedern selbst, sondern auch zwischen Schriftstellerinnen, Schriftstellern und Funktionären. Zwar scheiterte der Antrag, den in den 70er Jahren ausgeschlossenen Autoren die Rückkehr in den Verband zu ermöglichen. Außerdem sahen sich weitere "unangepasste" Autorinnen und Autoren zum Verlassen der DDR gezwungen. Dennoch waren diese Versuche, Demokratie zu üben, beachtlich.
Ergebnisse und daraus zu ziehende Schlussfolgerungen des Kongresses wurden weiter diskutiert, wie die Gespräche zwischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern des Bezirksverbands Berlin und SED-Funktionären zeigen. Dabei ging es weniger um künstlerische Schaffensprobleme als vielmehr um die "Diskussion politischer Tagesfragen", wie das Sputnik-Verbot (1988) oder der Schulverweis gegen Jugendliche an der Ost-Berliner Ossietzky-Schule (1988). Dies veranlasste die Staatssicherheit weiterhin zu restriktiven Maßnahmen.
Die Auseinandersetzung mit den genannten Themen erfolgte von unterschiedlichen Positionen aus. Während die Mehrzahl der Gesprächsteilnehmer sachlich-konstruktiv um Argumente rang, jedoch Unsicherheit bzw. Unverständnis bei der Beurteilung aktueller politischer Erscheinungen und Entscheidungen zeigte, gab es auch strikte Ablehnung der derzeitigen Kultur- und Medienpolitik. Einerseits wurden die Methoden der Lösung politischer Probleme kritisiert, aber gleichzeitig die Auseinandersetzung mit den politisch und historisch falschen Darstellungen des "Sputnik" geführt, andererseits traten folgende Teilnehmer der Gespräche in zum Teil bekannter Weise mit politisch-negativen und diffamierenden Äußerungen auf:
- am 10.11.1988
[anonymisiert]
PKZ: [anonymisiert]
Kandidat des SV
erf.: BV Berlin, Abt. XX,
- am 16.11.1988
[anonymisiert]
PKZ: [anonymisiert]
Kandidat des SV
erf.: KD Pankow, OV [anonymisiert],
- am 10.11.1988
[anonymisiert]
PKZ: [anonymisiert]
Kandidat des SV
erf.: BV Berlin, Abt. XX,
- am 28.11.1988
[anonymisiert]
PKZ: [anonymisiert]
Mitglied des Vorstandes des BV Berlin
erf.: BV Berlin, Abt XX,
und
[anonymisiert]
PKZ: [anonymisiert]
erf.: BV Berlin, Abt XX.
Auch andere Verbandsmitglieder und Kandidaten, darunter Genossen, äußerten sich sehr kritisch, ohne klar erkennbaren Standpunkt, zum Teil unsachlich und wenig konstruktiv. Die politisch-operative, differenzierte Einordnung dieser Personen ist jedoch nur langfristig möglich.
Linie XX (Staatsapparat, Kirchen, Kultur, Untergrund)
Die Hauptabteilung XX bildete den Kernbereich der politischen Repression und Überwachung der Staatssicherheit. In Struktur und Tätigkeit passte sie sich mehrfach an die sich wandelnden Bedingungen der Herrschaftssicherung an. Die Diensteinheit ging 1964 durch Umbenennung aus der Hauptatbeilung V hervor, die ihrerseits in den Abteilungen V und VI (1950–1953) ihre Vorläufer hatte.
Die Hauptabteilung XX und die ihr nachgeordneten Abteilungen XX in den Bezirksverwaltungen (Linie XX) sowie entsprechende Arbeitsbereiche in den KD überwachten wichtige Teile des Staatsapparates (u. a. Justiz, Gesundheitswesen und bis 1986 das Post- und Fernmeldewesen), die Blockparteien und Massenorganisationen, den Kultur- und Sportbereich, die Medien und die Kirchen sowie SED-Sonderobjekte und Parteibetriebe. Federführend war die Hauptabteilung XX auch bei der Bekämpfung der "politischen Untergrundtätigkeit" (PUT), also der Opposition.
