Signatur: BStU, MfS, SdM, Nr. 1931, Bl. 30
Im November 1975 verschwand ein Stasi-Agent spurlos von seinem Arbeitsplatz in der Bundesrepublik, um einer Enttarnung zu entgehen. Sein Arbeitgeber forderte von Stasi-Minister Mielke origineller Weise, den versäumten Ausstand seines Mitarbeiters nachzuholen.
Anfang November 1975 verschwand ein Journalist spurlos von seinem Arbeitsplatz bei der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA). Dieser hatte über Jahre als Inoffizieller Mitarbeiter an das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) berichtet.
Dem IM drohte durch eine routinemäßige Untersuchung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) die Enttarnung. Um einer möglichen Verhaftung zu entgehen, floh der Agent aus der Bundesrepublik in der DDR. Bei einer Hausdurchsuchung bei dem Geflüchteten fand die Bundesanwaltschaft dann auch tatsächlich gefälschte Papiere.
Am Silvestertag 1975 erreichte das MfS ein Telex der Katholischen Nachrichtenagentur, das auf das Verschwinden des IM Bezug nahm. Es richtete sich an den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, persönlich. Daraus geht hervor, dass der Chef der KNA von der Enttarnung seines ehemaligen Mitarbeiters wusste. Im Schreiben fordert er in ironischem Ton, dass Minister Mielke den versäumten Ausstand seines aufgeflogenen Mitarbeiters nachholen solle.
[Handschriftlich: 30.12.75]
[Handschriftlich: VBE/3824/75]
[Unleserlich]
Bitte sofort auf den Tisch Herrn Minister Mielke oder Stellvertreter
An das
Ministerium für Staatssicherheit
z.H. Herrn Minister Erich Mielke
Sehr geehrter Herr Minister,
am Feste Allerheiligen, 1. November dieses Jahres, ist uns unser langjähriger Mitarbeiter [anonymisiert] abhanden gekommen. Wie Generalbundesanwalt Buback inzwischen mitgeteilt hat, stand [anonymisiert] in den Diensten Ihres Hauses und ist inzwischen in seine Heimat zurückgekehrt. Bisher war es in unserem Hause Sitte, dass jeder, der aus unseren Diensten ausschied, einen sogenannten Ausstand (dies kann in form einer Runde "Kaffee und Kuchen" für
alle oder einer Einladung zu einem Umtrunk geschehen) gab. Aus ihnen sicherlich bekannten Gründen hatte [anonymisiert] dazu keine Gelegenheit mehr. Da wir jedoch der Ansicht sind, [anonymisiert] - wie dies bei uns üblich ist - bestens gepflegt und ihn in 1a-Zustand zurückgegeben zu haben, gestatten wir uns, an sie, sehr verehrter Herr Minister, die höfliche Anfrage zu richten, ob sie gewillt wären, an [anonymisiert] statt die Mitarbeiter der
Katholischen Nachrichtenagentur zu einem "Ausstand" in der oben näher beschriebenen Form einzuladen. Ohne Zweifel käme dies der bewährten Zusammenarbeit unserer Häuser sehr zustatten.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Katholische Nachrichtenagentur
PS.: Zur Übermittlung unserer Neujahrswünsche benötigen wir die neue Anschrift von [anonymisiert]
Inoffizielle Mitarbeiter (IM) waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), um primär Informationen über Bürger, die Gesellschaft, ihre Institutionen und Organisationen der DDR oder im Ausland zu gewinnen. Unter Umständen hatten IM auf Personen oder Ereignisse in der DDR steuernden Einfluss zu nehmen.
In der DDR-Gesellschaft hießen sie "Spitzel", "Denunzianten" oder "Kundschafter". Mit der deutschen Einheit hat sich die Bezeichnung Inoffizieller Mitarbeiter des MfS für die heimlichen Zuträger etabliert. Sie lieferten u. a. Informationen über Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung.
Die SED-Führung wollte stets über die konkrete Situation und Lage in der DDR unterrichtet sein. Die IM hatten den Auftrag, "staatsgefährdende" Bestrebungen zu ermitteln, was beim MfS "politisch ideologische Diversion" bzw. "politische Untergrundtätigkeit" hieß. Der Bogen hierfür war weit gespannt und reichte von einer privaten Meinungsäußerung bis hin zu politischen Aktivitäten. Überdies sollten sie, wenn auch selten, direkt auf gesellschaftliche Entwicklungen oder einzelne Personen einwirken.
Die IM waren das wichtigste Repressionsinstrument in der DDR. IM wurden auf bestimmte Schwerpunkte angesetzt, von denen tatsächliche oder vermeintliche Gefahren ausgehen konnten. Diese Objekte und Territorien, Bereiche oder Personen waren so zahlreich, dass die geheimpolizeiliche Durchdringung tendenziell den Charakter einer flächendeckenden Überwachung annahm.
