Signatur: BStU, MfS, AS, Nr. 204/62, Bd. 12, Bl. 43-46
Die Staatssicherheit nahm die Stimmungen und aufkeimende Proteste in der Phase unmittelbar nach dem Mauerbau genau in den Blick. Vielerorts glaubte die Geheimpolizei Zustimmung in der Bevölkerung zu erkennen, dokumentierte aber auch "negative" Äußerungen vieler Bürger.
Bis zum Mauerbau am 13. August 1961 flohen über drei Millionen Menschen aus der DDR. Dieser Aderlass verursachte enorme wirtschaftliche Schäden, denn viele junge, gut ausgebildete Bürgerinnen und Bürger flohen in den Westen. Diese "Abstimmung mit den Füssen" wiederlegte die Propaganda von der Überlegenheit des "real existierenden Sozialismus" und beschädigte zusätzlich das politische Ansehen der SED.
Mit dem Bau der Berliner Mauer brachten die DDR-Machthaber die dramatisch gewachsene Fluchtbewegung von Ost nach West zwar fast zum Versiegen. Doch in den ersten Monaten wies das Sperrsystem noch Lücken auf, die nur allmählich geschlossen werden konnten. Für die Stasi blieb auch nach dem Mauerbau die Verhinderung von sogenannten "Republikfluchten" eine zentrale Aufgabe und eine Art Selbstlegitimierung alle Lebensbereiche der DDR-Bevölkerung zu durchdringen.
Die Staatssicherheit nahm kritische Stimmungen und aufkeimende Proteste unmittelbar nach der Grenzschließung genau in den Blick. Unter der "Kennziffer 4" berichtete etwa die Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt über die Situation im Grenzgebiet. Das vorliegende Schreiben vom 19. August 1961 dokumentiert die Stimmung in der Bevölkerung. Die Geheimpolizei glaubte Zustimmung breiter Bevölkerungskreise zu erkennen, benannte aber auch "negative" Äußerungen vieler Bürger.
Ministerium für Staatssicherheit
Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt
- Der Leiter -
Karl-Marx-Stadt, den 21.8.1961
Tgb.-Nr. Ltg. / 754/61
An die
Regierung der
Deutschen Demokratischen Republik
Ministerium für Staatssicherheit
– zu Hd. d. Ministers
Gen. Generaloberst Mielke –
Berlin
Betr.: Kennziffer 4
Bezug: Ihre Anweisung
In der Anlage übersende ich Ihnen einen weiteren Bericht über die Kennziffer 4 mit der Bitte um Kenntnisnahme.
Leiter der Bezirksverwaltung
(Gehlert) [Anmerkung: gemeint ist Siegfried Gehlert]
Oberstleutnant
Anlage
1 Bericht - 4 El.
gef. 2 Ex.
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Die Allgemeine Sachablage (AS) ist Bestand 2 der Abteilung XII. Der Bestand enthält v. a. sachbezogene Unterlagen. Größte Registraturbildner waren die HA I, die HA IX und das BdL. Des Weiteren liegen hier auch Vorgangshefte und Objektvorgänge sowie Akten der MfS-Vorgänger. Inhalte sind u. a. Ermittlungen zu Havarien und Unfällen, Untersuchungen von Widerstand und Flucht, Berichterstattung an die SED, Eingabenbearbeitung, Kontakte mit Ostblock-Diensten und Sicherung von Großveranstaltungen. Der Bestand ist zugänglich über ein BStU-Findbuch und die F 16. Der Umfang beträgt 490 lfm.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
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Signatur: BStU, MfS, AS, Nr. 204/62, Bd. 12, Bl. 43-46
Die Staatssicherheit nahm die Stimmungen und aufkeimende Proteste in der Phase unmittelbar nach dem Mauerbau genau in den Blick. Vielerorts glaubte die Geheimpolizei Zustimmung in der Bevölkerung zu erkennen, dokumentierte aber auch "negative" Äußerungen vieler Bürger.
Bis zum Mauerbau am 13. August 1961 flohen über drei Millionen Menschen aus der DDR. Dieser Aderlass verursachte enorme wirtschaftliche Schäden, denn viele junge, gut ausgebildete Bürgerinnen und Bürger flohen in den Westen. Diese "Abstimmung mit den Füssen" wiederlegte die Propaganda von der Überlegenheit des "real existierenden Sozialismus" und beschädigte zusätzlich das politische Ansehen der SED.
Mit dem Bau der Berliner Mauer brachten die DDR-Machthaber die dramatisch gewachsene Fluchtbewegung von Ost nach West zwar fast zum Versiegen. Doch in den ersten Monaten wies das Sperrsystem noch Lücken auf, die nur allmählich geschlossen werden konnten. Für die Stasi blieb auch nach dem Mauerbau die Verhinderung von sogenannten "Republikfluchten" eine zentrale Aufgabe und eine Art Selbstlegitimierung alle Lebensbereiche der DDR-Bevölkerung zu durchdringen.
