Signatur: BArch, MfS, AU, Nr. 83/60, Bl. 315-318
Die Stasi nahm 1959 einen Tierpfleger aus Ost-Berlin wegen des Verdachts der "Sabotage" fest. Auch nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft ließ die Geheimpolizei nicht von ihm ab.
Am 2. Juli 1955 wurde der Tierpark auf dem Gelände des enteigneten Schlossparks Friedrichsfelde in Ost-Berlin eröffnet. Seine Entstehung war eng mit den politischen Entwicklungen der Nachkriegsjahre verknüpft: Der 1844 eröffnete und weltweit renommierte Berliner Zoologische Garten gehörte nach der Teilung zum Westteil der Stadt. Im Kontext des Kalten Krieges und der Systemkonkurrenz wollte die SED-Führung verhindern, dass die DDR auf diesem Gebiet ins Hintertreffen geriet. Mit dem Aufbau eines eigenen Tierparks erhoffte sie sich internationale Anerkennung der noch jungen DDR.
Als Schau- und Handelsobjekten kam den Tieren ein hoher Wert zu. Tierpark und Zoo versuchten sich auf diesem Gebiet gegenseitig zu übertrumpfen. Jeder wollte seinen Besucherinnen und Besuchern die exotischsten Exemplare präsentieren. Ein Großteil der Tiere für Ost-Berlin kam aus sozialistischen "Bruderstaaten" wie der Sowjetunion, China oder Vietnam.
Als politisch und volkswirtschaftlich bedeutendes Objekt war der Tierpark von Beginn an staatlicher Überwachung ausgesetzt. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ließ sich unter anderem über internationale Konferenzen im Tierpark und den Zustand der Tierhäuser im Winter berichten. In einzelnen Fällen ging es aber auch gezielt gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor.
Ab April 1958 verendeten im Tierpark Friedrichsfelde vermehrt Tiere mit Vergiftungserscheinungen. Betroffen waren sowohl Tiere in den Gehegen als auch im Quarantänelager. Als die Todesfälle Anfang 1959 zunahmen, schaltete sich das MfS ein. Wegen des Verdachts der vorsätzlichen Tötung legte die Stasi am 26. Februar 1959 einen Überprüfungsvorgang an. Darin ermittelte sie gegen mehrere Tierpfleger. Gerade in der Anfangszeit des Tierparks bedeutete der Verlust von zum Teil sehr wertvollen Tieren einen hohen Schaden. Außerdem drohte das Ansehen des Tierparks unter den Vorfällen zu leiden.
Die Ermittlungen fielen in den Zuständigkeitsbereich der MfS-Kreisdienststelle Lichtenberg, die sich direkt neben dem Tierpark befand. Durch Beobachtungen, Postüberwachung und den Einsatz geheimer Informatoren (GI) versuchte sie gemeinsam mit der Volkspolizei, den Verantwortlichen für die Tiervergiftungen zu überführen.
Schon bald nahm die Geheimpolizei einen Hauptverdächtigen ins Visier: den 24-jährigen Günther Rabe (Name geändert), der ab 1. September 1955 als Tier-, später als Oberpfleger im Tierpark arbeitete. Im November 1959 verhaftete das MfS Rabe, konnte ihm aufgrund "operativer Fehler" und fehlender Indizien im Falle der Tiervergiftungen jedoch keine Schuld nachweisen.
Obwohl Rabe neben dem Vergiftungsverdacht auch wegen illegalen Tierhandels festgenommen worden war, entließ das MfS ihn am 24. Dezember straffrei aus der Untersuchungshaft. Der im Stasi-Unterlagen-Archiv überlieferte Entlassungsbeschluss verrät den Grund für diese Entscheidung: Wegen seiner guten Verbindungen innerhalb des Tierparks und seines Fachwissens strebte das MfS eine inoffizielle Zusammenarbeit mit Rabe an. Für die Geheimpolizei stand die "für die illegalen Tierverschiebungen zu erwartende Strafe in keinem Verhältnis zu einem möglichen operativen Wert" des Tierpflegers: Die Aufklärung der Tiervergiftungen hatte oberste Priorität. Daher veranlasste das MfS die Generalstaatsanwaltschaft zur Einstellung des Gerichtsverfahrens, ohne sie über die wahren Hintergründe zu informieren.
