Signatur: BStU, MfS, AS, Nr. 173/66, Bl. 3-6
In Berlin standen sich Ost und West im Kalten Krieg direkt gegenüber. Das führte, besonders in den 50er Jahren, immer wieder zu kleineren Scharmützeln, wie ein Bericht über die Entführung von West-Berliner Polizisten zeigt.
Am 8. Februar 1950 wurde das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) mitten in einer heißen Phase des Kalten Krieges gegründet. Vorausgegangen war eine sich verschärfende Konfrontation zwischen den Supermächten USA und UdSSR, die auch in Berlin ihre Auswirkungen zeigte. Ein Beispiel dafür ist die Blockade West-Berlins durch die Sowjetunion 1948/1949. Die Bevölkerung der abgeriegelten Stadt konnte damals nur über eine von den USA eingerichtete Luftbrücke versorgt werden.
Im Sommer 1950 brach der Korea-Krieg aus, den die beiden Supermächte und China als Stellvertreterkrieg führten. In Europa gab es bis zum Ende des Kalten Krieges keine militärischen Auseinandersetzungen. Kleinere Scharmützel zwischen Ost und West fanden an den Brennpunkten des Kalten Krieges allerdings auch statt, wie ein Bericht der Ost-Berliner Volkspolizei an das MfS zeigt.
Diese hatte, nach einem gescheiterten Versuch, bewaffnete Einheiten der West-Berliner Polizei beim Überschreiten der damals noch relativ frei passierbaren Sektorengrenzen festgenommen. Im Bericht wird die Westberliner Polizei, nach deren Präsident Johannes Stumm, Stummpolizei genannt. Die Volkspolizei handelte im Auftrag der sowjetischen Kontrollkommission (SKK). Die SKK war eine bis 1953 bestehende Institution der sowjetischen Besatzungsmacht zur Überwachung und Anleitung der Führung der DDR. Im Bericht werden die beiden Mitglieder dieses Gremiums Iwan Jelisarow und Wladimir Semjonowitsch Semjonow erwähnt.
Vorausgegangen war offensichtlich eine nicht näher erläuterte Verhaftung von Volkspolizisten durch die West-Berliner Polizei. Im Stile eines Agentenaustausches wurden schlussendlich alle Beteiligten wieder freigelassen.
In der Anlage des Berichtes befindet sich ein Augenzeugenbericht über einen gescheiterten Versuch zur Festnahme von West-Berliner Polizisten am 14. September 1950. Diese sollten durch Provokationen in den Ostsektor (im Text: demokratischer Sektor) der Stadt gelockt und dann festgesetzt werden. Das Unternehmen endete in einem Desaster.
Ausser einigen Reportern, die während der Inhaftierung versuchten, mit den Volkspolizisten zu sprechen, hatten sie nur mit Angehörigen der Friesenstrasse zu tun und sagen übereinstimmend aus, dass sie mit keiner ausländischen Dienststelle in Berührung gekommen sind.
Die Stimmung der Transport-Polizisten nach ihrer Entlassung aus der Friesenstrasse war ausserordentlich gut.
Bei keinem der Festgenommenen konnte man eine unsichere Haltung erkennen.
(Fruck)
VP - Inspekteur
Die Allgemeine Sachablage (AS) ist Bestand 2 der Abteilung XII. Der Bestand enthält v. a. sachbezogene Unterlagen. Größte Registraturbildner waren die HA I, die HA IX und das BdL. Des Weiteren liegen hier auch Vorgangshefte und Objektvorgänge sowie Akten der MfS-Vorgänger. Inhalte sind u. a. Ermittlungen zu Havarien und Unfällen, Untersuchungen von Widerstand und Flucht, Berichterstattung an die SED, Eingabenbearbeitung, Kontakte mit Ostblock-Diensten und Sicherung von Großveranstaltungen. Der Bestand ist zugänglich über ein BStU-Findbuch und die F 16. Der Umfang beträgt 490 lfm.
Entführungen, also Verschleppungen im Sinne des Strafrechts (in den Akten auch Überführung ), waren bis in die 70er Jahre elementare Bestandteile in der Strategie und Taktik der DDR-Geheimpolizei.