Die Staatssicherheit nahm kritische Stimmungen und aufkeimende Proteste unmittelbar nach der Grenzschließung genau in den Blick. Unter der "Kennziffer 4" berichtete etwa die Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt über die Situation im Grenzgebiet. Das vorliegende Schreiben vom 19. August 1961 dokumentiert die Stimmung in der Bevölkerung. Die Geheimpolizei glaubte Zustimmung breiter Bevölkerungskreise zu erkennen, benannte aber auch "negative" Äußerungen vieler Bürger.
Karl-Marx-Stadt, den 19.8.1961
Betr.: Kennziffer 4
Die politisch-ideologische Situation im Grenzgebiet
Die politisch-iedeologische Situation im Grenzgebiet ist gekennzeichnet durch eine offensive Politik von Partei und Staatsapparat. So wurden in der letzten Zeit mehrere Versammlungen und öffentliche Foren in Orten des Grenzgebietes durchgeführt, auf denen entweder über die mangelnde genossenschaftliche Arbeit der LPG diskutiert wurde, oder mit Personen, die in der Vergangenheit negativ auftraten, abgerechnet wurde. Von dem großen Teil der Grenzbevölkerung wurden diese Maßnahmen besonders im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Abschlusses eines Friedensvertrages und der Lösung der Westberlin-Frage positiv aufgenommen.
Bezüglich der Vorbereitung der Wahlen im September wird im Grenzgebiet eine aktive und gute Vorbereitung durchgeführt,und es wurden auch schon viele Verpflichtungen abgegeben, die z. B. enthalten, bis zu einem gewissen Zeitpunkt genossenschaftlich zu arbeiten oder den Volkswirtschaftsplan der Gemeinde in allen Teilen zu erfüllen und zu überbieten. So gab z. B. die Gemeinde Possek die Verpflichtung ab, den Plan der Gemeinde mit 105 % zu erfüllen.
Auch der 2. bemannte Weltraumflug durch den Genossen Titow wird als eine große wissenschaftliche Pioniertat gewürdigt.
Jedoch gibt es auch einige Personen im Grenzgebiet, die negierend gegen diese Maßnahmen auftreten. Viele Diskussionen zeigen, daß der westliche Rundfunk und das Fernsehen einen großen Einfluß auf das politisch-ideologische Niveau der Bevölkerung nimmt. Besonders viel vertreten wird die Meinung, daß bei der Lösung des Westberlin-Problems die Amerikaner das Gebiet wieder zurückfordert, welches ehemals von ihnen besetzt war. Dies führt dazu, daß sich viele Personen im Grenzgebiet schwankend und abwartend verhalten, was sich besonders darin zeigt, daß viele Bauern eine genossenschaftliche Arbeit ablehnen.
So äußerte z. B. die [geschwärzt], beschäftigt in [geschwärzt]: "Amerika hat Ansprüche auf die Gebiete, welche sie im 2. Weltkrieg besetzt hatten, und es kann passieren, daß sie bald wieder hier einziehen."
Der [geschwärzt] von der [geschwärzt] brachte zum Ausdruck: "Die Russen sollen doch auf Grund ihrer Vorschläge zuerst unser Land verlassen. Dann werden auch die anderen gehen."
Der [geschwärzt] aus [geschwärzt] vertritt die Riasparole: Die Lage verschlechtert sich durch die Maßnahmen unserer Regierung, und es kann zu einem Krieg kommen.
Der [geschwärzt] aus [geschwärzt] äußerte: "Denen müßte man den Wanst vollhauen, die Berlin zugemacht haben."
Der [geschwärzt] brachte zum Ausdruck, die Maßnahmen betreffen wieder nur die kleinen Arbeiter.
Unstimmigkeiten treten bei der Zusammenarbeit zwischen den LPG Typ I und Typ III auf. Die Mitglieder der LPG Typ I bringen zum Ausdruck, daß sie zuwenig mit Maschinen von den LPG Typ III unterstützt werden. Besonders tritt dies in Possek und Wiedersberg auf.
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Die Allgemeine Sachablage (AS) ist Bestand 2 der Abteilung XII. Der Bestand enthält v. a. sachbezogene Unterlagen. Größte Registraturbildner waren die HA I, die HA IX und das BdL. Des Weiteren liegen hier auch Vorgangshefte und Objektvorgänge sowie Akten der MfS-Vorgänger. Inhalte sind u. a. Ermittlungen zu Havarien und Unfällen, Untersuchungen von Widerstand und Flucht, Berichterstattung an die SED, Eingabenbearbeitung, Kontakte mit Ostblock-Diensten und Sicherung von Großveranstaltungen. Der Bestand ist zugänglich über ein BStU-Findbuch und die F 16. Der Umfang beträgt 490 lfm.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
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Bericht der BV Karl-Marx-Stadt über die Stimmung im Kreis Plauen nach dem Mauerbau Dokument, 5 Seiten
Bericht über die Lage in der Landwirtschaft an der deutsch-deutschen Grenze im Juni und Juli 1960 Dokument, 18 Seiten
Abschlussbericht der Bezirksverwaltung Suhl zur Aktion "Festigung" Dokument, 25 Seiten
Bericht der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt nach Abschluss der Zwangsumsiedlungen 1961 Dokument, 3 Seiten