Signatur: BStU, MfS, AU, Nr. 192/56, Bd. 3, Bl. 202-208
Der SED-Funktionär Paul Merker wurde 1952 Opfer haltloser Beschuldigungen, die ihn zum Protagonisten einer gegen die kommunistische Herrschaft gerichteten internationalen Verschwörung stempelten. Dieses Konstrukt wies ausgeprägte antisemitische Tendenzen auf und diente der politischen Säuberung und Einschüchterung. Während seiner Haft teilte Paul Merker seine Zelle mit einem Spitzel der Staatssicherheit.
Paul Merker war maßgeblich am Aufbau der SED-Herrschaft in Ostdeutschland beteiligt. Wie viele der Gründerväter der DDR war er schon in der Weimarer Zeit ein hochrangiger kommunistischer Politiker: Mitglied des Politbüros der KPD, Abgeordneter des Preußischen Landtages sowie Reichsleiter der sogenannten Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wirkte er ab 1936 zunächst in der Exil-Führung der KPD in Frankreich. 1942 floh er dann nach Mexiko, wo er als KPD-Politbüromitglied und Sekretär des Lateinamerikanischen Komitees der Bewegung "Freies Deutschland" die bestimmende Figur in der kommunistischen Emigration war. Nach Kriegsende wurde er 1946 ins Zentralsekretariat der SED berufen und blieb auch 1949 – nach dessen Umwandlung zum Politbüro – Mitglied im höchsten Parteigremium.
Am 22. August 1950, nicht einmal ein Jahr nach der Staatsgründung der DDR, wurde Merker zusammen mit anderen SED-Funktionären aus der Partei ausgeschlossen. Dieser Vorgang stand im Zusammenhang mit dem Budapester Schauprozess gegen den ungarischen Außenminister Lázló Rajk und andere hohe Funktionäre. Bei diesem Prozess wurde der amerikanische Kommunist Noel Field, ehemaliger Leiter der Flüchtlingshilfsorganisation "Unitarian Service Committee" zur Schlüsselfigur einer imaginären Spionageorganisation stilisiert, die hochrangige Funktionäre einschloss. Das Verschwörungskonstrukt hatte eine ausgeprägt antisemitische Tendenz und diente der politischen Säuberung sowie der Schaffung von Sündenböcken, nicht nur in Ungarn. Auch Merker hatte im Exil Kontakt zu Field gehabt. Anders als andere "Belastete" wurde er aber zunächst nur aus der Partei ausgeschlossen und nicht verhaftet – wahrscheinlich weil der DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck seine Hand über ihn hielt. Zwei Jahre später aber, als es in Prag zu einem ähnlichen Schauprozess gegen kommunistische Spitzenfunktionäre gekommen war, nahm die Stasi am 30. November 1952 auch Merker fest.
Merker wusste genau, welche Rolle man ihm zugedacht hatte: die des Hauptangeklagten in einem ähnlichen Schauprozess wie in Budapest und Prag. Er war daher gut auf das vorbereitet, was ihn in der Untersuchungshaft erwartete. Die Stasi würde versuchen, ihn dahin zu bringen, sich selbst und andere kommunistische Kader als "imperialistische Agenten" zu beschuldigen. Die ersten Monate wurde Merker vom stellvertretenden Leiter des MfS-Untersuchungsorgans Kurt Richter und einem sowjetischen Offizier verhört. In dieser Zeit musste sich Merker die Zelle mit einem ehemaligen hauptamtlichen MfS-Mitarbeiter teilen, der wegen Gefangenenmisshandlung inhaftiert und als "Kammeragent" geworben worden war. Merker ahnte, dass sein Zellengenosse für das MfS arbeitete. Trotzdem sprach er sehr offen mit ihm, wohl um auf diese Weise auf einer zweiten Ebene mit seinen Peinigern zu kommunizieren.
