Signatur: BArch, MfS, AGM, Nr. 2065, Bl. 198-214
Während der X. Weltfestspiele 1973 in Ost-Berlin waren unangemeldete Besucherinnen und Besucher aus der Bundesrepublik unerwünscht. Die Stasi wollte sie an der Grenze abweisen.
Die Spiele fanden vom 28. Juli bis zum 5. August 1973 in Ost-Berlin statt. Unter dem Motto "Für antiimperialistische Solidarität, Frieden und Freundschaft" kamen mehr als 25.000 Festival-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer aus 140 Ländern in die Hauptstadt der DDR, darunter auch Delegationen aus der Bundesrepublik.
Für die SED-Führung waren die Weltfestspiele Chance und Herausforderung zugleich. Sie konnte die DDR einerseits der Welt als ein offenes und selbstbewusstes Land präsentieren, fürchtete aber den westlichen Einfluss auf die eigene Jugend.
Die Planung der Weltfestspiele lag in der Verantwortung des "nationalen Vorbereitungskomitees". Es wurde 1972 unter der Leitung des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der SED Erich Honecker gegründet. Die Staatssicherheit war an der Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung beteiligt. Die generalstabsmäßig geplante Kontrolle der Spiele lief bei der Stasi unter dem Namen Aktion "Banner".
Mehr als 4.000 speziell geschulte hauptamtliche Mitarbeiter der Geheimpolizei sollten für Sicherheit und ein ideologisch einwandfreies Bild von der DDR-Jugend während des Festivals sorgen. Die "Verhinderung des Wirksamwerdens von negativen und feindlichen Kräften" stand dabei im Vordergrund. Dafür versuchte die Stasi, Kontrolle über den Reiseverkehr aus der Bundesrepublik und West-Berlin zu gewinnen und unangemeldete Besucherinnen und Besucher aus Ost-Berlin fernzuhalten. In der Durchführungsbestimmung zum Befehl 13/73 über den Einreiseverkehr lautete der Befehl für die HA VI, Verwaltung Groß-Berlin (zuständig für die Passkontrolle und Tourismus):
"Politisch operative Einflussnahme […] auf das Reisebüro der DDR, um zu sichern, dass in der Zeit der X. Weltfestspiele für Personen mit ständigem Wohnsitz in Berlin (West) sowie Bürgern der BRD und anderen nichtsozialistischen Staaten […] keine Touristenreisen […] mit dem Ziel des Aufenthalts in der Hauptstadt der DDR […] durchgeführt bzw. gewährt werden.“
7. Personen, die aus der DDR ausgewiesen wurden - einschließlich der auf Grund des Staatsratsbeschlusses vom 06.10.1972 amnestierten und in die BRD bzw. nach Berlin (West) entlassenen Personen - und Personen, die wegen begangener Staatsverbrechen verurteilt waren.
8. Personen, die durch illegale Ein- bzw. Durchfuhr von Rauschgiften angefallen sind bzw. im entsprechenden Verdacht stehen.
9. Personen, die durch grobe Verstöße bzw. wiederholt gegen die Zollbestimmungen angefallen sind (z. B. Einfuhr von Hetzmaterial, Zeitschriften, Pornografie, Spekulantengeschäfte) und der Verdacht besteht, daß sie derartiges Material während der Zeit der Weltfestspiele einführen.
10. Personen, die wiederholt durch grobe Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen bezüglich der Aufenthaltszeit und des Aufenthaltsortes angefallen sind.
11. Personen mit asozialer Lebensweise, insbesondere solche ohne berufliche Tätigkeit und festen Wohnsitz.
Hauptabteilung VI (Passkontrolle, Tourismus, Interhotel)
Die Hauptabteilung VI befasste sich mit dem grenzüberschreitenden Reiseverkehr. Sie wurde 1970 durch Fusion der Arbeitsgruppen "Passkontrolle und Fahndung" und "Sicherung des Reiseverkehrs" sowie der Zoll-Abwehr (Überwachung der Zoll-Mitarbeiter) gebildet. Die Hauptabteilung VI hatte an den Grenzübergängen der DDR die Reisenden zu kontrollieren und abzufertigen. Deshalb waren die DDR-Passkontrolleure hauptamtliche Mitarbeiter der Hauptabteilung VI. Zur Tarnung trugen sie Uniformen der Grenztruppen. Zunächst war 1950 die Grenzpolizei mit der Grenzabfertigung beauftragt worden.
