Signatur: BStU, MfS, ZKG, Nr. 1453, Bl. 156-159
DDR-Rückkehrer sollten 1985 verstärkt öffentlich eingesetzt werden, um weitere Ausreisewillige von ihren Plänen abzubringen. Ein Bericht der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Dresden beschreibt, wo und wie die Zurückgekehrten öffentlich auftreten sollten und wie diese Propagandamaßnahme wirkte.
1985 riefen SED und Stasi eine Kampagne mit ehemaligen DDR-Bürgern ins Leben, die von der Bundesrepublik in die DDR zurückkehren wollten. So druckte die Partei-Zeitung "Neues Deutschland" unter der Überschrift "Über 20.000 Ehemalige wollen zurück" Aussagen ehemaliger DDR-Bürger: Angesichts von Arbeitslosigkeit und "sozialer Kälte" im Westen würden sie lieber wieder in die DDR zurückkehren. Hatte Ost-Berlin in den 50er Jahren mit ähnlichen Kampagnen noch offensiv für die Zu- und Rückwanderung geworben, sollten nun vor allem Ausreisewillige frühzeitig umgestimmt werden.
Zu diesem Zweck wurden in dem Artikel die Zahlen der Rückkehrwilligen weit übertrieben und ihre Lebenswege und Motive teilweise konstruiert. Die Kampagne war eine Reaktion auf den sprunghaft wachsenden Strom von Ausreisewilligen: 1984 hatte die SED in Zusammenhang mit dem Milliardenkredit aus der Bundesrepublik etwa 30.000 Menschen ausreisen lassen. Bei ihrer Wiederaufnahme überprüfte die Stasi die politische Zuverlässigkeit der West-Ost-Migranten vor und nach der Ankunft, entschied letzten Endes über die Aufnahmeanträge und setzte die Rückkehrer bei öffentlichen Auftritten und für Interviews ein.
Im vorliegenden Bericht an die Parteiführung analysierte die Stasi den Einsatz von Rückkehrern im "Zurückdrängungsprozeß von Übersiedlungsersuchenden" und unterbreitete Vorschläge für die weitere Öffentlichkeitsarbeit. Die Geheimpolizei musste indes erkennen, dass die Argumente der Zurückgekehrten neue Ausreisewilligen nicht überzeugten. Diese nahmen weder in Dresden noch andernorts von ihren Plänen Abstand, weil ihnen die Erzählungen der Rückkehrer unglaubwürdig erschienen. Die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Dresden wollte stattdessen ihre Propagandamaßnahmen prophylaktisch auf "potentielle Übersiedlungsersuchende" sowie Parteifunktionäre in den Betrieben konzentrieren sowie ihre eigenen Mitarbeiter agitieren.
Publikationen im Wohn- und Freizeitbereich unter Einbeziehung der WPO/WBA, in Betriebszeitungen oder im Betriebsfunk geprüft und in Erwägung gezogen werden.
Die bisher in zwei Fällen zentral organisierten und zwischenzeitlich erfolgten Interviews mit Zurückgekehrten durch ausländische Medien bestätigten die Zweckmäßigkeit derartiger Maßnahmen. Der Rückkehrer [geschwärzt] und seine Tochter (Kreis Dresden-Land) wurden durch ein Team der japanischen Fernsehgesellschaft ASHI und die [geschwärzt] (Dresden-Stadt) durch Vertreter finnischer Massenmedien interviewt. Zu inhaltlichen Aussagen beider Interviews kann eingeschätzt werden, daß diese für die zielgerichtete Argumentation im Zurückdrängungsprozeß genutzt werden können. Die Leiter der Kreisdienststellen sind im Besitz eines Tonbandmitschnittes des Interviews der [geschwärzt]. Ich habe die Leiter der Kreisdienststellen angewiesen, in ihrem Territorium dieses Material bei den Partnern des Zusammenwirkens für die weitere Qualifizierung des Zurückdrängungsprozesses zu nutzen.
