Signatur: BStU, MfS, AOP, Nr. 11806/85, Bd. 18, Bl. 115-117
Das SED-Regime hatte Biermanns künstlerische Wirkungsmöglichkeiten mit der Zeit immer weiter eingeschränkt. Trotzdem war er von der Welt nicht abgeschnitten, wie ein Stasi-Protokoll von der Geburtstagsfeier in seiner Wohnung zeigt.
Wolf Biermann, Sohn einer kommunistischen Arbeiterfamilie aus Hamburg, siedelte 1953 als Schüler in die DDR über. Er hielt den Staat für das bessere Deutschland. Dort nahm er ein Studium am Berliner Ensemble, dem von Bertolt Brecht gegründeten Theater, auf. Mit seinen Liedern und Gedichten, die er bald zu schreiben begann, geriet er zunehmend in Konflikt mit der strengen Linie der Staatspartei SED. 1965 verhängte das Politbüro ein totales Auftrittsverbot gegen den Künstler. Drüber hinaus hörte die Staatssicherheit Biermanns Wohnung und Telefongespräche ab, las seine Briefe und setzte auch Spitzel auf ihn an. Ihn einzusperren oder "verschwinden" zu lassen hätte dagegen zu viele unerwünschte internationale Reaktionen nach sich gezogen.
Obwohl seine künstlerischen Wirkungsmöglichkeiten dadurch auf private Räume eingeschränkt wurden, gewann Biermann weiterhin an Popularität – auch im Westen Deutschlands. Dort veröffentlichte er Schallplatten und Gedichtbände. Das SED-Regime konnte dies nicht verhindern und auch Auftritte des Liedermachers in anderen Staaten formal nicht verbieten. Die DDR-Oberen verweigerten ihm jedoch die Ausreise, wenn es Anfragen an den Liedermacher aus dem Ausland gab.
So war ihm der Weg nach draußen zwar versperrt, aber er war von der Welt nicht abgeschnitten. Biermanns Wohnung in der Berliner Chausseestraße wurde zum Treffpunkt für Freunde und Intellektuelle in der DDR, aus dem Westen und aus aller Welt. Davon zeugt der Bericht über eine Feier anlässlich Biermanns 38. Geburtstag, die die Staatssicherheit akribisch protokollierte.
Berlin, den 16. Dezember 1974
Information
Am 15. 11. 1974 beging Wolf Biermann seinen 38. Geburtstag, Wie in Jedem Jahr, fand an diesem Tag eine als Geburtstagsfeier bezeichnete Zusammenkunft seiner Freunde in seiner Wohnung statt, an der eine Anzahl Personen verschiedener Berufe, sozialer Schichten und Altersgruppen teilnahm.
Die Zusammenkunft begann gegen 14 Uhr und endete gegen 3 Uhr des 16. 11. 1974.
Unter den 42 namentlich festgestellten Gästen befanden sich, neben den bereits seit längerer Zeit als politisch-negativ bekannten Personen – wie
Robert Havemann mit Frau
Stefan Heym mit Frau
Klaus Schlesinger - Schriftsteller
Bettina Wegener - Sängerin
Jurek Becker – Schriftsteller –
auch solche prominenten Kulturschaffende – wie
Kunert, Günter - Schriftsteller und Träger mehrerer Kunstpreise
Esche, Eberhard - Schauspieler am Deutschen Theater Berlin, der auch als Hauptdarsteller verschiedener DEFA- und Fernsehfilme im erheblichen Maße massenwirksam ist Träger des Kunstpreises der DDR
Der Operative Vorgang (OV) war ein registrierpflichtiger Vorgang und Sammelbegriff für Einzel- bzw. Gruppenvorgänge (Registrierung, TV und ZOV). Er wurde angelegt, um im Rahmen von verdeckten, aber zum Teil auch offenen Ermittlungen gegen missliebige Personen vorgehen zu können (Anweisung 14/52 vom 10.9.1952: Vorgangsordnung; 1976 durch Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" neu geregelt).