Bei der Hauptabteilung VI wurden die Daten der Einreisenden einer ersten Analyse unterzogen, um politisch-operativ interessante Personen herauszufiltern. Die Grenzkontrolle umfasste für die Hauptabteilung VI auch die Überwachung der westlichen Grenzkontrollstellen, in Westberlin auch die der Flughäfen Tegel und Tempelhof sowie der Polizei und des Grenzzolldienstes. Zum Verantwortungsbereich der Hauptabteilung VI gehörte die lückenlose Überwachung der Transitstrecken von und nach Westberlin. Bei ihr liefen Avisierungen für bevorzugte Grenzabfertigungen zusammen.
1970 übernahm sie von der Hauptabteilung XX/5 die Aufgabe, Fluchtversuche zu unterbinden und Fluchthelfer im Westen zu verfolgen, was 1975/76 zu Teilen an die Zentrale Koordinierungsgruppe überging (Republikflucht). Die Hauptabteilung VI überwachte touristische Einrichtungen in der DDR, darunter die Reisebüros und die Interhotels. Ebenso kontrollierte sie DDR-Bürger bei ihren Reisen ins sozialistische Ausland, um Kontakte zu westlichen Staatsbürgern und Fluchtversuche ggf. zu unterbinden.
Die Operativgruppen des MfS in der ČSSR, Ungarn und Bulgarien waren ihr von 1970 bis 1989 unterstellt. 1989 gab sie deren Leitung an die Hauptabteilung II (HA II) ab. Im Verantwortungsbereich der Hauptabteilung VI wurden 1979–1981 drei Mordanschläge auf den Fluchthelfer Wolfgang Welsch durchgeführt, die dieser nur knapp überlebte.
Charakteristisch für die Hauptabteilung VI war die enge Kooperation mit vielen MfS-Diensteinheiten und anderen Institutionen wie Grenztruppen und Zoll, da im Bereich der Hauptabteilung VI eine Vielzahl von relevanten Erstinformationen und Daten zusammenkam. 1985 führte die Hauptabteilung VI 1.064 IM, darunter 67 West-IM, von denen 62 in Westberlin lebten.
Staatsverbrechen waren im StEG/1957 (§§ 13-27) und in Kapitel 2 des StGB/1968 (§§ 96-111) beschriebene politische Straftaten, die in die Zuständigkeit des MfS als strafrechtliches Untersuchungsorgan (HA IX) fielen, weil eine staatsfeindliche Absicht und/oder eine staatsgefährdende Wirkung unterstellt wurden.
Zu den Staatsverbrechen zählten diktaturspezifisch kodifizierte "klassische" politische Straftaten wie Hochverrat und Spionagedelikte sowie als Meinungs- und Organisationsdelikte definierte Handlungen (Staatsfeindliche Hetze, Staatsfeindliche Gruppenbildung), die in demokratischen Staaten als Ausübung von Grundrechten gelten würden, außerdem unterschiedliche Handlungen oder Unterlassungen, bei denen den Tätern eine staatsfeindlich motivierte Schädigungsabsicht unterstellt wurde (Diversion, Sabotage).
Die als Staatsverbrechen bezeichneten Straftatbestände stehen überwiegend in sowjetischer Rechtstradition und gehen letztlich auf Artikel 58 des StGB der RSFSR ("Konterrevolutionäre Verbrechen") zurück. Bis Februar 1958 wurden sie von DDR-Gerichten in Ermangelung konkreter strafrechtlicher Regelungen pauschal mit Hilfe von Artikel VI der Verfassung von 1949 ("Boykott- und Kriegshetze") geahndet.
Staatsverbrechen galten als schwere Straftaten; bei einigen Tatbeständen (Hochverrat, Spionage, Terror, Diversion, Sabotage) umfasste der Strafrahmen bis 1987 auch die Todesstrafe.
Signatur: BArch, MfS, AGM, Nr. 2065, Bl. 198-214
Während der X. Weltfestspiele 1973 in Ost-Berlin waren unangemeldete Besucherinnen und Besucher aus der Bundesrepublik unerwünscht. Die Stasi wollte sie an der Grenze abweisen.