Ab der zweiten Hälfte der 50er Jahre und verstärkt seit dem Beginn der Entspannungspolitik fühlte sich das SED-Regime zunehmend durch die "politisch-ideologische Diversion" (PiD) bedroht. Die Schwächung der "Arbeiter-und-Bauern-Macht" durch "ideologische Aufweichung und Zersetzung" galt als Hauptinstrument des Westens bei der Unterminierung der DDR. Auch bei der Bekämpfung der PiD hatte die Hauptabteilung XX innerhalb des MfS die Federführung.
Das Erstarken der Bürgerrechtsbewegung (Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen) in der DDR führte in den 80er Jahren zu einem weiteren Bedeutungszuwachs der Linie XX. In der DA 2/85 bestätigte Minister Mielke dementsprechend die Federführung der Hauptabteilung XX bei der Bekämpfung der PUT.
Im Verlauf der fast 40-jährigen Entwicklung der Hauptabteilung XX veränderte sich ihre Struktur mehrfach. In der Endphase verfügte sie über neun operative Abteilungen und vier Funktionalorgane der Leitung (Sekretariat, Arbeitsgruppe der Leitung, Koordinierungsgruppe des Leiters, Auswertungs- und Kontrollgruppe).
Die Hauptabteilung V lag ab 1953 zunächst im unmittelbaren Anleitungsbereich von Mielke in seiner Eigenschaft als 1. Stellvertreter des Staatssicherheitschefs. Ab 1955 war der stellvertretende Minister Bruno Beater und 1964–1974 der stellv. Minister Fritz Schröder auf der Ebene der MfS-Leitung für die Hauptabteilung XX zuständig. Beide waren zuvor selbst (Beater 1953–1955, Schröder 1955–1963) Leiter der Hauptabteilung V. Seit 1975 gehörte die Hauptabteilung XX zum Verantwortungsbereich von Mielkes Stellvertreter Rudi Mittig. Von 1964 bis zur Auflösung des MfS leitete Kienberg die Hauptabteilung XX. Ihm standen seit 1965 zwei Stellvertreter zur Seite.
1954 waren in der Hauptabteilung V insgesamt 139 Mitarbeiter beschäftigt. Im Herbst 1989 verfügte die Hauptabteilung XX über 461 Mitarbeiter, von denen mehr als 200 als IM-führende Mitarbeiter eingesetzt waren.
In den 15 Bezirksverwaltungen waren auf der Linie XX im Oktober 1989 insgesamt knapp 1.000 Kader und damit auf der gesamten Linie XX fast 1.500 hauptamtliche Mitarbeiter im Einsatz. Gleichzeitig konnte allein die Hauptabteilung XX mit etwas mehr als 1.500 IM auf einen überdurchschnittlich hohen Bestand an inoffiziellen Kräften zurückgreifen. Ihrem Aufgabenprofil entsprechend spiegelt sich nicht zuletzt in der Entwicklung der Hauptabteilung XX auch die Geschichte von Opposition, Widerstand und politischer Dissidenz in der DDR. Im Herbst 1989 wurden von der Diensteinheit 31 Operative Vorgänge (10 Prozent aller Operativen Vorgänge im Berliner Ministeriumsbereich) und 59 Operative Personenkontrollen (8,7 Prozent) bearbeitet.
Der Operative Vorgang (OV) war ein registrierpflichtiger Vorgang und Sammelbegriff für Einzel- bzw. Gruppenvorgänge (Registrierung, TV und ZOV). Er wurde angelegt, um im Rahmen von verdeckten, aber zum Teil auch offenen Ermittlungen gegen missliebige Personen vorgehen zu können (Anweisung 14/52 vom 10.9.1952: Vorgangsordnung; 1976 durch Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" neu geregelt).
Ausgangspunkt des OV waren zumeist Hinweise auf, aus MfS-Sicht, strafrechtlich relevante Tatbestände (in der Regel Verstöße gegen die in der DDR geltenden politischen Normen), die es zu überprüfen galt. Bestandteil der nach einem klaren Abfolgeprinzip zu erstellenden OV waren "Maßnahmepläne" und ggf. in ihnen enthaltene Maßnahmen der Zersetzung, die vor allem dann zur Anwendung gelangten, wenn eine Inhaftierung aus taktischen Erwägungen als nicht opportun galt.