Ausgangspunkt des OV waren zumeist Hinweise auf, aus MfS-Sicht, strafrechtlich relevante Tatbestände (in der Regel Verstöße gegen die in der DDR geltenden politischen Normen), die es zu überprüfen galt. Bestandteil der nach einem klaren Abfolgeprinzip zu erstellenden OV waren "Maßnahmepläne" und ggf. in ihnen enthaltene Maßnahmen der Zersetzung, die vor allem dann zur Anwendung gelangten, wenn eine Inhaftierung aus taktischen Erwägungen als nicht opportun galt.
Im OV ermittelte das MfS nicht nur gegen die betreffende Person, es wurden auch Erkundigungen zum familiären Umfeld, zum Freundes- und Kollegenkreis u. ä. eingeholt. Konnten Delikte keinen Personen unmittelbar zugeordnet werden (z. B. Flugblätter, Losungen, anonyme Briefe), wurde ein OV gegen unbekannt eröffnet. Darin wurden die nach den Vorstellungen des MfS potenziell als Urheber in Frage kommenden Personen dahingehend überprüft, ob ihnen die "Tat" nachzuweisen war.
Häufig ging dem OV eine Operative Personenkontrolle (OPK) voraus. OV waren mit Vorschlägen zur Ahndung der nachgewiesenen Straftatverletzungen (z. B. Ermittlungsverfahren; Anwerbung; Zersetzungsmaßnahmen) bzw. bei Nicht-Bestätigung des Ausgangsverdachts durch Einstellen der Bearbeitung abzuschließen.
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Signatur: BStU, MfS, AOP, Nr. 11806/85, Bd. 18, Bl. 115-117
Das SED-Regime hatte Biermanns künstlerische Wirkungsmöglichkeiten mit der Zeit immer weiter eingeschränkt. Trotzdem war er von der Welt nicht abgeschnitten, wie ein Stasi-Protokoll von der Geburtstagsfeier in seiner Wohnung zeigt.
Wolf Biermann, Sohn einer kommunistischen Arbeiterfamilie aus Hamburg, siedelte 1953 als Schüler in die DDR über. Er hielt den Staat für das bessere Deutschland. Dort nahm er ein Studium am Berliner Ensemble, dem von Bertolt Brecht gegründeten Theater, auf. Mit seinen Liedern und Gedichten, die er bald zu schreiben begann, geriet er zunehmend in Konflikt mit der strengen Linie der Staatspartei SED. 1965 verhängte das Politbüro ein totales Auftrittsverbot gegen den Künstler. Drüber hinaus hörte die Staatssicherheit Biermanns Wohnung und Telefongespräche ab, las seine Briefe und setzte auch Spitzel auf ihn an. Ihn einzusperren oder "verschwinden" zu lassen hätte dagegen zu viele unerwünschte internationale Reaktionen nach sich gezogen.
Obwohl seine künstlerischen Wirkungsmöglichkeiten dadurch auf private Räume eingeschränkt wurden, gewann Biermann weiterhin an Popularität – auch im Westen Deutschlands. Dort veröffentlichte er Schallplatten und Gedichtbände. Das SED-Regime konnte dies nicht verhindern und auch Auftritte des Liedermachers in anderen Staaten formal nicht verbieten. Die DDR-Oberen verweigerten ihm jedoch die Ausreise, wenn es Anfragen an den Liedermacher aus dem Ausland gab.
So war ihm der Weg nach draußen zwar versperrt, aber er war von der Welt nicht abgeschnitten. Biermanns Wohnung in der Berliner Chausseestraße wurde zum Treffpunkt für Freunde und Intellektuelle in der DDR, aus dem Westen und aus aller Welt. Davon zeugt der Bericht über eine Feier anlässlich Biermanns 38. Geburtstag, die die Staatssicherheit akribisch protokollierte.
Hagen, Eva-Maria - Schauspielerin, die gegenwärtig durch verstärkte Förderung im Fernsehen der DDR und der DEFA an Massenwirksamkeit gewinnt.