Die Spiele fanden vom 28. Juli bis zum 5. August 1973 in Ost-Berlin statt. Unter dem Motto "Für antiimperialistische Solidarität, Frieden und Freundschaft" kamen mehr als 25.000 Festival-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer aus 140 Ländern in die Hauptstadt der DDR, darunter auch Delegationen aus der Bundesrepublik.
Für die SED-Führung waren die Weltfestspiele Chance und Herausforderung zugleich. Sie konnte die DDR einerseits der Welt als ein offenes und selbstbewusstes Land präsentieren, fürchtete aber den westlichen Einfluss auf die eigene Jugend.
Die Planung der Weltfestspiele lag in der Verantwortung des "nationalen Vorbereitungskomitees". Es wurde 1972 unter der Leitung des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der SED Erich Honecker gegründet. Die Staatssicherheit war an der Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung beteiligt. Die generalstabsmäßig geplante Kontrolle der Spiele lief bei der Stasi unter dem Namen Aktion "Banner".
Mehr als 4.000 speziell geschulte hauptamtliche Mitarbeiter der Geheimpolizei sollten für Sicherheit und ein ideologisch einwandfreies Bild von der DDR-Jugend während des Festivals sorgen. Die "Verhinderung des Wirksamwerdens von negativen und feindlichen Kräften" stand dabei im Vordergrund. Dafür versuchte die Stasi, Kontrolle über den Reiseverkehr aus der Bundesrepublik und West-Berlin zu gewinnen und unangemeldete Besucherinnen und Besucher aus Ost-Berlin fernzuhalten. In der Durchführungsbestimmung zum Befehl 13/73 über den Einreiseverkehr lautete der Befehl für die HA VI, Verwaltung Groß-Berlin (zuständig für die Passkontrolle und Tourismus):
"Politisch operative Einflussnahme […] auf das Reisebüro der DDR, um zu sichern, dass in der Zeit der X. Weltfestspiele für Personen mit ständigem Wohnsitz in Berlin (West) sowie Bürgern der BRD und anderen nichtsozialistischen Staaten […] keine Touristenreisen […] mit dem Ziel des Aufenthalts in der Hauptstadt der DDR […] durchgeführt bzw. gewährt werden.“
100738
[handschriftliche Ergänzung: 175/73]
Ministerrat
der Deutschen Demokratischen Republik
Ministerium für Staatssicherheit
Der Minister
Berlin, den 13. Juli 1973
[Stempel: Vertrauliche Verschlußsache; MfS 008 Nr. [handschriftliche Ergänzung: 566/73]; - Ausfertigungen; [handschriftliche Ergänzung: 198.] Ausfertigung; [handschriftliche Ergänzung: 1] Blatt]
Ergänzung
der 1. Durchführungsbestimmung zum Befehl Nr. 13/73
1. Die Anwendung der im Abschnitt 2.2. (S. 5) vorgesehenen Maßnahmen wird mit sofortiger Wirkung ausgesetzt.
2. Die in dem Punkt 1 (S. 1 und 2) und in dem Abschnitt 2.1. (S. 4) enthaltenen Festlegungen sind mit sofortiger Wirkung bei Antragstellung durch DDR-Bürger auf Einreisen von Personen mit ständigem Wohnsitz in Berlin (West) sowie von Bürgern der BRD u. a. nichtsozialistischen Staaten in die Hauptstadt der DDR, Berlin, bzw. in die Bezirke Potsdam und Frankfurt (Oder), während der Zeit der X. Weltfestspiele entsprechend den Weisungen des Ministers des Innern und Chefs der DVP wie folgt anzuwenden:
- Antragstellenden DDR-Bürgern ist zu empfehlen, den Termin für die gewünschte Einreise von Personen mit ständigem Wohnsitz in Berlin (West) sowie von Bürgern der BRD u. a. nichtsozialistischen Staaten in die Zeit vor bzw. nach dem Zeitraum vom 28.07. bis 05.08.1973 zu legen mit dem Ziel, daß der DDR-Bürger seine Antragstellung dementsprechend vornimmt.