Die in den Stasi-Akten überlieferten Aufzeichnungen des Zellenspitzels sind aufschlussreiche Dokumente und scheinen Merkers Worte weitgehend authentisch wiederzugeben:
"Die Vernehmungen im Zimmer 28 werden von einem Deutschen und einem Sowjetbürger gleichzeitig durchgeführt. Dabei sind Schimpfworte an der Tagesordnung. Ich bin mit Erschießen, 15 Jahren Zuchthaus und allem Möglichen bedroht worden. Als ich zu beiden Vernehmern mehrmals sagte, dass der Tod für mich eine Erlösung ist und ich mich nicht fürchte, drohten sie mir meine Familie ebenfalls zu vernichten. Das geht nun schon sieben Wochen so und jeden Tag wiederholt sich das Gleiche."
Ich möchte den Kammergefreiten kurz hören!
[unleserlich] darf in der Zwischenzeit nicht weg.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Zelleninformatoren (in den ersten Jahren des MfS auch als Kammeragenten, KA, bezeichnet) waren spezielle inoffizielle Mitarbeiter (zumeist Untersuchungshäftlinge, zuweilen auch Strafgefangene), die das Untersuchungsorgan (HA IX) des MfS in den eigenen Haftanstalten (Abt. XIV, Haft im MfS) einsetzte, um Untersuchungshäftlinge zu kontrollieren, auszuhorchen und zu beeinflussen. Sie dienten der verdeckten Informationsbeschaffung im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen, der Einwirkung auf die Aussagebereitschaft von Beschuldigten und der Aufrechterhaltung des U-Haft-Regimes.
Der Einsatz von Zelleninformatoren im MfS ging auf die sowjetische Geheimpolizei zurück und wurde seit den Anfängen praktiziert, war aber, wie die entsprechende Aktenführung, lange Zeit nicht detailliert geregelt. Die Berichte der Zelleninformatoren wurden zumeist in den Untersuchungsvorgängen der ausgeforschten Beschuldigten abgelegt. Erst 1981 wurde eine Richtlinie zur Arbeit mit Zelleninformatoren erlassen, die durch strenge Autorisierungs-, Konspirations- und Aktenführungsregelungen gekennzeichnet war.
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Signatur: BStU, MfS, AU, Nr. 192/56, Bd. 3, Bl. 202-208
Der SED-Funktionär Paul Merker wurde 1952 Opfer haltloser Beschuldigungen, die ihn zum Protagonisten einer gegen die kommunistische Herrschaft gerichteten internationalen Verschwörung stempelten. Dieses Konstrukt wies ausgeprägte antisemitische Tendenzen auf und diente der politischen Säuberung und Einschüchterung. Während seiner Haft teilte Paul Merker seine Zelle mit einem Spitzel der Staatssicherheit.
Paul Merker war maßgeblich am Aufbau der SED-Herrschaft in Ostdeutschland beteiligt. Wie viele der Gründerväter der DDR war er schon in der Weimarer Zeit ein hochrangiger kommunistischer Politiker: Mitglied des Politbüros der KPD, Abgeordneter des Preußischen Landtages sowie Reichsleiter der sogenannten Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wirkte er ab 1936 zunächst in der Exil-Führung der KPD in Frankreich. 1942 floh er dann nach Mexiko, wo er als KPD-Politbüromitglied und Sekretär des Lateinamerikanischen Komitees der Bewegung "Freies Deutschland" die bestimmende Figur in der kommunistischen Emigration war. Nach Kriegsende wurde er 1946 ins Zentralsekretariat der SED berufen und blieb auch 1949 – nach dessen Umwandlung zum Politbüro – Mitglied im höchsten Parteigremium.
Am 22. August 1950, nicht einmal ein Jahr nach der Staatsgründung der DDR, wurde Merker zusammen mit anderen SED-Funktionären aus der Partei ausgeschlossen. Dieser Vorgang stand im Zusammenhang mit dem Budapester Schauprozess gegen den ungarischen Außenminister Lázló Rajk und andere hohe Funktionäre. Bei diesem Prozess wurde der amerikanische Kommunist Noel Field, ehemaliger Leiter der Flüchtlingshilfsorganisation "Unitarian Service Committee" zur Schlüsselfigur einer imaginären Spionageorganisation stilisiert, die hochrangige Funktionäre einschloss. Das Verschwörungskonstrukt hatte eine ausgeprägt antisemitische Tendenz und diente der politischen Säuberung sowie der Schaffung von Sündenböcken, nicht nur in Ungarn. Auch Merker hatte im Exil Kontakt zu Field gehabt. Anders als andere "Belastete" wurde er aber zunächst nur aus der Partei ausgeschlossen und nicht verhaftet – wahrscheinlich weil der DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck seine Hand über ihn hielt. Zwei Jahre später aber, als es in Prag zu einem ähnlichen Schauprozess gegen kommunistische Spitzenfunktionäre gekommen war, nahm die Stasi am 30. November 1952 auch Merker fest.