Noch am Tag der Haftentlassung warb das MfS Rabe zunächst als Kontaktperson an. Im September 1960 verpflichtete sich der Tierpfleger offiziell als GI "Rudi Waldvogel".
Wie bereits in dem Bericht der Abteilung IX vom 11.12.1959 aufgezeigt, müssen die Untersuchungen der TU des MfS - auf denen im wesentlichen die Belastungen gegen [pseudonymisiert: Rabe] aufbauten - in Frage gestellt werden.
So wurde bei zwei nach der Festnahme des Beschuldigten, und zwar bei den am 27.11. und am 04.12.1959 verendeten Tieren das Fallenmittel "Silber" festgestellt, trotzdem die Flasche Jakutin bereits seit dem 19.11.1959 in Händen des Untersuchungsorgans war und darüber hinaus das eine der beiden Tiere infolge einer Infektion mit Coryne-Bakterien verendete (also kein Vergiftungsverdacht vorliegt).
Auch ist es unverständlich, daß nur "Silber" gefunden wurde, trotzdem der Flasche Jakutin bereits am 13.11.1959 sicherheitshalber ein weiteres Fallmittel "Gold" beigefügt worden war.
Im Zusammenhang damit mußte auch die Glaubwürdigkeit der durchgeführten Kontrollen hinsichtlich des Standes der Flüssigkeit in der Flasche angezweifelt werden, zumal die sich nur auf optische Beobachtungen stützenden Kontrollen Widersprüche zwischen der Kreisdienststelle Lichtenberg und der TU erbrachten.
(Auf diesen Mangel wurde bereits in dem erwähnten Bericht der Abt. IX hingewiesen, wonach bei den entsprechenden Kontrollen eine gewichtsmäßige Bestimmung der Flasche mit ihrem Inhalt verabsäumt wurde).
Aus den oben angeführten Gründen wird vorgeschlagen, [pseudonymisiert: Rabe] aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Dabei wird, davon ausgegangen, daß die für die illegalen Tierverschiebungen zu erwartende Strafe in keinem Verhältnis zu einem möglichen operativen Wert des [pseudonymisiert: Rabe] steht.
So bestehen berechtigte Aussichten, unter Ausnutzung der allseitigen Fachkenntnisse sowie des allseitigen Kontaktes des Beschuldigten im Berliner Tierpark mit Hilfe [pseudonymisiert: Rabe]s die Aufklärung der Tiervergiftungen im Berliner Tierpark voranzutreiben.
Dem stehen jedoch die von Seiten der Kreisdienststelle Lichtenberg vorgebrachten Bedenken gegenüber, wonach die Entlassung des [pseudonymisiert: Rabe] nachteiligen Einfluß auf den derzeitigen operativen Einsatz seiner Ehefrau haben könnte.
b.w.
Kontaktperson (KP)
"Kontaktperson" ist ein unscharfer Begriff, der Personen bezeichnete, mit denen das MfS Kontakte unterschiedlicher Natur hatte. Insbesondere in den 50er Jahren waren Kontaktpersonen oftmals regelrechte Informanten, bei denen allerdings keinerlei formelle Erfassung und Registrierung als inoffizieller Mitarbeiter vorlag. In der IM-Richtlinie von 1958 sind Kontaktpersonen als "vertrauenswürdige Bürger" definiert, die "zur Lösung bestimmter Aufgaben angesprochen werden". In den MfS-Unterlagen der Honecker-Ära werden Funktionsträger, mit denen das MfS offizielle Beziehungen pflegte, häufig als Kontaktperson bezeichnet.
Eine besondere Form von Kontaktperson gab es bei der Abteilung XIV, die seit 1967 Strafgefangene "mit inoffiziellen Aufgaben als Kontaktpersonen" oder auch als "inoffizielle Kontaktpersonen" (iKP) bezeichnete. Eine andere Bedeutung hatte der Begriff bei der HV A. Laut IM-Richtlinie von 1979 handelte es sich hierbei um "Bürger aus dem Operationsgebiet", "die über Zugang zu operativ bedeutsamen Informationen bzw. über Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme verfügen" und zu denen "eine stabile Verbindung unterhalten wird", ohne dass diese über "den nachrichtendienstlichen Charakter" der Kontakte im Bilde waren.