- Bei antragstellenden DDR-Bürgern, bei denen die bekannten Grün-de für die Genehmigung der Einreise während der Zeit der X. Weltfestspiele nicht gegeben sind und die trotzdem hartnäckig bzw. wiederholt für die Zeit vom 28.07. bis 05.08.1973 eine Einreise in die Hauptstadt der DDR, Berlin, bzw. in die Bezirke Potsdam und Frankfurt (O.) beantragen, wird der Antrag entgegengenommen, ein Berechtigungsschein jedoch nicht ausgehändigt.
[Unterschrift: Mielke]
Generaloberst
Rücksendetermin: 20.09.1973 an Dokumentenverwaltung
Hauptabteilung VI (Passkontrolle, Tourismus, Interhotel)
Die Hauptabteilung VI befasste sich mit dem grenzüberschreitenden Reiseverkehr. Sie wurde 1970 durch Fusion der Arbeitsgruppen "Passkontrolle und Fahndung" und "Sicherung des Reiseverkehrs" sowie der Zoll-Abwehr (Überwachung der Zoll-Mitarbeiter) gebildet. Die Hauptabteilung VI hatte an den Grenzübergängen der DDR die Reisenden zu kontrollieren und abzufertigen. Deshalb waren die DDR-Passkontrolleure hauptamtliche Mitarbeiter der Hauptabteilung VI. Zur Tarnung trugen sie Uniformen der Grenztruppen. Zunächst war 1950 die Grenzpolizei mit der Grenzabfertigung beauftragt worden.
Bei der Hauptabteilung VI wurden die Daten der Einreisenden einer ersten Analyse unterzogen, um politisch-operativ interessante Personen herauszufiltern. Die Grenzkontrolle umfasste für die Hauptabteilung VI auch die Überwachung der westlichen Grenzkontrollstellen, in Westberlin auch die der Flughäfen Tegel und Tempelhof sowie der Polizei und des Grenzzolldienstes. Zum Verantwortungsbereich der Hauptabteilung VI gehörte die lückenlose Überwachung der Transitstrecken von und nach Westberlin. Bei ihr liefen Avisierungen für bevorzugte Grenzabfertigungen zusammen.
1970 übernahm sie von der Hauptabteilung XX/5 die Aufgabe, Fluchtversuche zu unterbinden und Fluchthelfer im Westen zu verfolgen, was 1975/76 zu Teilen an die Zentrale Koordinierungsgruppe überging (Republikflucht). Die Hauptabteilung VI überwachte touristische Einrichtungen in der DDR, darunter die Reisebüros und die Interhotels. Ebenso kontrollierte sie DDR-Bürger bei ihren Reisen ins sozialistische Ausland, um Kontakte zu westlichen Staatsbürgern und Fluchtversuche ggf. zu unterbinden.
Die Operativgruppen des MfS in der ČSSR, Ungarn und Bulgarien waren ihr von 1970 bis 1989 unterstellt. 1989 gab sie deren Leitung an die Hauptabteilung II (HA II) ab. Im Verantwortungsbereich der Hauptabteilung VI wurden 1979–1981 drei Mordanschläge auf den Fluchthelfer Wolfgang Welsch durchgeführt, die dieser nur knapp überlebte.
Charakteristisch für die Hauptabteilung VI war die enge Kooperation mit vielen MfS-Diensteinheiten und anderen Institutionen wie Grenztruppen und Zoll, da im Bereich der Hauptabteilung VI eine Vielzahl von relevanten Erstinformationen und Daten zusammenkam. 1985 führte die Hauptabteilung VI 1.064 IM, darunter 67 West-IM, von denen 62 in Westberlin lebten.
Befehl Nr. 13/73 zur Sicherung der X. Weltfestspiele der Jugend in Ost-Berlin Dokument, 50 Seiten
Information der Kriminalpolizei zu verhinderten Reisen "negativer Personen" zu den X. Weltfestspielen der Jugend Dokument, 4 Seiten
"Verhinderung von Reisen" unerwünschter Personen zu den Weltfestpielen der Jugend in Berlin Dokument, 4 Seiten
Verhaltensregeln für Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der DDR an den X. Weltfestspielen der Jugend Dokument, 5 Seiten