In dem 1969 von der Juristischen Hochschule des MfS erarbeiteten "Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit" wird das Delikt einer Entführung als "Erscheinungsform von Terrorverbrechen" definiert. "Sie ist das Verbringen von Menschen gegen ihren Willen unter Anwendung spezifischer Mittel und Methoden (Gewalt, Drohung, Täuschung, Narkotika, Rauschmittel u. a.) von ihrem ursprünglichen Aufenthaltsort in andere Orte, Staaten oder Gebiete." Unbeabsichtigt erfasst diese Definition exakt auch die Entführungen, die das MfS "im Operationsgebiet" verübt hat.
Entführungen entsprachen den Traditionen und Praktiken der sowjetischen "Tschekisten". Nicht zufällig haben Instrukteure und Agenten der KGB-Dependance in Ostberlin bis Mitte der 50er Jahre auch bei Entführungen aus Westberlin und Westdeutschland mit dem MfS eng kooperiert. Entführungen wurden in der Verantwortung jedes der drei Minister für Staatssicherheit durchgeführt, die die DDR unter der Diktatur der SED hatte. Weder Zaisser noch Mielke setzten sie allerdings so planmäßig und aggressiv ein wie Wollweber. Unter seiner Ägide fanden die meisten Entführungen statt – wenn auch unter Mielkes verantwortlicher Mitwirkung.
Die Zuständigkeit für Entführungsaktionen im Apparat der Staatssicherheit ist anhand interner Direktiven, Befehle und Maßnahmenpläne genau bestimmbar. Erstens waren sie stets Chefsache. Der Minister war jeweils in die Pläne zur Vorbereitung und Durchführung einer Verschleppung eingebunden. Die letzte Entscheidung lag bei ihm. Unmittelbar mit Entführungen befasst waren im MfS zweitens die Leiter verschiedener Hauptabteilungen, in deren Diensteinheiten operative Vorgänge zu entsprechenden Zielpersonen bearbeitet wurden. Das konnte die für Spionageabwehr zuständige Hauptabteilung II sein oder die seinerzeitige Hauptabteilung V (seit 1964 Hauptabteilung XX), der u. a. die Bekämpfung "politischer Untergrundarbeit" zugewiesen war. Überläufer aus den bewaffneten Organen wurden von Diensteinheiten der Hauptabteilung I – der sog. Militärabwehr – operativ bearbeitet. Sie alle verfügten zum Zweck grenzüberschreitender Aktionen über geeignete IM und spezielle Einsatzgruppen. Flankierende Hilfsdienste hatten die Hauptabteilung VIII zu leisten, die für Operative Ermittlungen und Festnahmen zuständig war, sowie die für Spionage und aktive Maßnahmen zuständige Hauptverwaltung A.
Die Gesamtzahl der vom MfS versuchten und vollendeten Entführungen ist nach empirischen Untersuchungen, die für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit" durchgeführt wurden, auf maximal 700 zu veranschlagen. Die Historikerin Susanne Muhle beziffert sie für die Zeit zwischen 1950 und Mitte der 60er Jahre auf 400 bis 500. Exakte Angaben sind infolge der streng konspirativ abgeschirmten Vorgehensweise des MfS bei Entführungsaktionen nicht möglich. Sie sind im Grunde genommen auch irrelevant. Entscheidend ist, dass Entführungen im Apparat des MfS institutionell verankert waren.
Ganz im Sinne der MfS-spezifischen Definition sind generell drei taktische, manchmal kombinierte Entführungsvarianten zu unterscheiden: Verschleppungen unter Anwendung physischer Gewalt; Verschleppungen unter Anwendung von Betäubungsmitteln sowie Entführungen vermittelst arglistiger Täuschung.
Die Zielgruppen MfS-getätigter Entführungen lassen sich wie folgt umreißen: hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS, die zu "Verrätern" geworden und "zum Klassenfeind übergelaufen" waren; Mitarbeiter westlicher Nachrichtendienste; Mitarbeiter der Ostbüros von SPD, CDU, LDP und DGB sowie der KgU und des UFJ in Westberlin; Überläufer aus der Volkspolizei und der Nationalen Volksarmee; abtrünnige Genossen aus den Reihen der SED; regimekritische Journalisten und westliche Fluchthelfer speziell nach dem 13. August 1961.