Linie IX (Untersuchungsorgan)
Die HA IX war die für strafrechtliche Ermittlungen zuständige Diensteinheit (Strafverfolgung). Sie hatte wie die nachgeordneten Abteilung IX in den Bezirksverwaltung (BV) (Linie IX) die Befugnisse eines Untersuchungsorgans, d. h. einer kriminalpolizeilichen Ermittlungsbehörde. Ursprünglich vor allem für die sog. Staatsverbrechen zuständig, befasste sie sich in der Honecker-Ära überwiegend mit Straftaten gegen die staatliche Ordnung, vor allem mit Fällen "ungesetzlichen Grenzübertritts" und Delikten, die mit Ausreisebegehren zu tun hatten. Nach StPO der DDR standen auch die Ermittlungsverfahren der Linie IX unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft, in der Praxis arbeitete das MfS hier jedoch weitgehend eigenständig.
Die HA IX und die Abt. IX der BV waren berechtigt, Ermittlungsverfahren einzuleiten sowie Festnahmen, Vernehmungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen und andere strafprozessuale Handlungen vorzunehmen sowie verpflichtet, diese Verfahren nach einer bestimmten Frist - meist durch die Übergabe an die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung - zum Abschluss zu bringen (Untersuchungsvorgang). Daneben führte sie Vorermittlungen zur Feststellung von Ursachen und Verantwortlichen bei Großhavarien (industriellen Störfällen), Flugblättern widerständigen Inhalts, öffentlichen Protesten u. ä. (Vorkommnisuntersuchung, Sachverhaltsprüfung).
Die HA IX gehörte zeit ihres Bestehens zum Anleitungsbereich Mielkes, in den ersten Jahren in seiner Funktion als Staatssekretär und 1. stellv. Minister, ab 1957 als Minister. Ihre Leiter waren Alfred Karl Scholz (1950-1956), Kurt Richter (1956-1964), Walter Heinitz (1964-1973) und Rolf Fister (1973-1989).
1953 bestand die HA IX aus drei Abteilungen, die für Spionagefälle, Fälle politischer "Untergrundtätigkeit" und die Anleitung der Abt. IX der BV zuständig waren. Durch Ausgliederungen entstanden weitere Abteilungen, so u. a. für Wirtschaftsdelikte, Militärstraftaten, Delikte von MfS-Angehörigen und Fluchtfälle. Ende 1988 bestand die HA IX aus zehn Untersuchungsabteilungen sowie der Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG) und der AGL (Arbeitsgruppe des Ministers (AGM)) mit insgesamt 489 Mitarbeitern. Auf der Linie IX arbeiteten 1 225 hauptamtliche Mitarbeiter.
Die Linie IX wirkte eng mit den Abteilung XIV (Haft) und der Linie VIII (Hauptabteilung VIII (Beobachtung, Ermittlung)), die für die Durchführung der Festnahmen zuständig waren, zusammen. Bei der juristischen Beurteilung von Operativen Vorgängen (OV) wurde die HA IX von den geheimdienstlich arbeitenden Diensteinheiten häufig einbezogen.
Aufklärung hatte innerhalb des MfS unterschiedliche Bedeutungen: Sie wird zur Bezeichnung des Tätigkeitsbereiches der Auslandsspionage verwendet, die überwiegend von der HV A getragen wurde, die teilweise auch kurz als Aufklärung bezeichnet wird. Darüber hinaus findet der Begriff Verwendung bei der Bezeichnung von Sachverhaltsermittlungen (Aufklärung eines Sachverhalts) und von Überprüfungen der Eignung von IM-Kandidaten (Aufklärung des Kandidaten).
Von 1950 bis 1968 geltende Bezeichnung für die gewöhnlichen inoffiziellen Mitarbeiter, in den ersten Jahren auch nur Informatoren genannt. 1968 wurden die GI überwiegend zu IMS. GI dienten vor allem der allgemeinen Informationsbeschaffung. Sie wurden dabei auch zunehmend zur Sicherung von Institutionen, zur Feststellung der Bevölkerungsstimmung, zur Überprüfung verdächtiger Personen, zur Verhinderung von Republikfluchten oder auch bei Ermittlungen und Fahndungen eingesetzt.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Der Überprüfungsvorgang war eine Vorgangsart von 1953 bis 1960; bei Verdacht einer "feindlichen Tätigkeit" gegen eine oder mehrere Personen gerichtet. Bei Verdachtsbestätigung sollte entweder eine Verhaftung oder die Überführung in einen Operativen Vorgang (Einzelvorgang, Gruppenvorgang) erfolgen. Überprüfungsvorgänge waren zentral in der Abt. XII zu registrieren; betroffene Personen und ihre Verbindungen waren in der zentralen Personenkartei (F 16), involvierte Organisationen in der zentralen Objektkartei (F 17) zu erfassen. 1960 wurde der Überprüfungsvorgang in die Vorgangsart Vorlauf Operativ überführt.
