Signatur: BStU, MfS, HA IX, Nr. 10302, Bl. 168-170
Teilnehmer unabhängiger Menschenrechtsgruppen wollten die Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 nutzen, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Der Bericht dokumentiert die Festnahme eines solchen Demonstranten.
Am 17. Januar 1988 fand anlässlich des 69. Jahrestages der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg die alljährliche "Kampfdemonstration" in Ost-Berlin statt. An der Veranstaltung, an der traditionell die Partei- und Staatsführung teilnahm, beteiligten sich nach Angaben des Neuen Deutschland "über 200.000" Menschen.
Teilzunehmen beabsichtigten auch über hundert Angehörige unabhängiger Menschenrechtsgruppen und Ausreisewillige. Ihre Transparente waren mit Luxemburg-Zitaten beschriftet wie "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden" und "Wer sich nicht bewegt, spürt die Fesseln nicht". Bürgerrechtler forderten politischen Wandel in der DDR, Ausreisewillige, die ihren bislang erfolglosen Ausreiseantrag durchsetzen wollten, demonstrierten für das Recht auf Freizügigkeit.
Da die Gegendemonstranten bereits im Vorfeld die Öffentlichkeit suchten, war das Vorhaben den Sicherheitsorganen frühzeitig bekannt. Mit einer Mischung aus Drohungen, Versprechungen und Ausweisungen ergriffen sie Maßnahmen zur Absicherung der Kampfdemonstration bzw. zur Verhinderung "feindlicher" Handlungen. So wurden 150 Personen genötigt, ihr Fernbleiben von der Gedenkveranstaltung schriftlich zuzusichern.
Viele wurden in ihren Wohnungen festgehalten oder auf dem Weg zum Treffpunkt abgefangen. Dutzende Ausreisewillige wurden, zum Teil noch vor der Veranstaltung, innerhalb von 24 Stunden in den Westen abgeschoben. Die Staatssicherheitsorgane nahmen insgesamt über hundert Gegendemonstranten fest. Trotz aller Maßnahmen der Stasi gelang es Protestierenden jedoch am 17. Januar, in die Nähe des offiziellen Demonstrationszuges zu gelangen und ihre Transparente zu entrollen.
[anonymisiert], wurde das diesbezügliche Vorgehen präzisiert sowie von einer Person vornamens [anonymisiert] der 17.01.1988, 09.00 Uhr - Haus für Sport und Freizeit - als Treff bekannt gegeben. Dabei erfuhr der Beschuldigte auch von den genannten Belehrungen durch die Abteilung Inneres. Darüber hinaus wurde von [anonymisiert] auf die am 09.01.1988 beschlossenen Luxemburg-Zitate hingewiesen, über die sich der Beschuldigte bereits zuvor sachkundig gemacht hatte. Nach Konsultieren mit seiner Ehefrau [anonymisiert], die den Beschuldigten aufforderte, sich nicht auf die geplante Aktion einzulassen, entschied sich [anonymisiert] im Verlaufe des 16.01.1988 dennoch zur Teilnahme, wobei er ein selbst gefertigtes Transparent tragen wollte. Dazu schrieb er am Abend desselben Tages mit roter Nitrofarbe auf ein weißes Kinderbettlaken in den Abmessungen 100 x 80 cm die Worte: "Freiheit ist immer nur die Freiheit des anders Denkenden" und darunter die Initialen "R.L." Zum Tragen der Losung hatte er zwei etwa 90 cm lange Holzleisten vorgesehen. Farbe und Pinsel hat er noch am selben Abend vernichtet. Bereits zuvor hatte er mit [anonymisiert] vereinbart, sich um 09.00 Uhr des 17.01.1988 am angegebenen Ort zu treffen.
Am 17.01.1988 verließ der Beschuldigte gegen 08.40 Uhr in Begleitung der [anonymisiert] die eheliche Wohnung. Die Genannte führte das gefaltete Transparent in einer Plasttüte mit, während [anonymisiert] selbst die Holzleisten trug. Beim Eintreffen am vereinbarten Treffpunkt gegen 08.55 Uhr waren bereits weitere Personen der Arbeitsgruppe anwesend, die im Begriff waren, selbstgefertigte Trageelemente zu entrollen. Dies nahm [anonymisiert] zum Anlaß, sein eigenes ebenfalls auszubreiten. Der daraufhin erfolgten Konfrontation mit Sicherungskräften wich er aus, wobei es ihm gelang, das Transparent vollständig zu entrollen.
