Signatur: BArch, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 11386, Bl. 346-348
Um die in der DDR existierenden Neonazi-Gruppen zu zerschlagen, setzte die Stasi einzelne Mitglieder in "Vorbeugungsgesprächen" unter Druck. Die zumeist Jugendlichen sollten sich nach Belehrungen und Drohungen der Stasi von ihren rechtsextremen Freunden lösen.
Am Abend des 17. Oktobers 1987 überfielen rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche. Neben der Punkband "Die Firma" spielte auf dem Konzert auch "Element of Crime" aus West-Berlin. Als die Konzertbesucherinnen und -besucher die vollbesetzte Kirche verließen, schlugen etwa 30 angetrunkene Neonazis aus Ost- und West-Berlin auf sie ein. Dabei brüllten sie faschistische Parolen wie "Juden raus", "Kommunistenschweine" und "Sieg Heil!". Anwesende Volkspolizisten registrierten das Geschehen, hielten sich aber im Hintergrund und griffen erst ein, nachdem ein Notruf eingegangen war.
Bei den anschließenden Ermittlungen arbeiteten Staatssicherheit und Volkspolizei eng zusammen. Der Überfall auf die Zionskirche zeigte, dass es trotz der geleugneten Existenz von Rechtsextremismus in der DDR eine gewaltbereite Neonazi-Szene gab. Da westliche Medien bereits einen Tag später über den Vorfall berichteten, konnten auch die DDR-Medien dieses Ereignis nicht mehr stillschweigend übergehen. Für die Gerichtsverfahren stimmte sich die Staatssicherheit eng mit der Justiz der DDR ab. Im ersten Prozess erhielten die vier Hauptangeklagten zunächst unerwartet niedrige Strafen zwischen einem und zwei Jahren Haft. Nachdem es Proteste gegen die Urteile gegeben hatte, forderte die Generalstaatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Obersten Gericht der DDR in den Berufungsverhandlungen ein höheres Strafmaß. Die Neonazis aus Ost-Berlin erhielten schließlich Haftstrafen bis zu vier Jahren.
Mit sogenannten "Vorbeugungsgesprächen" versuchte die Stasi, bekannte Skinheads zu disziplinieren und einzuschüchtern. In dem vorliegenden Bericht eines solchen Gesprächs beteuert ein junger Neonazi, dass er sich von der Skinhead-Szene bereits distanziert habe und "er als Skinhead keine Perspektive mehr sehe". Der verantwortliche MfS-Mitarbeiter befragte den Jugendlichen zu Freunden und Freizeitverhalten und belehrte ihn abschließend darüber, sich von entsprechenden Neonazi-Kreisen fernzuhalten.
[handschriftliche Ergänzung: Skin]; [handschriftliche Ergänzung, rot: 9992]; [Unterschrift:[nicht lesbar]]; [Unterschrift: [nicht lesbar]]
Abteilung XX/2
Berlin, 13.01.1988
fl-kä 4 25 86
[Unterschrift: [nicht lesbar]]
Bericht zu einem Vorbeugegespräch
Am 11.01.88 wurde mit dem
[anonymisiert]
[anonymisiert] in Berlin
[anonymisiert]
erf. XX/2
durch den Gen. Ltn. Breski und Unterzeichner in der Zeit von 17:00 bis 18:00 Uhr in der Wohnung der Eltern (Adresse s.o.) ein Vorbeugegespräch geführt, da bekannt ist, daß sich der [anonymisiert] zu den Skinheads bekennt und bereits mehrere Male in dieser Richtung in Erscheinung getreten ist.
Gen. Ltn. Breski und Unterzeichner stellten sich als Mitarbeiter der BVfS Berlin vor, die sich mit der Problematik der Skinheads beschäftigen und solchen Erscheinungen vorbeugen wollen.
Zu Beginn des Gespräches wurde die Bedeutung der Problematik der Erscheinung der Skinheads, insbesondere das rowdyhafte Auftreten verbunden mit neofaschistischen Provokationen, als gesellschaftstypische Erscheinung dargelegt und daß wir soetwas in unserer Gesellschaft nicht dulden.
Der [anonymisiert] wurde befragt, wie er zur Skinhead-Problematik steht. Seit den Vorkommnissen vom 11.12.87 im Jugendklub Dolgensesstr. habe er sich von seinen Freunden losgesagt hat, die sich zu den Skinheads bekennen. Zu seinen engsten Freunden zählen
[anonymisiert]
[anonymisiert]
erf. XX/2
[anonymisiert]
[anonymisiert].
Befragt, wie der [anonymisiert] dazu gekommen sei, sich in Skinhead-Gruppierungen zu beteiligen, äußerte er, daß es mit Diskobesuchen in der Klubgaststätte "Kalinka" begonnen hatte, wo er den [anonymisiert] kennenlernte. Zu ihm entwickelte sich eine Freundschaft, so daß er mit ihm vorwiegend die Gaststätte "Komet" besuchte, um sich dort zu unterhalten und Bier zu trinken.
Die Gaststätte "Komet" wurde zur überwiegenden Aufenthaltsstätte, Diskobesuche in der KG "Kalinka" fanden nur noch selten statt. Als Mitglieder der Gruppierung benannte der [anonymisiert], folgende Personen:
[anonymisiert]
[anonymisiert]
erf. XX/2
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Signatur: BArch, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 11386, Bl. 346-348
Um die in der DDR existierenden Neonazi-Gruppen zu zerschlagen, setzte die Stasi einzelne Mitglieder in "Vorbeugungsgesprächen" unter Druck. Die zumeist Jugendlichen sollten sich nach Belehrungen und Drohungen der Stasi von ihren rechtsextremen Freunden lösen.