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Signatur: BArch, MfS, AU, Nr. 83/60, Bl. 315-318
Die Stasi nahm 1959 einen Tierpfleger aus Ost-Berlin wegen des Verdachts der "Sabotage" fest. Auch nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft ließ die Geheimpolizei nicht von ihm ab.
Am 2. Juli 1955 wurde der Tierpark auf dem Gelände des enteigneten Schlossparks Friedrichsfelde in Ost-Berlin eröffnet. Seine Entstehung war eng mit den politischen Entwicklungen der Nachkriegsjahre verknüpft: Der 1844 eröffnete und weltweit renommierte Berliner Zoologische Garten gehörte nach der Teilung zum Westteil der Stadt. Im Kontext des Kalten Krieges und der Systemkonkurrenz wollte die SED-Führung verhindern, dass die DDR auf diesem Gebiet ins Hintertreffen geriet. Mit dem Aufbau eines eigenen Tierparks erhoffte sie sich internationale Anerkennung der noch jungen DDR.
Als Schau- und Handelsobjekten kam den Tieren ein hoher Wert zu. Tierpark und Zoo versuchten sich auf diesem Gebiet gegenseitig zu übertrumpfen. Jeder wollte seinen Besucherinnen und Besuchern die exotischsten Exemplare präsentieren. Ein Großteil der Tiere für Ost-Berlin kam aus sozialistischen "Bruderstaaten" wie der Sowjetunion, China oder Vietnam.
Als politisch und volkswirtschaftlich bedeutendes Objekt war der Tierpark von Beginn an staatlicher Überwachung ausgesetzt. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ließ sich unter anderem über internationale Konferenzen im Tierpark und den Zustand der Tierhäuser im Winter berichten. In einzelnen Fällen ging es aber auch gezielt gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor.
Ab April 1958 verendeten im Tierpark Friedrichsfelde vermehrt Tiere mit Vergiftungserscheinungen. Betroffen waren sowohl Tiere in den Gehegen als auch im Quarantänelager. Als die Todesfälle Anfang 1959 zunahmen, schaltete sich das MfS ein. Wegen des Verdachts der vorsätzlichen Tötung legte die Stasi am 26. Februar 1959 einen Überprüfungsvorgang an. Darin ermittelte sie gegen mehrere Tierpfleger. Gerade in der Anfangszeit des Tierparks bedeutete der Verlust von zum Teil sehr wertvollen Tieren einen hohen Schaden. Außerdem drohte das Ansehen des Tierparks unter den Vorfällen zu leiden.
Die Ermittlungen fielen in den Zuständigkeitsbereich der MfS-Kreisdienststelle Lichtenberg, die sich direkt neben dem Tierpark befand. Durch Beobachtungen, Postüberwachung und den Einsatz geheimer Informatoren (GI) versuchte sie gemeinsam mit der Volkspolizei, den Verantwortlichen für die Tiervergiftungen zu überführen.
Schon bald nahm die Geheimpolizei einen Hauptverdächtigen ins Visier: den 24-jährigen Günther Rabe (Name geändert), der ab 1. September 1955 als Tier-, später als Oberpfleger im Tierpark arbeitete. Im November 1959 verhaftete das MfS Rabe, konnte ihm aufgrund "operativer Fehler" und fehlender Indizien im Falle der Tiervergiftungen jedoch keine Schuld nachweisen.