Als weitere Gäste waren zeitweise der Handelsrat der Botschaft der Republik Guinea in der DDR, Donzo , und die Ehefrau des Botschaftsrates Guineas in der DDR, Moriba, anwesend.
Biermann trug einige seiner bekannten Lieder, insbesondere Liebeslieder, vor. Teilweise im Duett mit der Eva-Maria Hagen,
Auf ausdrücklichen Wunsch Biermann´s trug der aus Leipzig anwesende exmatrikulierte Student, Sallmann, Michael, mehrere selbst verfaßte Lieder mit extrem gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR gerichteten Inhalt vor.
Darin wurde, u. a. das Schicksal einer schwangeren DDR-Bürgerin charakterisiert, die an der Staatsgrenze "im Stacheldraht von DDR-Grenzsoldaten angeschossen, verbluten muß, weil sie zu ihrem in Schweden lebenden Geliebten wollte."
Biermann stellte den Sallmann als seinen Freund vor, den er wegen dieser Lieder besonders schätzen würde.
Durch anwesende Quellen wurde übereinstimmend eingeschätzt:
Keiner der anwesenden Gäste, auch nicht die genannten profilierten Kulturschaffenden, protestierte gegen die feindlichen und negativen Ausfälle und Äußerungen des Sallmann, Biermann und anderer Gäste.
Durch ihre Anwesenheit und ihr Verhalten demonstrierten die Anwesenden, daß sie Biermann´s Auffassungen teilen, sich mit ihm solidarisieren und ihn wegen seines "Mutes und seiner künstlerischen Begabung" bewundern.
Der Operative Vorgang (OV) war ein registrierpflichtiger Vorgang und Sammelbegriff für Einzel- bzw. Gruppenvorgänge (Registrierung, TV und ZOV). Er wurde angelegt, um im Rahmen von verdeckten, aber zum Teil auch offenen Ermittlungen gegen missliebige Personen vorgehen zu können (Anweisung 14/52 vom 10.9.1952: Vorgangsordnung; 1976 durch Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" neu geregelt).
Ausgangspunkt des OV waren zumeist Hinweise auf, aus MfS-Sicht, strafrechtlich relevante Tatbestände (in der Regel Verstöße gegen die in der DDR geltenden politischen Normen), die es zu überprüfen galt. Bestandteil der nach einem klaren Abfolgeprinzip zu erstellenden OV waren "Maßnahmepläne" und ggf. in ihnen enthaltene Maßnahmen der Zersetzung, die vor allem dann zur Anwendung gelangten, wenn eine Inhaftierung aus taktischen Erwägungen als nicht opportun galt.
Im OV ermittelte das MfS nicht nur gegen die betreffende Person, es wurden auch Erkundigungen zum familiären Umfeld, zum Freundes- und Kollegenkreis u. ä. eingeholt. Konnten Delikte keinen Personen unmittelbar zugeordnet werden (z. B. Flugblätter, Losungen, anonyme Briefe), wurde ein OV gegen unbekannt eröffnet. Darin wurden die nach den Vorstellungen des MfS potenziell als Urheber in Frage kommenden Personen dahingehend überprüft, ob ihnen die "Tat" nachzuweisen war.
Häufig ging dem OV eine Operative Personenkontrolle (OPK) voraus. OV waren mit Vorschlägen zur Ahndung der nachgewiesenen Straftatverletzungen (z. B. Ermittlungsverfahren; Anwerbung; Zersetzungsmaßnahmen) bzw. bei Nicht-Bestätigung des Ausgangsverdachts durch Einstellen der Bearbeitung abzuschließen.
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Bericht über die Reaktion Wolf Biermanns auf die Ablehnung eines Reiseantrages Dokument, 3 Seiten
Bericht über die Aktivitäten von Biermann-Freunden in der DDR nach dessen Ausbürgerung Dokument, 10 Seiten
Bericht über Wolf Biermanns Auftritt in der Prenzlauer Nikolaikirche am 11. September 1976 Dokument, 4 Seiten
Reiseantrag Wolf Biermanns an das DDR-Kulturministerium vom 10. Oktober 1976 Dokument, 1 Seite