Die Anzahl der vom MfS geführten inoffiziellen Mitarbeiter umfasste im Jahre 1989 ungefähr 189.000 IM, darunter 173.000 IM der Abwehrdiensteinheiten, ferner 13.400 IM in der DDR und 1.550 IM in der Bundesrepublik, die von der Hauptverwaltung A geführt wurden, sowie diverse andere wie Zelleninformatoren usw. Auf 89 DDR-Bürger kam somit ein IM. In der Zeit von 1950 bis 1989 gab es insgesamt ca. 620.000 IM.
Die Entwicklung des IM-Netzes ist nicht allein von einem kontinuierlichen Anstieg geprägt, sondern verweist auf besondere Wachstumsphasen in Zeiten innergesellschaftlicher Krisen wie dem 17. Juni 1953 oder am Vorabend des Mauerbaus. Im Zuge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik wurde das IM-Netz ebenfalls erweitert. So umfasste es Mitte der 70er Jahre – hochgerechnet – über 200.000 IM. Angesichts wachsender oppositioneller Bewegungen hatte es in den 80er Jahren gleichfalls ein hohes Niveau.
Die flächendeckende Überwachung der Gesellschaft fiel regional recht unterschiedlich aus. Im Land Brandenburg, das die Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam vereint, war sie stärker als in Thüringen. Die höchste IM-Dichte wies der ehemalige Bezirk Cottbus auf.
Das MfS operierte formal nach territorialen Gesichtspunkten und Sicherungsbereichen, setzte jedoch operative Schwerpunkte in der geheimpolizeilichen Arbeit. Bezogen auf das Gesamtministerium lagen diese – sowohl auf Kreis-, als auch auf Bezirks- und Hauptabteilungsebene – bei der Volkswirtschaft, der Spionageabwehr und auf der "politischen Untergrundtätigkeit", der "Bearbeitung " von oppositionellen Milieus und den Kirchen.
Die Motive zur Kooperation mit dem MfS waren überwiegend ideeller, seltener materieller Natur, noch seltener war Erpressung der Grund. Die Kooperation währte durchschnittlich sechs bis zehn Jahre oder länger. Augenfällig ist, dass darunter nicht wenige soziale Aufsteiger waren. Der Anteil von weiblichen IM lag in der DDR bei 17 Prozent, in der Bundesrepublik bei 28 Prozent. Über die Hälfte der IM war Mitglied der SED. Von den 2,3 Mio. Mitgliedern der Partei ausgehend, waren 4 bis 5 Prozent zuletzt inoffiziell aktiv, d. h. jedes zwanzigste SED-Mitglied.
Das MfS differenzierte IM nach Kategorien: Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit, IM zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereichs, IM im besonderen Einsatz, Führungs-IM und IM zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens. Die wichtigste Kategorie waren IM mit "Feindverbindungen" bzw. solche, die Personen zu "bearbeiten" hatten, die "im Verdacht der Feindtätigkeit" standen. Im Laufe der 80er Jahre nahm der Anteil von IM in der Kategorie IMB bis Dezember 1988 auf rund 3.900 zu.
Der Anteil von Bundesbürgern oder Ausländern unter den IM des MfS betrug nicht einmal 2 Prozent. 1989 waren mindestens 3.000 Bundesbürger inoffiziell im Dienste des MfS, zusätzlich mehrere Hundert Ausländer. In der Zeit von 1949 bis 1989 waren insgesamt mindestens 12.000 Bundesbürger und Westberliner IM.
Die operativen Ziele des MfS waren über die gesamte Bundesrepublik Deutschland verteilt. Darüber hinaus gab es Schwerpunkte in Europa, im Nahen Osten und Asien, nachgeordnet auch in Afrika und Lateinamerika. Nachrichtendienstliche Schwerpunkte waren vor allem die Wissenschafts- und Technikspionage, erst danach die politische und mit etwas Abstand die Militärspionage. Die Bundesrepublik Deutschland wurde folglich vor allem als Ressource zur Systemstabilisierung genutzt.
Die politische Spionage diente vornehmlich dazu, die politische Gefährdungslage des herrschenden Systems in der DDR bestimmen zu können. Dieses Profil deutet an, dass die Spionage der Bewahrung des Status quo dienen sollte. Von einer Unterwanderung der Bundesrepublik war die Geheimpolizei zahlenmäßig weit entfernt. Vielmehr waren ihre inoffiziellen Mitarbeiter damit beschäftigt, das DDR-System zu stabilisieren.
1971 hervorgegangen aus dem Büro der Leitung. Seine Aufgaben waren
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.
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