Im OV ermittelte das MfS nicht nur gegen die betreffende Person, es wurden auch Erkundigungen zum familiären Umfeld, zum Freundes- und Kollegenkreis u. ä. eingeholt. Konnten Delikte keinen Personen unmittelbar zugeordnet werden (z. B. Flugblätter, Losungen, anonyme Briefe), wurde ein OV gegen unbekannt eröffnet. Darin wurden die nach den Vorstellungen des MfS potenziell als Urheber in Frage kommenden Personen dahingehend überprüft, ob ihnen die "Tat" nachzuweisen war.
Häufig ging dem OV eine Operative Personenkontrolle (OPK) voraus. OV waren mit Vorschlägen zur Ahndung der nachgewiesenen Straftatverletzungen (z. B. Ermittlungsverfahren; Anwerbung; Zersetzungsmaßnahmen) bzw. bei Nicht-Bestätigung des Ausgangsverdachts durch Einstellen der Bearbeitung abzuschließen.
Zur Seite 1 wechseln
aktuelle Seite 2
Zur Seite 3 wechseln
Signatur: BStU, MfS, HA XX, Nr. 14237, Bl. 1-3
Die im November 1987 auf dem X. Schriftstellerkongress der DDR begonnenen Debatten hallten längere Zeit nach. Der Bezirksverband Berlin des Schriftstellerverbands der DDR führte noch im Jahr darauf die Diskussionen des Kongresses weiter. Die Stasi vermerkte hier, welche Autorinnen und Autoren mit "politisch-negativen" Äußerungen auffielen.
Literatinnen und Literaten litten in der DDR unter der Bevormundung durch das SED-Regime. Gegen die Zensur regte sich in den 80er Jahren vermehrt offene Kritik. Die zuständige Kulturabteilung des Zentralkomitees der SED, die dem Chefideologen und Politbüromitglied Kurt Hager unterstand, lehnte Lockerungen ab. Der X. DDR-Schriftstellerkongress, der am 24. November 1987 in Gegenwart von Generalsekretär Erich Honecker und sechs weiteren SED-Politbüromitgliedern begann, zeigte aber auf, dass diese harte Linie zunehmend offen kritisiert wurde. Die Staatssicherheit schenkte einzelnen kritischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kongresses und ihrer Meinung nach "feindlich-negativen Kräften" besondere Beachtung.
Bereits im Vorfeld des Kongresses machten verschiedene Autorinnen und Autoren deutlich, dass sie eine staatliche Bevormundung nicht mehr widerspruchslos hinnehmen würden. Häufig kamen sie in diesem Zusammenhang auch auf den Aderlass durch die Abwanderung von Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus der DDR zu sprechen.
Die Autorinnen und Autoren beriefen sich in ihrer Kritik oft auf Äußerungen der Führungsspitzen aus dem eigenen politischen Lager. So sah der Präsident des Schriftstellerverbands der DDR, Hermann Kant, seine Forderung nach mehr Offenheit und öffentlicher Kontroverse von Honeckers Erklärung zum 70. Jahrestag der Oktoberrevolution gedeckt. Hier hatte der SED-Generalsekretär die Vorreiterrolle der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) beim Beschreiten neuer Wege gelobt. Andere beriefen sich auf den XX. KPdSU-Parteitag (1956) und den dort aufgedeckten "Missbrauch der Macht" oder zitierten aus dem gemeinsamen Papier von SED und SPD vom August 1987.
Bemerkenswert war, dass auf dem Kongress frei gesprochen und kontrovers diskutiert wurde. Am heftigsten debattierten die Teilnehmenden über die ausgeschlossenen bzw. ausgereisten Schriftsteller und Schriftstellerinnen. Die Meinungsverschiedenheiten verliefen dabei nicht nur zwischen den Verbandsmitgliedern selbst, sondern auch zwischen Schriftstellerinnen, Schriftstellern und Funktionären. Zwar scheiterte der Antrag, den in den 70er Jahren ausgeschlossenen Autoren die Rückkehr in den Verband zu ermöglichen. Außerdem sahen sich weitere "unangepasste" Autorinnen und Autoren zum Verlassen der DDR gezwungen. Dennoch waren diese Versuche, Demokratie zu üben, beachtlich.