Am Abend des 17. Oktobers 1987 überfielen rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche. Neben der Punkband "Die Firma" spielte auf dem Konzert auch "Element of Crime" aus West-Berlin. Als die Konzertbesucherinnen und -besucher die vollbesetzte Kirche verließen, schlugen etwa 30 angetrunkene Neonazis aus Ost- und West-Berlin auf sie ein. Dabei brüllten sie faschistische Parolen wie "Juden raus", "Kommunistenschweine" und "Sieg Heil!". Anwesende Volkspolizisten registrierten das Geschehen, hielten sich aber im Hintergrund und griffen erst ein, nachdem ein Notruf eingegangen war.
Bei den anschließenden Ermittlungen arbeiteten Staatssicherheit und Volkspolizei eng zusammen. Der Überfall auf die Zionskirche zeigte, dass es trotz der geleugneten Existenz von Rechtsextremismus in der DDR eine gewaltbereite Neonazi-Szene gab. Da westliche Medien bereits einen Tag später über den Vorfall berichteten, konnten auch die DDR-Medien dieses Ereignis nicht mehr stillschweigend übergehen. Für die Gerichtsverfahren stimmte sich die Staatssicherheit eng mit der Justiz der DDR ab. Im ersten Prozess erhielten die vier Hauptangeklagten zunächst unerwartet niedrige Strafen zwischen einem und zwei Jahren Haft. Nachdem es Proteste gegen die Urteile gegeben hatte, forderte die Generalstaatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Obersten Gericht der DDR in den Berufungsverhandlungen ein höheres Strafmaß. Die Neonazis aus Ost-Berlin erhielten schließlich Haftstrafen bis zu vier Jahren.
Mit sogenannten "Vorbeugungsgesprächen" versuchte die Stasi, bekannte Skinheads zu disziplinieren und einzuschüchtern. In dem vorliegenden Bericht eines solchen Gesprächs beteuert ein junger Neonazi, dass er sich von der Skinhead-Szene bereits distanziert habe und "er als Skinhead keine Perspektive mehr sehe". Der verantwortliche MfS-Mitarbeiter befragte den Jugendlichen zu Freunden und Freizeitverhalten und belehrte ihn abschließend darüber, sich von entsprechenden Neonazi-Kreisen fernzuhalten.
[anonymisiert]
[anonymisiert]
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[anonymisiert].
Befragt nach den Ereignissen vom 11.12.87 im JK Dolgenseestr. sagte der [anonymisiert], daß er bezüglich der vorgehaltenen Sachverhalte (entspr. § 220), wie z.B. Rufen faschistischer Parolen oder faschistische Grußerweisungen, nichts feststellen konnte. Ihm sei lediglich durch seine Befragung in der Rathausstr, (K Lichtenberg) bekanntgeworden, daß nach der Veranstaltung im JK Dolgenseestr. ein chilenischer Liedermacher verprügelt worden sei.
Außer [anonymisiert] und [anonymisiert] waren alle bereits genannten Personen bei dieser Veranstaltung im Jugendklub Dolgenseestr.
Weiterhin wurde der [anonymisiert] zu seiner Einstellung zu den "Punks" befragt. Er sagte, daß er Punks nicht gut findet und diese verachtet, da diese nicht arbeiten gehen, wobei er betonte, daß es für Skinheads selbstverständlich sei, zu arbeiten.
Für Geschichte interessiert sich der [anonymisiert] in geringem Maße. Literarisch interessiert er sich für Bücher aus der "NL-Konkret"-Reihe, wie z.B. "Das Todeskommando", "The show must go on".
Nach seiner Stellung zum Alkohol befragt, äußerte der [anonymisiert], daß er gerne ein Bier trinken geht, wobei er das vorwiegend mit seinen Freunden tut.
Zur Zeit habe der A. sich wieder seinen alten Schulfreunden zugewandt, mit denen er wieder öfter weggeht. Zu der "Kalinka"- bzw. Lichtenberger Skinhead-Gruppierungen hätte er keinen Kontakt mehr, da sich viele zur Zeit in Haft befinden. Was die übrigen ehemaligen Freunde des A. machen, weiß er angeblich auch nicht. Er sagte, daß er als Skinhead keine Perspektive mehr sehe.
Strafprozessrechtlich zulässige Möglichkeit der offiziellen Kontaktaufnahme mit Verdächtigen, Zeugen und anderen Personen noch vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (strafprozessuales Prüfungsstadium). Verdächtige konnten gemäß § 95 StPO/1968 zur Befragung zugeführt werden (Zuführung). Vom MfS wurde die B. gelegentlich als demonstrative Maßnahme zur Einschüchterung Oppositioneller genutzt, gegen die aus politischen Gründen kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden sollte.
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Lageeinschätzung zur Skinhead-Szene in Berlin Dokument, 3 Seiten
Information über eine Feier von Skinheads in der Gaststätte "Sputnik" Dokument, 1 Seite
Einschätzung über die in der DDR existierenden Skinheads Dokument, 13 Seiten
Bericht zu Erscheinungen der Skinheadbewegung im Stadtbezirk Berlin-Mitte Dokument, 5 Seiten