Signatur: BArch, MfS, HA XX/AKG, Nr. 5944, Bl. 23-24
Wegen seiner SED-kritischen Texte geriet der Schriftsteller Jürgen Fuchs Anfang der 70er-Jahre immer mehr in den Fokus der Stasi. 1975 richtete er sich mit einem offenen Brief an die in Weimar tagende Kulturkonferenz der Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ). Darin protestierte Fuchs gegen Auftrittsverbote und ähnliche Maßnahmen, die ihn und andere Literatinnen und Literaten vom öffentlichen Vortrag ihrer Werke abhalten sollten.
Der Schriftsteller und Sozialpsychologe Jürgen Fuchs (1950-1999) engagierte sich politisch und literarisch für eine freie Rede in der DDR. Er beschäftigte sich früh mit marxistischen Werken und setzte sich in seinen literarischen Texten kritisch mit den Verhältnissen in der DDR auseinander.
Mit SED-kritischen Lyrik- und Prosawerken, die er während seiner Studienzeit verfasste, fiel er der Stasi bereits Anfang der 70er-Jahre auf. Wegen seiner angeblich "sozialismusfeindlichen Anschauungen" und "verleumderischen literarischen Arbeiten" folgten 1975 der Parteiausschluss und die Exmatrikulation vom Psychologiestudium kurz vor seinem Examen.
Am 19. November 1976 wurde Jürgen Fuchs wegen seines Engagements bei den Protesten gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns verhaftet. Bis zu seiner erzwungenen Ausbürgerung am 26. August 1977 befand er sich neun Monate in Untersuchungshaft im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen. Während seiner Haft war er neben langwierigen täglichen Vernehmungen auch den Schikanen eines vom MfS instruierten Zellenspitzels ausgesetzt. Die Erfahrungen seiner Stasi-Haft und der Verhöre durch MfS-Mitarbeiter verarbeitete Jürgen Fuchs in seinem Werk "Vernehmungsprotokolle". Diese veröffentlichte er 1977 zunächst als Artikelserie in DER SPIEGEL und später als Buch.
Auch nach seiner Entlassung und der Abschiebung nach West-Berlin ließ die Stasi nicht von Fuchs ab. Im Gegenteil - sie intensivierte sogar die bestehenden Überwachungsmaßnahmen gegen den Schriftsteller und sein Umfeld. Der ehemalige DDR-Häftling Fuchs publizierte weiterhin und prangerte Missstände in der DDR an. Von West-Berlin aus unterstützte er mithilfe seiner neuen Kontakte zu westlichen Medien und linken politischen Kreisen Oppositionsbewegungen in der DDR, Polen und der ČSSR. Das alles machte ihn in den Augen des MfS zu einem gefährlichen Staatsfeind. Die Stasi überwachte nicht nur jede seiner öffentlichen Aktionen, sondern drang auch in sein Privatleben ein und versuchte ihm und seiner Familie mit "Zersetzungsmaßnahmen" zu schaden.
Im Juli 1975 wandte sich Jürgen Fuchs mit einem offenen Brief an die Kulturkonferenz der FDJ. Er kritisierte mit Verweis auf die Meinungsfreiheit die Auftritts- und Leseverbote, die den Sänger Gerulf Pannach, die Liedermacherin Bettina Wegner und ihn selbst betrafen. Die staatliche Jugendorganisation FDJ organisierte unter anderem Kulturveranstaltungen und Schreibwettbewerbe wie die "Poetenseminare" für junge Nachwuchstalente. Die vom 11. bis 12. Juli in Weimar tagende Kulturkonferenz der FDJ diskutierte jedoch nicht, wie von Fuchs gewünscht, die Punkte seines offenen Briefes.