Ergebnisse und daraus zu ziehende Schlussfolgerungen des Kongresses wurden weiter diskutiert, wie die Gespräche zwischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern des Bezirksverbands Berlin und SED-Funktionären zeigen. Dabei ging es weniger um künstlerische Schaffensprobleme als vielmehr um die "Diskussion politischer Tagesfragen", wie das Sputnik-Verbot (1988) oder der Schulverweis gegen Jugendliche an der Ost-Berliner Ossietzky-Schule (1988). Dies veranlasste die Staatssicherheit weiterhin zu restriktiven Maßnahmen.
Die Positionen der Mehrzahl der Diskussionsredner zu den behandelten Themen und die Kritikpunkte waren inhaltlich annähernd übereinstimmend. Die Motive dieser Position sind differenziert zu bewerten.
Parteiliches Auftrtten vieler Genossen gegen negative Äußerungen und sachlich falsche Darstellungen sowie die Verhinderung aller Versuche, Resolutionen und Schriftstücke an zentrale Partei-und Staatsorgane zu verfassen, zeugen von politischem Verantwortungsbewußtsein vieler Gesprächsteilnehmer und der Gesprächsleiter.
Wertung
Die Inhalte der Diskussionen zu aktuell-politischen fragen im Bezirksverband lassen die Tendenz eines Vertrauensschwundes zu einigen Orientierungen und Entscheidungen bei der Verwirklichung der Politik unserer Partei und gegenüber der Parteiführung erkennen. Die Argumentations- und Überzeugungsfähigkeit vieler positiver Kräfte ist nicht immer gewährleistet. Die Kompliziertheit und Vielschichtigkeit der gegenwärtigen politischen Situation in ihrer Dialektik von Innen- und Außenpolitik wird nicht von allen verstanden.
Von dieser Wertung ausgehend, kann nicht ausgeschlossen werden, daß negative Kräfte in zugespitzten politischen Situationen zunächst stärkeren Einfluß erlangen könnten.
Eine Verbesserung der politisch-ideologischen Arbeit, insbesondere unter den Kandidaten des Verbandes, erscheint dringend notwendig.
Maßnahmen
- Weitere differenzierte "Wer ist wer?"-Aufklärung im Bezirksverband Berlin des Schriftstellerverbandes entsprechend der Arbeitsplanung und in Abstimmung mit der HA XX/7;
- Anlage der OPK [anonymisiert], 2/89, zu [anonymisiert];
- verstärkte Sicherung der Veranstaltungen des Schriftstellerverbandes, insbesondere im Nachwuchsbereich, und Beachtung gemeinsamer Veranstaltungen mit anderen Künstlerverbänden;
- Instruktion der IM zum offensiven Auftreten im Sinne der Politik der Partei.
[Unterschrift]
Lebede
Hauptmann
[unleserliches Kürzel]
Verteiler
lx Leiter der Abt. XX
[manuell unterstrichen: lx Leiter der HA XX/7]
lx AKG über Ref. XX/AI
Linie XX (Staatsapparat, Kirchen, Kultur, Untergrund)
Die Hauptabteilung XX bildete den Kernbereich der politischen Repression und Überwachung der Staatssicherheit. In Struktur und Tätigkeit passte sie sich mehrfach an die sich wandelnden Bedingungen der Herrschaftssicherung an. Die Diensteinheit ging 1964 durch Umbenennung aus der Hauptatbeilung V hervor, die ihrerseits in den Abteilungen V und VI (1950–1953) ihre Vorläufer hatte.
Die Hauptabteilung XX und die ihr nachgeordneten Abteilungen XX in den Bezirksverwaltungen (Linie XX) sowie entsprechende Arbeitsbereiche in den KD überwachten wichtige Teile des Staatsapparates (u. a. Justiz, Gesundheitswesen und bis 1986 das Post- und Fernmeldewesen), die Blockparteien und Massenorganisationen, den Kultur- und Sportbereich, die Medien und die Kirchen sowie SED-Sonderobjekte und Parteibetriebe. Federführend war die Hauptabteilung XX auch bei der Bekämpfung der "politischen Untergrundtätigkeit" (PUT), also der Opposition.
