Brief eines "Selbstwerbers" für eine Reise zur Fußball-Weltmeisterschaft 1974
Signatur: BStU, MfS, BV Leipzig, KD Leipzig-Land, Nr. 948, Bl. 22
Zur Weltmeisterschaft 1974 sollten aus der DDR nur handverlesene "Touristen" fahren. Wer sich selbst um eine Karte für die WM bemühte, geriet ins Visier der Staatssicherheit.
1974 nahm die Fußballnationalmannschaft der DDR erstmals an einer Weltmeisterschaft teil. Das Turnier fand ausgerechnet in der Bundesrepublik statt, und die Auslosung hatte ausgerechnet eine Begegnung der beiden deutschen Mannschaften ergeben.
Die Teilnahme an einem Turnier beim "Klassenfeind" warf für die SED-Diktatur zahlreiche Fragen auf. So hatte die DDR Anspruch auf tausende Eintrittskarten. Sie einfach an Fußballfans zu verteilen war undenkbar. Was, wenn die DDR-Bürger in westdeutschen Stadien plötzlich dem Klassenfeind zujubelten? Womöglich hätten die Fans die Westreise sogar zur "Republikflucht" genutzt. Keine Besucher in den Westen zu entsenden war jedoch auch nicht möglich, hätte dies die Undurchdringlichkeit des Eisernen Vorhangs der Weltöffentlichkeit einmal mehr bewusst gemacht. Und auch viele Bürger der DDR wären damit höchst unzufrieden gewesen.
Die Antwort auf die vielen Unwägbarkeiten war es, die politischen Risiken so gering wie möglich zu halten und nichts dem Zufall zu überlassen. Alles wurde minutiös geplant und unter Kontrolle gehalten. In der Frage der "Fußballfans" beschloss das Zentralkomitee der SED, "Touristendelegationen" aus allen Bezirken der DDR zu bilden. Daran sollten nur DDR-Bürger teilnehmen, die "prinzipien- und charakterfest" waren und die ihre "politische Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt haben". Sie sollten sich als sogenannte "Reisekader" schon einmal in der "ideologischen Auseinandersetzung mit dem Imperialismus" bewährt haben. Nach Möglichkeit sollten sie sich also bei einer vorangegangenen Westreise diszipliniert verhalten haben und ohne Zwischenfälle in die DDR zurückgekehrt sein.
Wie streng die "Touristen" ausgesucht und überwacht wurden, wusste die Bevölkerung der DDR nicht. Zwar dürfte den meisten Bürgerinnen und Bürgern klar gewesen sein, dass sie wohl nicht an Karten und eine Genehmigung für eine Westreise gelangen würden. Trotzdem versuchten zahlreiche echte Fußballfans ihr Glück, ermutigt von einem Gerücht, dass solche Reisen beim Reisebüro der DDR gebucht werden könnten.
Diese "Selbstbewerber" waren von Interesse für die Stasi. Die Geheimpolizei fürchtete, dass nach der Ablehnung der Reisewünsche durch das Reisebüro einige der Interessenten auf die Idee kommen könnten, auf anderem Wege zu den Spielen zu gelangen – also "Republikflucht" zu begehen. Die zuständigen Kreisdienststellen der Stasi wurden deshalb regelmäßig über neue Selbstbewerber informiert. Um " negative Verhaltensweisen" rund um die Fußballweltmeisterschaft zu verhindern, wollte die Stasi "vorbeugende politisch-operative Maßnahmen" einleiten. Insbesondere sollten Kreisdienststellen die "Selbstbewerber" genauer unter die Lupe nehmen.
Metadaten
- Diensteinheit:
- Bezirksverwaltung Leipzig, Abteilung VI
- Datum:
- 4.11.1973
Großposna, d. 4.11.73
An das Reisebüro der Deutschen Demokratischen Republik
Berlin
Betr. Fußballweltmeisterschaft 1974
In der Annahme, daß die Kartenvorbestellung zur Fußballweltmeisterschaft 1974 über das Reisebüro der DDR läuft, wende ich mich mit der Bitte um Reservierung einer Eintrittskarte, zu einem Spiel der DDR-Mannschaft, an Sie. Ich bin mir bewußt, daß zu diesen Spielen eine rege Kartennachfrage bestehen wird, daher habe ich einen so frühen Termin gewählt.
Hochachtungsvoll
[anonymisiert]