Während MfS-extern Entführungen strengster Geheimhaltung unterlagen, wurden sie in den 50er Jahren MfS-intern in Befehlen bekannt gegeben, soweit es sich um "zurückgeholte" Überläufer gehandelt hatte. Potenzielle Nachahmer sollten abgeschreckt werden. Zum Beispiel hieß es in dem Stasi-Befehl 134/55 vom 7. Mai 1955, mit dem intern die Hinrichtung zweier "Verräter" zur Kenntnis gebracht wurde:"Wer aus unseren Reihen Verrat an der Partei, an der Arbeiterklasse und an der Sache des Sozialismus übt, hat die strengste Strafe verdient. Die Macht der Arbeiterklasse ist so groß und reicht so weit, dass jeder Verräter zurückgeholt wird oder ihn in seinem vermeintlich sicheren Versteck die gerechte Strafe ereilt." "Strengste Strafe" hieß unter Umständen Todesstrafe. In mindestens 20 Fällen ist sie gegen Entführungsopfer verhängt und vollstreckt worden. Zumeist wurden langjährige Freiheitsstrafen ausgesprochen. Nicht wenige Entführungsopfer sind in der Haft verstorben – in Einzelfällen durch Suizid.
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.
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Signatur: BStU, MfS, AS, Nr. 173/66, Bl. 3-6
In Berlin standen sich Ost und West im Kalten Krieg direkt gegenüber. Das führte, besonders in den 50er Jahren, immer wieder zu kleineren Scharmützeln, wie ein Bericht über die Entführung von West-Berliner Polizisten zeigt.
Am 8. Februar 1950 wurde das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) mitten in einer heißen Phase des Kalten Krieges gegründet. Vorausgegangen war eine sich verschärfende Konfrontation zwischen den Supermächten USA und UdSSR, die auch in Berlin ihre Auswirkungen zeigte. Ein Beispiel dafür ist die Blockade West-Berlins durch die Sowjetunion 1948/1949. Die Bevölkerung der abgeriegelten Stadt konnte damals nur über eine von den USA eingerichtete Luftbrücke versorgt werden.
Im Sommer 1950 brach der Korea-Krieg aus, den die beiden Supermächte und China als Stellvertreterkrieg führten. In Europa gab es bis zum Ende des Kalten Krieges keine militärischen Auseinandersetzungen. Kleinere Scharmützel zwischen Ost und West fanden an den Brennpunkten des Kalten Krieges allerdings auch statt, wie ein Bericht der Ost-Berliner Volkspolizei an das MfS zeigt.
Diese hatte, nach einem gescheiterten Versuch, bewaffnete Einheiten der West-Berliner Polizei beim Überschreiten der damals noch relativ frei passierbaren Sektorengrenzen festgenommen. Im Bericht wird die Westberliner Polizei, nach deren Präsident Johannes Stumm, Stummpolizei genannt. Die Volkspolizei handelte im Auftrag der sowjetischen Kontrollkommission (SKK). Die SKK war eine bis 1953 bestehende Institution der sowjetischen Besatzungsmacht zur Überwachung und Anleitung der Führung der DDR. Im Bericht werden die beiden Mitglieder dieses Gremiums Iwan Jelisarow und Wladimir Semjonowitsch Semjonow erwähnt.
Vorausgegangen war offensichtlich eine nicht näher erläuterte Verhaftung von Volkspolizisten durch die West-Berliner Polizei. Im Stile eines Agentenaustausches wurden schlussendlich alle Beteiligten wieder freigelassen.
In der Anlage des Berichtes befindet sich ein Augenzeugenbericht über einen gescheiterten Versuch zur Festnahme von West-Berliner Polizisten am 14. September 1950. Diese sollten durch Provokationen in den Ostsektor (im Text: demokratischer Sektor) der Stadt gelockt und dann festgesetzt werden. Das Unternehmen endete in einem Desaster.
Abschrift
Berlin, den 15.9.1950
Augenzeugen-Bericht über den Vorfall, der sich am 14.9.50 gegen 0.20 Uhr in der Chaussee- Ecke Liesenstrasse ereignete:
Am 14.9.1950 gegen 0.15 Uhr trat eine Malkolonne in Stärke von 5 Mann in der Chausseestrasse unmittelbar westlich der Liesenstrasse auf und beschriftete den nördlichen Gehsteig der Chausseestrasse, welcher zum französischen Sektor gehört, mit der Parole:
"Ami go home!"
Die daneben stehenden 2 Stummpolizisten forderten die Malkolonne auf, sofort die Beschriftung des Gehsteigs einzustellen. Die Angehörigen dieser Kolonne kümmerten sich nicht um die Einwände, sondern forderten die Stummpolizisten auf, zu verschwinden. Daraufhin zog sich der eine Stummpolizist zur Liesenstrasse zurück und benutzte die dort befindliche Klinke, um das Überfallkommando zu alarmieren. Der zweite Stummpolizist zog sich ebenfalls etwas zurück und nach einigen Minuten gingen beide wieder auf die Malkolonne zu.