Ab der zweiten Hälfte der 50er Jahre und verstärkt seit dem Beginn der Entspannungspolitik fühlte sich das SED-Regime zunehmend durch die "politisch-ideologische Diversion" (PiD) bedroht. Die Schwächung der "Arbeiter-und-Bauern-Macht" durch "ideologische Aufweichung und Zersetzung" galt als Hauptinstrument des Westens bei der Unterminierung der DDR. Auch bei der Bekämpfung der PiD hatte die Hauptabteilung XX innerhalb des MfS die Federführung.
Das Erstarken der Bürgerrechtsbewegung (Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen) in der DDR führte in den 80er Jahren zu einem weiteren Bedeutungszuwachs der Linie XX. In der DA 2/85 bestätigte Minister Mielke dementsprechend die Federführung der Hauptabteilung XX bei der Bekämpfung der PUT.
Im Verlauf der fast 40-jährigen Entwicklung der Hauptabteilung XX veränderte sich ihre Struktur mehrfach. In der Endphase verfügte sie über neun operative Abteilungen und vier Funktionalorgane der Leitung (Sekretariat, Arbeitsgruppe der Leitung, Koordinierungsgruppe des Leiters, Auswertungs- und Kontrollgruppe).
Die Hauptabteilung V lag ab 1953 zunächst im unmittelbaren Anleitungsbereich von Mielke in seiner Eigenschaft als 1. Stellvertreter des Staatssicherheitschefs. Ab 1955 war der stellvertretende Minister Bruno Beater und 1964–1974 der stellv. Minister Fritz Schröder auf der Ebene der MfS-Leitung für die Hauptabteilung XX zuständig. Beide waren zuvor selbst (Beater 1953–1955, Schröder 1955–1963) Leiter der Hauptabteilung V. Seit 1975 gehörte die Hauptabteilung XX zum Verantwortungsbereich von Mielkes Stellvertreter Rudi Mittig. Von 1964 bis zur Auflösung des MfS leitete Kienberg die Hauptabteilung XX. Ihm standen seit 1965 zwei Stellvertreter zur Seite.
1954 waren in der Hauptabteilung V insgesamt 139 Mitarbeiter beschäftigt. Im Herbst 1989 verfügte die Hauptabteilung XX über 461 Mitarbeiter, von denen mehr als 200 als IM-führende Mitarbeiter eingesetzt waren.
In den 15 Bezirksverwaltungen waren auf der Linie XX im Oktober 1989 insgesamt knapp 1.000 Kader und damit auf der gesamten Linie XX fast 1.500 hauptamtliche Mitarbeiter im Einsatz. Gleichzeitig konnte allein die Hauptabteilung XX mit etwas mehr als 1.500 IM auf einen überdurchschnittlich hohen Bestand an inoffiziellen Kräften zurückgreifen. Ihrem Aufgabenprofil entsprechend spiegelt sich nicht zuletzt in der Entwicklung der Hauptabteilung XX auch die Geschichte von Opposition, Widerstand und politischer Dissidenz in der DDR. Im Herbst 1989 wurden von der Diensteinheit 31 Operative Vorgänge (10 Prozent aller Operativen Vorgänge im Berliner Ministeriumsbereich) und 59 Operative Personenkontrollen (8,7 Prozent) bearbeitet.
Aufklärung hatte innerhalb des MfS unterschiedliche Bedeutungen: Sie wird zur Bezeichnung des Tätigkeitsbereiches der Auslandsspionage verwendet, die überwiegend von der HV A getragen wurde, die teilweise auch kurz als Aufklärung bezeichnet wird. Darüber hinaus findet der Begriff Verwendung bei der Bezeichnung von Sachverhaltsermittlungen (Aufklärung eines Sachverhalts) und von Überprüfungen der Eignung von IM-Kandidaten (Aufklärung des Kandidaten).