Obwohl Rabe neben dem Vergiftungsverdacht auch wegen illegalen Tierhandels festgenommen worden war, entließ das MfS ihn am 24. Dezember straffrei aus der Untersuchungshaft. Der im Stasi-Unterlagen-Archiv überlieferte Entlassungsbeschluss verrät den Grund für diese Entscheidung: Wegen seiner guten Verbindungen innerhalb des Tierparks und seines Fachwissens strebte das MfS eine inoffizielle Zusammenarbeit mit Rabe an. Für die Geheimpolizei stand die "für die illegalen Tierverschiebungen zu erwartende Strafe in keinem Verhältnis zu einem möglichen operativen Wert" des Tierpflegers: Die Aufklärung der Tiervergiftungen hatte oberste Priorität. Daher veranlasste das MfS die Generalstaatsanwaltschaft zur Einstellung des Gerichtsverfahrens, ohne sie über die wahren Hintergründe zu informieren.
Noch am Tag der Haftentlassung warb das MfS Rabe zunächst als Kontaktperson an. Im September 1960 verpflichtete sich der Tierpfleger offiziell als GI "Rudi Waldvogel".
Nach Rücksprache mit der Leitung der Verwaltung Groß-Berlin erscheint es aber angezeigt, [pseudonymisiert: Rabe] zum Zwecke das operativen Einsatzes aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
Folgende Maßnahmen sind in diesem Zusammenhang durchzuführen:
1. Die Entlassung des [pseudonymisiert: Rabe] wird am 24.12.1959 um 12:00 Uhr nach entsprechender schriftlicher Verpflichtung vorgenommen.
verantwortlich: Gen. Rachut
2. Der Beschuldigte wird mit einem Pkw in Berlin-Karlshorst abgesetzt.
verantwortlich: Gen. Rachut
3. [pseudonymisiert: Rabe] erhält seine Effekten - mit Ausnahme der ihn belastenden Unterlagen aus den Tierverschiebungen sowie den 0,82 Westmark - gegen Quittung zurück.
verantwortlich: Gen. Dietze
4. Rücksprache mit Prof. Dr. Dathe zwecks weiteren Einsatzes im Berliner Tierpark.
verantwortlich: Gen. Rachut
5. Führung einer Rücksprache mit Ehefrau des [pseudonymisiert: Rabe].
verantwortlich: Gen. Görze
6. Aufhebung des Haftbefehls.
verantwortlich: Gen. Dietze
Der Mitarbeiter der Abteilung (Kreisdienststelle) Leutnant [Unterschrift: [Unleserlich]]
Einverstanden: Der Leiter der Abteilung (Kreisdienststelle) Major [Unterschrift: [Unleserlich]]
Bestätigt: [Unterschrift: [Unleserlich]]
[Handschriftliche Ergänzung: 24.12.1959]
Kontaktperson (KP)
"Kontaktperson" ist ein unscharfer Begriff, der Personen bezeichnete, mit denen das MfS Kontakte unterschiedlicher Natur hatte. Insbesondere in den 50er Jahren waren Kontaktpersonen oftmals regelrechte Informanten, bei denen allerdings keinerlei formelle Erfassung und Registrierung als inoffizieller Mitarbeiter vorlag. In der IM-Richtlinie von 1958 sind Kontaktpersonen als "vertrauenswürdige Bürger" definiert, die "zur Lösung bestimmter Aufgaben angesprochen werden". In den MfS-Unterlagen der Honecker-Ära werden Funktionsträger, mit denen das MfS offizielle Beziehungen pflegte, häufig als Kontaktperson bezeichnet.
Eine besondere Form von Kontaktperson gab es bei der Abteilung XIV, die seit 1967 Strafgefangene "mit inoffiziellen Aufgaben als Kontaktpersonen" oder auch als "inoffizielle Kontaktpersonen" (iKP) bezeichnete. Eine andere Bedeutung hatte der Begriff bei der HV A. Laut IM-Richtlinie von 1979 handelte es sich hierbei um "Bürger aus dem Operationsgebiet", "die über Zugang zu operativ bedeutsamen Informationen bzw. über Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme verfügen" und zu denen "eine stabile Verbindung unterhalten wird", ohne dass diese über "den nachrichtendienstlichen Charakter" der Kontakte im Bilde waren.
Aufklärung hatte innerhalb des MfS unterschiedliche Bedeutungen: Sie wird zur Bezeichnung des Tätigkeitsbereiches der Auslandsspionage verwendet, die überwiegend von der HV A getragen wurde, die teilweise auch kurz als Aufklärung bezeichnet wird. Darüber hinaus findet der Begriff Verwendung bei der Bezeichnung von Sachverhaltsermittlungen (Aufklärung eines Sachverhalts) und von Überprüfungen der Eignung von IM-Kandidaten (Aufklärung des Kandidaten).
