Signatur: BStU, MfS, HA VI, Nr. 1308, Bl. 5-10
Am 8. April 1989 versuchten zwei DDR-Bürger, durch einen beherzten Sprint durch die Grenzübergangsstelle Chausseestraße in Berlin in den Westen zu fliehen. Erst der Warnschuss eines MfS-Angehörigen konnte die beiden stoppen.
Am 8. April 1989 wagten zwei DDR-Bürger in Ost-Berlin einen riskanten Fluchtversuch. Kurz vor halb zehn Uhr Morgens mischten sich die beiden Männer unter die Wartenden an der Grenzübergangsstelle Chausseestraße. Als der Schlagbaum auf Ostberliner Seite hochging, um ein Fahrzeug hindurchzulassen, sprinteten sie los. So schnell sie konnten rannten sie zwischen den wartenden Fahrzeugen hindurch und übersprangen zwei Barrieren. Auf den letzten Metern stellte sich ihnen ein Angehöriger der Passkontrolleinheit (PKE) in den Weg. Er gab einen Warnschuss ab, die Flüchtenden blieben sofort stehen und wurden von herbeigeeilten Soldaten der Grenztruppen und Angehörigen der PKE festgenommen.
Den spektakulären Fluchtversuch beschreibt das vorliegende Dokument minutiös. Verfasst hat es die zur Hauptabteilung VI der Staatssicherheit zählende zuständige Passkontrolleinheit. Der Fall wurde auch deswegen genau dokumentiert, weil er im Westen für Schlagzeilen gesorgt hatte. Schaulustige, die von Westberlin aus den Betrieb der Grenzübergangsstelle hatten beobachten wollen, waren Zeuge der dramatischen Ereignisse geworden.
mit seinem Kfz Citroen, polizeiliches Kennzeichen [geschwärzt], im Güstbereich zur Einreiseabfertigung auf, der die Handlungen im Postenbereich visuell wahrnehmen konnte.
Der versuchte Grenzdurchbruch war unter den gegebenen Bedingungen erst im Sicherungsbereich Vorfeld und auch nur durch die Abgabe des Warnschusses zu verhindern. Auf den Mitarbeiter in diesem Bereich (Einzelposten) rannten 20 Sekunden nach der Alarmauslösung zwei 27jährige sportlich trainierte Männer aus verschiedenen Richtungen kommend zu, die mit körperlicher Gewalt nicht mehr aufzuhalten waren.
Hauptabteilung VI (Passkontrolle, Tourismus, Interhotel)
Die Hauptabteilung VI befasste sich mit dem grenzüberschreitenden Reiseverkehr. Sie wurde 1970 durch Fusion der Arbeitsgruppen "Passkontrolle und Fahndung" und "Sicherung des Reiseverkehrs" sowie der Zoll-Abwehr (Überwachung der Zoll-Mitarbeiter) gebildet. Die Hauptabteilung VI hatte an den Grenzübergängen der DDR die Reisenden zu kontrollieren und abzufertigen. Deshalb waren die DDR-Passkontrolleure hauptamtliche Mitarbeiter der Hauptabteilung VI. Zur Tarnung trugen sie Uniformen der Grenztruppen. Zunächst war 1950 die Grenzpolizei mit der Grenzabfertigung beauftragt worden.
Bei der Hauptabteilung VI wurden die Daten der Einreisenden einer ersten Analyse unterzogen, um politisch-operativ interessante Personen herauszufiltern. Die Grenzkontrolle umfasste für die Hauptabteilung VI auch die Überwachung der westlichen Grenzkontrollstellen, in Westberlin auch die der Flughäfen Tegel und Tempelhof sowie der Polizei und des Grenzzolldienstes. Zum Verantwortungsbereich der Hauptabteilung VI gehörte die lückenlose Überwachung der Transitstrecken von und nach Westberlin. Bei ihr liefen Avisierungen für bevorzugte Grenzabfertigungen zusammen.
1970 übernahm sie von der Hauptabteilung XX/5 die Aufgabe, Fluchtversuche zu unterbinden und Fluchthelfer im Westen zu verfolgen, was 1975/76 zu Teilen an die Zentrale Koordinierungsgruppe überging (Republikflucht). Die Hauptabteilung VI überwachte touristische Einrichtungen in der DDR, darunter die Reisebüros und die Interhotels. Ebenso kontrollierte sie DDR-Bürger bei ihren Reisen ins sozialistische Ausland, um Kontakte zu westlichen Staatsbürgern und Fluchtversuche ggf. zu unterbinden.
Die Operativgruppen des MfS in der ČSSR, Ungarn und Bulgarien waren ihr von 1970 bis 1989 unterstellt. 1989 gab sie deren Leitung an die Hauptabteilung II (HA II) ab. Im Verantwortungsbereich der Hauptabteilung VI wurden 1979–1981 drei Mordanschläge auf den Fluchthelfer Wolfgang Welsch durchgeführt, die dieser nur knapp überlebte.
Charakteristisch für die Hauptabteilung VI war die enge Kooperation mit vielen MfS-Diensteinheiten und anderen Institutionen wie Grenztruppen und Zoll, da im Bereich der Hauptabteilung VI eine Vielzahl von relevanten Erstinformationen und Daten zusammenkam. 1985 führte die Hauptabteilung VI 1.064 IM, darunter 67 West-IM, von denen 62 in Westberlin lebten.
An den Grenzübergangsstellen (Güst) der DDR führten Passkontrolleinheiten (PKE) der Staatssicherheit die Identitätskontrollen und Fahndungsmaßnahmen durch und überwachten auf diese Weise den gesamten grenzüberschreitenden Verkehr. Im Zuge der Kontrollen realisierten sie auch operative Maßnahmen im Auftrag anderer Diensteinheiten des MfS. Die in den Uniformen der Grenztruppen auftretenden Angehörigen der PKE gehörten zur Linie VI des MfS (Passkontrolle, Tourismus, Interhotel).
Die Passkontrolle war seit 1962 in der Kompetenz des MfS, als das Aufgabengebiet vom Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs auf die damals neu gegründete Arbeitsgruppe Passkontrolle und Fahndung überging. Hintergrund war u. a. die sich nach dem Mauerbau entwickelnde Fluchthilfe.
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Fotodokumentation eines Fluchtversuchs auf der Grenzübergangsstelle Chausseestraße Dokument, 4 Seiten
Lageplan der Grenzübergangsstelle Chausseestraße mit Skizze des Verlaufs eines Fluchtversuches Dokument, 1 Seite
Weisung zur Sicherheit und Ordnung auf der Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße Dokument, 26 Seiten
Befehl an die Grenztruppen über das Aussetzen des Schusswaffengebrauchs Dokument, 1 Seite