1978 wurden die AIG der Bezirksverwaltungen mit der Integration des Kontrollwesens in Auswertungs- und Kontrollgruppen umgewandelt. Analog zur ZAIG waren die AKG jetzt das Funktionalorgan der Leiter der BV mit den Aufgaben Auswertung und Information, Planung, Überprüfung und Kontrolle, Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen und Weisungen sowie EDV. Darüber hinaus wurden die AKG auch für Öffentlichkeitsarbeit zuständig, die im Ministerium noch bis 1985 der Abteilung Agitation bzw. der Arbeitsgruppe Öffentliche Verbindungen zugeordnet war. 1979 wurden auch in den meisten selbständigen Abteilungen und Hauptabteilungen der MfS-Zentrale AKG gebildet. Die AKG unterstanden den Leitern der jeweiligen Diensteinheit, wurden aber fachlich von der ZAIG angeleitet.
Inoffizielle Mitarbeiter (IM) waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), um primär Informationen über Bürger, die Gesellschaft, ihre Institutionen und Organisationen der DDR oder im Ausland zu gewinnen. Unter Umständen hatten IM auf Personen oder Ereignisse in der DDR steuernden Einfluss zu nehmen.
In der DDR-Gesellschaft hießen sie "Spitzel", "Denunzianten" oder "Kundschafter". Mit der deutschen Einheit hat sich die Bezeichnung Inoffizieller Mitarbeiter des MfS für die heimlichen Zuträger etabliert. Sie lieferten u. a. Informationen über Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung.
Die SED-Führung wollte stets über die konkrete Situation und Lage in der DDR unterrichtet sein. Die IM hatten den Auftrag, "staatsgefährdende" Bestrebungen zu ermitteln, was beim MfS "politisch ideologische Diversion" bzw. "politische Untergrundtätigkeit" hieß. Der Bogen hierfür war weit gespannt und reichte von einer privaten Meinungsäußerung bis hin zu politischen Aktivitäten. Überdies sollten sie, wenn auch selten, direkt auf gesellschaftliche Entwicklungen oder einzelne Personen einwirken.
Die IM waren das wichtigste Repressionsinstrument in der DDR. IM wurden auf bestimmte Schwerpunkte angesetzt, von denen tatsächliche oder vermeintliche Gefahren ausgehen konnten. Diese Objekte und Territorien, Bereiche oder Personen waren so zahlreich, dass die geheimpolizeiliche Durchdringung tendenziell den Charakter einer flächendeckenden Überwachung annahm.
Die Anzahl der vom MfS geführten inoffiziellen Mitarbeiter umfasste im Jahre 1989 ungefähr 189.000 IM, darunter 173.000 IM der Abwehrdiensteinheiten, ferner 13.400 IM in der DDR und 1.550 IM in der Bundesrepublik, die von der Hauptverwaltung A geführt wurden, sowie diverse andere wie Zelleninformatoren usw. Auf 89 DDR-Bürger kam somit ein IM. In der Zeit von 1950 bis 1989 gab es insgesamt ca. 620.000 IM.
Die Entwicklung des IM-Netzes ist nicht allein von einem kontinuierlichen Anstieg geprägt, sondern verweist auf besondere Wachstumsphasen in Zeiten innergesellschaftlicher Krisen wie dem 17. Juni 1953 oder am Vorabend des Mauerbaus. Im Zuge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik wurde das IM-Netz ebenfalls erweitert. So umfasste es Mitte der 70er Jahre – hochgerechnet – über 200.000 IM. Angesichts wachsender oppositioneller Bewegungen hatte es in den 80er Jahren gleichfalls ein hohes Niveau.
Die flächendeckende Überwachung der Gesellschaft fiel regional recht unterschiedlich aus. Im Land Brandenburg, das die Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam vereint, war sie stärker als in Thüringen. Die höchste IM-Dichte wies der ehemalige Bezirk Cottbus auf.
Das MfS operierte formal nach territorialen Gesichtspunkten und Sicherungsbereichen, setzte jedoch operative Schwerpunkte in der geheimpolizeilichen Arbeit. Bezogen auf das Gesamtministerium lagen diese – sowohl auf Kreis-, als auch auf Bezirks- und Hauptabteilungsebene – bei der Volkswirtschaft, der Spionageabwehr und auf der "politischen Untergrundtätigkeit", der "Bearbeitung " von oppositionellen Milieus und den Kirchen.