Von 1950 bis 1968 geltende Bezeichnung für die gewöhnlichen inoffiziellen Mitarbeiter, in den ersten Jahren auch nur Informatoren genannt. 1968 wurden die GI überwiegend zu IMS. GI dienten vor allem der allgemeinen Informationsbeschaffung. Sie wurden dabei auch zunehmend zur Sicherung von Institutionen, zur Feststellung der Bevölkerungsstimmung, zur Überprüfung verdächtiger Personen, zur Verhinderung von Republikfluchten oder auch bei Ermittlungen und Fahndungen eingesetzt.
Die Kreisdienststellen waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren entsprechend den regionalen Gegebenheiten unterschiedlich strukturiert und personell ausgestattet. Einige verfügten über ein Referat zur komplexen Spionageabwehr oder zur Sicherung der Volkswirtschaft und andere nur über spezialisierte Mitarbeiter in diesen Bereichen. Ihre Aufgaben waren die Kontrolle der Wirtschaft, des Verkehrswesens, des Staatsapparates, des Gesundheitswesens, der kulturellen Einrichtungen, der Volksbildung, ggf. von Einrichtungen des Hoch- und Fachschulwesens, wissenschaftlich-technischer Einrichtungen sowie die Überwachung besonders interessierender Personenkreise.
Die Kreisdienststellen waren maßgeblich an den Genehmigungsverfahren für dienstliche bzw. private Auslandsreisen beteiligt, führten Sicherheitsüberprüfungen durch und erstellten Stimmungs- und Lageberichte. Zur Realisierung der Aufgaben bedurfte es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern des POZW, insbesondere mit der Volkspolizei, den Räten und anderen Einrichtungen der Kreise. Die Kreisdienststellen unterhielten ständige Verbindungen zu den SED Kreisleitungen. Zwei Drittel der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kreisdienststellen waren operativ tätig. Die Kreisdienststellen führten 50 Prozent der IM und bearbeiteten etwa 60 Prozent der OV zu einzelnen Personen oder Gruppen.
Die Kreisdienststellen gliederten sich in 2 bis 16 Fachreferate sowie das Referat Auswertung und Information (ZAIG) und die Wache/Militärische Sicherungsgruppe. In jeder Kreisdienststelle gab es einen Offizier, der teilweise oder ganz (IM-führender Mitarbeiter/XV) für die Belange der HV A vor Ort zuständig war.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Die Verpflichtung Bereitschaftserklärung zur Tätigkeit als IM bildete den Abschluss der Werbung. Sie erfolgte in der Regel schriftlich und in Ausnahmefällen mündlich. Schriftliche Verpflichtungen erfolgten stets handschriftlich. Die Verpflichtungserklärung enthielt bestimmte Kernelemente, zu denen der Bezugspartner Staatssicherheit, die Verpflichtung zur Geheimhaltung, ein Deckname und die Unterschrift gehörten.
Der Überprüfungsvorgang war eine Vorgangsart von 1953 bis 1960; bei Verdacht einer "feindlichen Tätigkeit" gegen eine oder mehrere Personen gerichtet. Bei Verdachtsbestätigung sollte entweder eine Verhaftung oder die Überführung in einen Operativen Vorgang (Einzelvorgang, Gruppenvorgang) erfolgen. Überprüfungsvorgänge waren zentral in der Abt. XII zu registrieren; betroffene Personen und ihre Verbindungen waren in der zentralen Personenkartei (F 16), involvierte Organisationen in der zentralen Objektkartei (F 17) zu erfassen. 1960 wurde der Überprüfungsvorgang in die Vorgangsart Vorlauf Operativ überführt.
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Bericht über toxikologische Untersuchungen im Tierpark-Fall 1959 Dokument, 9 Seiten
Gespräch mit einem Tierpfleger über eine zukünftige inoffizielle Zusammenarbeit Dokument, 1 Seite
Verpflichtungserklärung eines Tierpflegers Dokument, 1 Seite
Bericht über den illegalen Handel eines Tierpflegers mit exotischen Tieren Dokument, 6 Seiten