Die Angehörigen der Malkolonne bewarfen die beiden Stummpolizisten mit Pinsel und Eimer und setzten sich zum demokratischen Sektor ab. Die beiden Stummpolizisten schlugen auf sie ein und es entstand ein Handgemenge, woraufhin der eine Stummpolizist zu Boden fiel. Der andere zog nun die Pistole und gab 2 gezielte Schüsse ab. 1 Zivilist erhielt einen linken Armdurchschuss. Ein anderer wurde mit dem Holzknüppel niedergeschlagen und brach besinnungslos zusammen.
Das Feuer wurde erwidert. Der zu Boden gestürzte Stummpolizist konnte sich während dieses kurzen Feuerwechsels von der Erde erheben und zog sich in den französischen Sektor zurück.
Kurz nachdem der Besinnungslose davon getragen wurde, erschienen mehrere Funkwagen; einige Minuten später 2 Überfallwagen der Volkspolizei und nahmen an der Sektorengrenze Aufstellung. 1 Stummpolizist sprach das Überfallkommando an und erklärte, dass Jugendliche politische Parolen gemalt hätten, diese von der Streife gstellt werden sollten und die Streife, nachdem sie mit den Jugendlichen in ein Handgemenge kam, von Zivilisten beschossen wurde. 1 Stummpolizist sei schwer verletzt und 1 Kamerad verschwunden.
Die Annahme der Stummpolizei, dass 1 Kamerad verschwunden sei, muss darauf zurückzufphren sein, dass Zivilpersonen den Abtransport des besinnungslosen Zivilisten beobachteten und diesen aller Wahscheinlichkeit nach als Angehörigen der Stummpolizei bezeichneten.
Die beiden Überfallkommandos der Volkspolizei zogen sich nunmehr zurück und hinterliessen eine Doppelstreife des zuständigen VP - Reviers.
Inzwischen hatten sich 4 Funkwagen und 1 Mannschaftswagen der Stummpolizei eingefunden. Der Mannschaftswagen wurde kurz nach dem Einsatz wieder abgezogen.
1 Überfallwagen der Volkspolizei wurde zur verstärkten Sicherung auf dem VP - Revier 4 stationiert.
In der Folge ereigneten sich keine weiteren Zwischenfälle.
gez. [geschwärzt]
Die Allgemeine Sachablage (AS) ist Bestand 2 der Abteilung XII. Der Bestand enthält v. a. sachbezogene Unterlagen. Größte Registraturbildner waren die HA I, die HA IX und das BdL. Des Weiteren liegen hier auch Vorgangshefte und Objektvorgänge sowie Akten der MfS-Vorgänger. Inhalte sind u. a. Ermittlungen zu Havarien und Unfällen, Untersuchungen von Widerstand und Flucht, Berichterstattung an die SED, Eingabenbearbeitung, Kontakte mit Ostblock-Diensten und Sicherung von Großveranstaltungen. Der Bestand ist zugänglich über ein BStU-Findbuch und die F 16. Der Umfang beträgt 490 lfm.
Entführungen, also Verschleppungen im Sinne des Strafrechts (in den Akten auch Überführung ), waren bis in die 70er Jahre elementare Bestandteile in der Strategie und Taktik der DDR-Geheimpolizei.
In dem 1969 von der Juristischen Hochschule des MfS erarbeiteten "Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit" wird das Delikt einer Entführung als "Erscheinungsform von Terrorverbrechen" definiert. "Sie ist das Verbringen von Menschen gegen ihren Willen unter Anwendung spezifischer Mittel und Methoden (Gewalt, Drohung, Täuschung, Narkotika, Rauschmittel u. a.) von ihrem ursprünglichen Aufenthaltsort in andere Orte, Staaten oder Gebiete." Unbeabsichtigt erfasst diese Definition exakt auch die Entführungen, die das MfS "im Operationsgebiet" verübt hat.
Entführungen entsprachen den Traditionen und Praktiken der sowjetischen "Tschekisten". Nicht zufällig haben Instrukteure und Agenten der KGB-Dependance in Ostberlin bis Mitte der 50er Jahre auch bei Entführungen aus Westberlin und Westdeutschland mit dem MfS eng kooperiert. Entführungen wurden in der Verantwortung jedes der drei Minister für Staatssicherheit durchgeführt, die die DDR unter der Diktatur der SED hatte. Weder Zaisser noch Mielke setzten sie allerdings so planmäßig und aggressiv ein wie Wollweber. Unter seiner Ägide fanden die meisten Entführungen statt – wenn auch unter Mielkes verantwortlicher Mitwirkung.