Die Arbeit mit den Zurückgekehrten erfordert weitere Konsequenzen. Dazu sollte eine Konzeption erarbeitet werden, deren Hauptinhalt auf die Einbeziehung in dem Zurückdrängungsprozeß unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Probleme der Zurückgekehrten gerichtet sein sollte und die durch die Abteilung Innere Angelegenheiten mit dem jeweiligen Leiter der Kreisdienststelle für Staatssicherheit nach Bestätigung der Rückkehrer suchen abzustimmen ist.
In dieser Konzeption sollten Fragen, wie
terminlich und verantwortlich fixiert werden.
Die Leiter der Kreisdienststellen für Staatssicherheit habe ich beauftragt, die Abteilungen Innere Angelegenheiten bei der Wiedereingliederung Zurückgekehrter zu unterstützen.
Als Anlage übersende ich Ihnen Kurzeinschätzungen zu den aktuellen Fällen zurückgekehrter Personen mit Vorschlägen, welche Möglichkeiten sich zur weiteren Nutzung im Zurückdrängungsprozeß ergeben. In diesem Zusammenhang verweise ich auf meine Informa-
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Die Kreisdienststellen waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren entsprechend den regionalen Gegebenheiten unterschiedlich strukturiert und personell ausgestattet. Einige verfügten über ein Referat zur komplexen Spionageabwehr oder zur Sicherung der Volkswirtschaft und andere nur über spezialisierte Mitarbeiter in diesen Bereichen. Ihre Aufgaben waren die Kontrolle der Wirtschaft, des Verkehrswesens, des Staatsapparates, des Gesundheitswesens, der kulturellen Einrichtungen, der Volksbildung, ggf. von Einrichtungen des Hoch- und Fachschulwesens, wissenschaftlich-technischer Einrichtungen sowie die Überwachung besonders interessierender Personenkreise.
Die Kreisdienststellen waren maßgeblich an den Genehmigungsverfahren für dienstliche bzw. private Auslandsreisen beteiligt, führten Sicherheitsüberprüfungen durch und erstellten Stimmungs- und Lageberichte. Zur Realisierung der Aufgaben bedurfte es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern des POZW, insbesondere mit der Volkspolizei, den Räten und anderen Einrichtungen der Kreise. Die Kreisdienststellen unterhielten ständige Verbindungen zu den SED Kreisleitungen. Zwei Drittel der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kreisdienststellen waren operativ tätig. Die Kreisdienststellen führten 50 Prozent der IM und bearbeiteten etwa 60 Prozent der OV zu einzelnen Personen oder Gruppen.
Die Kreisdienststellen gliederten sich in 2 bis 16 Fachreferate sowie das Referat Auswertung und Information (ZAIG) und die Wache/Militärische Sicherungsgruppe. In jeder Kreisdienststelle gab es einen Offizier, der teilweise oder ganz (IM-führender Mitarbeiter/XV) für die Belange der HV A vor Ort zuständig war.
Die Zentrale Koordinierungsgruppe (ZKG) entstand 1975 durch Übernahme von Aufgaben verschiedener Diensteinheiten, insbesondere von HA VI und HA XX/5. Aufgaben: zentrale Koordinierung des Vorgehens des MfS im Zusammenhang mit Übersiedlungen in die Bundesrepublik Deutschland, nach Westberlin bzw. das nichtsozialistische Ausland, einschließlich der Versuche des Zurückdrängens von Ausreiseanträgen bzw. zur Verhinderung des Verlassens der DDR und zur Bekämpfung des sog. staatsfeindlichen Menschenhandels bis hin zur Mitwirkung an den Entscheidungen in Ausreisefällen.
