Signatur: BStU, MfS, BV Leipzig, KD Leipzig-Land, Nr. 4232, Bl. 1
Preußische Traditionen erlebten in den letzten Jahren der DDR einen staatlich initiierten Aufschwung. Das international ausgerichtete Gedenken 1983 und 1988 an die Völkerschlacht bei Leipzig erregte auch die Aufmerksamkeit der Staatssicherheit. Der Inoffizielle Mitarbeiter "Bodo" berichtete von Gästen aus dem westlichen Ausland während der Jubiläumswoche zum 170. Jahrestag der Völkerschlacht.
Das SED-Regime entdeckte das Preußentum Anfang der 80er Jahre für seine Zwecke. Daher wurden 1983 und 1988 mit staatlicher Förderung entsprechende Festveranstaltungen in Leipzig in Szene gesetzt. Die Staatssicherheit spielte dabei eine aktive Rolle.
Die Motive der regierenden SED, eine Preußen-Renaissance zuzulassen, waren vielfältig. Preußische Tugenden wie Disziplin und Fleiß ließen sich für die eigene Propaganda gewinnbringend instrumentalisieren. Zudem konnte die Parteiführung auf das preußisch-russische Bündnis als Traditionslinie verweisen. Insgesamt erhoffte sich die SED eine engere Bindung der DDR-Bürger an den Staat. Aus diesem Grund forcierte und unterstützte das Regime auch die Beschäftigung mit den preußischen Traditionen, wie z.B. Waffenkunde. Inbegriffen waren daher auch die Ereignisse der Völkerschlacht bei Leipzig 1813.
Eine der an den Jubiläumsfeiern besonders rege beteiligten Gruppen war die "Interessengemeinschaft Völkerschlacht 1813", die unter dem Dach des Kulturbundes aktiv war. Dabei handelte es sich um eine Gruppe von historischen Darstellern, die in originalgetreuen Uniformen Szenen aus dem Jahr der Völkerschlacht 1813 nachstellten und Traditionspflege betrieben. Gegen diese Art von Betätigung gab es ein großes Misstrauen innerhalb der Stasi. Erschwerend hinzu kamen die Auslandskontakte der Interessengemeinschaft (IG). Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) leitete daher Überwachungsmaßnahmen ein.
"Operativ interessante Hinweise" hatte das MfS seit 1983 zielgerichtet aus dem Teilnehmerkreis der Jubiläumsfeiern gesammelt. Die Stasi-Spitzel erfassten Besucher des Geschichts-Events aus westlichen Ländern und trugen alle Kontakte zwischen Mitgliedern der IG und ihren westlichen Pendants zusammen. Dokumente, wie der vorliegende Bericht des Inoffiziellen Mitarbeiters "Bodo", belegen dies sowohl für die IG als auch deren Kontaktpartner aus der Bundesrepublik, Österreich, den USA, Frankreich sowie der damaligen Sowjetunion und CSSR. Das MfS übertrug hier dem Referat E (Erlaubniswesen) der Leipziger Volkspolizei die Aufgabe, eine Überwachungsakte über die IG anzulegen.
KD Leipzig-Land
Leipzig, 26.10.1983
II/leo-se
Zusammenfassung des mündlichen Bericht IMS "Bodo" zum Abschluß der Jubiläumswoche zum 170. Jahrestag der Völkerschlacht
Insgesamt liefen die Feierlichkeiten und Veranstaltungen aus volkspolizeilicher Sicht ohne Vorkommnisse ab. Eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit war nicht festzustellen.
Operativ interessante Hinweise ergeben sich aus folgenden:
- An unterschiedlichen Veranstaltungen nehmen ausländische Studenten (auch bei kommenden Veranstaltungen ist damit zu rechnen) teil, um die Originalsituation weitestgehend herzustellen (z. B. Studenten aus teilnehmenden Ländern der Völkerschlacht, Frankreich oder auch des afrikanischen Kontinents). Sie erhalten für die Veranstaltungen entsprechende Uniformen.
- Der Franzose [anonymisiert] reiste in [anonymisiert] ein und konnte dabei keine Einfuhrgenehmigung für ein historisches Schußgerät vorweisen. Schußgerät wurde versiegelt und zweiweilig bei der BV Zoll Leipzig verwahrt.
Im Zusammenhang der Einreise ist festzustellen, daß die Teilnahme des franz. Staatsbürgers rechtswidrig war, da Kontakte von Vereinigungen der DDR mit Vereinigungen des KA nicht zulässig sind.
Als Ouartiergeber des [anonymisiert] trat ein Mitglied der IG namens
[anonymisiert] wh. [anonymisiert]
in Erscheinung.
Zur Vorbeugung wurden folgende Maßnahmen eingeleitet:
Ref. E des VPA Leipzig legt eine entsprechende Überprüfungsakte zur IG Völkerschlacht an.
Grundlage bildet die DA 10/82 Blatt 12 des MdI
- Kontrolle der Tätigkeit von Vereinigungen
Abgestimmte Maßnahmen werden durch E/K I und KD MfS realisiert. Als erste Maßnahme wird der aktuelle Stand der Mitglieder der IG erarbeitet.
Maßnahme: Leiter der DE zur Kenntnis
[Unterschrift]
Leonhardt
Oltn.
Von 1968 bis 1989 geltende Abkürzung für den gewöhnlichen inoffiziellen Mitarbeiter, der in der IM-Richtlinie von 1968 als IM, "der mit der Sicherung gesellschaftlicher Bereiche oder Objekte betraut ist", und in der IM-Richtlinie von 1979 als IM "zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereiches" (1980) definiert wurde. Der IMS löste die Kategorie Geheimer Informator ab.
IMS hatten Verdachtsmomente zu erkennen, ferner "wesentliche Beiträge zur allseitigen Gewährleistung der inneren Sicherheit" im Verantwortungsbereich zu leisten, "im hohen Maße vorbeugend und schadensverhütend" zu wirken und "neue Sicherheitserfordernisse" rechtzeitig zu erkennen helfen. IMS war die im MfS bei weitem am häufigsten vorkommende Informanten-Kategorie, zuletzt gab es 93.600 IMS.
Auftrag für den GMS "Bund" zur Aufklärung der "IG Völkerschlacht 1813" Dokument, 1 Seite
Operativinformation Nr. 73/88 der Kreisdienststelle Leipzig-Land zum 175. Jahrestag der Völkerschlacht Dokument, 2 Seiten
Übersichtsbogen zur Operativen Personenkontrolle "Napoleon" Dokument, 2 Seiten
Aufstellung der IM der Kreisdienststelle Wittenberg beim Kirchentag von 1983 Dokument, 3 Seiten