Jena, 04.07.1975
Offener Brief an die Kulturkonferenz der FDJ in Weimar 11./12.07.1975
Ich schreibe diesen Brief, weil ich gelesen habe, daß in Weimar "bei allen Erfolgen auf die wir verweisen können, auch die Probleme der Kulturarbeit nicht beiseite geschoben werden" (Christel Cillmann ND 01.07.1975), als ein Vertreter der Jungen Lyrik, der an den Poetenseminaren der FDJ teilgenommen hat und in den "offenen Fenstern der Auswahl 74", in "Sinn und Form",erste literarisch-essayistische Beiträge veröffentlicht hat, möchte ich folgende Probleme zur Diskussion stellen:
1. Warum wird der Liedermacher Gerulf Pannach, der sowohl in seinen eigenen Werken als auch in der Zusammenarbeit mit
der Renft-Combo unter Beweis stellte, daß er ein engagierter und progressiver Vertreter des politischen Liedes in der DDR ist, behindert, öffentlich aufzutreten.
Dieser Zustand wirft nicht nur ein schlechtes Licht auf unsere sozialistische Demokratie, sondern nimmt Gerulf Pannach auch die Möglichkeiten, sich zusammen mit seinem Publikum künstlerisch und politisch zu entwickeln.
2. Warum wird der "Arbeitskreis Literatur" in meiner Heimatstadt Jena, den junge literarisch-künstlerische Leute mit viel Initiative und aufrichtigem Bemühen gegründet haben, an seiner Arbeit gehindert, obwohl er ein Zentrum für viele Talente wurde und eine breite Öffentlichkeit besonders unter der Arbeiter-Jugend fand.
Dieser Literaturkreis betrachtet sich momentan als "verboten", weil u.a. die Kulturverantwortlichen der Stadt Jena massiv den Meinungsstreit über Literatur und politische Probleme unterbunden haben, den diese jungen Menschen stets ehrlich, wenn auch nicht immer genügend souverän geführt haben.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Zersetzung war eine Methode der verdeckten Bekämpfung von Personen und Personengruppen, die vom MfS als "feindlich-negativ" angesehen wurden. Ziel der Zersetzung war laut der hier einschlägigen Richtlinie zur Bearbeitung Operativer Vorgänge von 1976, gegnerische Kräfte zu zersplittern, zu lähmen, zu desorganisieren und sie untereinander und von der Umwelt zu isolieren. "Feindliche" Handlungen sollten so vorbeugend verhindert, eingeschränkt oder unterbunden werden.
Ziele der Zersetzung waren zumeist staatsunabhängige Friedens-,Ökologie- und Menschenrechtsgruppen, Ausreiseantragsteller, aktive Christen sowie Personen und Organisationen im Operationsgebiet, die das MfS der politischen Untergrundtätigkeit gegen die DDR verdächtigte.
Gegen einzelne Personen gerichtete Maßnahmen der Zersetzung waren gemäß Richtlinie 1/76 etwa die "systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben" oder die "systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens".
In Gruppierungen versuchte das MfS Misstrauen, Neid, Rivalitäten und gegenseitige Verdächtigung zu erzeugen und sie im Zusammenwirken mit anderen Staatsorganen durch Arbeitsplatzbindungen, Berufsverbote, Einberufungen zum Wehrdienst oder Zwangsausbürgerungen zu paralysieren. Die Zersetzung entfaltete ihre Wirksamkeit häufig durch den kombinierten Einsatz unterschiedlicher Maßnahmen in einer längerwährenden Aktion.
Die von Jürgen Fuchs als "leiser Terror" bezeichnete Zersetzung galt laut Richtlinie als "relativ selbständige Art des Abschlusses Operativer Vorgänge" und diente somit als Ersatz für Strafverfolgungsmaßnahmen, die in der Honecker-Ära insbesondere bei der Bekämpfung von Oppositionellen aus Gründen der internationalen Reputation häufig politisch nicht mehr opportun waren.
Vor der Umsetzung von Maßnahmen der Zersetzung waren entsprechende Pläne detailliert auszuarbeiten, die vom Leiter der jeweiligen HA, selbständigen Abteilung oder BV oder im Falle von Organisationen, Gruppen oder herausgehobenen Persönlichkeiten vom Minister oder seinem zuständigen Stellvertreter bestätigt werden mussten.