Die Motive zur Kooperation mit dem MfS waren überwiegend ideeller, seltener materieller Natur, noch seltener war Erpressung der Grund. Die Kooperation währte durchschnittlich sechs bis zehn Jahre oder länger. Augenfällig ist, dass darunter nicht wenige soziale Aufsteiger waren. Der Anteil von weiblichen IM lag in der DDR bei 17 Prozent, in der Bundesrepublik bei 28 Prozent. Über die Hälfte der IM war Mitglied der SED. Von den 2,3 Mio. Mitgliedern der Partei ausgehend, waren 4 bis 5 Prozent zuletzt inoffiziell aktiv, d. h. jedes zwanzigste SED-Mitglied.
Das MfS differenzierte IM nach Kategorien: Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit, IM zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereichs, IM im besonderen Einsatz, Führungs-IM und IM zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens. Die wichtigste Kategorie waren IM mit "Feindverbindungen" bzw. solche, die Personen zu "bearbeiten" hatten, die "im Verdacht der Feindtätigkeit" standen. Im Laufe der 80er Jahre nahm der Anteil von IM in der Kategorie IMB bis Dezember 1988 auf rund 3.900 zu.
Der Anteil von Bundesbürgern oder Ausländern unter den IM des MfS betrug nicht einmal 2 Prozent. 1989 waren mindestens 3.000 Bundesbürger inoffiziell im Dienste des MfS, zusätzlich mehrere Hundert Ausländer. In der Zeit von 1949 bis 1989 waren insgesamt mindestens 12.000 Bundesbürger und Westberliner IM.
Die operativen Ziele des MfS waren über die gesamte Bundesrepublik Deutschland verteilt. Darüber hinaus gab es Schwerpunkte in Europa, im Nahen Osten und Asien, nachgeordnet auch in Afrika und Lateinamerika. Nachrichtendienstliche Schwerpunkte waren vor allem die Wissenschafts- und Technikspionage, erst danach die politische und mit etwas Abstand die Militärspionage. Die Bundesrepublik Deutschland wurde folglich vor allem als Ressource zur Systemstabilisierung genutzt.
Die politische Spionage diente vornehmlich dazu, die politische Gefährdungslage des herrschenden Systems in der DDR bestimmen zu können. Dieses Profil deutet an, dass die Spionage der Bewahrung des Status quo dienen sollte. Von einer Unterwanderung der Bundesrepublik war die Geheimpolizei zahlenmäßig weit entfernt. Vielmehr waren ihre inoffiziellen Mitarbeiter damit beschäftigt, das DDR-System zu stabilisieren.
Die OPK wurde 1971 in Abgrenzung zum Operativen Vorgang eingeführt. Auf der Grundlage der MfS-Richtlinien 1/71 und 1/81 zielte sie auf die Überprüfung von Verdachtsmomenten zu Verbrechen und Straftaten, das Erkennen "feindlich-negativer" Haltungen, aber auch den vorbeugenden Schutz von Personen in sicherheitsrelevanten Positionen. Auch Ausländer konnten unter OPK gestellt werden.
Zur Informationsbeschaffung wurden staatliche Organe, Betriebe und Institute, gesellschaftliche Organisationen, die Deutsche Volkspolizei und andere Stellen sowie, wenn erforderlich, operative Mittel und Methoden einbezogen. Die OPK endete mit einem Abschlussbericht. Die bearbeitete Person galt bis dahin als aktiv erfasst, da OPK zu den registrierpflichtigen Vorgängen zählten.
Zur Seite 1 wechseln
Zur Seite 2 wechseln
aktuelle Seite 3
Information über die Ergebnisse des X. Schriftstellerkongresses der DDR Dokument, 12 Seiten
Information über Aktivitäten des Verbands Deutscher Schriftsteller (VS) in Vorbereitung des X. Schriftstellerkongresses Dokument, 2 Seiten
Ergänzende Information über den bundesdeutschen Verband deutscher Schriftsteller Dokument, 2 Seiten
Antwortschreiben der VS-Bundesvorsitzenden Anna Jonas auf die Einladung zum X. Schriftstellerkongress der DDR Dokument, 1 Seite