Die Zuständigkeit für Entführungsaktionen im Apparat der Staatssicherheit ist anhand interner Direktiven, Befehle und Maßnahmenpläne genau bestimmbar. Erstens waren sie stets Chefsache. Der Minister war jeweils in die Pläne zur Vorbereitung und Durchführung einer Verschleppung eingebunden. Die letzte Entscheidung lag bei ihm. Unmittelbar mit Entführungen befasst waren im MfS zweitens die Leiter verschiedener Hauptabteilungen, in deren Diensteinheiten operative Vorgänge zu entsprechenden Zielpersonen bearbeitet wurden. Das konnte die für Spionageabwehr zuständige Hauptabteilung II sein oder die seinerzeitige Hauptabteilung V (seit 1964 Hauptabteilung XX), der u. a. die Bekämpfung "politischer Untergrundarbeit" zugewiesen war. Überläufer aus den bewaffneten Organen wurden von Diensteinheiten der Hauptabteilung I – der sog. Militärabwehr – operativ bearbeitet. Sie alle verfügten zum Zweck grenzüberschreitender Aktionen über geeignete IM und spezielle Einsatzgruppen. Flankierende Hilfsdienste hatten die Hauptabteilung VIII zu leisten, die für Operative Ermittlungen und Festnahmen zuständig war, sowie die für Spionage und aktive Maßnahmen zuständige Hauptverwaltung A.
Die Gesamtzahl der vom MfS versuchten und vollendeten Entführungen ist nach empirischen Untersuchungen, die für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit" durchgeführt wurden, auf maximal 700 zu veranschlagen. Die Historikerin Susanne Muhle beziffert sie für die Zeit zwischen 1950 und Mitte der 60er Jahre auf 400 bis 500. Exakte Angaben sind infolge der streng konspirativ abgeschirmten Vorgehensweise des MfS bei Entführungsaktionen nicht möglich. Sie sind im Grunde genommen auch irrelevant. Entscheidend ist, dass Entführungen im Apparat des MfS institutionell verankert waren.
Ganz im Sinne der MfS-spezifischen Definition sind generell drei taktische, manchmal kombinierte Entführungsvarianten zu unterscheiden: Verschleppungen unter Anwendung physischer Gewalt; Verschleppungen unter Anwendung von Betäubungsmitteln sowie Entführungen vermittelst arglistiger Täuschung.
Die Zielgruppen MfS-getätigter Entführungen lassen sich wie folgt umreißen: hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS, die zu "Verrätern" geworden und "zum Klassenfeind übergelaufen" waren; Mitarbeiter westlicher Nachrichtendienste; Mitarbeiter der Ostbüros von SPD, CDU, LDP und DGB sowie der KgU und des UFJ in Westberlin; Überläufer aus der Volkspolizei und der Nationalen Volksarmee; abtrünnige Genossen aus den Reihen der SED; regimekritische Journalisten und westliche Fluchthelfer speziell nach dem 13. August 1961.
Während MfS-extern Entführungen strengster Geheimhaltung unterlagen, wurden sie in den 50er Jahren MfS-intern in Befehlen bekannt gegeben, soweit es sich um "zurückgeholte" Überläufer gehandelt hatte. Potenzielle Nachahmer sollten abgeschreckt werden. Zum Beispiel hieß es in dem Stasi-Befehl 134/55 vom 7. Mai 1955, mit dem intern die Hinrichtung zweier "Verräter" zur Kenntnis gebracht wurde:"Wer aus unseren Reihen Verrat an der Partei, an der Arbeiterklasse und an der Sache des Sozialismus übt, hat die strengste Strafe verdient. Die Macht der Arbeiterklasse ist so groß und reicht so weit, dass jeder Verräter zurückgeholt wird oder ihn in seinem vermeintlich sicheren Versteck die gerechte Strafe ereilt." "Strengste Strafe" hieß unter Umständen Todesstrafe. In mindestens 20 Fällen ist sie gegen Entführungsopfer verhängt und vollstreckt worden. Zumeist wurden langjährige Freiheitsstrafen ausgesprochen. Nicht wenige Entführungsopfer sind in der Haft verstorben – in Einzelfällen durch Suizid.
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.
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