Merker wusste genau, welche Rolle man ihm zugedacht hatte: die des Hauptangeklagten in einem ähnlichen Schauprozess wie in Budapest und Prag. Er war daher gut auf das vorbereitet, was ihn in der Untersuchungshaft erwartete. Die Stasi würde versuchen, ihn dahin zu bringen, sich selbst und andere kommunistische Kader als "imperialistische Agenten" zu beschuldigen. Die ersten Monate wurde Merker vom stellvertretenden Leiter des MfS-Untersuchungsorgans Kurt Richter und einem sowjetischen Offizier verhört. In dieser Zeit musste sich Merker die Zelle mit einem ehemaligen hauptamtlichen MfS-Mitarbeiter teilen, der wegen Gefangenenmisshandlung inhaftiert und als "Kammeragent" geworben worden war. Merker ahnte, dass sein Zellengenosse für das MfS arbeitete. Trotzdem sprach er sehr offen mit ihm, wohl um auf diese Weise auf einer zweiten Ebene mit seinen Peinigern zu kommunizieren.
Die in den Stasi-Akten überlieferten Aufzeichnungen des Zellenspitzels sind aufschlussreiche Dokumente und scheinen Merkers Worte weitgehend authentisch wiederzugeben:
"Die Vernehmungen im Zimmer 28 werden von einem Deutschen und einem Sowjetbürger gleichzeitig durchgeführt. Dabei sind Schimpfworte an der Tagesordnung. Ich bin mit Erschießen, 15 Jahren Zuchthaus und allem Möglichen bedroht worden. Als ich zu beiden Vernehmern mehrmals sagte, dass der Tod für mich eine Erlösung ist und ich mich nicht fürchte, drohten sie mir meine Familie ebenfalls zu vernichten. Das geht nun schon sieben Wochen so und jeden Tag wiederholt sich das Gleiche."
alle Augenblicke etwas anderes los und sonst bekommen Sie den Mund nicht auf.
Ich habe am 18.01.53 mit M. dann nicht mehr gesprochen obwohl er mehrmals versuchte ein Gespräch anzufangen.
18.01.1953.
Heute morgen beim waschen bemerkte ich das M. an beiden Handgelenke kleine Ritze hatte ich sagte aber nichts, sondern spielte den Beleidigten. Der Wachposten welcher Dienst machte, schlug alle 20 Minuten gegen die Tür u. rief "schlafen Sie nicht" obwohl keiner geschlafen hatte. Der Posten verlangte das wir jedesmal wenn er durch den Spion sieht, zu ihm hinzusehen hätten.
Beim 4. mal sagte ich zu dem Posten folgendes:
"Die mir vorgelesene Hausordnung besagt nicht, das ich jedesmal wenn jemand durch die Tür guckt, ebenfalls hinzusehen habe. Ausserdem blendet die Lampe so stark, das ich nicht immer starr ins Licht sehen kann. Der Posten meldete diesen Vorfall dem wachhabenden Kommisar, dieser sagte zu mir, setzen Sie sich so, das sie immer vom Posten gesehen werden." Er wechselte aber den Posten anschließend aus, auch wurde die Lampe ausgeknipst.
Dieser Zwischenfall interessierte dem M. besonders u. sagte zu mir:
"Mensch haben Sie aber eine Wut über den Posten, aber jetzt ist die Lampe wenigstens aus."
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Zelleninformatoren (in den ersten Jahren des MfS auch als Kammeragenten, KA, bezeichnet) waren spezielle inoffizielle Mitarbeiter (zumeist Untersuchungshäftlinge, zuweilen auch Strafgefangene), die das Untersuchungsorgan (HA IX) des MfS in den eigenen Haftanstalten (Abt. XIV, Haft im MfS) einsetzte, um Untersuchungshäftlinge zu kontrollieren, auszuhorchen und zu beeinflussen. Sie dienten der verdeckten Informationsbeschaffung im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen, der Einwirkung auf die Aussagebereitschaft von Beschuldigten und der Aufrechterhaltung des U-Haft-Regimes.