Signatur: BArch, MfS, HA XX/AKG, Nr. 5944, Bl. 23-24
Wegen seiner SED-kritischen Texte geriet der Schriftsteller Jürgen Fuchs Anfang der 70er-Jahre immer mehr in den Fokus der Stasi. 1975 richtete er sich mit einem offenen Brief an die in Weimar tagende Kulturkonferenz der Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ). Darin protestierte Fuchs gegen Auftrittsverbote und ähnliche Maßnahmen, die ihn und andere Literatinnen und Literaten vom öffentlichen Vortrag ihrer Werke abhalten sollten.
Der Schriftsteller und Sozialpsychologe Jürgen Fuchs (1950-1999) engagierte sich politisch und literarisch für eine freie Rede in der DDR. Er beschäftigte sich früh mit marxistischen Werken und setzte sich in seinen literarischen Texten kritisch mit den Verhältnissen in der DDR auseinander.
Mit SED-kritischen Lyrik- und Prosawerken, die er während seiner Studienzeit verfasste, fiel er der Stasi bereits Anfang der 70er-Jahre auf. Wegen seiner angeblich "sozialismusfeindlichen Anschauungen" und "verleumderischen literarischen Arbeiten" folgten 1975 der Parteiausschluss und die Exmatrikulation vom Psychologiestudium kurz vor seinem Examen.
Am 19. November 1976 wurde Jürgen Fuchs wegen seines Engagements bei den Protesten gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns verhaftet. Bis zu seiner erzwungenen Ausbürgerung am 26. August 1977 befand er sich neun Monate in Untersuchungshaft im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen. Während seiner Haft war er neben langwierigen täglichen Vernehmungen auch den Schikanen eines vom MfS instruierten Zellenspitzels ausgesetzt. Die Erfahrungen seiner Stasi-Haft und der Verhöre durch MfS-Mitarbeiter verarbeitete Jürgen Fuchs in seinem Werk "Vernehmungsprotokolle". Diese veröffentlichte er 1977 zunächst als Artikelserie in DER SPIEGEL und später als Buch.
Auch nach seiner Entlassung und der Abschiebung nach West-Berlin ließ die Stasi nicht von Fuchs ab. Im Gegenteil - sie intensivierte sogar die bestehenden Überwachungsmaßnahmen gegen den Schriftsteller und sein Umfeld. Der ehemalige DDR-Häftling Fuchs publizierte weiterhin und prangerte Missstände in der DDR an. Von West-Berlin aus unterstützte er mithilfe seiner neuen Kontakte zu westlichen Medien und linken politischen Kreisen Oppositionsbewegungen in der DDR, Polen und der ČSSR. Das alles machte ihn in den Augen des MfS zu einem gefährlichen Staatsfeind. Die Stasi überwachte nicht nur jede seiner öffentlichen Aktionen, sondern drang auch in sein Privatleben ein und versuchte ihm und seiner Familie mit "Zersetzungsmaßnahmen" zu schaden.
Im Juli 1975 wandte sich Jürgen Fuchs mit einem offenen Brief an die Kulturkonferenz der FDJ. Er kritisierte mit Verweis auf die Meinungsfreiheit die Auftritts- und Leseverbote, die den Sänger Gerulf Pannach, die Liedermacherin Bettina Wegner und ihn selbst betrafen. Die staatliche Jugendorganisation FDJ organisierte unter anderem Kulturveranstaltungen und Schreibwettbewerbe wie die "Poetenseminare" für junge Nachwuchstalente. Die vom 11. bis 12. Juli in Weimar tagende Kulturkonferenz der FDJ diskutierte jedoch nicht, wie von Fuchs gewünscht, die Punkte seines offenen Briefes.
3. Warum werden Bettina Wegener/Schlesinger, Gerulf Pannach und ich unter Auftritts- und Leseverbot gestellt.
(z.B. am 14.02.1975 in Gera) von dem wir meist nur indirekt Kenntnis erhielten, viele Kultureinrichtungen der Republik aber längst die Anweisung erhielten, uns kein "öffentliches Podium" mehr zu geben.