Dabei gebrauchte er die Worte: "Das ist ein Zitat von Rosa Luxemburg, ihr könnt doch nichts gegen Rosa Luxemburg haben". Unmittelbar darauf wurde ihm das Transparent entwunden und er gemeinsam mit anderen Personen durch Sicherungskräfte zum
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Signatur: BStU, MfS, HA IX, Nr. 10302, Bl. 168-170
Teilnehmer unabhängiger Menschenrechtsgruppen wollten die Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 nutzen, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Der Bericht dokumentiert die Festnahme eines solchen Demonstranten.
Am 17. Januar 1988 fand anlässlich des 69. Jahrestages der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg die alljährliche "Kampfdemonstration" in Ost-Berlin statt. An der Veranstaltung, an der traditionell die Partei- und Staatsführung teilnahm, beteiligten sich nach Angaben des Neuen Deutschland "über 200.000" Menschen.
Teilzunehmen beabsichtigten auch über hundert Angehörige unabhängiger Menschenrechtsgruppen und Ausreisewillige. Ihre Transparente waren mit Luxemburg-Zitaten beschriftet wie "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden" und "Wer sich nicht bewegt, spürt die Fesseln nicht". Bürgerrechtler forderten politischen Wandel in der DDR, Ausreisewillige, die ihren bislang erfolglosen Ausreiseantrag durchsetzen wollten, demonstrierten für das Recht auf Freizügigkeit.
Da die Gegendemonstranten bereits im Vorfeld die Öffentlichkeit suchten, war das Vorhaben den Sicherheitsorganen frühzeitig bekannt. Mit einer Mischung aus Drohungen, Versprechungen und Ausweisungen ergriffen sie Maßnahmen zur Absicherung der Kampfdemonstration bzw. zur Verhinderung "feindlicher" Handlungen. So wurden 150 Personen genötigt, ihr Fernbleiben von der Gedenkveranstaltung schriftlich zuzusichern.
Viele wurden in ihren Wohnungen festgehalten oder auf dem Weg zum Treffpunkt abgefangen. Dutzende Ausreisewillige wurden, zum Teil noch vor der Veranstaltung, innerhalb von 24 Stunden in den Westen abgeschoben. Die Staatssicherheitsorgane nahmen insgesamt über hundert Gegendemonstranten fest. Trotz aller Maßnahmen der Stasi gelang es Protestierenden jedoch am 17. Januar, in die Nähe des offiziellen Demonstrationszuges zu gelangen und ihre Transparente zu entrollen.
Zuführungspunkt abgedrängt. Bei seiner vorläufigen Festnahme verhielt sich [anonymisiert] ruhig.
Zur Motivation seiner Beteiligung sagt der Beschuldigte aus, gemeinsam mit Gleichgesinnten in der Öffentlichkeit seine Überzeugung demonstrieren zu wollen, daß er aufgrund seiner mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR nicht konform gehenden Meinung zu den "Andersdenkenden" zu rechnen sei und dies auch mit dem von ihm gefertigten Transparent zum Ausdruck bringen wollte. Er beabsichtigte, gemeinsam mit den anderen Personen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen.
Es wird vorgeschlagen, daß Ermittlungsverfahren [anonymisiert] gemäß § 217 Absatz 1 StGB kurzfristig abzuschließen.
[Unterschrift]
Voigt
Oberleutnant
Erstes Stadium des Strafverfahrens, steht formal unter Leitung des Staatsanwaltes (§ 87 StPO/1968). Die eigentlichen Ermittlungen werden von den staatlichen Untersuchungsorganen (Polizei, MfS, Zoll) durchgeführt (§ 88 StPO/1968) und vom Staatsanwalt beaufsichtigt (§ 89 StPO/1968).
Tatsächlich waren für die Ermittlungen des MfS lediglich die zuvor vom MfS ausgewählten Staatsanwälte der Abteilungen IA zuständig, die gemäß MfS-internen Regelungen keine Einsicht in Unterlagen oder Ermittlungen, die nicht der StPO entsprachen, bekommen durften. Faktisch gab es daher eine doppelte Aktenführung in der zuständigen Linie IX: den internen Untersuchungsvorgang und die für Staatsanwaltschaft und Gericht bestimmte Gerichtsakte und somit keine wirksame staatsanwaltschaftliche Aufsicht über die MfS-Ermittlungen. Einleitung wie auch Einstellung des Ermittlungsverfahrens konnten selbständig von den Untersuchungsorganen verfügt werden (§§ 98, 141 StPO/1968).
Mit dem Ermittlungsverfahren verbunden waren Eingriffe in die persönliche Freiheit Beschuldigter durch die Untersuchungsorgane wie die Beschuldigten- und Zeugenvernehmung, die Durchsuchung, die Beschlagnahme, die Festnahme oder die Untersuchungshaft. In der Tätigkeit des MfS stellte das Ermittlungsverfahren einen besonders wirksamen Teil des repressiven Vorgehens gegen politische Gegner dar.
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