Der Einsatz von Zelleninformatoren im MfS ging auf die sowjetische Geheimpolizei zurück und wurde seit den Anfängen praktiziert, war aber, wie die entsprechende Aktenführung, lange Zeit nicht detailliert geregelt. Die Berichte der Zelleninformatoren wurden zumeist in den Untersuchungsvorgängen der ausgeforschten Beschuldigten abgelegt. Erst 1981 wurde eine Richtlinie zur Arbeit mit Zelleninformatoren erlassen, die durch strenge Autorisierungs-, Konspirations- und Aktenführungsregelungen gekennzeichnet war.
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Signatur: BStU, MfS, AU, Nr. 192/56, Bd. 3, Bl. 202-208
Der SED-Funktionär Paul Merker wurde 1952 Opfer haltloser Beschuldigungen, die ihn zum Protagonisten einer gegen die kommunistische Herrschaft gerichteten internationalen Verschwörung stempelten. Dieses Konstrukt wies ausgeprägte antisemitische Tendenzen auf und diente der politischen Säuberung und Einschüchterung. Während seiner Haft teilte Paul Merker seine Zelle mit einem Spitzel der Staatssicherheit.
Paul Merker war maßgeblich am Aufbau der SED-Herrschaft in Ostdeutschland beteiligt. Wie viele der Gründerväter der DDR war er schon in der Weimarer Zeit ein hochrangiger kommunistischer Politiker: Mitglied des Politbüros der KPD, Abgeordneter des Preußischen Landtages sowie Reichsleiter der sogenannten Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wirkte er ab 1936 zunächst in der Exil-Führung der KPD in Frankreich. 1942 floh er dann nach Mexiko, wo er als KPD-Politbüromitglied und Sekretär des Lateinamerikanischen Komitees der Bewegung "Freies Deutschland" die bestimmende Figur in der kommunistischen Emigration war. Nach Kriegsende wurde er 1946 ins Zentralsekretariat der SED berufen und blieb auch 1949 – nach dessen Umwandlung zum Politbüro – Mitglied im höchsten Parteigremium.
Am 22. August 1950, nicht einmal ein Jahr nach der Staatsgründung der DDR, wurde Merker zusammen mit anderen SED-Funktionären aus der Partei ausgeschlossen. Dieser Vorgang stand im Zusammenhang mit dem Budapester Schauprozess gegen den ungarischen Außenminister Lázló Rajk und andere hohe Funktionäre. Bei diesem Prozess wurde der amerikanische Kommunist Noel Field, ehemaliger Leiter der Flüchtlingshilfsorganisation "Unitarian Service Committee" zur Schlüsselfigur einer imaginären Spionageorganisation stilisiert, die hochrangige Funktionäre einschloss. Das Verschwörungskonstrukt hatte eine ausgeprägt antisemitische Tendenz und diente der politischen Säuberung sowie der Schaffung von Sündenböcken, nicht nur in Ungarn. Auch Merker hatte im Exil Kontakt zu Field gehabt. Anders als andere "Belastete" wurde er aber zunächst nur aus der Partei ausgeschlossen und nicht verhaftet – wahrscheinlich weil der DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck seine Hand über ihn hielt. Zwei Jahre später aber, als es in Prag zu einem ähnlichen Schauprozess gegen kommunistische Spitzenfunktionäre gekommen war, nahm die Stasi am 30. November 1952 auch Merker fest.
Merker wusste genau, welche Rolle man ihm zugedacht hatte: die des Hauptangeklagten in einem ähnlichen Schauprozess wie in Budapest und Prag. Er war daher gut auf das vorbereitet, was ihn in der Untersuchungshaft erwartete. Die Stasi würde versuchen, ihn dahin zu bringen, sich selbst und andere kommunistische Kader als "imperialistische Agenten" zu beschuldigen. Die ersten Monate wurde Merker vom stellvertretenden Leiter des MfS-Untersuchungsorgans Kurt Richter und einem sowjetischen Offizier verhört. In dieser Zeit musste sich Merker die Zelle mit einem ehemaligen hauptamtlichen MfS-Mitarbeiter teilen, der wegen Gefangenenmisshandlung inhaftiert und als "Kammeragent" geworben worden war. Merker ahnte, dass sein Zellengenosse für das MfS arbeitete. Trotzdem sprach er sehr offen mit ihm, wohl um auf diese Weise auf einer zweiten Ebene mit seinen Peinigern zu kommunizieren.