Diese Maßnahmen stehen doch sogar im krassen Gegensatz zu unserer Verfassung, in der in Artikel 27 klar und unmißverständlich zu lesen ist, daß jeder Bürger der DDR (also auch der Künstler) das Recht hat, seine Meinung frei zu äussern ohne befürchten zu müssen, daß sein Dienst- oder Arbeitsverhältnis gefährdet wird.
4. Warum werde ich seit der Veröffentlichung meines Beitrages zu Fragen der Jungen Lyrik in "Sinn und Form" Nr. 9/74 zu keiner Veranstaltung des Schriftstellerverbandes und der FDJ mehr eingeladen. Muß ich daraus den Schluß ziehen, daß ich mundtot gemacht worden soll?
Ich habe in diesem Beitrag in guter Absicht zu einigen Problemen Stellung genommen, weil ich glaube, daß diese "Sinn und Form"-Veröffentlichungen erst der Anfang einer freimütigen Diskussion seien.
5. Warum erhielt ich von meiner Einsendung zum Literaturwettbewerb der FDJ, an dem ich mich mit meinen neuen Prosaarbeiten beteiligte, nicht einmal einen Bescheid, daß diese Beiträge unversehrt in Berlin angekommen sind.
Dieses bedauere ich sehr, weil der Streit um diese Arbeiten momentan sehr heftig geführt wird.
Ich meine, daß auch diese 5 Fragen, die ja nicht nur mich betreffen, in den 20 Arbeitsgruppen, die sich in Weimar mit "neuen Impulsen für die Aneignung von Kunst und Kultur" befassen, wie ich im ND lesen konnte, diskutiert werden sollten.
Mit freundlichem Gruß j.f.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Zersetzung war eine Methode der verdeckten Bekämpfung von Personen und Personengruppen, die vom MfS als "feindlich-negativ" angesehen wurden. Ziel der Zersetzung war laut der hier einschlägigen Richtlinie zur Bearbeitung Operativer Vorgänge von 1976, gegnerische Kräfte zu zersplittern, zu lähmen, zu desorganisieren und sie untereinander und von der Umwelt zu isolieren. "Feindliche" Handlungen sollten so vorbeugend verhindert, eingeschränkt oder unterbunden werden.
Ziele der Zersetzung waren zumeist staatsunabhängige Friedens-,Ökologie- und Menschenrechtsgruppen, Ausreiseantragsteller, aktive Christen sowie Personen und Organisationen im Operationsgebiet, die das MfS der politischen Untergrundtätigkeit gegen die DDR verdächtigte.
Gegen einzelne Personen gerichtete Maßnahmen der Zersetzung waren gemäß Richtlinie 1/76 etwa die "systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben" oder die "systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens".
In Gruppierungen versuchte das MfS Misstrauen, Neid, Rivalitäten und gegenseitige Verdächtigung zu erzeugen und sie im Zusammenwirken mit anderen Staatsorganen durch Arbeitsplatzbindungen, Berufsverbote, Einberufungen zum Wehrdienst oder Zwangsausbürgerungen zu paralysieren. Die Zersetzung entfaltete ihre Wirksamkeit häufig durch den kombinierten Einsatz unterschiedlicher Maßnahmen in einer längerwährenden Aktion.
Die von Jürgen Fuchs als "leiser Terror" bezeichnete Zersetzung galt laut Richtlinie als "relativ selbständige Art des Abschlusses Operativer Vorgänge" und diente somit als Ersatz für Strafverfolgungsmaßnahmen, die in der Honecker-Ära insbesondere bei der Bekämpfung von Oppositionellen aus Gründen der internationalen Reputation häufig politisch nicht mehr opportun waren.
Vor der Umsetzung von Maßnahmen der Zersetzung waren entsprechende Pläne detailliert auszuarbeiten, die vom Leiter der jeweiligen HA, selbständigen Abteilung oder BV oder im Falle von Organisationen, Gruppen oder herausgehobenen Persönlichkeiten vom Minister oder seinem zuständigen Stellvertreter bestätigt werden mussten.