Bericht über ein abgehörtes Gespräch im Haus der Familie Einsiedel
Signatur: BStU, MfS, AS, Nr. 754/70, Bd. 44, Bl. 127
Horst Einsiedel wurde beim Versuch, die DDR zu verlassen, erschossen. Die Stasi versuchte seinen Tod zu verschleiern und täuschte mit großem Aufwand ein Verbrechen vor. Als die Stasi seine Hinterbliebenen abhörte, wurde klar, dass diese Legende nicht glaubhaft war.
Horst Einsiedel arbeitete als Ingenieur in Ost-Berlin. Er fühlte sich eingeschränkt und kam beruflich nicht voran. Er wollte nicht in die SED eintreten, auch nicht den Kontakt zu seiner Mutter und Schwester in West-Berlin abbrechen. Frustriert fasste er den Entschluss, in den Westteil der Stadt zu fliehen. Seiner Ehefrau erschien eine Flucht wegen der kleinen Tochter zu riskant.
Einsiedel wagte es dennoch. Am 15. März 1973 wurde er von DDR-Grenzposten erschossen. Die Staatssicherheit wollte unbedingt jegliches Aufsehen vermeiden. Mit großem Aufwand täuschte sie zunächst ein Gewaltverbrechen vor, später dann einen Unfalltod. Dass Horst Einsiedel an der Mauer getötet worden ist, erfuhr seine Familie erst nach der deutschen Vereinigung im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen.
Seine Flucht in den Westen plante Horst Einsiedel von einem Ost-Berliner Friedhof aus, auf dem sein Vater begraben liegt. Der Friedhof lag unmittelbar an den Grenzanlagen. Mithilfe von Friedhofsleitern gelang es ihm, die ersten Hindernisse zu überwinden. Dann wurde er von den Grenzposten bemerkt und beschossen. Er starb noch auf dem Mauerstreifen.
Die ahnungslose Familie gab eine Vermisstenanzeige auf und die Ehefrau wurde im Präsidium der Volkspolizei am Alexanderplatz mehrfach von MfS-Mitarbeitern befragt. Sie wollten herausfinden, ob Frau Einsiedel etwas von den Fluchtplänen ihres Mannes wusste.
Das MfS strickte die Legende eines Gewaltverbrechens und täuschte vor, den leeren PKW von Horst Einsiedel im Wald gefunden zu haben.
Im nächsten Schritt überwachte die Geheimpolizei das Wohnhaus der Familie Einsiedel. Briefe wurden abgefangen, sogar die Wohnungen der Nachbarn wurden "verwanzt". Die Stasi wollte sicher gehen, dass niemand über die Flucht Bescheid wusste und dass ihre Legende funktionierte.
Durch die Abhöraktion erfuhr das MfS, dass die erste Version der Legende nicht überzeugte. In West-Berlin beauftragte die Mutter Einsiedels sogar prominente Anwälte damit, Nachforschungen anzustellen. Es drohten diplomatische Verwicklungen.
Schließlich gab die Staatssicherheit den Tod Horst Einsiedels unter Angabe falscher Todesumstände zu: Einsiedel sei bei dem Versuch, durch die Havel in den Westen zu schwimmen, ertrunken. Auch diese Erklärung war für die Familie überzeugend, wie aus dem vorliegenden Abhörbericht hervorgeht.
Metadaten
- Diensteinheit:
- Bezirksverwaltung Berlin, Abteilung IX
- Datum:
- 7.6.1973
BV IX
Gen. Hänel
[handschriftliche Ergänzung: [Unterschrift: unleserlich] 12.06.73]
Berlin 7. Juni 1973/Hei
26/A 81/ 26 /73
Bd. 0699
[unterstrichen: Vertrauliche Dienstsache]
Informationsbericht vom 07.06.73
Frau [anonymisiert] aus WB möchte von der Frau [anonymisiert] wissen, ob [anonymisiert] inzwischen etwas erfahren hat.
Frau [anonymisiert] weiß, daß gestern jemand hier gewesen ist. Man hat gesagt, daß er allein ins Wasser ist und sich dort verfangen hat. Ob er einen Herzschlag bekommen hat.
Frau [anonymisiert] verneint. Er soll sich verfangen haben, weil im Wasser irgend etwas war.
Also ist er doch erschossen worden.
Frau [anonymisiert] verneint. Sie sagte doch schon, daß er ertrunken ist.
Frau [anonymisiert] kann das nicht glauben. Er ist doch so ein guter Schwimmer gewesen.