Die in den Stasi-Akten überlieferten Aufzeichnungen des Zellenspitzels sind aufschlussreiche Dokumente und scheinen Merkers Worte weitgehend authentisch wiederzugeben:
"Die Vernehmungen im Zimmer 28 werden von einem Deutschen und einem Sowjetbürger gleichzeitig durchgeführt. Dabei sind Schimpfworte an der Tagesordnung. Ich bin mit Erschießen, 15 Jahren Zuchthaus und allem Möglichen bedroht worden. Als ich zu beiden Vernehmern mehrmals sagte, dass der Tod für mich eine Erlösung ist und ich mich nicht fürchte, drohten sie mir meine Familie ebenfalls zu vernichten. Das geht nun schon sieben Wochen so und jeden Tag wiederholt sich das Gleiche."
Das haben Sie gut gemacht und man kann sich etwas ausruhen."
Ich antwortete aber nicht u. beobachtete M. nur unauffällig. Er saß auf seiner Pritsche und bohrte sich mehrmals die Daumennägel abwechselnd in dem linken u. rechten Handgelenk in die Pulsandern um sich selber Riße beizubringen.
Nachdem ich M. eine ganze Weile zugesehen hatte, schrie ich ihn plötzlich u. ziemlich grob an:
Was sollen diese Mätzchen? Sie sind ein Scheißkerl aber kein Marxist, sitzen hier wie ein Halbtoter und sind nun zu feige die Verantwortung zu tragen. Denn sonst würden Sie ja nicht auf die Gedanken kommen sich selber das Leben zu nehmen. Und sie wollen 30 Jahre Kommunist sein? Das können Sie einen anderen erzählen."
M. war über meinen Schimpfausbruch sehr erstaunt und sagte plötzlich mit sehr leiser Stimme u. zur Tür sehend:
"Wenn Sie 7 Wochen lang in der Spannung wie ich leben würden, ginge es ihnen wahrscheinlich nicht anders."
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Zelleninformatoren (in den ersten Jahren des MfS auch als Kammeragenten, KA, bezeichnet) waren spezielle inoffizielle Mitarbeiter (zumeist Untersuchungshäftlinge, zuweilen auch Strafgefangene), die das Untersuchungsorgan (HA IX) des MfS in den eigenen Haftanstalten (Abt. XIV, Haft im MfS) einsetzte, um Untersuchungshäftlinge zu kontrollieren, auszuhorchen und zu beeinflussen. Sie dienten der verdeckten Informationsbeschaffung im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen, der Einwirkung auf die Aussagebereitschaft von Beschuldigten und der Aufrechterhaltung des U-Haft-Regimes.
Der Einsatz von Zelleninformatoren im MfS ging auf die sowjetische Geheimpolizei zurück und wurde seit den Anfängen praktiziert, war aber, wie die entsprechende Aktenführung, lange Zeit nicht detailliert geregelt. Die Berichte der Zelleninformatoren wurden zumeist in den Untersuchungsvorgängen der ausgeforschten Beschuldigten abgelegt. Erst 1981 wurde eine Richtlinie zur Arbeit mit Zelleninformatoren erlassen, die durch strenge Autorisierungs-, Konspirations- und Aktenführungsregelungen gekennzeichnet war.
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Abschrift des Vernehmungsprotokolls von Paul Merker Dokument, 2 Seiten
Einlieferungsanzeige von Paul Merker wegen "Agententätigkeit" Dokument, 1 Seite
Schlusswort Manfred Smolkas beim Strafprozess vor dem Bezirksgericht Erfurt Audio, 42 Minuten, 25 Sekunden
Sachstandsbericht zum Untersuchungsvorgang Paul Merker Dokument, 3 Seiten