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Signatur: BStU, MfS, ZKG, Nr. 1453, Bl. 156-159
DDR-Rückkehrer sollten 1985 verstärkt öffentlich eingesetzt werden, um weitere Ausreisewillige von ihren Plänen abzubringen. Ein Bericht der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Dresden beschreibt, wo und wie die Zurückgekehrten öffentlich auftreten sollten und wie diese Propagandamaßnahme wirkte.
1985 riefen SED und Stasi eine Kampagne mit ehemaligen DDR-Bürgern ins Leben, die von der Bundesrepublik in die DDR zurückkehren wollten. So druckte die Partei-Zeitung "Neues Deutschland" unter der Überschrift "Über 20.000 Ehemalige wollen zurück" Aussagen ehemaliger DDR-Bürger: Angesichts von Arbeitslosigkeit und "sozialer Kälte" im Westen würden sie lieber wieder in die DDR zurückkehren. Hatte Ost-Berlin in den 50er Jahren mit ähnlichen Kampagnen noch offensiv für die Zu- und Rückwanderung geworben, sollten nun vor allem Ausreisewillige frühzeitig umgestimmt werden.
Zu diesem Zweck wurden in dem Artikel die Zahlen der Rückkehrwilligen weit übertrieben und ihre Lebenswege und Motive teilweise konstruiert. Die Kampagne war eine Reaktion auf den sprunghaft wachsenden Strom von Ausreisewilligen: 1984 hatte die SED in Zusammenhang mit dem Milliardenkredit aus der Bundesrepublik etwa 30.000 Menschen ausreisen lassen. Bei ihrer Wiederaufnahme überprüfte die Stasi die politische Zuverlässigkeit der West-Ost-Migranten vor und nach der Ankunft, entschied letzten Endes über die Aufnahmeanträge und setzte die Rückkehrer bei öffentlichen Auftritten und für Interviews ein.
Im vorliegenden Bericht an die Parteiführung analysierte die Stasi den Einsatz von Rückkehrern im "Zurückdrängungsprozeß von Übersiedlungsersuchenden" und unterbreitete Vorschläge für die weitere Öffentlichkeitsarbeit. Die Geheimpolizei musste indes erkennen, dass die Argumente der Zurückgekehrten neue Ausreisewilligen nicht überzeugten. Diese nahmen weder in Dresden noch andernorts von ihren Plänen Abstand, weil ihnen die Erzählungen der Rückkehrer unglaubwürdig erschienen. Die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Dresden wollte stattdessen ihre Propagandamaßnahmen prophylaktisch auf "potentielle Übersiedlungsersuchende" sowie Parteifunktionäre in den Betrieben konzentrieren sowie ihre eigenen Mitarbeiter agitieren.
tion vom 4.3.1985 über die zurückgekehrte [geschwärzt] (Dresden-Stadt), die für eine Nutzung im Zurückdrängungsprozeß nicht geeignet ist.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Die Zentrale Koordinierungsgruppe (ZKG) entstand 1975 durch Übernahme von Aufgaben verschiedener Diensteinheiten, insbesondere von HA VI und HA XX/5. Aufgaben: zentrale Koordinierung des Vorgehens des MfS im Zusammenhang mit Übersiedlungen in die Bundesrepublik Deutschland, nach Westberlin bzw. das nichtsozialistische Ausland, einschließlich der Versuche des Zurückdrängens von Ausreiseanträgen bzw. zur Verhinderung des Verlassens der DDR und zur Bekämpfung des sog. staatsfeindlichen Menschenhandels bis hin zur Mitwirkung an den Entscheidungen in Ausreisefällen.
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Auskunftsbericht zu einer in die DDR zurückgekehrten Person Dokument, 6 Seiten
Vorschlag zur "Wiederaufnahme in die DDR im begründeten Einzelfall" Dokument, 5 Seiten
Anweisung zur Überprüfung von Rückkehrern in die DDR Dokument, 4 Seiten
Operativplan zur Wiederaufnahme eines Rückkehrers in die DDR Dokument, 4 Seiten